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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Nach dem Fall von Skutari

war noch die letzte Tat Kiderlens. Das sich nun anbahnende, vertrauensvollere
Verhältnis zwischen Deutschland und England diente nun auch der Politik
Ssasonows zur Stütze, und auch Frankreich hat sich dieser Politik anbequemt.
Ebenso bedeutet aber diese ganze Konstellation in Verbindung mit der bundes¬
treuen Haltung Deutschlands eine starke Rückendeckung für Österreich-Ungarn,
das auf diese Weise in den Stand gesetzt wird, seine Interessen auf friedlichem
Wege zu wahren. Und endlich hat auch die Haltung Italiens, das ja natürlich
das allergeringste Interesse daran hatte, die Einigkeit der Großmächte irgendwie
zu stören, sehr wesentlich dazu beigetragen, die österreichische Politik von dem
Odium zu entlasten, als ob sie den legitimen Interessen der Balkanstaaten allein
feindselig gegenüberstehe.

Wenn man von Frankreich absieht, das es wohl lieber gesehen hätte, wenn
es den Balkanstaaten stärkere Sympathiebeweise mit entsprechender Spitze gegen
Österreich und noch besser gegen Deutschland hätte geben können, so wird man
sagen müssen, daß alle Großmächte aus der Politik des Zusammenhaltens so
viele Vorteile gezogen haben, daß ein leichtfertiges Aufgeben dieses Nutzens nicht
wahrscheinlich ist. England hat die Gründe seines Festhaltens an dieser Politik
noch insofern unterstrichen, als es auf den Zusammenhang hingewiesen hat, der
zwischen der Festsetzung der Nordgrenze von Albanien -- also auch der Ent¬
scheidung über Skutari -- und der von den andern Balkanstaaten angenommenen
Vermittlung der Großmächte besteht. Damit wird sehr entschieden ausgesprochen,
daß es auch im Interesse der andern Valkanstaaten liegt, wenn Montenegro
zur Respektierung des Willens der Großmächte gezwungen wird. Frankreich ist
jetzt so sehr der Gefolgsmann Rußlands, daß eine Störung der Mächtepolitik
von ihm allein nicht zu befürchten ist. Der Dreibund hat also eine günstige
Stellung. Aus unserem günstigen Verhältnis zu England, das sich hoffentlich
auch ferner freundlich gestaltet, darf man freilich nicht zu weitgehende Folgerungen
ziehen. Sir Edward Grey wird in mancher Beziehung noch einen schweren
Stand haben, und es würde ihm seine jetzige Politik noch mehr erschwert werden,
wenn sich die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland ungünstig ge¬
stalten sollten. Das moderne England ist sehr empfindlich gegen jeden, auch
nur leise geargwöhnten Versuch, es Frankreich gegenüber in Verlegenheit zu
bringen. Die deutsche Politik hat aber Frankreich gegenüber eine so ruhige
und besonnene Haltung beobachtet, daß von hier aus eine Störung wohl nicht
zu befürchten ist. So kennzeichnet sich die Lage zwar als eine solche, die noch
immer von Spannungen erfüllt ist, die aber die Hoffnung, ohne schwere Er¬
schütterungen doch noch zu einer Entspannung von einiger Dauer zu gelangen,
nicht verringert hat.




Nach dem Fall von Skutari

war noch die letzte Tat Kiderlens. Das sich nun anbahnende, vertrauensvollere
Verhältnis zwischen Deutschland und England diente nun auch der Politik
Ssasonows zur Stütze, und auch Frankreich hat sich dieser Politik anbequemt.
Ebenso bedeutet aber diese ganze Konstellation in Verbindung mit der bundes¬
treuen Haltung Deutschlands eine starke Rückendeckung für Österreich-Ungarn,
das auf diese Weise in den Stand gesetzt wird, seine Interessen auf friedlichem
Wege zu wahren. Und endlich hat auch die Haltung Italiens, das ja natürlich
das allergeringste Interesse daran hatte, die Einigkeit der Großmächte irgendwie
zu stören, sehr wesentlich dazu beigetragen, die österreichische Politik von dem
Odium zu entlasten, als ob sie den legitimen Interessen der Balkanstaaten allein
feindselig gegenüberstehe.

Wenn man von Frankreich absieht, das es wohl lieber gesehen hätte, wenn
es den Balkanstaaten stärkere Sympathiebeweise mit entsprechender Spitze gegen
Österreich und noch besser gegen Deutschland hätte geben können, so wird man
sagen müssen, daß alle Großmächte aus der Politik des Zusammenhaltens so
viele Vorteile gezogen haben, daß ein leichtfertiges Aufgeben dieses Nutzens nicht
wahrscheinlich ist. England hat die Gründe seines Festhaltens an dieser Politik
noch insofern unterstrichen, als es auf den Zusammenhang hingewiesen hat, der
zwischen der Festsetzung der Nordgrenze von Albanien — also auch der Ent¬
scheidung über Skutari — und der von den andern Balkanstaaten angenommenen
Vermittlung der Großmächte besteht. Damit wird sehr entschieden ausgesprochen,
daß es auch im Interesse der andern Valkanstaaten liegt, wenn Montenegro
zur Respektierung des Willens der Großmächte gezwungen wird. Frankreich ist
jetzt so sehr der Gefolgsmann Rußlands, daß eine Störung der Mächtepolitik
von ihm allein nicht zu befürchten ist. Der Dreibund hat also eine günstige
Stellung. Aus unserem günstigen Verhältnis zu England, das sich hoffentlich
auch ferner freundlich gestaltet, darf man freilich nicht zu weitgehende Folgerungen
ziehen. Sir Edward Grey wird in mancher Beziehung noch einen schweren
Stand haben, und es würde ihm seine jetzige Politik noch mehr erschwert werden,
wenn sich die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland ungünstig ge¬
stalten sollten. Das moderne England ist sehr empfindlich gegen jeden, auch
nur leise geargwöhnten Versuch, es Frankreich gegenüber in Verlegenheit zu
bringen. Die deutsche Politik hat aber Frankreich gegenüber eine so ruhige
und besonnene Haltung beobachtet, daß von hier aus eine Störung wohl nicht
zu befürchten ist. So kennzeichnet sich die Lage zwar als eine solche, die noch
immer von Spannungen erfüllt ist, die aber die Hoffnung, ohne schwere Er¬
schütterungen doch noch zu einer Entspannung von einiger Dauer zu gelangen,
nicht verringert hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/218>, abgerufen am 27.07.2024.