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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Frau usw/ Zum Schluß sagte er aber sehr freundlich': ,Nun, ich hoffe, wir
sehen uns noch recht oft, damit Ihre Identität konstatiert wird.'

Da er die Sache von der komischen Seite auffaßte und die Fürstin sie
gleich am andern Morgen unter Lachen der Frau von Spitzenberg erzählte, so
ist sie wirklich sehr spaßhaft. ..."

Wenige Tage darauf findet dann ein Diner beim Reichskanzler statt. . .

"Als ich hinkam," erzählt Kiderlen, "wurde ich natürlich als ,Prinz Solms'
begrüßt und darüber verschiedene Scherze gemacht; der Fürst sagte: ,Das Prä¬
dikat Durchlaucht haben Sie ganz stramm ausgehalten.' Bei Tisch war es
sehr gemütlich; ich saß neben der Fürstin, die mich furchtbar fütterte; namentlich
an einem großen Stück .Gänseweißsauer', das sie mir zuschob, erstickte ich
beinahe. Als ich infolgedessen von dem darauffolgenden Entenbraten nichts
nahm, sagte der Fürst: ,Aha, Sie essen auch lieber kalten Fasanen; ist von
dem gestrigen Fasan nichts mehr übrig?' Als der Rest kam, sagte er: ,Nun,
wenn Sie etwas davon wollen, lassen Sie Ihren Teller heraufgehen/ Dieser
ging ac main en main über den Tisch zu ihm und Seine Durchlaucht schnitt
mir eigenhändig ein Stück von dem für ihn reservierten Vogel ab. Über das
ganze Essen sprach und trank er in einem fort. Letzteres gab zu folgendem
ehelichen Zwiegespräch Veranlassung: .Aber Ottochen, Du weißt doch, daß Dir
der Doktor den Sherrn verboten hat.' .So, der Heuchler, und mir hat er
gerade gesagt, daß er mir gut sei. Sehen Sie, meine Herren, während des
Kongresses trank ich jeden Morgen drei Glas Rotwein, obgleich ich wußte, daß
mir das nicht gut sei, weil ich sonst die laugen Sitzungen nicht ausgehalten
hatte, -- so habe ich mich immer für das undankbare Europa geopfert!' . . ."




Wir wollen Kiderlen jetzt verlassen und zum Ausgangspunkt meiner Dar¬
legungen zurückkehren, nachdem wir noch festhalten, daß Kiderlen bis zum
Jahre 1884 zuerst dritter, dann zweiter Sekretär bei der Botschaft in Se. Peters¬
burg geblieben ist, sich dort ehrlich und klug mit dem als Vorgesetzten recht
schwierigen General von Schweinitz herumgeschlagen hat. Anfang 1884 durfte
er den Sohn seines großen Chefs in die Se. Petersburger Gesellschaft ein¬
führen und bei dieser Gelegenheit den Nachweis erbringen, welche Vertrauens¬
stellung er sich -- damals noch nicht zweiunddreißig Jahre alt -- am Hof
und in der russischen Diplomatie geschaffen hatte. Aus diesem Zusammentreffen
ist dann später auch gefolgert worden, bezüglich Kiderlens habe ein dem Ganzen
abträglicher Nepotismus gewaltet. Ich meine, gerade der Fall Kiderlen ist
geeignet zu zeigen, wie wenig der erste Reichskanzler Günstlingswirtshaft trieb.
Der alte Fürst hat zwar Kiderlen schnell aufsteigen lassen, aber doch nur wie
der Chef des Stabes die tüchtigen Generalstäbler schneller befördert als das
Gros der Offiziere. Es hat recht lange gedauert, bis der Fürst von dem be-


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Frau usw/ Zum Schluß sagte er aber sehr freundlich': ,Nun, ich hoffe, wir
sehen uns noch recht oft, damit Ihre Identität konstatiert wird.'

Da er die Sache von der komischen Seite auffaßte und die Fürstin sie
gleich am andern Morgen unter Lachen der Frau von Spitzenberg erzählte, so
ist sie wirklich sehr spaßhaft. ..."

Wenige Tage darauf findet dann ein Diner beim Reichskanzler statt. . .

„Als ich hinkam," erzählt Kiderlen, „wurde ich natürlich als ,Prinz Solms'
begrüßt und darüber verschiedene Scherze gemacht; der Fürst sagte: ,Das Prä¬
dikat Durchlaucht haben Sie ganz stramm ausgehalten.' Bei Tisch war es
sehr gemütlich; ich saß neben der Fürstin, die mich furchtbar fütterte; namentlich
an einem großen Stück .Gänseweißsauer', das sie mir zuschob, erstickte ich
beinahe. Als ich infolgedessen von dem darauffolgenden Entenbraten nichts
nahm, sagte der Fürst: ,Aha, Sie essen auch lieber kalten Fasanen; ist von
dem gestrigen Fasan nichts mehr übrig?' Als der Rest kam, sagte er: ,Nun,
wenn Sie etwas davon wollen, lassen Sie Ihren Teller heraufgehen/ Dieser
ging ac main en main über den Tisch zu ihm und Seine Durchlaucht schnitt
mir eigenhändig ein Stück von dem für ihn reservierten Vogel ab. Über das
ganze Essen sprach und trank er in einem fort. Letzteres gab zu folgendem
ehelichen Zwiegespräch Veranlassung: .Aber Ottochen, Du weißt doch, daß Dir
der Doktor den Sherrn verboten hat.' .So, der Heuchler, und mir hat er
gerade gesagt, daß er mir gut sei. Sehen Sie, meine Herren, während des
Kongresses trank ich jeden Morgen drei Glas Rotwein, obgleich ich wußte, daß
mir das nicht gut sei, weil ich sonst die laugen Sitzungen nicht ausgehalten
hatte, — so habe ich mich immer für das undankbare Europa geopfert!' . . ."




Wir wollen Kiderlen jetzt verlassen und zum Ausgangspunkt meiner Dar¬
legungen zurückkehren, nachdem wir noch festhalten, daß Kiderlen bis zum
Jahre 1884 zuerst dritter, dann zweiter Sekretär bei der Botschaft in Se. Peters¬
burg geblieben ist, sich dort ehrlich und klug mit dem als Vorgesetzten recht
schwierigen General von Schweinitz herumgeschlagen hat. Anfang 1884 durfte
er den Sohn seines großen Chefs in die Se. Petersburger Gesellschaft ein¬
führen und bei dieser Gelegenheit den Nachweis erbringen, welche Vertrauens¬
stellung er sich — damals noch nicht zweiunddreißig Jahre alt — am Hof
und in der russischen Diplomatie geschaffen hatte. Aus diesem Zusammentreffen
ist dann später auch gefolgert worden, bezüglich Kiderlens habe ein dem Ganzen
abträglicher Nepotismus gewaltet. Ich meine, gerade der Fall Kiderlen ist
geeignet zu zeigen, wie wenig der erste Reichskanzler Günstlingswirtshaft trieb.
Der alte Fürst hat zwar Kiderlen schnell aufsteigen lassen, aber doch nur wie
der Chef des Stabes die tüchtigen Generalstäbler schneller befördert als das
Gros der Offiziere. Es hat recht lange gedauert, bis der Fürst von dem be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/608>, abgerufen am 24.08.2024.