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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Jahrgangs 1911 der Grenzboten erschienen
ist. Der kürzlich in der Neuen Rundschau
veröffentlichte Artikel über "Wilhelm Meisters
theatralische Sendung", der seine wissenschaft¬
liche Fundiermig für einen Teil jetzt im
"Euphorion", Band 19, Seite 124 bis 135
erfahren hat, gibt eine schöne Einführung
in die Probleme, die durch die glückliche Auf¬
findung des lange verloren geglaubten
Manuskriptes für die Wissenschaft entstanden
sind, und bietet eine fruchtbare Idee in der
Formulierung der Frage, wie Wohl die
"Theatralische Sendung" von Goethe fort¬
gesetzt werden sollte, im starken Gegensatz zu
Eugen Wolffs abstrusen Gedanken in dieser
Hypothese. E, Th. A. Hoffmanns Berlinische
Erzählungen werden zusammengestellt und
kundig besprochen, Gottfried Kellers Aufent¬
halt in der Reichshauptstadt wird auf seine
Wirkung für des Dichters Entwicklung ge¬
prüft. Mit Theodor Fontane beschäftigen
sich vier Aufsätze, und hier war Pniower der
gegebene Mann, aus der reichsten Kenntnis
dieses seltenen Menschen heraus ein liebevolles
Charakterbild zu entwerfen. Das zum Teil
autobiographische Gedicht "Fritz Katzfuß" wird
auf seine Quelle, eine Novelle der Helene
Bostan, hin untersucht, und hierbei gelangt
der Verfasser zu feinsinnigen Ergebnissen für
die Entstehung und Verarbeitung eines Motivs
in der dichterischen Phantasie. Die Schlu߬
essays sind Besprechungen Hauptmannscher
Dramen, aus denen ich die über den "Roten
Hahn" hervorheben möchte, das als "mär¬
kisches" Drama voll gewürdigt wird.

Dr. lvolfgang Stammler
Tagesfragen

Schundfilm und Filmzcnsur. Das gerade
vor zwei Jahren geprägte Wort "Schund¬
film" hat sich inzwischen die Welt erobert,
soweit die deutsche Zunge klingt: es begegnet
uns überall, wo man in deutschen Landen
die schweren Schäden beleuchtet, welche die
heute üblichen kinematographischen Vorfüh¬
rungen für Jung und Alt in gesundheitlicher
und moralischer Beziehung mit sich bringen,
in Pädagogischen Zeitschriften, in der Tages¬
presse, in den kinematographischen Fachzeit¬
schriften, ja selbst in den Ministerialverord-
uungcn und den Begründungen der Gesetz¬

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entwürfe, auch in Osterreich und in der Schweiz
hat man sich allgemein gewöhnt, als Merk¬
wort für die schlimmsten Schäden, welche die
Auswüchse der Kinematographie mit sich
bringen, das Wort "Schundfilm" zu ge¬
brauchen: der beste Beweis dafür, daß das
Wort einen überall vorhandenen Übelstand
treffend kennzeichnet. Und in der Tat wüßten
wir nicht, durch welches Wort es besser zum
Ausdruck kommen könnte, daß die Schund-
filmS ein genaues Seitenstück zu der Schund¬
literatur darstellen.

Wie freilich der Begriff der Schundliteratur
ein fließender ist, welcher der Erfassung durch
feste Merkmale ein für allemal zu spotten
scheint, so ist es auch außerordentlich schwer,
wenn nicht geradezu unmöglich, eine allseitig
befriedigende Begriffsbestimmung des Schund-
silms zu geben.

Von großer Bedeutung ist schon die Frage,
ob man bei der Beurteilung, ob eine be¬
stimmte Kategorie von Films als Schund¬
films bezeichnet werden müssen, nur den
ethischen Maßstab für anwendbar hält oder
ob man auch ästhetische Gesichtspunkte glaubt
heranziehen zu dürfen. Darüber freilich sind
wir alle einig, daß es außerordentlich wün¬
schenswert wäre, wenn die lediglich ästhe¬
tischen Schnndfilms auch verschwinden wür¬
den, da sie allen Bestrebungen, die Kunst
unter das Volk zu tragen, Hohn sprechen.
Zweifelhaft ist nur, ob man den Kampf gegen
die ästhetischen Schundfilms der Aufklärung
durch Schule, Elternhaus, Presse, Volks¬
bildungsvereine usw. überlassen soll oder ob
es angebracht ist, auch zur Bekämpfung der
ästhetischen Schundfilms sich der staatlichen
Machtmittel zu bedienen. Daß nach gelten¬
dem Recht die Polizei im allgemeinen nicht
die Aufgabe hat, ästhetische Interessen zu be¬
rücksichtigen, unterliegt nicht dem geringsten
Zweifel. Es erscheint aber nicht einmal
wünschenswert, durch eine Gesetzesänderung
der Polizei gegenüber den Schundfilms eine
derartig erweiterte Machtbefugnis zu geben,
da die Gefahren, die von den ästhetischen
Schundfilms drohen, immerhin nicht derartig
sind, daß sie eine solche ausnahmsweise Macht¬
befugnis rechtfertigen, ja ti? Polizeibehörden
wünschen sogar selbst nicht, daß ihnen eine
solche Aufgabe anvertraut wird.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Jahrgangs 1911 der Grenzboten erschienen
ist. Der kürzlich in der Neuen Rundschau
veröffentlichte Artikel über „Wilhelm Meisters
theatralische Sendung", der seine wissenschaft¬
liche Fundiermig für einen Teil jetzt im
„Euphorion", Band 19, Seite 124 bis 135
erfahren hat, gibt eine schöne Einführung
in die Probleme, die durch die glückliche Auf¬
findung des lange verloren geglaubten
Manuskriptes für die Wissenschaft entstanden
sind, und bietet eine fruchtbare Idee in der
Formulierung der Frage, wie Wohl die
„Theatralische Sendung" von Goethe fort¬
gesetzt werden sollte, im starken Gegensatz zu
Eugen Wolffs abstrusen Gedanken in dieser
Hypothese. E, Th. A. Hoffmanns Berlinische
Erzählungen werden zusammengestellt und
kundig besprochen, Gottfried Kellers Aufent¬
halt in der Reichshauptstadt wird auf seine
Wirkung für des Dichters Entwicklung ge¬
prüft. Mit Theodor Fontane beschäftigen
sich vier Aufsätze, und hier war Pniower der
gegebene Mann, aus der reichsten Kenntnis
dieses seltenen Menschen heraus ein liebevolles
Charakterbild zu entwerfen. Das zum Teil
autobiographische Gedicht „Fritz Katzfuß" wird
auf seine Quelle, eine Novelle der Helene
Bostan, hin untersucht, und hierbei gelangt
der Verfasser zu feinsinnigen Ergebnissen für
die Entstehung und Verarbeitung eines Motivs
in der dichterischen Phantasie. Die Schlu߬
essays sind Besprechungen Hauptmannscher
Dramen, aus denen ich die über den „Roten
Hahn" hervorheben möchte, das als „mär¬
kisches" Drama voll gewürdigt wird.

Dr. lvolfgang Stammler
Tagesfragen

Schundfilm und Filmzcnsur. Das gerade
vor zwei Jahren geprägte Wort „Schund¬
film" hat sich inzwischen die Welt erobert,
soweit die deutsche Zunge klingt: es begegnet
uns überall, wo man in deutschen Landen
die schweren Schäden beleuchtet, welche die
heute üblichen kinematographischen Vorfüh¬
rungen für Jung und Alt in gesundheitlicher
und moralischer Beziehung mit sich bringen,
in Pädagogischen Zeitschriften, in der Tages¬
presse, in den kinematographischen Fachzeit¬
schriften, ja selbst in den Ministerialverord-
uungcn und den Begründungen der Gesetz¬

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entwürfe, auch in Osterreich und in der Schweiz
hat man sich allgemein gewöhnt, als Merk¬
wort für die schlimmsten Schäden, welche die
Auswüchse der Kinematographie mit sich
bringen, das Wort „Schundfilm" zu ge¬
brauchen: der beste Beweis dafür, daß das
Wort einen überall vorhandenen Übelstand
treffend kennzeichnet. Und in der Tat wüßten
wir nicht, durch welches Wort es besser zum
Ausdruck kommen könnte, daß die Schund-
filmS ein genaues Seitenstück zu der Schund¬
literatur darstellen.

Wie freilich der Begriff der Schundliteratur
ein fließender ist, welcher der Erfassung durch
feste Merkmale ein für allemal zu spotten
scheint, so ist es auch außerordentlich schwer,
wenn nicht geradezu unmöglich, eine allseitig
befriedigende Begriffsbestimmung des Schund-
silms zu geben.

Von großer Bedeutung ist schon die Frage,
ob man bei der Beurteilung, ob eine be¬
stimmte Kategorie von Films als Schund¬
films bezeichnet werden müssen, nur den
ethischen Maßstab für anwendbar hält oder
ob man auch ästhetische Gesichtspunkte glaubt
heranziehen zu dürfen. Darüber freilich sind
wir alle einig, daß es außerordentlich wün¬
schenswert wäre, wenn die lediglich ästhe¬
tischen Schnndfilms auch verschwinden wür¬
den, da sie allen Bestrebungen, die Kunst
unter das Volk zu tragen, Hohn sprechen.
Zweifelhaft ist nur, ob man den Kampf gegen
die ästhetischen Schundfilms der Aufklärung
durch Schule, Elternhaus, Presse, Volks¬
bildungsvereine usw. überlassen soll oder ob
es angebracht ist, auch zur Bekämpfung der
ästhetischen Schundfilms sich der staatlichen
Machtmittel zu bedienen. Daß nach gelten¬
dem Recht die Polizei im allgemeinen nicht
die Aufgabe hat, ästhetische Interessen zu be¬
rücksichtigen, unterliegt nicht dem geringsten
Zweifel. Es erscheint aber nicht einmal
wünschenswert, durch eine Gesetzesänderung
der Polizei gegenüber den Schundfilms eine
derartig erweiterte Machtbefugnis zu geben,
da die Gefahren, die von den ästhetischen
Schundfilms drohen, immerhin nicht derartig
sind, daß sie eine solche ausnahmsweise Macht¬
befugnis rechtfertigen, ja ti? Polizeibehörden
wünschen sogar selbst nicht, daß ihnen eine
solche Aufgabe anvertraut wird.

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[0153] Maßgebliches und Unmaßgebliches Jahrgangs 1911 der Grenzboten erschienen ist. Der kürzlich in der Neuen Rundschau veröffentlichte Artikel über „Wilhelm Meisters theatralische Sendung", der seine wissenschaft¬ liche Fundiermig für einen Teil jetzt im „Euphorion", Band 19, Seite 124 bis 135 erfahren hat, gibt eine schöne Einführung in die Probleme, die durch die glückliche Auf¬ findung des lange verloren geglaubten Manuskriptes für die Wissenschaft entstanden sind, und bietet eine fruchtbare Idee in der Formulierung der Frage, wie Wohl die „Theatralische Sendung" von Goethe fort¬ gesetzt werden sollte, im starken Gegensatz zu Eugen Wolffs abstrusen Gedanken in dieser Hypothese. E, Th. A. Hoffmanns Berlinische Erzählungen werden zusammengestellt und kundig besprochen, Gottfried Kellers Aufent¬ halt in der Reichshauptstadt wird auf seine Wirkung für des Dichters Entwicklung ge¬ prüft. Mit Theodor Fontane beschäftigen sich vier Aufsätze, und hier war Pniower der gegebene Mann, aus der reichsten Kenntnis dieses seltenen Menschen heraus ein liebevolles Charakterbild zu entwerfen. Das zum Teil autobiographische Gedicht „Fritz Katzfuß" wird auf seine Quelle, eine Novelle der Helene Bostan, hin untersucht, und hierbei gelangt der Verfasser zu feinsinnigen Ergebnissen für die Entstehung und Verarbeitung eines Motivs in der dichterischen Phantasie. Die Schlu߬ essays sind Besprechungen Hauptmannscher Dramen, aus denen ich die über den „Roten Hahn" hervorheben möchte, das als „mär¬ kisches" Drama voll gewürdigt wird. Dr. lvolfgang Stammler Tagesfragen Schundfilm und Filmzcnsur. Das gerade vor zwei Jahren geprägte Wort „Schund¬ film" hat sich inzwischen die Welt erobert, soweit die deutsche Zunge klingt: es begegnet uns überall, wo man in deutschen Landen die schweren Schäden beleuchtet, welche die heute üblichen kinematographischen Vorfüh¬ rungen für Jung und Alt in gesundheitlicher und moralischer Beziehung mit sich bringen, in Pädagogischen Zeitschriften, in der Tages¬ presse, in den kinematographischen Fachzeit¬ schriften, ja selbst in den Ministerialverord- uungcn und den Begründungen der Gesetz¬ entwürfe, auch in Osterreich und in der Schweiz hat man sich allgemein gewöhnt, als Merk¬ wort für die schlimmsten Schäden, welche die Auswüchse der Kinematographie mit sich bringen, das Wort „Schundfilm" zu ge¬ brauchen: der beste Beweis dafür, daß das Wort einen überall vorhandenen Übelstand treffend kennzeichnet. Und in der Tat wüßten wir nicht, durch welches Wort es besser zum Ausdruck kommen könnte, daß die Schund- filmS ein genaues Seitenstück zu der Schund¬ literatur darstellen. Wie freilich der Begriff der Schundliteratur ein fließender ist, welcher der Erfassung durch feste Merkmale ein für allemal zu spotten scheint, so ist es auch außerordentlich schwer, wenn nicht geradezu unmöglich, eine allseitig befriedigende Begriffsbestimmung des Schund- silms zu geben. Von großer Bedeutung ist schon die Frage, ob man bei der Beurteilung, ob eine be¬ stimmte Kategorie von Films als Schund¬ films bezeichnet werden müssen, nur den ethischen Maßstab für anwendbar hält oder ob man auch ästhetische Gesichtspunkte glaubt heranziehen zu dürfen. Darüber freilich sind wir alle einig, daß es außerordentlich wün¬ schenswert wäre, wenn die lediglich ästhe¬ tischen Schnndfilms auch verschwinden wür¬ den, da sie allen Bestrebungen, die Kunst unter das Volk zu tragen, Hohn sprechen. Zweifelhaft ist nur, ob man den Kampf gegen die ästhetischen Schundfilms der Aufklärung durch Schule, Elternhaus, Presse, Volks¬ bildungsvereine usw. überlassen soll oder ob es angebracht ist, auch zur Bekämpfung der ästhetischen Schundfilms sich der staatlichen Machtmittel zu bedienen. Daß nach gelten¬ dem Recht die Polizei im allgemeinen nicht die Aufgabe hat, ästhetische Interessen zu be¬ rücksichtigen, unterliegt nicht dem geringsten Zweifel. Es erscheint aber nicht einmal wünschenswert, durch eine Gesetzesänderung der Polizei gegenüber den Schundfilms eine derartig erweiterte Machtbefugnis zu geben, da die Gefahren, die von den ästhetischen Schundfilms drohen, immerhin nicht derartig sind, daß sie eine solche ausnahmsweise Macht¬ befugnis rechtfertigen, ja ti? Polizeibehörden wünschen sogar selbst nicht, daß ihnen eine solche Aufgabe anvertraut wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/153>, abgerufen am 27.07.2024.