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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Das seltenste Fremdwort

die Wissenschaft einlassen. Außerdem beruht die Möglichkeit einer solchen
Suggestion letzten Endes auf einem zweiten Gesicht des Wortes, dessen Ein¬
deutigkeit sie grundsätzlich fordern muß. Ihr bleibt da eben wirklich nur übrig,
das Schlagkräftige in der eigentümlichen, oben geschilderten Wirkung des Fremd¬
wortes zu suchen, dem diese Form spontan, ohne den Umweg einer inhaltlichen
Neuwendung zukommt.

Weshalb denn aber überhaupt das Konkret-Schlagkräftige des Ausdrucks
für die abstrakte Wissenschaft? Läuft es ihrer Sphäre nicht direkt zuwider?
Keineswegs. Ihrem Inhalte nach ist die wissenschaftliche Sphäre allerdings
ganz abstrakt. Aber es soll auch nicht der Inhalt des Wortes, das, was in
ihm zu denken ist, durch seinen schlagkräftigen Ausdruck irgendwie beeinflußt,
gefärbt werden, sondern nur die Form, wie der Inhalt in uns gedacht wird.
Bei einem schlagkräftigen Wort ist diese Form eben nicht ein verschwommener,
mittelbarer Eindruck eines verborgenen Inhaltes, wie ihn ein formelhaftes Wort
vermittelt, sondern ein lebhaftes, unmittelbares Erfassen, gleichsam ein körperliches
Erfühlen desselben Inhalts mit dem vollen Bewußtsein seiner ganzen quanti¬
tativen und qualitativen Ausdehnung, scharf gesondert von allem bloß Ähnlicher.
Dieses Format-Konkrete, oder besser, da es nicht direkte Anschauung zu sein
braucht, die plastische Konsistenz des Ausdrucks verträgt sich nicht nur mit dem
Inhaltlich-Abstrakten, sondern ist dessen notwendige Kompensation. Gerade der
spröde, abstrakte Inhalt der Wissenschaft, das Schattenreich der Begriffe, ver¬
leitet leicht dazu, sich durch Verwendung formell)äst-blasser Worte in inhaltlich
leere GeHirngespinste zu verlieren: "Denn eben, wo Begriffe fehlen, da stellt ein
Wort zur rechten Zeit sich ein." Demgegenüber ist es die schlagkräftige Form
der Worte allein, die, indem sie ihren Inhalt stets scharf zu erfassen zwingt,
diesen zur höchsten Klarheit erhebt. Sie kommt dabei besonders für die Satz¬
bestandteile in Frage, die nicht den beherrschenden Gedanken selbst, sondern nur
seine objektive Aussage enthalten. Eine Unklarheit, eine leere Formel hier
würde sofort rückwirkend auch die Kontur dieses Subjektgedankens verwischen,
der ja nie an sich selbst klar ist, sondern erst klar werden soll, in dem, was
von ihm ausgesagt wird. Also gerade da, wo das problematische Satzsubjekt
sich objektiv manifestiert, wo sich der Gedanke aus dem Nebel seiner beziehungs¬
losen Einzigkeit in den festen Aggregatzustand der Tatäußerung niederschlägt,
wird eine Ausdrucksform von höchstem Werte sein, die diesen Niederschlag
mit der vollen kantigen Schärfe und kristallenen Durchsichtigkeit vor Augen
stellt. Anderseits darf uns davor niemals das Bewußtsein verlassen,
daß es eben nur ein Niederschlag ist, eine erstarrte Form des schlechthin
Anstarren. In der idealen, wissenschaftlichen Ausdrucksweise muß sich
beides vereinigen: eine vertraut bildhafte Vermittlung des Inhaltes und
gleichzeitig seine Abhebung von allem Banat-Vertrauten in die Sphäre des
Neindeutigen. Diesen scheinbar widersprechenden Forderungen wird allein das
Fremdwort ausreichend gerecht. Wenn so das Abstrakte eine Form annimmt,


Das seltenste Fremdwort

die Wissenschaft einlassen. Außerdem beruht die Möglichkeit einer solchen
Suggestion letzten Endes auf einem zweiten Gesicht des Wortes, dessen Ein¬
deutigkeit sie grundsätzlich fordern muß. Ihr bleibt da eben wirklich nur übrig,
das Schlagkräftige in der eigentümlichen, oben geschilderten Wirkung des Fremd¬
wortes zu suchen, dem diese Form spontan, ohne den Umweg einer inhaltlichen
Neuwendung zukommt.

Weshalb denn aber überhaupt das Konkret-Schlagkräftige des Ausdrucks
für die abstrakte Wissenschaft? Läuft es ihrer Sphäre nicht direkt zuwider?
Keineswegs. Ihrem Inhalte nach ist die wissenschaftliche Sphäre allerdings
ganz abstrakt. Aber es soll auch nicht der Inhalt des Wortes, das, was in
ihm zu denken ist, durch seinen schlagkräftigen Ausdruck irgendwie beeinflußt,
gefärbt werden, sondern nur die Form, wie der Inhalt in uns gedacht wird.
Bei einem schlagkräftigen Wort ist diese Form eben nicht ein verschwommener,
mittelbarer Eindruck eines verborgenen Inhaltes, wie ihn ein formelhaftes Wort
vermittelt, sondern ein lebhaftes, unmittelbares Erfassen, gleichsam ein körperliches
Erfühlen desselben Inhalts mit dem vollen Bewußtsein seiner ganzen quanti¬
tativen und qualitativen Ausdehnung, scharf gesondert von allem bloß Ähnlicher.
Dieses Format-Konkrete, oder besser, da es nicht direkte Anschauung zu sein
braucht, die plastische Konsistenz des Ausdrucks verträgt sich nicht nur mit dem
Inhaltlich-Abstrakten, sondern ist dessen notwendige Kompensation. Gerade der
spröde, abstrakte Inhalt der Wissenschaft, das Schattenreich der Begriffe, ver¬
leitet leicht dazu, sich durch Verwendung formell)äst-blasser Worte in inhaltlich
leere GeHirngespinste zu verlieren: „Denn eben, wo Begriffe fehlen, da stellt ein
Wort zur rechten Zeit sich ein." Demgegenüber ist es die schlagkräftige Form
der Worte allein, die, indem sie ihren Inhalt stets scharf zu erfassen zwingt,
diesen zur höchsten Klarheit erhebt. Sie kommt dabei besonders für die Satz¬
bestandteile in Frage, die nicht den beherrschenden Gedanken selbst, sondern nur
seine objektive Aussage enthalten. Eine Unklarheit, eine leere Formel hier
würde sofort rückwirkend auch die Kontur dieses Subjektgedankens verwischen,
der ja nie an sich selbst klar ist, sondern erst klar werden soll, in dem, was
von ihm ausgesagt wird. Also gerade da, wo das problematische Satzsubjekt
sich objektiv manifestiert, wo sich der Gedanke aus dem Nebel seiner beziehungs¬
losen Einzigkeit in den festen Aggregatzustand der Tatäußerung niederschlägt,
wird eine Ausdrucksform von höchstem Werte sein, die diesen Niederschlag
mit der vollen kantigen Schärfe und kristallenen Durchsichtigkeit vor Augen
stellt. Anderseits darf uns davor niemals das Bewußtsein verlassen,
daß es eben nur ein Niederschlag ist, eine erstarrte Form des schlechthin
Anstarren. In der idealen, wissenschaftlichen Ausdrucksweise muß sich
beides vereinigen: eine vertraut bildhafte Vermittlung des Inhaltes und
gleichzeitig seine Abhebung von allem Banat-Vertrauten in die Sphäre des
Neindeutigen. Diesen scheinbar widersprechenden Forderungen wird allein das
Fremdwort ausreichend gerecht. Wenn so das Abstrakte eine Form annimmt,


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[0085] Das seltenste Fremdwort die Wissenschaft einlassen. Außerdem beruht die Möglichkeit einer solchen Suggestion letzten Endes auf einem zweiten Gesicht des Wortes, dessen Ein¬ deutigkeit sie grundsätzlich fordern muß. Ihr bleibt da eben wirklich nur übrig, das Schlagkräftige in der eigentümlichen, oben geschilderten Wirkung des Fremd¬ wortes zu suchen, dem diese Form spontan, ohne den Umweg einer inhaltlichen Neuwendung zukommt. Weshalb denn aber überhaupt das Konkret-Schlagkräftige des Ausdrucks für die abstrakte Wissenschaft? Läuft es ihrer Sphäre nicht direkt zuwider? Keineswegs. Ihrem Inhalte nach ist die wissenschaftliche Sphäre allerdings ganz abstrakt. Aber es soll auch nicht der Inhalt des Wortes, das, was in ihm zu denken ist, durch seinen schlagkräftigen Ausdruck irgendwie beeinflußt, gefärbt werden, sondern nur die Form, wie der Inhalt in uns gedacht wird. Bei einem schlagkräftigen Wort ist diese Form eben nicht ein verschwommener, mittelbarer Eindruck eines verborgenen Inhaltes, wie ihn ein formelhaftes Wort vermittelt, sondern ein lebhaftes, unmittelbares Erfassen, gleichsam ein körperliches Erfühlen desselben Inhalts mit dem vollen Bewußtsein seiner ganzen quanti¬ tativen und qualitativen Ausdehnung, scharf gesondert von allem bloß Ähnlicher. Dieses Format-Konkrete, oder besser, da es nicht direkte Anschauung zu sein braucht, die plastische Konsistenz des Ausdrucks verträgt sich nicht nur mit dem Inhaltlich-Abstrakten, sondern ist dessen notwendige Kompensation. Gerade der spröde, abstrakte Inhalt der Wissenschaft, das Schattenreich der Begriffe, ver¬ leitet leicht dazu, sich durch Verwendung formell)äst-blasser Worte in inhaltlich leere GeHirngespinste zu verlieren: „Denn eben, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein." Demgegenüber ist es die schlagkräftige Form der Worte allein, die, indem sie ihren Inhalt stets scharf zu erfassen zwingt, diesen zur höchsten Klarheit erhebt. Sie kommt dabei besonders für die Satz¬ bestandteile in Frage, die nicht den beherrschenden Gedanken selbst, sondern nur seine objektive Aussage enthalten. Eine Unklarheit, eine leere Formel hier würde sofort rückwirkend auch die Kontur dieses Subjektgedankens verwischen, der ja nie an sich selbst klar ist, sondern erst klar werden soll, in dem, was von ihm ausgesagt wird. Also gerade da, wo das problematische Satzsubjekt sich objektiv manifestiert, wo sich der Gedanke aus dem Nebel seiner beziehungs¬ losen Einzigkeit in den festen Aggregatzustand der Tatäußerung niederschlägt, wird eine Ausdrucksform von höchstem Werte sein, die diesen Niederschlag mit der vollen kantigen Schärfe und kristallenen Durchsichtigkeit vor Augen stellt. Anderseits darf uns davor niemals das Bewußtsein verlassen, daß es eben nur ein Niederschlag ist, eine erstarrte Form des schlechthin Anstarren. In der idealen, wissenschaftlichen Ausdrucksweise muß sich beides vereinigen: eine vertraut bildhafte Vermittlung des Inhaltes und gleichzeitig seine Abhebung von allem Banat-Vertrauten in die Sphäre des Neindeutigen. Diesen scheinbar widersprechenden Forderungen wird allein das Fremdwort ausreichend gerecht. Wenn so das Abstrakte eine Form annimmt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/85>, abgerufen am 22.07.2024.