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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Alfred von Riderlen-Maechrer

in einem monarchisch regierten Lande entbehren und ignorieren könne. So
spiegelt sich denn auch in dem wiedergegebenen Ausdruck die ganze Stellung
Kiderlens zur öffentlichen Meinung, zu den öffentlichen Werkzeugen der Politik,
insbesondere zur Presse wieder. In dem Satz offenbart sich aber auch das
Verhängnis, das Kiderlen, seit er an die Spitze der deutschen auswärtigen
Politik berufen wurde, auf Schritt und Tritt verfolgt hat. Als wir später
einmal und zwar gelegentlich der Marokkokrise auf denselben Gegenstand zurück¬
kamen, setzte Kiderlen auseinander, die Hauptsache sei, daß er und Cambon
über das Mögliche und Erreichbare einig seien, die Presse sei erst zu gebrauchen,
wenn es sich um Krieg oder Frieden handle, -- d. h. also, wenn der gute
Wille aus den Verhandlungen der Diplomaten verschwunden sei. Auch in
dieser Auslassung spiegelt sich eine prinzipielle Stellungnahme wieder: Kiderlens
absolute Zuverlässigkeit und Loyalität seinen ausländischen Kollegen gegen¬
über, mit denen er sich gemeinsam nicht nur seiner Nation, sondern der
ganzen Welt gegenüber verantwortlich fühlte, ohne darum auch nur einen
erreichbaren Vorteil für sein eigenes Volk aus dem Auge zu verlieren. Es
hat Kiderlen nichts so schwer gekränkt, nichts so gewurmt und geärgert, als
die Indiskretionen, die von Diplomaten begangen wurden, oder die wenigstens
auf Diplomaten zurückgeführt werden konnten. Wenn französische Blätter
während der Marokkokrise die vertraulichsten Dinge ausplauderten, konnte der
sonst so unbekümmerte Mann, der sich des Unangenehmen mit einem
Scherzwort oder mit einem derben Fluch entledigte, geradezu rasen und
ohne Rücksicht auf die bei solchen Gelegenheiten zufällig anwesenden Personen,
gab er seinem Unmut drastischen Ausdruck. Ich erinnere mich eines Nach¬
mittags, wo ihm während meiner Anwesenheit eine Pariser Depesche übergeben
wurde. Sie enthielt die Mitteilung von einer besonders unangenehmen Indis¬
kretion. Während Kiderlen noch mit dem Studium des Schriftstücks beschäftigt
war, ließ sich eine hohe Persönlichkeit melden. "Den kann ich jetzt nicht
brauchen" bekam der Diener zu hören. Als ich dann, um ihn an meine
Gegenwart zu erinnern, einwarf, "Euer Exzellenz scheinen recht schlechter Laune
zu sein", machte er seinem Herzen freimütig Luft und wurde dann ruhiger,
verstummte schließlich vollständig und man sah es bald seinen Gesichtszügen an,
wie es in ihm zu arbeiten begann, wie sich alles bei ihm auf einen Gedanken
konzentrierte, und wie er, seine Umgebung völlig vergessend, zum politischen
Gegenschlage ausholte.

Ich habe die kleinen persönlichen Erlebnisse hier erwähnt, weil sie es
zusammen mit anderen Beobachtungen verständlich machen, warum es der Mann
mit den anerkannt großen Fähigkeiten und Kenntnissen und mit einer das
Durchschnittsmaß weit überragenden Arbeitskraft so ungeheuer schwer gehabt
hat, sich gerade in Deutschland durchzusetzen. Diese Vorkommnisse mögen aber
auch andeuten, wie schwer es gewesen ist, bis zum Kern der Seele dieses
Staatsmannes durchzudringen, wenn man erst im reifen Mannesalter Gelegen-


Alfred von Riderlen-Maechrer

in einem monarchisch regierten Lande entbehren und ignorieren könne. So
spiegelt sich denn auch in dem wiedergegebenen Ausdruck die ganze Stellung
Kiderlens zur öffentlichen Meinung, zu den öffentlichen Werkzeugen der Politik,
insbesondere zur Presse wieder. In dem Satz offenbart sich aber auch das
Verhängnis, das Kiderlen, seit er an die Spitze der deutschen auswärtigen
Politik berufen wurde, auf Schritt und Tritt verfolgt hat. Als wir später
einmal und zwar gelegentlich der Marokkokrise auf denselben Gegenstand zurück¬
kamen, setzte Kiderlen auseinander, die Hauptsache sei, daß er und Cambon
über das Mögliche und Erreichbare einig seien, die Presse sei erst zu gebrauchen,
wenn es sich um Krieg oder Frieden handle, — d. h. also, wenn der gute
Wille aus den Verhandlungen der Diplomaten verschwunden sei. Auch in
dieser Auslassung spiegelt sich eine prinzipielle Stellungnahme wieder: Kiderlens
absolute Zuverlässigkeit und Loyalität seinen ausländischen Kollegen gegen¬
über, mit denen er sich gemeinsam nicht nur seiner Nation, sondern der
ganzen Welt gegenüber verantwortlich fühlte, ohne darum auch nur einen
erreichbaren Vorteil für sein eigenes Volk aus dem Auge zu verlieren. Es
hat Kiderlen nichts so schwer gekränkt, nichts so gewurmt und geärgert, als
die Indiskretionen, die von Diplomaten begangen wurden, oder die wenigstens
auf Diplomaten zurückgeführt werden konnten. Wenn französische Blätter
während der Marokkokrise die vertraulichsten Dinge ausplauderten, konnte der
sonst so unbekümmerte Mann, der sich des Unangenehmen mit einem
Scherzwort oder mit einem derben Fluch entledigte, geradezu rasen und
ohne Rücksicht auf die bei solchen Gelegenheiten zufällig anwesenden Personen,
gab er seinem Unmut drastischen Ausdruck. Ich erinnere mich eines Nach¬
mittags, wo ihm während meiner Anwesenheit eine Pariser Depesche übergeben
wurde. Sie enthielt die Mitteilung von einer besonders unangenehmen Indis¬
kretion. Während Kiderlen noch mit dem Studium des Schriftstücks beschäftigt
war, ließ sich eine hohe Persönlichkeit melden. „Den kann ich jetzt nicht
brauchen" bekam der Diener zu hören. Als ich dann, um ihn an meine
Gegenwart zu erinnern, einwarf, „Euer Exzellenz scheinen recht schlechter Laune
zu sein", machte er seinem Herzen freimütig Luft und wurde dann ruhiger,
verstummte schließlich vollständig und man sah es bald seinen Gesichtszügen an,
wie es in ihm zu arbeiten begann, wie sich alles bei ihm auf einen Gedanken
konzentrierte, und wie er, seine Umgebung völlig vergessend, zum politischen
Gegenschlage ausholte.

Ich habe die kleinen persönlichen Erlebnisse hier erwähnt, weil sie es
zusammen mit anderen Beobachtungen verständlich machen, warum es der Mann
mit den anerkannt großen Fähigkeiten und Kenntnissen und mit einer das
Durchschnittsmaß weit überragenden Arbeitskraft so ungeheuer schwer gehabt
hat, sich gerade in Deutschland durchzusetzen. Diese Vorkommnisse mögen aber
auch andeuten, wie schwer es gewesen ist, bis zum Kern der Seele dieses
Staatsmannes durchzudringen, wenn man erst im reifen Mannesalter Gelegen-


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[0062] Alfred von Riderlen-Maechrer in einem monarchisch regierten Lande entbehren und ignorieren könne. So spiegelt sich denn auch in dem wiedergegebenen Ausdruck die ganze Stellung Kiderlens zur öffentlichen Meinung, zu den öffentlichen Werkzeugen der Politik, insbesondere zur Presse wieder. In dem Satz offenbart sich aber auch das Verhängnis, das Kiderlen, seit er an die Spitze der deutschen auswärtigen Politik berufen wurde, auf Schritt und Tritt verfolgt hat. Als wir später einmal und zwar gelegentlich der Marokkokrise auf denselben Gegenstand zurück¬ kamen, setzte Kiderlen auseinander, die Hauptsache sei, daß er und Cambon über das Mögliche und Erreichbare einig seien, die Presse sei erst zu gebrauchen, wenn es sich um Krieg oder Frieden handle, — d. h. also, wenn der gute Wille aus den Verhandlungen der Diplomaten verschwunden sei. Auch in dieser Auslassung spiegelt sich eine prinzipielle Stellungnahme wieder: Kiderlens absolute Zuverlässigkeit und Loyalität seinen ausländischen Kollegen gegen¬ über, mit denen er sich gemeinsam nicht nur seiner Nation, sondern der ganzen Welt gegenüber verantwortlich fühlte, ohne darum auch nur einen erreichbaren Vorteil für sein eigenes Volk aus dem Auge zu verlieren. Es hat Kiderlen nichts so schwer gekränkt, nichts so gewurmt und geärgert, als die Indiskretionen, die von Diplomaten begangen wurden, oder die wenigstens auf Diplomaten zurückgeführt werden konnten. Wenn französische Blätter während der Marokkokrise die vertraulichsten Dinge ausplauderten, konnte der sonst so unbekümmerte Mann, der sich des Unangenehmen mit einem Scherzwort oder mit einem derben Fluch entledigte, geradezu rasen und ohne Rücksicht auf die bei solchen Gelegenheiten zufällig anwesenden Personen, gab er seinem Unmut drastischen Ausdruck. Ich erinnere mich eines Nach¬ mittags, wo ihm während meiner Anwesenheit eine Pariser Depesche übergeben wurde. Sie enthielt die Mitteilung von einer besonders unangenehmen Indis¬ kretion. Während Kiderlen noch mit dem Studium des Schriftstücks beschäftigt war, ließ sich eine hohe Persönlichkeit melden. „Den kann ich jetzt nicht brauchen" bekam der Diener zu hören. Als ich dann, um ihn an meine Gegenwart zu erinnern, einwarf, „Euer Exzellenz scheinen recht schlechter Laune zu sein", machte er seinem Herzen freimütig Luft und wurde dann ruhiger, verstummte schließlich vollständig und man sah es bald seinen Gesichtszügen an, wie es in ihm zu arbeiten begann, wie sich alles bei ihm auf einen Gedanken konzentrierte, und wie er, seine Umgebung völlig vergessend, zum politischen Gegenschlage ausholte. Ich habe die kleinen persönlichen Erlebnisse hier erwähnt, weil sie es zusammen mit anderen Beobachtungen verständlich machen, warum es der Mann mit den anerkannt großen Fähigkeiten und Kenntnissen und mit einer das Durchschnittsmaß weit überragenden Arbeitskraft so ungeheuer schwer gehabt hat, sich gerade in Deutschland durchzusetzen. Diese Vorkommnisse mögen aber auch andeuten, wie schwer es gewesen ist, bis zum Kern der Seele dieses Staatsmannes durchzudringen, wenn man erst im reifen Mannesalter Gelegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/62>, abgerufen am 04.07.2024.