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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Wagners Parsifal

gerade verneint hat. Diese Erkenntnis ist rein d. h. "willenlos, schmerzlos,
zeitlos" wie das Subjekt der Erkenntnis. Er ist "durch Mitleid wissend der
reine Tor". Der Tor ist der Wille, also auch der Mensch als Wille, der
rein wird als reines Subjekt intuitiver Erkenntnis, "der Wille ist objektiv
betrachtet ein Tor".


Kundry und Parsifal.

Nachdem wir so ein klares Begriffssystem gewonnen haben, können wir
versuchen, es auf Wagners Werk selbst im einzelnen anzuwenden, wenn sich
auch das Vorhergehende ganz von selbst schon als eine Erklärung des Kern¬
punktes der Parsifalnatur dargestellt haben wird. So können wir hier zunächst
von der Gestalt der Kundry ausgehen. Das Auffallendste an ihrem Wesen
ist ihr Leben und Wirken in zwei getrennten Welten, bei Klingsor und bei
den Gralsrittern. In des bösen Zauberers Reich ist sie die "Urteufelin", also
die Ursache alles Bösen, aller Sünde; ihr Verhängnis, ihr "Fluch" ist das
"Sehnen", das Sehnen, "das nur durch Ungestilltsein erlischt" (Parstfalskizze
von 1865, Volksausgabe, L. XI. S. 409). Die Erfüllung vermehrt nur den
Sehnsuchtsschmerz -- "daß der Trank nur deinen Durst vermehrt" (a. a. O.
S. 409). Wonach sich Kundry sehnt ist zunächst der Quell der Sehnsucht selbst,
ist schließlich die sinnliche Liebe Parsifals (K X. 361):


Hai Wahnsinn I
Mitleid I Mitleid mit mirl
Nur eine Stunde mein --
nur eine Stunde dein!

Das ist Kundrys Antwort auf Parsifals Worte:


O, Elend I Aller Rettung Fluch!
O. Weltenwahns Umnachten!
In höchsten Heiles heißer Sucht
nach der Verdammnis Quell zu schmachten.

Das Mitleid, das sie fordert, ist nicht das moralische, befreiende, welt¬
hellsichtig machende Mitleid, sondern das persönliche Bedauern mit dem Leiden¬
den, das dem Schmerz nur für den Augenblick Linderung zu verschaffen ver¬
mag. Aus dieser Linderung kann nur neuer Schmerz, neues Sehnen, entspringen.
Sonst sehnte sich Kundry nach


"Schlaf -- Schlaf -- tiefer Schlaf! -- Tod!"

Dieser Schlaf und Tod wäre ihre Erlösung:


O, ewiger Schlaf
einziges Heil,
wie -- wie dich gewinnen?

Daß Kundry Erlösung finden kann, sagt ihr schon Klingsor (eb. S. 348):


Ha! Wer dir trotzte, löste dich frei.

Und Parsifal (361) verheißt ihr:


Richard Wagners Parsifal

gerade verneint hat. Diese Erkenntnis ist rein d. h. „willenlos, schmerzlos,
zeitlos" wie das Subjekt der Erkenntnis. Er ist „durch Mitleid wissend der
reine Tor". Der Tor ist der Wille, also auch der Mensch als Wille, der
rein wird als reines Subjekt intuitiver Erkenntnis, „der Wille ist objektiv
betrachtet ein Tor".


Kundry und Parsifal.

Nachdem wir so ein klares Begriffssystem gewonnen haben, können wir
versuchen, es auf Wagners Werk selbst im einzelnen anzuwenden, wenn sich
auch das Vorhergehende ganz von selbst schon als eine Erklärung des Kern¬
punktes der Parsifalnatur dargestellt haben wird. So können wir hier zunächst
von der Gestalt der Kundry ausgehen. Das Auffallendste an ihrem Wesen
ist ihr Leben und Wirken in zwei getrennten Welten, bei Klingsor und bei
den Gralsrittern. In des bösen Zauberers Reich ist sie die „Urteufelin", also
die Ursache alles Bösen, aller Sünde; ihr Verhängnis, ihr „Fluch" ist das
„Sehnen", das Sehnen, „das nur durch Ungestilltsein erlischt" (Parstfalskizze
von 1865, Volksausgabe, L. XI. S. 409). Die Erfüllung vermehrt nur den
Sehnsuchtsschmerz — „daß der Trank nur deinen Durst vermehrt" (a. a. O.
S. 409). Wonach sich Kundry sehnt ist zunächst der Quell der Sehnsucht selbst,
ist schließlich die sinnliche Liebe Parsifals (K X. 361):


Hai Wahnsinn I
Mitleid I Mitleid mit mirl
Nur eine Stunde mein —
nur eine Stunde dein!

Das ist Kundrys Antwort auf Parsifals Worte:


O, Elend I Aller Rettung Fluch!
O. Weltenwahns Umnachten!
In höchsten Heiles heißer Sucht
nach der Verdammnis Quell zu schmachten.

Das Mitleid, das sie fordert, ist nicht das moralische, befreiende, welt¬
hellsichtig machende Mitleid, sondern das persönliche Bedauern mit dem Leiden¬
den, das dem Schmerz nur für den Augenblick Linderung zu verschaffen ver¬
mag. Aus dieser Linderung kann nur neuer Schmerz, neues Sehnen, entspringen.
Sonst sehnte sich Kundry nach


„Schlaf — Schlaf — tiefer Schlaf! — Tod!"

Dieser Schlaf und Tod wäre ihre Erlösung:


O, ewiger Schlaf
einziges Heil,
wie — wie dich gewinnen?

Daß Kundry Erlösung finden kann, sagt ihr schon Klingsor (eb. S. 348):


Ha! Wer dir trotzte, löste dich frei.

Und Parsifal (361) verheißt ihr:


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[0223] Richard Wagners Parsifal gerade verneint hat. Diese Erkenntnis ist rein d. h. „willenlos, schmerzlos, zeitlos" wie das Subjekt der Erkenntnis. Er ist „durch Mitleid wissend der reine Tor". Der Tor ist der Wille, also auch der Mensch als Wille, der rein wird als reines Subjekt intuitiver Erkenntnis, „der Wille ist objektiv betrachtet ein Tor". Kundry und Parsifal. Nachdem wir so ein klares Begriffssystem gewonnen haben, können wir versuchen, es auf Wagners Werk selbst im einzelnen anzuwenden, wenn sich auch das Vorhergehende ganz von selbst schon als eine Erklärung des Kern¬ punktes der Parsifalnatur dargestellt haben wird. So können wir hier zunächst von der Gestalt der Kundry ausgehen. Das Auffallendste an ihrem Wesen ist ihr Leben und Wirken in zwei getrennten Welten, bei Klingsor und bei den Gralsrittern. In des bösen Zauberers Reich ist sie die „Urteufelin", also die Ursache alles Bösen, aller Sünde; ihr Verhängnis, ihr „Fluch" ist das „Sehnen", das Sehnen, „das nur durch Ungestilltsein erlischt" (Parstfalskizze von 1865, Volksausgabe, L. XI. S. 409). Die Erfüllung vermehrt nur den Sehnsuchtsschmerz — „daß der Trank nur deinen Durst vermehrt" (a. a. O. S. 409). Wonach sich Kundry sehnt ist zunächst der Quell der Sehnsucht selbst, ist schließlich die sinnliche Liebe Parsifals (K X. 361): Hai Wahnsinn I Mitleid I Mitleid mit mirl Nur eine Stunde mein — nur eine Stunde dein! Das ist Kundrys Antwort auf Parsifals Worte: O, Elend I Aller Rettung Fluch! O. Weltenwahns Umnachten! In höchsten Heiles heißer Sucht nach der Verdammnis Quell zu schmachten. Das Mitleid, das sie fordert, ist nicht das moralische, befreiende, welt¬ hellsichtig machende Mitleid, sondern das persönliche Bedauern mit dem Leiden¬ den, das dem Schmerz nur für den Augenblick Linderung zu verschaffen ver¬ mag. Aus dieser Linderung kann nur neuer Schmerz, neues Sehnen, entspringen. Sonst sehnte sich Kundry nach „Schlaf — Schlaf — tiefer Schlaf! — Tod!" Dieser Schlaf und Tod wäre ihre Erlösung: O, ewiger Schlaf einziges Heil, wie — wie dich gewinnen? Daß Kundry Erlösung finden kann, sagt ihr schon Klingsor (eb. S. 348): Ha! Wer dir trotzte, löste dich frei. Und Parsifal (361) verheißt ihr:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/223>, abgerufen am 21.12.2024.