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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

sionäre der Engländer. Aber nicht nur den Eingeborenen gegenüber gingen
die heutigen Herren Indiens oft mit der größten Rücksichtslosigkeit vor. Auch
Holländer und Franzosen wurden mitten im Frieden angefallen und ihre
Niederlassungen zerstört.*) Wenn es galt, einen bestimmten Zweck zu erreichen,
einen unbequemen Konkurrenten los zu werden, war den Engländern eben
jedes Mittel recht**). Nach der Zerstörung der französischen Niederlassung
Chanderncigor schrieb der Kommandant dieses Platzes einen Brief voll Ent¬
rüstung an seine Direktoren nach Paris. Er sagte darin: "Wir glauben, daß
ihre (der Engländer) Doppelzüngigkeit viel dazu beitragen wird, unsere Re¬
gierung mit ihrem wahren Charakter vertraut zu machen und daß sie es bald
mit Zinsen heimgezahlt bekommen werden, wenn wir ein anderes Mal die
Stärkeren sind. (I^clere ac Ksnault, LKim8uraK 29. mar8 1767, ^rcriivö8
colomalss, ?an8.)

Diese Erkenntnis kam damals für Frankreich zu spät. Von dem Schlage,
der ihm sein ganzes Kolonialreich kostete, hat es sich nie wieder völlig erholt.

Natürlich wird anderseits niemand leugnen, daß die Geschichte der Er¬
oberung Indiens durch die Engländer an wirklich großen Zügen, an Helden¬
taten einzelner Männer und ganzer Truppenteile reich ist, wie kaum eine
zweite. Wellington und Roberts, welche beide ihre ersten Lorbeeren in Indien
erwarben, gehören ja der europäischen Geschichte an. Aber auch Eyere Coot,
Nicholson, Havelok und viele andere würden bei uns wohlbekannte Namen
sein, wenn sie, anstatt in fernen Landen für ihres Vaterlandes Größe zu
kämpfen und zu sterben, auf europäischen Schlachtfeldern mitgefochten hätten.
Man sagt wohl nicht zu viel, wenn man behauptet, daß erst durch die eng¬
lischen Kriegstaten in Indien das gewaltige Prestige, das der Europäer heute
in Asien besitzt, geschaffen worden ist. Seit Clive in der Bresche von Arcot
alle Aufforderungen zur Übergabe mit dem einfachen Argument zurückwies,
daß es Engländer wären, die den Platz verteidigten, sah man in ganz Indien
und bald weit über Indien hinaus mit fast abergläubischer Scheu auf den
Europäer, dessen Waffen scheinbar niemand widerstehen konnte. Die späteren
Phasen der Eroberung Indiens waren nur geeignet, diesen Glauben noch zu
verstärken. Selbst die Ereignisse der unten^. haben ihn nicht erschüttern können.
Im Gegenteil! Als in jenen kritischen Tagen das Schicksal der Engländer in
Indien allein an dem Besitz von Lucknow zu hängen schien, da haben dort
hinter den brökeligen Lehmmauern der "re8icisnLy" vierzehnhundertundfünfzig
Mann, -- darunter nur neunhundert Engländer --, vierundeinhalb Monate




") Siehe die Geschichte der Eroberung der holländischen Faktorei Chimsurcih und des
französischen Forts Chandanagor durch Clive.
"*) Die Einziehung des Fürstentums Tenjou (1799) verteidigte Wellington u. a. mit
folgenden Worten: Für Groß-Britannien gab es nur eine Pflicht "Dem Gesetz der Selbst¬
erhaltung zu folgen", und daher erübrigten sich alle gelehrten und gewissenhaften Erörterungen
zur Rechtfertigung seines Verhaltens.
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Die Engländer in Indien

sionäre der Engländer. Aber nicht nur den Eingeborenen gegenüber gingen
die heutigen Herren Indiens oft mit der größten Rücksichtslosigkeit vor. Auch
Holländer und Franzosen wurden mitten im Frieden angefallen und ihre
Niederlassungen zerstört.*) Wenn es galt, einen bestimmten Zweck zu erreichen,
einen unbequemen Konkurrenten los zu werden, war den Engländern eben
jedes Mittel recht**). Nach der Zerstörung der französischen Niederlassung
Chanderncigor schrieb der Kommandant dieses Platzes einen Brief voll Ent¬
rüstung an seine Direktoren nach Paris. Er sagte darin: „Wir glauben, daß
ihre (der Engländer) Doppelzüngigkeit viel dazu beitragen wird, unsere Re¬
gierung mit ihrem wahren Charakter vertraut zu machen und daß sie es bald
mit Zinsen heimgezahlt bekommen werden, wenn wir ein anderes Mal die
Stärkeren sind. (I^clere ac Ksnault, LKim8uraK 29. mar8 1767, ^rcriivö8
colomalss, ?an8.)

Diese Erkenntnis kam damals für Frankreich zu spät. Von dem Schlage,
der ihm sein ganzes Kolonialreich kostete, hat es sich nie wieder völlig erholt.

Natürlich wird anderseits niemand leugnen, daß die Geschichte der Er¬
oberung Indiens durch die Engländer an wirklich großen Zügen, an Helden¬
taten einzelner Männer und ganzer Truppenteile reich ist, wie kaum eine
zweite. Wellington und Roberts, welche beide ihre ersten Lorbeeren in Indien
erwarben, gehören ja der europäischen Geschichte an. Aber auch Eyere Coot,
Nicholson, Havelok und viele andere würden bei uns wohlbekannte Namen
sein, wenn sie, anstatt in fernen Landen für ihres Vaterlandes Größe zu
kämpfen und zu sterben, auf europäischen Schlachtfeldern mitgefochten hätten.
Man sagt wohl nicht zu viel, wenn man behauptet, daß erst durch die eng¬
lischen Kriegstaten in Indien das gewaltige Prestige, das der Europäer heute
in Asien besitzt, geschaffen worden ist. Seit Clive in der Bresche von Arcot
alle Aufforderungen zur Übergabe mit dem einfachen Argument zurückwies,
daß es Engländer wären, die den Platz verteidigten, sah man in ganz Indien
und bald weit über Indien hinaus mit fast abergläubischer Scheu auf den
Europäer, dessen Waffen scheinbar niemand widerstehen konnte. Die späteren
Phasen der Eroberung Indiens waren nur geeignet, diesen Glauben noch zu
verstärken. Selbst die Ereignisse der unten^. haben ihn nicht erschüttern können.
Im Gegenteil! Als in jenen kritischen Tagen das Schicksal der Engländer in
Indien allein an dem Besitz von Lucknow zu hängen schien, da haben dort
hinter den brökeligen Lehmmauern der „re8icisnLy" vierzehnhundertundfünfzig
Mann, — darunter nur neunhundert Engländer —, vierundeinhalb Monate




") Siehe die Geschichte der Eroberung der holländischen Faktorei Chimsurcih und des
französischen Forts Chandanagor durch Clive.
"*) Die Einziehung des Fürstentums Tenjou (1799) verteidigte Wellington u. a. mit
folgenden Worten: Für Groß-Britannien gab es nur eine Pflicht „Dem Gesetz der Selbst¬
erhaltung zu folgen", und daher erübrigten sich alle gelehrten und gewissenhaften Erörterungen
zur Rechtfertigung seines Verhaltens.
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[0095] Die Engländer in Indien sionäre der Engländer. Aber nicht nur den Eingeborenen gegenüber gingen die heutigen Herren Indiens oft mit der größten Rücksichtslosigkeit vor. Auch Holländer und Franzosen wurden mitten im Frieden angefallen und ihre Niederlassungen zerstört.*) Wenn es galt, einen bestimmten Zweck zu erreichen, einen unbequemen Konkurrenten los zu werden, war den Engländern eben jedes Mittel recht**). Nach der Zerstörung der französischen Niederlassung Chanderncigor schrieb der Kommandant dieses Platzes einen Brief voll Ent¬ rüstung an seine Direktoren nach Paris. Er sagte darin: „Wir glauben, daß ihre (der Engländer) Doppelzüngigkeit viel dazu beitragen wird, unsere Re¬ gierung mit ihrem wahren Charakter vertraut zu machen und daß sie es bald mit Zinsen heimgezahlt bekommen werden, wenn wir ein anderes Mal die Stärkeren sind. (I^clere ac Ksnault, LKim8uraK 29. mar8 1767, ^rcriivö8 colomalss, ?an8.) Diese Erkenntnis kam damals für Frankreich zu spät. Von dem Schlage, der ihm sein ganzes Kolonialreich kostete, hat es sich nie wieder völlig erholt. Natürlich wird anderseits niemand leugnen, daß die Geschichte der Er¬ oberung Indiens durch die Engländer an wirklich großen Zügen, an Helden¬ taten einzelner Männer und ganzer Truppenteile reich ist, wie kaum eine zweite. Wellington und Roberts, welche beide ihre ersten Lorbeeren in Indien erwarben, gehören ja der europäischen Geschichte an. Aber auch Eyere Coot, Nicholson, Havelok und viele andere würden bei uns wohlbekannte Namen sein, wenn sie, anstatt in fernen Landen für ihres Vaterlandes Größe zu kämpfen und zu sterben, auf europäischen Schlachtfeldern mitgefochten hätten. Man sagt wohl nicht zu viel, wenn man behauptet, daß erst durch die eng¬ lischen Kriegstaten in Indien das gewaltige Prestige, das der Europäer heute in Asien besitzt, geschaffen worden ist. Seit Clive in der Bresche von Arcot alle Aufforderungen zur Übergabe mit dem einfachen Argument zurückwies, daß es Engländer wären, die den Platz verteidigten, sah man in ganz Indien und bald weit über Indien hinaus mit fast abergläubischer Scheu auf den Europäer, dessen Waffen scheinbar niemand widerstehen konnte. Die späteren Phasen der Eroberung Indiens waren nur geeignet, diesen Glauben noch zu verstärken. Selbst die Ereignisse der unten^. haben ihn nicht erschüttern können. Im Gegenteil! Als in jenen kritischen Tagen das Schicksal der Engländer in Indien allein an dem Besitz von Lucknow zu hängen schien, da haben dort hinter den brökeligen Lehmmauern der „re8icisnLy" vierzehnhundertundfünfzig Mann, — darunter nur neunhundert Engländer —, vierundeinhalb Monate ") Siehe die Geschichte der Eroberung der holländischen Faktorei Chimsurcih und des französischen Forts Chandanagor durch Clive. "*) Die Einziehung des Fürstentums Tenjou (1799) verteidigte Wellington u. a. mit folgenden Worten: Für Groß-Britannien gab es nur eine Pflicht „Dem Gesetz der Selbst¬ erhaltung zu folgen", und daher erübrigten sich alle gelehrten und gewissenhaften Erörterungen zur Rechtfertigung seines Verhaltens. 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/95>, abgerufen am 22.12.2024.