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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Überschriften: statt ^ die Lehre von der Be¬
deutung

I. Etymologische Hilfsmittel
1. Die Wortfamilie

lesen wir: ^ Die Bedeutung unserer Wörter
und Wendungen

I. Die Lehre von der Grundbedeutung
1. Verzeichnis von Wörtern, deren Grund¬
bedeutung (bzw. ältere Bedeutung)
mit Hilfe der zur gleichen Wort¬
familie gehörigen Wörter erkannt
werden kann.

Alles das berührt aber nur Fvrmwünsche
für eine spätere Auflage, die wir dem Buche
nach seinen inhaltlichen Vorzügen aufrichtig
wünschen.

Ebenfalls der Schulpraxis will Dr. Otto
Srtels: "Deutscher Stil" (B. G. Teuvner,
Leipzig-Berlin, tard. 1,80 M.) dienen. Wenn
er dem reichbestellten Felde der Aussatzreform
noch ein neues Hälmchen abgewinnt, so ver¬
dankt er dies seiner entschiedenen Hinwendung
zum konkreten Vorschlag. Mehr als die
Hälfte des Buches nehmen fertig ausgeführte
Aufsätze ein, in denen er auf seine Stilforde¬
rungen die praktische Probe macht. Besonders
lehrreich ist die Abwandlung eines Stoffes
nach sechs verschiedenen Gesichtspunkten der
Themenstellung. Etwas Preziös gibt darum
Orte! seiner Arbeit den Untertitel: "eine
Handreichung". Es spricht für sein Pädago¬
gisches Empfinden, daß er von dieser Neigung
seines eigenen Stils zum Bewuszt-Literarischen
die Aufsatzproben fast durchgängig freigehalten
hat. (Zur Ausnahme rechne ich: "Mittags¬
zauber" S. 46 bis 48.) Oft ist das Kinder-
tümliche mit glücklichen Humor gepaart.
Freilich entspringt auch er zuweilen einer
reiferen Lebenserfahrung, als das Niveau der
Aufsätze voraussetzt ("Ein Picknick" S. 42 bis
46). Auch der Wert seiner einleitenden Ab¬
handlung liegt mehr darin, daß er immer
aus dem Programm in die Anwendung strebt.
Denn wenn er die Arbeit eines Aufsatzes in
zehn verschiedene Tätigkeiten zergliedert, so
scheint uns daS ebenso ein übertriebener
Schematismus wie die Regelmäßigkeit, mit
der er am Ende eines jeden einzelnen einen
pädagogischen Mehrgewinn herausschlägt. Es
ist aber erfrischend, wie er überall die "Jagd
nach Tatsachen" betont und vor den: un¬

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fruchtbaren Zerpflücken klassischer Schriftsteller
warnt. In der Hand eines verständnisvollen
Lehrers wird dus anspruchslose Buch manches
Gute stiften.

Sprache ist Form des Denkens, Form der
Sprache wieder ist d!e Schrift. Kein Wunder,
daß der neue Wille zur Form sich auch dieses
Feldes bemächtigt hat, das nur allzulange
einer gedankenlosen Wirtschaft überlassen war.
Hoffnungsvoll durchwühlt den trägen Acker
eine tiefspältige Kontroverse, die auch die Auf¬
merksamkeit des Fernstehenden herausgefordert
hat. Bis in den Reichstag hallte unlängst
das Kriegsgeschrei: "Antiqua oder Fraktur?"
Unter diesem Titel veröffentlicht nun Prof.
A. Kirschimmn (als 1. Band der "Mono¬
graphien des Buchgewerbes", Verlag des Deut¬
schen Buchgewerbevereins, Leipzig, broschiert
1,S0 Mark) eine kleine, aber gewichtige Schrift,
an der keiner in Zukunft wird vorübergehen
dürfen, der zu der strittigen Frage Stellung
nehmen will. Die besonnene Distanz des
Philosophen gibt dem Verfasser einen Stand-
Punkt, der sich über das Tagesgeschrei kurz¬
beiniger Phrasenbeweise erhebt. Wer Mer¬
zeugen kann, braucht nicht zu überreden. In
konsequenter Anwendung einer kritisch-optischen
Methode untersucht Kirschmann experimentell
die Lesbarkeit der beiden gebräuchlichen Druck¬
schriften. Bemerkenswert ist die schärfere Ein¬
stellung der Experimente auf den sachlichen
Hergang. Einmal wird im Gegensatz zum
Buchstabieren für das Lesen die Bedeutung
des indirekten Sehens hervorgehoben. Indem
nun durch eine Komplizicrung des Schrift¬
bildes die Vorauserkennung der dem Fixier¬
punkt stetig genäherten Buchstaben erleichtert
erscheint, ist die Überlegenheit der Fraktur
im Prinzip gefunden. Zweitens dehnt Kirsch¬
mann seine Untersuchungen auf ganze Wörter
aus. Wenn einzelne Frakturmajuskeln, die
einander zu ähnlich sind, isoliert im Nachteil
waren, so werden hier diese Ausnahmen be¬
richtigt. Zudem macht Kirschmann auf die
Verbesserungen der neuen Typen (Schwabacher,
Koch usw.) aufmerksam. Die Nachweisung
größerer Flüchtigkeit der spitzwinkligen deutschen
Schreibschrift bildet zum Schluß noch eine
wertvolle Ergänzung. Ebenso wie Kirschmann
in der Methode rein sachlichen Gesetzen folgt,
verschmäht er es, seine guten Ergebnisse agi-

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deutung

I. Etymologische Hilfsmittel
1. Die Wortfamilie

lesen wir: ^ Die Bedeutung unserer Wörter
und Wendungen

I. Die Lehre von der Grundbedeutung
1. Verzeichnis von Wörtern, deren Grund¬
bedeutung (bzw. ältere Bedeutung)
mit Hilfe der zur gleichen Wort¬
familie gehörigen Wörter erkannt
werden kann.

Alles das berührt aber nur Fvrmwünsche
für eine spätere Auflage, die wir dem Buche
nach seinen inhaltlichen Vorzügen aufrichtig
wünschen.

Ebenfalls der Schulpraxis will Dr. Otto
Srtels: „Deutscher Stil" (B. G. Teuvner,
Leipzig-Berlin, tard. 1,80 M.) dienen. Wenn
er dem reichbestellten Felde der Aussatzreform
noch ein neues Hälmchen abgewinnt, so ver¬
dankt er dies seiner entschiedenen Hinwendung
zum konkreten Vorschlag. Mehr als die
Hälfte des Buches nehmen fertig ausgeführte
Aufsätze ein, in denen er auf seine Stilforde¬
rungen die praktische Probe macht. Besonders
lehrreich ist die Abwandlung eines Stoffes
nach sechs verschiedenen Gesichtspunkten der
Themenstellung. Etwas Preziös gibt darum
Orte! seiner Arbeit den Untertitel: „eine
Handreichung". Es spricht für sein Pädago¬
gisches Empfinden, daß er von dieser Neigung
seines eigenen Stils zum Bewuszt-Literarischen
die Aufsatzproben fast durchgängig freigehalten
hat. (Zur Ausnahme rechne ich: „Mittags¬
zauber" S. 46 bis 48.) Oft ist das Kinder-
tümliche mit glücklichen Humor gepaart.
Freilich entspringt auch er zuweilen einer
reiferen Lebenserfahrung, als das Niveau der
Aufsätze voraussetzt („Ein Picknick" S. 42 bis
46). Auch der Wert seiner einleitenden Ab¬
handlung liegt mehr darin, daß er immer
aus dem Programm in die Anwendung strebt.
Denn wenn er die Arbeit eines Aufsatzes in
zehn verschiedene Tätigkeiten zergliedert, so
scheint uns daS ebenso ein übertriebener
Schematismus wie die Regelmäßigkeit, mit
der er am Ende eines jeden einzelnen einen
pädagogischen Mehrgewinn herausschlägt. Es
ist aber erfrischend, wie er überall die „Jagd
nach Tatsachen" betont und vor den: un¬

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fruchtbaren Zerpflücken klassischer Schriftsteller
warnt. In der Hand eines verständnisvollen
Lehrers wird dus anspruchslose Buch manches
Gute stiften.

Sprache ist Form des Denkens, Form der
Sprache wieder ist d!e Schrift. Kein Wunder,
daß der neue Wille zur Form sich auch dieses
Feldes bemächtigt hat, das nur allzulange
einer gedankenlosen Wirtschaft überlassen war.
Hoffnungsvoll durchwühlt den trägen Acker
eine tiefspältige Kontroverse, die auch die Auf¬
merksamkeit des Fernstehenden herausgefordert
hat. Bis in den Reichstag hallte unlängst
das Kriegsgeschrei: „Antiqua oder Fraktur?"
Unter diesem Titel veröffentlicht nun Prof.
A. Kirschimmn (als 1. Band der „Mono¬
graphien des Buchgewerbes", Verlag des Deut¬
schen Buchgewerbevereins, Leipzig, broschiert
1,S0 Mark) eine kleine, aber gewichtige Schrift,
an der keiner in Zukunft wird vorübergehen
dürfen, der zu der strittigen Frage Stellung
nehmen will. Die besonnene Distanz des
Philosophen gibt dem Verfasser einen Stand-
Punkt, der sich über das Tagesgeschrei kurz¬
beiniger Phrasenbeweise erhebt. Wer Mer¬
zeugen kann, braucht nicht zu überreden. In
konsequenter Anwendung einer kritisch-optischen
Methode untersucht Kirschmann experimentell
die Lesbarkeit der beiden gebräuchlichen Druck¬
schriften. Bemerkenswert ist die schärfere Ein¬
stellung der Experimente auf den sachlichen
Hergang. Einmal wird im Gegensatz zum
Buchstabieren für das Lesen die Bedeutung
des indirekten Sehens hervorgehoben. Indem
nun durch eine Komplizicrung des Schrift¬
bildes die Vorauserkennung der dem Fixier¬
punkt stetig genäherten Buchstaben erleichtert
erscheint, ist die Überlegenheit der Fraktur
im Prinzip gefunden. Zweitens dehnt Kirsch¬
mann seine Untersuchungen auf ganze Wörter
aus. Wenn einzelne Frakturmajuskeln, die
einander zu ähnlich sind, isoliert im Nachteil
waren, so werden hier diese Ausnahmen be¬
richtigt. Zudem macht Kirschmann auf die
Verbesserungen der neuen Typen (Schwabacher,
Koch usw.) aufmerksam. Die Nachweisung
größerer Flüchtigkeit der spitzwinkligen deutschen
Schreibschrift bildet zum Schluß noch eine
wertvolle Ergänzung. Ebenso wie Kirschmann
in der Methode rein sachlichen Gesetzen folgt,
verschmäht er es, seine guten Ergebnisse agi-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/208>, abgerufen am 27.07.2024.