Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

kleinlicher Stichelei gegen die Monarchen,
daß man ihre Bedeutungslosigkeit kaum zu
widerlegen braucht. -- Immerhin ist die
Veröffentlichung solcher "Ersparnisvorschläge"
besonders deshalb zu bedauern, weil sie von
einem preußischen Stabsoffizier a. D. aus¬
gehen und dadurch den Anschein erwecken, als
stellten sie lediglich die Wiedergabe von
Wünschen aus der Armee selbst dar und ver¬
dienten darum besonderer Beachtung. In
Wirklichkeit kann davon nicht die Rede sein
und das Publikum wird lediglich von den
Hauptpunkten abgelenkt, an denen die ernste
Kritik anzusetzen hätte.

Von den einunddreißigErsparnisvorschlägen
Moraths weisen nur drei, nämlich die Punkte
10, 14, 15 auf Wunde Stellen in unserer
Armee hin. Punkt 10 führt auf die soziale
Seite der Vermehrung der Offizierstellen um
4000 und auf die Frage des Unteroffizier-
ersatzes hin; Punkt 14 und 15 betreffen den
Luxus vielartiger Uniformen und deren Gar¬
nierung mit allen möglichen Abzeichen. Es
wäre sehr wünschenswert, wenn Sachkenner
diese Frage im Reichstage einer eingehenden
Prüfung unterziehen wollten und wenn ins¬
besondere die Frage des Offizier- und Unter¬
offizierersatzes, bei der Ausbildung und späteren
Versorgung genau untersucht würde. Mir
scheint es nunmehr an der Zeit, das; der
Reichstag vom Kriegsministerium eine Denk¬
schrift einforderte, die ein genaues Bild gäbe
von der sozialen und wirtschaftlichen Lage
der Offiziere und Unteroffiziere nebst Vor¬
schlägen darüber, welche Mittel zu ergreifen
wären, uni die vielen Tausende von Offizieren,
die vorzeitig ihre Militärlaufbahn beendigen
müssen, besser zu befähigen, im Kampfe ums
tägliche Brot auszuhalten, als wie es bisher
geschehen. Das, was jetzt als "Offiziers¬
versorgung" vom Kriegsministerium betrieben
wird, ist trotz bester Absichten unzureichend.


Den bedeutsamsten und ernstesten Ein¬
wand gegen die Wehrvorlage hat die Frank¬
furter Zeitung im Abendblatt ihrer Nummer
94 erhoben und damit ausgesprochen, was
bis tief in die Reihen der Konservativen
empfunden wird und am meisten geeignet ist,
die Freude an der Heeresverstärkung herab¬

[Spaltenumbruch]

zusetzen. Den Auffassungen des Frankfurter
Blattes über die Unfruchtbarkeit der HeereS-
aufwendungen für die deutsche Volkswirtschaft
vermag ich mich nicht anzuschließen. Der
volkswirtschaftliche Effekt erscheint mir ziemlich
gleichwertig für alle Arten des Verbrauchs;
es ist vom Standpunkt der Handelsbilanz
oder des Anlage suchenden Kapitals ziemlich
gleichgültig, was mit Aussicht auf schnellen
Verbrauch produziert wird: Spielsachen, Ka¬
nonen, Champagner oder äessous für die
Halbwelt. Jede Branche wirkt befruchtend
auf die Volkswirtschaft. Nur scheint mir, daß
es wonige Industrien gibt, die durch ihre
Eigenart sowohl, wie durch ihren Umfang
geeignet sind, so stimulierend auf alle Gebiete
der Technik, der Erfindungen und aller natur¬
wissenschaftlichen Forschung zu wirken, wie
gerade jene, die ausschließlich durch die
Heeres- und Flottenrüstungen bestehen. Welche
Kulturerrungenschaften müßten wir uns fort¬
denken, hätte es keine Kriege, keine Heere,
keine Waffenfabriken gegeben I Der Kampf
ist der Vater aller Dinge!

Aber in folgendem muß man der Frank¬
furter Zeitung zustimmen, wenn man lediglich
an Handelswerte denkt: "Die Rüstungen
schreibt sie, "entziehen die Menschen der
Werte schaffenden Arbeit, und vor allem:
ziemlich genau die gleiche Zahl von Menschen,
die wir jetzt für den Heeresdienst ausheben,
müssen wir Jahr für Jahr an ausländischen
Wanderarbeitern aus unseren östlichen Grenz¬
ländern herbeiziehen, um unsere Bergwerke
und vor allem unseren ostelbifchen, getreide¬
bauenden Großgrundbesitz nicht still zu
legen....." Die Leser der Grenzboten er¬
innern sich vielleicht, daß ich dieselben Be¬
denken im Herbst vorigen Jahres aussprach
(Heft 48), erinnern sich Wohl auch des glänzend
geschriebenen Aufsatzes aus der Feder des
Naumburger Arztes Schiele "Die Schicksal¬
stunde der deutschen Landwirtschaft" (Heft 22
von 1912). Die neue Heeresvorlage bedingt
eine Vermehrung der slawischen Arbeiter um
mindestens fünfzigtausend Kopf im ersten und
um hunderttausend Kopf in den weiteren
JahrenI Das ist nun ein Dilemma, dessent¬
wegen wir zwar die Heeresverstärkung nicht
vertagen dürfen, das uns aber doch zwingen
sollte, auf Mittel zu sinnen, die einen Aus-

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

kleinlicher Stichelei gegen die Monarchen,
daß man ihre Bedeutungslosigkeit kaum zu
widerlegen braucht. — Immerhin ist die
Veröffentlichung solcher „Ersparnisvorschläge"
besonders deshalb zu bedauern, weil sie von
einem preußischen Stabsoffizier a. D. aus¬
gehen und dadurch den Anschein erwecken, als
stellten sie lediglich die Wiedergabe von
Wünschen aus der Armee selbst dar und ver¬
dienten darum besonderer Beachtung. In
Wirklichkeit kann davon nicht die Rede sein
und das Publikum wird lediglich von den
Hauptpunkten abgelenkt, an denen die ernste
Kritik anzusetzen hätte.

Von den einunddreißigErsparnisvorschlägen
Moraths weisen nur drei, nämlich die Punkte
10, 14, 15 auf Wunde Stellen in unserer
Armee hin. Punkt 10 führt auf die soziale
Seite der Vermehrung der Offizierstellen um
4000 und auf die Frage des Unteroffizier-
ersatzes hin; Punkt 14 und 15 betreffen den
Luxus vielartiger Uniformen und deren Gar¬
nierung mit allen möglichen Abzeichen. Es
wäre sehr wünschenswert, wenn Sachkenner
diese Frage im Reichstage einer eingehenden
Prüfung unterziehen wollten und wenn ins¬
besondere die Frage des Offizier- und Unter¬
offizierersatzes, bei der Ausbildung und späteren
Versorgung genau untersucht würde. Mir
scheint es nunmehr an der Zeit, das; der
Reichstag vom Kriegsministerium eine Denk¬
schrift einforderte, die ein genaues Bild gäbe
von der sozialen und wirtschaftlichen Lage
der Offiziere und Unteroffiziere nebst Vor¬
schlägen darüber, welche Mittel zu ergreifen
wären, uni die vielen Tausende von Offizieren,
die vorzeitig ihre Militärlaufbahn beendigen
müssen, besser zu befähigen, im Kampfe ums
tägliche Brot auszuhalten, als wie es bisher
geschehen. Das, was jetzt als „Offiziers¬
versorgung" vom Kriegsministerium betrieben
wird, ist trotz bester Absichten unzureichend.


Den bedeutsamsten und ernstesten Ein¬
wand gegen die Wehrvorlage hat die Frank¬
furter Zeitung im Abendblatt ihrer Nummer
94 erhoben und damit ausgesprochen, was
bis tief in die Reihen der Konservativen
empfunden wird und am meisten geeignet ist,
die Freude an der Heeresverstärkung herab¬

[Spaltenumbruch]

zusetzen. Den Auffassungen des Frankfurter
Blattes über die Unfruchtbarkeit der HeereS-
aufwendungen für die deutsche Volkswirtschaft
vermag ich mich nicht anzuschließen. Der
volkswirtschaftliche Effekt erscheint mir ziemlich
gleichwertig für alle Arten des Verbrauchs;
es ist vom Standpunkt der Handelsbilanz
oder des Anlage suchenden Kapitals ziemlich
gleichgültig, was mit Aussicht auf schnellen
Verbrauch produziert wird: Spielsachen, Ka¬
nonen, Champagner oder äessous für die
Halbwelt. Jede Branche wirkt befruchtend
auf die Volkswirtschaft. Nur scheint mir, daß
es wonige Industrien gibt, die durch ihre
Eigenart sowohl, wie durch ihren Umfang
geeignet sind, so stimulierend auf alle Gebiete
der Technik, der Erfindungen und aller natur¬
wissenschaftlichen Forschung zu wirken, wie
gerade jene, die ausschließlich durch die
Heeres- und Flottenrüstungen bestehen. Welche
Kulturerrungenschaften müßten wir uns fort¬
denken, hätte es keine Kriege, keine Heere,
keine Waffenfabriken gegeben I Der Kampf
ist der Vater aller Dinge!

Aber in folgendem muß man der Frank¬
furter Zeitung zustimmen, wenn man lediglich
an Handelswerte denkt: „Die Rüstungen
schreibt sie, „entziehen die Menschen der
Werte schaffenden Arbeit, und vor allem:
ziemlich genau die gleiche Zahl von Menschen,
die wir jetzt für den Heeresdienst ausheben,
müssen wir Jahr für Jahr an ausländischen
Wanderarbeitern aus unseren östlichen Grenz¬
ländern herbeiziehen, um unsere Bergwerke
und vor allem unseren ostelbifchen, getreide¬
bauenden Großgrundbesitz nicht still zu
legen....." Die Leser der Grenzboten er¬
innern sich vielleicht, daß ich dieselben Be¬
denken im Herbst vorigen Jahres aussprach
(Heft 48), erinnern sich Wohl auch des glänzend
geschriebenen Aufsatzes aus der Feder des
Naumburger Arztes Schiele „Die Schicksal¬
stunde der deutschen Landwirtschaft" (Heft 22
von 1912). Die neue Heeresvorlage bedingt
eine Vermehrung der slawischen Arbeiter um
mindestens fünfzigtausend Kopf im ersten und
um hunderttausend Kopf in den weiteren
JahrenI Das ist nun ein Dilemma, dessent¬
wegen wir zwar die Heeresverstärkung nicht
vertagen dürfen, das uns aber doch zwingen
sollte, auf Mittel zu sinnen, die einen Aus-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325622"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_427" prev="#ID_426"> kleinlicher Stichelei gegen die Monarchen,<lb/>
daß man ihre Bedeutungslosigkeit kaum zu<lb/>
widerlegen braucht. &#x2014; Immerhin ist die<lb/>
Veröffentlichung solcher &#x201E;Ersparnisvorschläge"<lb/>
besonders deshalb zu bedauern, weil sie von<lb/>
einem preußischen Stabsoffizier a. D. aus¬<lb/>
gehen und dadurch den Anschein erwecken, als<lb/>
stellten sie lediglich die Wiedergabe von<lb/>
Wünschen aus der Armee selbst dar und ver¬<lb/>
dienten darum besonderer Beachtung. In<lb/>
Wirklichkeit kann davon nicht die Rede sein<lb/>
und das Publikum wird lediglich von den<lb/>
Hauptpunkten abgelenkt, an denen die ernste<lb/>
Kritik anzusetzen hätte.</p>
            <p xml:id="ID_428"> Von den einunddreißigErsparnisvorschlägen<lb/>
Moraths weisen nur drei, nämlich die Punkte<lb/>
10, 14, 15 auf Wunde Stellen in unserer<lb/>
Armee hin. Punkt 10 führt auf die soziale<lb/>
Seite der Vermehrung der Offizierstellen um<lb/>
4000 und auf die Frage des Unteroffizier-<lb/>
ersatzes hin; Punkt 14 und 15 betreffen den<lb/>
Luxus vielartiger Uniformen und deren Gar¬<lb/>
nierung mit allen möglichen Abzeichen. Es<lb/>
wäre sehr wünschenswert, wenn Sachkenner<lb/>
diese Frage im Reichstage einer eingehenden<lb/>
Prüfung unterziehen wollten und wenn ins¬<lb/>
besondere die Frage des Offizier- und Unter¬<lb/>
offizierersatzes, bei der Ausbildung und späteren<lb/>
Versorgung genau untersucht würde. Mir<lb/>
scheint es nunmehr an der Zeit, das; der<lb/>
Reichstag vom Kriegsministerium eine Denk¬<lb/>
schrift einforderte, die ein genaues Bild gäbe<lb/>
von der sozialen und wirtschaftlichen Lage<lb/>
der Offiziere und Unteroffiziere nebst Vor¬<lb/>
schlägen darüber, welche Mittel zu ergreifen<lb/>
wären, uni die vielen Tausende von Offizieren,<lb/>
die vorzeitig ihre Militärlaufbahn beendigen<lb/>
müssen, besser zu befähigen, im Kampfe ums<lb/>
tägliche Brot auszuhalten, als wie es bisher<lb/>
geschehen. Das, was jetzt als &#x201E;Offiziers¬<lb/>
versorgung" vom Kriegsministerium betrieben<lb/>
wird, ist trotz bester Absichten unzureichend.</p>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p xml:id="ID_429" next="#ID_430"> Den bedeutsamsten und ernstesten Ein¬<lb/>
wand gegen die Wehrvorlage hat die Frank¬<lb/>
furter Zeitung im Abendblatt ihrer Nummer<lb/>
94 erhoben und damit ausgesprochen, was<lb/>
bis tief in die Reihen der Konservativen<lb/>
empfunden wird und am meisten geeignet ist,<lb/>
die Freude an der Heeresverstärkung herab¬</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_430" prev="#ID_429"> zusetzen. Den Auffassungen des Frankfurter<lb/>
Blattes über die Unfruchtbarkeit der HeereS-<lb/>
aufwendungen für die deutsche Volkswirtschaft<lb/>
vermag ich mich nicht anzuschließen. Der<lb/>
volkswirtschaftliche Effekt erscheint mir ziemlich<lb/>
gleichwertig für alle Arten des Verbrauchs;<lb/>
es ist vom Standpunkt der Handelsbilanz<lb/>
oder des Anlage suchenden Kapitals ziemlich<lb/>
gleichgültig, was mit Aussicht auf schnellen<lb/>
Verbrauch produziert wird: Spielsachen, Ka¬<lb/>
nonen, Champagner oder äessous für die<lb/>
Halbwelt. Jede Branche wirkt befruchtend<lb/>
auf die Volkswirtschaft. Nur scheint mir, daß<lb/>
es wonige Industrien gibt, die durch ihre<lb/>
Eigenart sowohl, wie durch ihren Umfang<lb/>
geeignet sind, so stimulierend auf alle Gebiete<lb/>
der Technik, der Erfindungen und aller natur¬<lb/>
wissenschaftlichen Forschung zu wirken, wie<lb/>
gerade jene, die ausschließlich durch die<lb/>
Heeres- und Flottenrüstungen bestehen. Welche<lb/>
Kulturerrungenschaften müßten wir uns fort¬<lb/>
denken, hätte es keine Kriege, keine Heere,<lb/>
keine Waffenfabriken gegeben I Der Kampf<lb/>
ist der Vater aller Dinge!</p>
            <p xml:id="ID_431" next="#ID_432"> Aber in folgendem muß man der Frank¬<lb/>
furter Zeitung zustimmen, wenn man lediglich<lb/>
an Handelswerte denkt: &#x201E;Die Rüstungen<lb/>
schreibt sie, &#x201E;entziehen die Menschen der<lb/>
Werte schaffenden Arbeit, und vor allem:<lb/>
ziemlich genau die gleiche Zahl von Menschen,<lb/>
die wir jetzt für den Heeresdienst ausheben,<lb/>
müssen wir Jahr für Jahr an ausländischen<lb/>
Wanderarbeitern aus unseren östlichen Grenz¬<lb/>
ländern herbeiziehen, um unsere Bergwerke<lb/>
und vor allem unseren ostelbifchen, getreide¬<lb/>
bauenden Großgrundbesitz nicht still zu<lb/>
legen....." Die Leser der Grenzboten er¬<lb/>
innern sich vielleicht, daß ich dieselben Be¬<lb/>
denken im Herbst vorigen Jahres aussprach<lb/>
(Heft 48), erinnern sich Wohl auch des glänzend<lb/>
geschriebenen Aufsatzes aus der Feder des<lb/>
Naumburger Arztes Schiele &#x201E;Die Schicksal¬<lb/>
stunde der deutschen Landwirtschaft" (Heft 22<lb/>
von 1912). Die neue Heeresvorlage bedingt<lb/>
eine Vermehrung der slawischen Arbeiter um<lb/>
mindestens fünfzigtausend Kopf im ersten und<lb/>
um hunderttausend Kopf in den weiteren<lb/>
JahrenI Das ist nun ein Dilemma, dessent¬<lb/>
wegen wir zwar die Heeresverstärkung nicht<lb/>
vertagen dürfen, das uns aber doch zwingen<lb/>
sollte, auf Mittel zu sinnen, die einen Aus-</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0102] Maßgebliches und Unmaßgebliches kleinlicher Stichelei gegen die Monarchen, daß man ihre Bedeutungslosigkeit kaum zu widerlegen braucht. — Immerhin ist die Veröffentlichung solcher „Ersparnisvorschläge" besonders deshalb zu bedauern, weil sie von einem preußischen Stabsoffizier a. D. aus¬ gehen und dadurch den Anschein erwecken, als stellten sie lediglich die Wiedergabe von Wünschen aus der Armee selbst dar und ver¬ dienten darum besonderer Beachtung. In Wirklichkeit kann davon nicht die Rede sein und das Publikum wird lediglich von den Hauptpunkten abgelenkt, an denen die ernste Kritik anzusetzen hätte. Von den einunddreißigErsparnisvorschlägen Moraths weisen nur drei, nämlich die Punkte 10, 14, 15 auf Wunde Stellen in unserer Armee hin. Punkt 10 führt auf die soziale Seite der Vermehrung der Offizierstellen um 4000 und auf die Frage des Unteroffizier- ersatzes hin; Punkt 14 und 15 betreffen den Luxus vielartiger Uniformen und deren Gar¬ nierung mit allen möglichen Abzeichen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn Sachkenner diese Frage im Reichstage einer eingehenden Prüfung unterziehen wollten und wenn ins¬ besondere die Frage des Offizier- und Unter¬ offizierersatzes, bei der Ausbildung und späteren Versorgung genau untersucht würde. Mir scheint es nunmehr an der Zeit, das; der Reichstag vom Kriegsministerium eine Denk¬ schrift einforderte, die ein genaues Bild gäbe von der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Offiziere und Unteroffiziere nebst Vor¬ schlägen darüber, welche Mittel zu ergreifen wären, uni die vielen Tausende von Offizieren, die vorzeitig ihre Militärlaufbahn beendigen müssen, besser zu befähigen, im Kampfe ums tägliche Brot auszuhalten, als wie es bisher geschehen. Das, was jetzt als „Offiziers¬ versorgung" vom Kriegsministerium betrieben wird, ist trotz bester Absichten unzureichend. Den bedeutsamsten und ernstesten Ein¬ wand gegen die Wehrvorlage hat die Frank¬ furter Zeitung im Abendblatt ihrer Nummer 94 erhoben und damit ausgesprochen, was bis tief in die Reihen der Konservativen empfunden wird und am meisten geeignet ist, die Freude an der Heeresverstärkung herab¬ zusetzen. Den Auffassungen des Frankfurter Blattes über die Unfruchtbarkeit der HeereS- aufwendungen für die deutsche Volkswirtschaft vermag ich mich nicht anzuschließen. Der volkswirtschaftliche Effekt erscheint mir ziemlich gleichwertig für alle Arten des Verbrauchs; es ist vom Standpunkt der Handelsbilanz oder des Anlage suchenden Kapitals ziemlich gleichgültig, was mit Aussicht auf schnellen Verbrauch produziert wird: Spielsachen, Ka¬ nonen, Champagner oder äessous für die Halbwelt. Jede Branche wirkt befruchtend auf die Volkswirtschaft. Nur scheint mir, daß es wonige Industrien gibt, die durch ihre Eigenart sowohl, wie durch ihren Umfang geeignet sind, so stimulierend auf alle Gebiete der Technik, der Erfindungen und aller natur¬ wissenschaftlichen Forschung zu wirken, wie gerade jene, die ausschließlich durch die Heeres- und Flottenrüstungen bestehen. Welche Kulturerrungenschaften müßten wir uns fort¬ denken, hätte es keine Kriege, keine Heere, keine Waffenfabriken gegeben I Der Kampf ist der Vater aller Dinge! Aber in folgendem muß man der Frank¬ furter Zeitung zustimmen, wenn man lediglich an Handelswerte denkt: „Die Rüstungen schreibt sie, „entziehen die Menschen der Werte schaffenden Arbeit, und vor allem: ziemlich genau die gleiche Zahl von Menschen, die wir jetzt für den Heeresdienst ausheben, müssen wir Jahr für Jahr an ausländischen Wanderarbeitern aus unseren östlichen Grenz¬ ländern herbeiziehen, um unsere Bergwerke und vor allem unseren ostelbifchen, getreide¬ bauenden Großgrundbesitz nicht still zu legen....." Die Leser der Grenzboten er¬ innern sich vielleicht, daß ich dieselben Be¬ denken im Herbst vorigen Jahres aussprach (Heft 48), erinnern sich Wohl auch des glänzend geschriebenen Aufsatzes aus der Feder des Naumburger Arztes Schiele „Die Schicksal¬ stunde der deutschen Landwirtschaft" (Heft 22 von 1912). Die neue Heeresvorlage bedingt eine Vermehrung der slawischen Arbeiter um mindestens fünfzigtausend Kopf im ersten und um hunderttausend Kopf in den weiteren JahrenI Das ist nun ein Dilemma, dessent¬ wegen wir zwar die Heeresverstärkung nicht vertagen dürfen, das uns aber doch zwingen sollte, auf Mittel zu sinnen, die einen Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/102
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/102>, abgerufen am 27.07.2024.