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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kämpfe unserer Lehrerschaft

Grundsatz aus: "Die Volksschule soll und will dasselbe, was jede andere Schule
für Kinder desselben Alters will". Und daraus leitete er die Forderung ab:
"Der Volksschullehrer gehört dahin, wo überhaupt die Kultur lebt, er gehört
mit seiner allgemeinen Vorbildung in die allgemeinen Bildungsanstalten, er
gehört mit seiner Fachbildung dahin, wo die gebildeten Berufe überhaupt ihre
Fachbildung erhalten, in die Universität oder in die pädagogische Hochschule."

Daß zu einer solchen die philosophische Fakultät dann werden würde, muß
man allerdings fast vermuten; und daß sich dagegen alle, die ihr angehören
oder nahestehen, zur Wehr setzen, ist natürlich und notwendig. Mag es auch
eine schmerzliche Aufgabe sein, Wünschen entgegenzutreten, die im Sinne eines
Ringens nach idealen Gütern so leidenschaftlich verkündigt werden, hier wäre
jede Schwäche und Nachgiebigkeit verhängnisvoll. Nicht der Universitäten wegen,
die kein Selbstzweck sind, sondern um der Kulturaufgabe willen, die sie zu
erfüllen haben, und die ihnen ohnehin jetzt, mehr als recht ist, erschwert wird.
Aber auch im Interesse der Arbeit, die an den Volksschulen geleistet werden
soll, ist der Widerstand geboten; denn diese Arbeit ist ihrem Wesen nach von
der an den höheren Schulen verschieden. Die Volksschule würde ihrer Be¬
stimmung, auf das Leben des Arbeiters, des Handwerkers, des kleinen Kauf¬
manns vorzubereiten, entfremdet werden, wenn man ihr einen gelehrten Unter¬
richt aufdrängen wollte; und das Seminar würde nicht mehr imstande sein, für
diesen wichtigen erzieherischen Beruf die Lehrer auszubilden, wenn es daneben
die Aufgabe übernehmen müßte, seine Zöglinge zum Besuch der Universität
geschickt zu machen. Freilich hören wir alles Ernstes so sprechen, als ob es
dies schon in seiner jetzigen Gestalt vermöchte, weil doch "der Abiturient des
Seminars, nach dem Gesamtstand seiner Bildung, nach allgemeiner wissenschaft¬
licher Reife nicht hinter dem Abiturienten einer der anderen höheren Schulen
zurückstehe". Aber Muthesius, der dies behauptet, kann selber nicht bestreiten,
daß, von den alten Sprachen abgesehen, auch die Oberrealschulbildung der
seminarischen in fremden Sprachen, Mathematik, Physik und Chemie überlegen
ist. Und das sind gerade diejenigen Zweige des Unterrichts, deren Pflege das
meiste dazu beiträgt, den Geist aus der naiven Zuversicht gewohnheitsmäßigen
Denkens herauszuarbeiten und mit der Selbstkritik zu bewaffnen, deren er zu
eigener Vertiefung in ein wissenschaftliches Studium bedarf. Neuerdings berufen
sich manche darauf, daß ja Frauen, die das Oberlyzeum durchgemacht, die
Prüfung für das Lehramt an höheren Mädchenschulen bestanden und zwei Jahre
an solchen Schulen unterrichtet haben, nach den Bestimmungen des Jahres 1908
zum Universitätsstudium zugelassen sind. Aber auch hier besteht noch ein
beträchtlicher Unterschied gegenüber derjenigen Bildung, die auf einem Schul¬
lehrerseminar gewonnen wird. Und vor allem: die ganze Maßregel ist neu.


Der oben mehrfach angeführte Vortrag von Muthesius "Universität und Volksschulbildung"
ist als Heft 29 der "Beiträge zur Lehrerbildung und Lehrerfortbildung" im Verlage von
E. F. Thienemann in Gotha erschienen.
Kämpfe unserer Lehrerschaft

Grundsatz aus: „Die Volksschule soll und will dasselbe, was jede andere Schule
für Kinder desselben Alters will". Und daraus leitete er die Forderung ab:
„Der Volksschullehrer gehört dahin, wo überhaupt die Kultur lebt, er gehört
mit seiner allgemeinen Vorbildung in die allgemeinen Bildungsanstalten, er
gehört mit seiner Fachbildung dahin, wo die gebildeten Berufe überhaupt ihre
Fachbildung erhalten, in die Universität oder in die pädagogische Hochschule."

Daß zu einer solchen die philosophische Fakultät dann werden würde, muß
man allerdings fast vermuten; und daß sich dagegen alle, die ihr angehören
oder nahestehen, zur Wehr setzen, ist natürlich und notwendig. Mag es auch
eine schmerzliche Aufgabe sein, Wünschen entgegenzutreten, die im Sinne eines
Ringens nach idealen Gütern so leidenschaftlich verkündigt werden, hier wäre
jede Schwäche und Nachgiebigkeit verhängnisvoll. Nicht der Universitäten wegen,
die kein Selbstzweck sind, sondern um der Kulturaufgabe willen, die sie zu
erfüllen haben, und die ihnen ohnehin jetzt, mehr als recht ist, erschwert wird.
Aber auch im Interesse der Arbeit, die an den Volksschulen geleistet werden
soll, ist der Widerstand geboten; denn diese Arbeit ist ihrem Wesen nach von
der an den höheren Schulen verschieden. Die Volksschule würde ihrer Be¬
stimmung, auf das Leben des Arbeiters, des Handwerkers, des kleinen Kauf¬
manns vorzubereiten, entfremdet werden, wenn man ihr einen gelehrten Unter¬
richt aufdrängen wollte; und das Seminar würde nicht mehr imstande sein, für
diesen wichtigen erzieherischen Beruf die Lehrer auszubilden, wenn es daneben
die Aufgabe übernehmen müßte, seine Zöglinge zum Besuch der Universität
geschickt zu machen. Freilich hören wir alles Ernstes so sprechen, als ob es
dies schon in seiner jetzigen Gestalt vermöchte, weil doch „der Abiturient des
Seminars, nach dem Gesamtstand seiner Bildung, nach allgemeiner wissenschaft¬
licher Reife nicht hinter dem Abiturienten einer der anderen höheren Schulen
zurückstehe". Aber Muthesius, der dies behauptet, kann selber nicht bestreiten,
daß, von den alten Sprachen abgesehen, auch die Oberrealschulbildung der
seminarischen in fremden Sprachen, Mathematik, Physik und Chemie überlegen
ist. Und das sind gerade diejenigen Zweige des Unterrichts, deren Pflege das
meiste dazu beiträgt, den Geist aus der naiven Zuversicht gewohnheitsmäßigen
Denkens herauszuarbeiten und mit der Selbstkritik zu bewaffnen, deren er zu
eigener Vertiefung in ein wissenschaftliches Studium bedarf. Neuerdings berufen
sich manche darauf, daß ja Frauen, die das Oberlyzeum durchgemacht, die
Prüfung für das Lehramt an höheren Mädchenschulen bestanden und zwei Jahre
an solchen Schulen unterrichtet haben, nach den Bestimmungen des Jahres 1908
zum Universitätsstudium zugelassen sind. Aber auch hier besteht noch ein
beträchtlicher Unterschied gegenüber derjenigen Bildung, die auf einem Schul¬
lehrerseminar gewonnen wird. Und vor allem: die ganze Maßregel ist neu.


Der oben mehrfach angeführte Vortrag von Muthesius „Universität und Volksschulbildung"
ist als Heft 29 der „Beiträge zur Lehrerbildung und Lehrerfortbildung" im Verlage von
E. F. Thienemann in Gotha erschienen.
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[0622] Kämpfe unserer Lehrerschaft Grundsatz aus: „Die Volksschule soll und will dasselbe, was jede andere Schule für Kinder desselben Alters will". Und daraus leitete er die Forderung ab: „Der Volksschullehrer gehört dahin, wo überhaupt die Kultur lebt, er gehört mit seiner allgemeinen Vorbildung in die allgemeinen Bildungsanstalten, er gehört mit seiner Fachbildung dahin, wo die gebildeten Berufe überhaupt ihre Fachbildung erhalten, in die Universität oder in die pädagogische Hochschule." Daß zu einer solchen die philosophische Fakultät dann werden würde, muß man allerdings fast vermuten; und daß sich dagegen alle, die ihr angehören oder nahestehen, zur Wehr setzen, ist natürlich und notwendig. Mag es auch eine schmerzliche Aufgabe sein, Wünschen entgegenzutreten, die im Sinne eines Ringens nach idealen Gütern so leidenschaftlich verkündigt werden, hier wäre jede Schwäche und Nachgiebigkeit verhängnisvoll. Nicht der Universitäten wegen, die kein Selbstzweck sind, sondern um der Kulturaufgabe willen, die sie zu erfüllen haben, und die ihnen ohnehin jetzt, mehr als recht ist, erschwert wird. Aber auch im Interesse der Arbeit, die an den Volksschulen geleistet werden soll, ist der Widerstand geboten; denn diese Arbeit ist ihrem Wesen nach von der an den höheren Schulen verschieden. Die Volksschule würde ihrer Be¬ stimmung, auf das Leben des Arbeiters, des Handwerkers, des kleinen Kauf¬ manns vorzubereiten, entfremdet werden, wenn man ihr einen gelehrten Unter¬ richt aufdrängen wollte; und das Seminar würde nicht mehr imstande sein, für diesen wichtigen erzieherischen Beruf die Lehrer auszubilden, wenn es daneben die Aufgabe übernehmen müßte, seine Zöglinge zum Besuch der Universität geschickt zu machen. Freilich hören wir alles Ernstes so sprechen, als ob es dies schon in seiner jetzigen Gestalt vermöchte, weil doch „der Abiturient des Seminars, nach dem Gesamtstand seiner Bildung, nach allgemeiner wissenschaft¬ licher Reife nicht hinter dem Abiturienten einer der anderen höheren Schulen zurückstehe". Aber Muthesius, der dies behauptet, kann selber nicht bestreiten, daß, von den alten Sprachen abgesehen, auch die Oberrealschulbildung der seminarischen in fremden Sprachen, Mathematik, Physik und Chemie überlegen ist. Und das sind gerade diejenigen Zweige des Unterrichts, deren Pflege das meiste dazu beiträgt, den Geist aus der naiven Zuversicht gewohnheitsmäßigen Denkens herauszuarbeiten und mit der Selbstkritik zu bewaffnen, deren er zu eigener Vertiefung in ein wissenschaftliches Studium bedarf. Neuerdings berufen sich manche darauf, daß ja Frauen, die das Oberlyzeum durchgemacht, die Prüfung für das Lehramt an höheren Mädchenschulen bestanden und zwei Jahre an solchen Schulen unterrichtet haben, nach den Bestimmungen des Jahres 1908 zum Universitätsstudium zugelassen sind. Aber auch hier besteht noch ein beträchtlicher Unterschied gegenüber derjenigen Bildung, die auf einem Schul¬ lehrerseminar gewonnen wird. Und vor allem: die ganze Maßregel ist neu. Der oben mehrfach angeführte Vortrag von Muthesius „Universität und Volksschulbildung" ist als Heft 29 der „Beiträge zur Lehrerbildung und Lehrerfortbildung" im Verlage von E. F. Thienemann in Gotha erschienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/622>, abgerufen am 24.08.2024.