Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
England und Rußland in Persien

die indische Militärbehörde? Hundertundsiebzig indische Ulanen landeten in
Buschir.

Sehr viel zielbewußter zeigte sich Rußland im November 1911, als es die
sofortige Entlassung des Kontrolleurs der Staatsfinanzen Herrn Shusters und
eines anderen Amerikaners forderte. Herr Shuster hatte sich unliebsam bemerkbar
gemacht, indem er mehrfach britische Untertanen auch innerhalb der russischen
Einflußsphäre mit Posten in der Steuerverwaltung bedachte. Die Medjlis
weigerten sich zunächst, dem russischen Verlangen zu entsprechen. Der Regent --
unter russischem Drucke handelnd -- löste das Parlament auf und ernannte
Herrn Mornard, einen Belgier, auf russischen Wunsch zum Generalschatzmeister.
Die gewohnten Unruhen, die durch diese Krise neu auflebten, wurden noch durch
die Landung des Exschahs, den Nußland im richtigen Moment losgelassen hatte,
verstärkt. Natürlich bedingte dieses Durcheinander den Einmarsch neuer russischer
Truppen, die heute in Stärke von dreizehntausend Mann in Nordpersien stehen.
In Südpersien sind ein paar Schwadronen indischer Kavallerie und britische
Marineinfanterie -- im ganzen dreizehnhundert Mann. Die englische Regierung
legt aber Wert darauf zu betonen, daß es sich nur um Konsulatswachen handelt.

Das englische Kabinett sieht das Heil einzig und allein in der Befestigung
einer möglichst selbständigen persischen Regierung -- ist man einmal so weit,
dann würde auch, so läßt man sich versichern, das russische Okkupationskorps
aus Nordpersien zurückgezogen werden. Um einer Regierung einige Autorität
zu verleihen, mußte eine Gendarmerie geschaffen, mußte vor allem auch das
notwendigste Geld vorgestreckt werden. Nach einigem Zögern erhielt denn auch
Persien im März 1912 eine Anleihe von 4 Millionen Mark, 2 Millionen von
Rußland, 1^2 Millionen von England und eine halbe Million von Indien.
Mit einem Teil dieser Summe fand man den Exschah ab, der sich nach Odessa
begab, während sein Bruder Salar-ed-Dankes finanzielle Entschädigung zurück¬
wies und im Westen noch Souverän unter der Suzeränität des Schäds sein
will. Eine weitere Anleihe von je 4 Millionen Mark steht zurzeit den Re¬
gierungen von London und Petersburg zur Erwägung. England will die von
ihm gezahlte Summe hauptsächlich in der Provinz Farsistan verwandt wissen.

Als Gegenleistung für die erste Anleihe erklärte Persien offiziell sein Ein¬
verständnis mit dem englisch-russischen Abkommen, ferner versprach es die
Entlassung aller irregulären Truppen, dafür aber die Aufstellung einer kleinen
stehenden Macht zu Polizeizwecken, deren Organisation im Einvernehmen mit den
diplomatischen Vertretern Englands und Rußlands erfolgen solle.

Zur Leitung und Ausbildung dieser Gendarmerie wurden schwedische Offi¬
ziere berufen, von denen inzwischen einer ermordet wurde und die anderen sich
alle erdenkliche Mühe gaben, ihrer Aufgabe mit eingeborenen Untergebenen ge¬
recht zu werden.

Eine ausreichende Polizei, gesunde Finanzen und eine kräftige Zentralgewalt
bedingen sich gegenseitig. Diesem letzteren Ziel strebt England sehr ernstlich zu.


England und Rußland in Persien

die indische Militärbehörde? Hundertundsiebzig indische Ulanen landeten in
Buschir.

Sehr viel zielbewußter zeigte sich Rußland im November 1911, als es die
sofortige Entlassung des Kontrolleurs der Staatsfinanzen Herrn Shusters und
eines anderen Amerikaners forderte. Herr Shuster hatte sich unliebsam bemerkbar
gemacht, indem er mehrfach britische Untertanen auch innerhalb der russischen
Einflußsphäre mit Posten in der Steuerverwaltung bedachte. Die Medjlis
weigerten sich zunächst, dem russischen Verlangen zu entsprechen. Der Regent —
unter russischem Drucke handelnd — löste das Parlament auf und ernannte
Herrn Mornard, einen Belgier, auf russischen Wunsch zum Generalschatzmeister.
Die gewohnten Unruhen, die durch diese Krise neu auflebten, wurden noch durch
die Landung des Exschahs, den Nußland im richtigen Moment losgelassen hatte,
verstärkt. Natürlich bedingte dieses Durcheinander den Einmarsch neuer russischer
Truppen, die heute in Stärke von dreizehntausend Mann in Nordpersien stehen.
In Südpersien sind ein paar Schwadronen indischer Kavallerie und britische
Marineinfanterie — im ganzen dreizehnhundert Mann. Die englische Regierung
legt aber Wert darauf zu betonen, daß es sich nur um Konsulatswachen handelt.

Das englische Kabinett sieht das Heil einzig und allein in der Befestigung
einer möglichst selbständigen persischen Regierung — ist man einmal so weit,
dann würde auch, so läßt man sich versichern, das russische Okkupationskorps
aus Nordpersien zurückgezogen werden. Um einer Regierung einige Autorität
zu verleihen, mußte eine Gendarmerie geschaffen, mußte vor allem auch das
notwendigste Geld vorgestreckt werden. Nach einigem Zögern erhielt denn auch
Persien im März 1912 eine Anleihe von 4 Millionen Mark, 2 Millionen von
Rußland, 1^2 Millionen von England und eine halbe Million von Indien.
Mit einem Teil dieser Summe fand man den Exschah ab, der sich nach Odessa
begab, während sein Bruder Salar-ed-Dankes finanzielle Entschädigung zurück¬
wies und im Westen noch Souverän unter der Suzeränität des Schäds sein
will. Eine weitere Anleihe von je 4 Millionen Mark steht zurzeit den Re¬
gierungen von London und Petersburg zur Erwägung. England will die von
ihm gezahlte Summe hauptsächlich in der Provinz Farsistan verwandt wissen.

Als Gegenleistung für die erste Anleihe erklärte Persien offiziell sein Ein¬
verständnis mit dem englisch-russischen Abkommen, ferner versprach es die
Entlassung aller irregulären Truppen, dafür aber die Aufstellung einer kleinen
stehenden Macht zu Polizeizwecken, deren Organisation im Einvernehmen mit den
diplomatischen Vertretern Englands und Rußlands erfolgen solle.

Zur Leitung und Ausbildung dieser Gendarmerie wurden schwedische Offi¬
ziere berufen, von denen inzwischen einer ermordet wurde und die anderen sich
alle erdenkliche Mühe gaben, ihrer Aufgabe mit eingeborenen Untergebenen ge¬
recht zu werden.

Eine ausreichende Polizei, gesunde Finanzen und eine kräftige Zentralgewalt
bedingen sich gegenseitig. Diesem letzteren Ziel strebt England sehr ernstlich zu.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325536"/>
          <fw type="header" place="top"> England und Rußland in Persien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_23" prev="#ID_22"> die indische Militärbehörde? Hundertundsiebzig indische Ulanen landeten in<lb/>
Buschir.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24"> Sehr viel zielbewußter zeigte sich Rußland im November 1911, als es die<lb/>
sofortige Entlassung des Kontrolleurs der Staatsfinanzen Herrn Shusters und<lb/>
eines anderen Amerikaners forderte. Herr Shuster hatte sich unliebsam bemerkbar<lb/>
gemacht, indem er mehrfach britische Untertanen auch innerhalb der russischen<lb/>
Einflußsphäre mit Posten in der Steuerverwaltung bedachte. Die Medjlis<lb/>
weigerten sich zunächst, dem russischen Verlangen zu entsprechen. Der Regent &#x2014;<lb/>
unter russischem Drucke handelnd &#x2014; löste das Parlament auf und ernannte<lb/>
Herrn Mornard, einen Belgier, auf russischen Wunsch zum Generalschatzmeister.<lb/>
Die gewohnten Unruhen, die durch diese Krise neu auflebten, wurden noch durch<lb/>
die Landung des Exschahs, den Nußland im richtigen Moment losgelassen hatte,<lb/>
verstärkt. Natürlich bedingte dieses Durcheinander den Einmarsch neuer russischer<lb/>
Truppen, die heute in Stärke von dreizehntausend Mann in Nordpersien stehen.<lb/>
In Südpersien sind ein paar Schwadronen indischer Kavallerie und britische<lb/>
Marineinfanterie &#x2014; im ganzen dreizehnhundert Mann. Die englische Regierung<lb/>
legt aber Wert darauf zu betonen, daß es sich nur um Konsulatswachen handelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_25"> Das englische Kabinett sieht das Heil einzig und allein in der Befestigung<lb/>
einer möglichst selbständigen persischen Regierung &#x2014; ist man einmal so weit,<lb/>
dann würde auch, so läßt man sich versichern, das russische Okkupationskorps<lb/>
aus Nordpersien zurückgezogen werden. Um einer Regierung einige Autorität<lb/>
zu verleihen, mußte eine Gendarmerie geschaffen, mußte vor allem auch das<lb/>
notwendigste Geld vorgestreckt werden. Nach einigem Zögern erhielt denn auch<lb/>
Persien im März 1912 eine Anleihe von 4 Millionen Mark, 2 Millionen von<lb/>
Rußland, 1^2 Millionen von England und eine halbe Million von Indien.<lb/>
Mit einem Teil dieser Summe fand man den Exschah ab, der sich nach Odessa<lb/>
begab, während sein Bruder Salar-ed-Dankes finanzielle Entschädigung zurück¬<lb/>
wies und im Westen noch Souverän unter der Suzeränität des Schäds sein<lb/>
will. Eine weitere Anleihe von je 4 Millionen Mark steht zurzeit den Re¬<lb/>
gierungen von London und Petersburg zur Erwägung. England will die von<lb/>
ihm gezahlte Summe hauptsächlich in der Provinz Farsistan verwandt wissen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_26"> Als Gegenleistung für die erste Anleihe erklärte Persien offiziell sein Ein¬<lb/>
verständnis mit dem englisch-russischen Abkommen, ferner versprach es die<lb/>
Entlassung aller irregulären Truppen, dafür aber die Aufstellung einer kleinen<lb/>
stehenden Macht zu Polizeizwecken, deren Organisation im Einvernehmen mit den<lb/>
diplomatischen Vertretern Englands und Rußlands erfolgen solle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_27"> Zur Leitung und Ausbildung dieser Gendarmerie wurden schwedische Offi¬<lb/>
ziere berufen, von denen inzwischen einer ermordet wurde und die anderen sich<lb/>
alle erdenkliche Mühe gaben, ihrer Aufgabe mit eingeborenen Untergebenen ge¬<lb/>
recht zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28" next="#ID_29"> Eine ausreichende Polizei, gesunde Finanzen und eine kräftige Zentralgewalt<lb/>
bedingen sich gegenseitig. Diesem letzteren Ziel strebt England sehr ernstlich zu.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] England und Rußland in Persien die indische Militärbehörde? Hundertundsiebzig indische Ulanen landeten in Buschir. Sehr viel zielbewußter zeigte sich Rußland im November 1911, als es die sofortige Entlassung des Kontrolleurs der Staatsfinanzen Herrn Shusters und eines anderen Amerikaners forderte. Herr Shuster hatte sich unliebsam bemerkbar gemacht, indem er mehrfach britische Untertanen auch innerhalb der russischen Einflußsphäre mit Posten in der Steuerverwaltung bedachte. Die Medjlis weigerten sich zunächst, dem russischen Verlangen zu entsprechen. Der Regent — unter russischem Drucke handelnd — löste das Parlament auf und ernannte Herrn Mornard, einen Belgier, auf russischen Wunsch zum Generalschatzmeister. Die gewohnten Unruhen, die durch diese Krise neu auflebten, wurden noch durch die Landung des Exschahs, den Nußland im richtigen Moment losgelassen hatte, verstärkt. Natürlich bedingte dieses Durcheinander den Einmarsch neuer russischer Truppen, die heute in Stärke von dreizehntausend Mann in Nordpersien stehen. In Südpersien sind ein paar Schwadronen indischer Kavallerie und britische Marineinfanterie — im ganzen dreizehnhundert Mann. Die englische Regierung legt aber Wert darauf zu betonen, daß es sich nur um Konsulatswachen handelt. Das englische Kabinett sieht das Heil einzig und allein in der Befestigung einer möglichst selbständigen persischen Regierung — ist man einmal so weit, dann würde auch, so läßt man sich versichern, das russische Okkupationskorps aus Nordpersien zurückgezogen werden. Um einer Regierung einige Autorität zu verleihen, mußte eine Gendarmerie geschaffen, mußte vor allem auch das notwendigste Geld vorgestreckt werden. Nach einigem Zögern erhielt denn auch Persien im März 1912 eine Anleihe von 4 Millionen Mark, 2 Millionen von Rußland, 1^2 Millionen von England und eine halbe Million von Indien. Mit einem Teil dieser Summe fand man den Exschah ab, der sich nach Odessa begab, während sein Bruder Salar-ed-Dankes finanzielle Entschädigung zurück¬ wies und im Westen noch Souverän unter der Suzeränität des Schäds sein will. Eine weitere Anleihe von je 4 Millionen Mark steht zurzeit den Re¬ gierungen von London und Petersburg zur Erwägung. England will die von ihm gezahlte Summe hauptsächlich in der Provinz Farsistan verwandt wissen. Als Gegenleistung für die erste Anleihe erklärte Persien offiziell sein Ein¬ verständnis mit dem englisch-russischen Abkommen, ferner versprach es die Entlassung aller irregulären Truppen, dafür aber die Aufstellung einer kleinen stehenden Macht zu Polizeizwecken, deren Organisation im Einvernehmen mit den diplomatischen Vertretern Englands und Rußlands erfolgen solle. Zur Leitung und Ausbildung dieser Gendarmerie wurden schwedische Offi¬ ziere berufen, von denen inzwischen einer ermordet wurde und die anderen sich alle erdenkliche Mühe gaben, ihrer Aufgabe mit eingeborenen Untergebenen ge¬ recht zu werden. Eine ausreichende Polizei, gesunde Finanzen und eine kräftige Zentralgewalt bedingen sich gegenseitig. Diesem letzteren Ziel strebt England sehr ernstlich zu.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/16>, abgerufen am 27.07.2024.