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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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kommißrechte, wie es sich in England für den Grundbesitz findet, trägt diesem
Bestreben Rechnung, während das in Frankreich herrschende System der gleichen
Teilung (Artikel 826 ec"ac civil) den Bauer zur Kinderbeschränkung verleitet,
damit sein einziger Sohn des Nachbarn einzige Tochter heimführe. Die entgegen¬
gesetzte Bestimmung des Artikels 832 eoäs civil, wonach eine Zerstückelung der
Erbschaften möglichst vermieden werden soll, wird von der Rechtsprechung nur
als ein Rat für den Fall angesehen, daß mehrere gleichartige Erbschaftsgegen¬
stände vorhanden sind. Das Familiengüterrecht ist in Frankreich wenig bekannt;
einige Gesetze der letzten Jahre haben nur für ganz kleine Güter die
Unteilbarkeit eingeführt. Die Statistik bestätigt, daß die Länder mit
gleicher Erbteilung eine schwache Geburtenziffer ausweisen; ihr ist jedoch
auch hier bei der Mannigfaltigkeit der Gründe kein zu großes Gewicht
beizumessen.

b) Neben diesen wirtschaftlich-juristischen Gründen, die namentlich für die
schlecht besoldeten Beamten gelten, kommen allgemein berufliche für Ehe- und
Kinderlosigkeit in Betracht. Unbedingt zur Ehelosigkeit gezwungen ist der
katholische Klerus. Mag er in Frankreich auch nur ^ Prozent der erwachsenen
männlichen Bevölkerung betragen, so wird dem Lande durch ihn doch ein erheb¬
lich höherer Prozentsatz von Kindern entzogen, da die Geistlichen erfahrungs¬
gemäß in protestantischen Ländern sehr kinderreich sind. Andere Berufe ver¬
langen praktisch Kinderlosigkeit. Man denke an die zahlreichen Zeitungsanzeigen,
in denen Dienstpersonal, Kellner, Gärtner oder Pförtner unter der Bedingung
gesucht werden, daß sie ledig sind oder keine Kinder haben. Der Hauptgrund
dürfte in der stetig wachsenden Zahl der selbständigen Frauen liegen, die gerade
in Frankreich, sei es infolge des besonders ausgeprägten Arbeitsdranges oder
Unabhängigkeitsgefühles, sei es, weil die zur Heirat nötige Mitgift fehlt oder
der Ehemann seine Familie verlassen hat, ganz besonders in die Augen fällt und
mehr als die Hälfte aller erwachsenen Frauen (7640000 von den 15 Millionen
über 15 Jahre alten Frauen im Jahre 1911) umfaßt. Die Mutterschaft ist
namentlich für die 2900000 außer dem Hause gegen Lohn beschäftigten
Arbeiterinnen, Angestellten und Dienstboten hinderlich, denen, wenn sie sich die
zur Erhaltung ihrer Gesundheit nötige Ruhe gönnen und ihren Mutterpflichten
genügen wollen, Gehaltsentziehung und Kündigung droht; auszunehmen wären
vielleicht die nur in gewissen Zeiten im Jahre beschäftigten landwirtschaftlichen
Arbeiterinnen. Aber auch die in manchen Gegenden Frankreichs an Zahl erheblich
zunehmenden Heimarbeiterinnen wie die in höheren Berufen als Lehrerin, Arzt
oder Anwalt tätigen Frauen werden ihre Erwerbstätigkeit nicht durch Mutter¬
pflichten beschränken oder gar aufs Spiel setzen wollen. Für alle selbständigen
Frauen kommt die Last hinzu, nunmehr für mehrere Existenzen arbeiten zu
müssen. Ihr Bestreben, sich der mit der Berufsausübung unvereinbarer Sorge
für die Kinder zu entziehen, hat namentlich in der Umgebung von Paris eine
wahre Industrie von Ziehmüttern entstehen lassen, bei denen die Kindersterb-


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kommißrechte, wie es sich in England für den Grundbesitz findet, trägt diesem
Bestreben Rechnung, während das in Frankreich herrschende System der gleichen
Teilung (Artikel 826 ec»ac civil) den Bauer zur Kinderbeschränkung verleitet,
damit sein einziger Sohn des Nachbarn einzige Tochter heimführe. Die entgegen¬
gesetzte Bestimmung des Artikels 832 eoäs civil, wonach eine Zerstückelung der
Erbschaften möglichst vermieden werden soll, wird von der Rechtsprechung nur
als ein Rat für den Fall angesehen, daß mehrere gleichartige Erbschaftsgegen¬
stände vorhanden sind. Das Familiengüterrecht ist in Frankreich wenig bekannt;
einige Gesetze der letzten Jahre haben nur für ganz kleine Güter die
Unteilbarkeit eingeführt. Die Statistik bestätigt, daß die Länder mit
gleicher Erbteilung eine schwache Geburtenziffer ausweisen; ihr ist jedoch
auch hier bei der Mannigfaltigkeit der Gründe kein zu großes Gewicht
beizumessen.

b) Neben diesen wirtschaftlich-juristischen Gründen, die namentlich für die
schlecht besoldeten Beamten gelten, kommen allgemein berufliche für Ehe- und
Kinderlosigkeit in Betracht. Unbedingt zur Ehelosigkeit gezwungen ist der
katholische Klerus. Mag er in Frankreich auch nur ^ Prozent der erwachsenen
männlichen Bevölkerung betragen, so wird dem Lande durch ihn doch ein erheb¬
lich höherer Prozentsatz von Kindern entzogen, da die Geistlichen erfahrungs¬
gemäß in protestantischen Ländern sehr kinderreich sind. Andere Berufe ver¬
langen praktisch Kinderlosigkeit. Man denke an die zahlreichen Zeitungsanzeigen,
in denen Dienstpersonal, Kellner, Gärtner oder Pförtner unter der Bedingung
gesucht werden, daß sie ledig sind oder keine Kinder haben. Der Hauptgrund
dürfte in der stetig wachsenden Zahl der selbständigen Frauen liegen, die gerade
in Frankreich, sei es infolge des besonders ausgeprägten Arbeitsdranges oder
Unabhängigkeitsgefühles, sei es, weil die zur Heirat nötige Mitgift fehlt oder
der Ehemann seine Familie verlassen hat, ganz besonders in die Augen fällt und
mehr als die Hälfte aller erwachsenen Frauen (7640000 von den 15 Millionen
über 15 Jahre alten Frauen im Jahre 1911) umfaßt. Die Mutterschaft ist
namentlich für die 2900000 außer dem Hause gegen Lohn beschäftigten
Arbeiterinnen, Angestellten und Dienstboten hinderlich, denen, wenn sie sich die
zur Erhaltung ihrer Gesundheit nötige Ruhe gönnen und ihren Mutterpflichten
genügen wollen, Gehaltsentziehung und Kündigung droht; auszunehmen wären
vielleicht die nur in gewissen Zeiten im Jahre beschäftigten landwirtschaftlichen
Arbeiterinnen. Aber auch die in manchen Gegenden Frankreichs an Zahl erheblich
zunehmenden Heimarbeiterinnen wie die in höheren Berufen als Lehrerin, Arzt
oder Anwalt tätigen Frauen werden ihre Erwerbstätigkeit nicht durch Mutter¬
pflichten beschränken oder gar aufs Spiel setzen wollen. Für alle selbständigen
Frauen kommt die Last hinzu, nunmehr für mehrere Existenzen arbeiten zu
müssen. Ihr Bestreben, sich der mit der Berufsausübung unvereinbarer Sorge
für die Kinder zu entziehen, hat namentlich in der Umgebung von Paris eine
wahre Industrie von Ziehmüttern entstehen lassen, bei denen die Kindersterb-


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[0635] Zur Lntvöll'crimgsfrage kommißrechte, wie es sich in England für den Grundbesitz findet, trägt diesem Bestreben Rechnung, während das in Frankreich herrschende System der gleichen Teilung (Artikel 826 ec»ac civil) den Bauer zur Kinderbeschränkung verleitet, damit sein einziger Sohn des Nachbarn einzige Tochter heimführe. Die entgegen¬ gesetzte Bestimmung des Artikels 832 eoäs civil, wonach eine Zerstückelung der Erbschaften möglichst vermieden werden soll, wird von der Rechtsprechung nur als ein Rat für den Fall angesehen, daß mehrere gleichartige Erbschaftsgegen¬ stände vorhanden sind. Das Familiengüterrecht ist in Frankreich wenig bekannt; einige Gesetze der letzten Jahre haben nur für ganz kleine Güter die Unteilbarkeit eingeführt. Die Statistik bestätigt, daß die Länder mit gleicher Erbteilung eine schwache Geburtenziffer ausweisen; ihr ist jedoch auch hier bei der Mannigfaltigkeit der Gründe kein zu großes Gewicht beizumessen. b) Neben diesen wirtschaftlich-juristischen Gründen, die namentlich für die schlecht besoldeten Beamten gelten, kommen allgemein berufliche für Ehe- und Kinderlosigkeit in Betracht. Unbedingt zur Ehelosigkeit gezwungen ist der katholische Klerus. Mag er in Frankreich auch nur ^ Prozent der erwachsenen männlichen Bevölkerung betragen, so wird dem Lande durch ihn doch ein erheb¬ lich höherer Prozentsatz von Kindern entzogen, da die Geistlichen erfahrungs¬ gemäß in protestantischen Ländern sehr kinderreich sind. Andere Berufe ver¬ langen praktisch Kinderlosigkeit. Man denke an die zahlreichen Zeitungsanzeigen, in denen Dienstpersonal, Kellner, Gärtner oder Pförtner unter der Bedingung gesucht werden, daß sie ledig sind oder keine Kinder haben. Der Hauptgrund dürfte in der stetig wachsenden Zahl der selbständigen Frauen liegen, die gerade in Frankreich, sei es infolge des besonders ausgeprägten Arbeitsdranges oder Unabhängigkeitsgefühles, sei es, weil die zur Heirat nötige Mitgift fehlt oder der Ehemann seine Familie verlassen hat, ganz besonders in die Augen fällt und mehr als die Hälfte aller erwachsenen Frauen (7640000 von den 15 Millionen über 15 Jahre alten Frauen im Jahre 1911) umfaßt. Die Mutterschaft ist namentlich für die 2900000 außer dem Hause gegen Lohn beschäftigten Arbeiterinnen, Angestellten und Dienstboten hinderlich, denen, wenn sie sich die zur Erhaltung ihrer Gesundheit nötige Ruhe gönnen und ihren Mutterpflichten genügen wollen, Gehaltsentziehung und Kündigung droht; auszunehmen wären vielleicht die nur in gewissen Zeiten im Jahre beschäftigten landwirtschaftlichen Arbeiterinnen. Aber auch die in manchen Gegenden Frankreichs an Zahl erheblich zunehmenden Heimarbeiterinnen wie die in höheren Berufen als Lehrerin, Arzt oder Anwalt tätigen Frauen werden ihre Erwerbstätigkeit nicht durch Mutter¬ pflichten beschränken oder gar aufs Spiel setzen wollen. Für alle selbständigen Frauen kommt die Last hinzu, nunmehr für mehrere Existenzen arbeiten zu müssen. Ihr Bestreben, sich der mit der Berufsausübung unvereinbarer Sorge für die Kinder zu entziehen, hat namentlich in der Umgebung von Paris eine wahre Industrie von Ziehmüttern entstehen lassen, bei denen die Kindersterb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/635>, abgerufen am 22.12.2024.