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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Zur Lntvölkcrnngsfrage

Nicht an, so bleiben sie ein "Pfahl im Fleisch", bieten Stoff zu Verwicklungen
mit der Arbeiterschaft und zu Konkurrenzkämpfen, entziehen auch namentlich als
Arbeiter dem Lande Reichtum, indem sie ihre Ersparnisse in die Heimat senden,
was wir bei unseren ausländischen Arbeitern seit Jahren mit Bedauern fest¬
stellen müssen. Sie bilden aber besonders in Kriegszeiten eine große Gefahr
durch ihre Kenntnis der Sprache, des Landes und seiner Hilfsquellen, gleich¬
zeitig, indem sie die von ihnen geleiteten Werke und damit auch die Arbeiter,
die nicht schon durch den Krieg in Anspruch genommen sind, brachlegen. --
Passen sich die Fremden dagegen dem Lande an, so verändern sie die nationale
Eigenart und Kultur, auf die gerade die Franzosen so stolz sind.

Unter den zahlreichen zur Bekämpfung vorgeschlagenen Mitteln (Schließung
der Grenzen, Spezialsteuer mit Verantwortlichkeit des etwaigen Dienstherrn)
erscheint namentlich eine Beschränkung der Arbeiterzahl bei öffentlichen Arbeiten,
die vielleicht auch bei uns nutzbringend wirken könnte. So setzt das Bedingnis-
heft der Eisenbahngesellschaften in Frankreich ein bestimmtes Verhältnis der
ausländischen Arbeiter fest, das nicht überschritten werden darf. Indes wird
sich eine Rassenmischung nicht unbedingt verdammen lassen, wie die hohe Ent¬
wicklung des Mischvolkes der Vereinigten Staaten, wie die der souveränen
Herrscher, die sich mit ausländischen Häusern verschwägern, wie namentlich
die Abstammung des französischen Halbgottes Napoleon und anderer Staats¬
männer zeigen.

Daß ein starker Geburtenüberschuß in der Tat einen Grund zur Erhaltung
der Rasse bildet, zeigt das Beispiel Polens. Der Überschuß beträgt nämlich
in der Provinz' Posen etwa 20°/^. in ganz Preußen dagegen nur un¬
gefähr 15 o/gg.

3. Wie eine schwache Bevölkerung einerseits Fremde ins Land zieht, so
fehlt ihr anderseits die Macht zu kolonisieren, wenn auch die Zahl der Kolo¬
nisten nicht so stark sein darf, daß sie zur Ausrottung der Eingeborenen führt.
In Frankreich beträgt die Auswanderung nur etwa 1.3 auf 1000 Einwohner,
während die Ziffer beispielsweise in England 70 und in Italien gar IlK erreicht.
In zahlreichen seiner Kolonien sieht sich Frankreich daher mehr Angehörigen
oberer Nationen als Franzosen gegenüber. In Deutschland, dessen Auswande¬
rung sich w den achtziger Jahren noch auf 46 °/go belief. ist sie jetzt auf 3
gesunken. Wir brauchen aber auch weder absolut noch verhältnismäßig so viel
Kolonisten wie das kolonienreichere Frankreich. Wenn dieses für seine geringere
Auswandererzahl indes ins Feld führt, seine Bewohner fühlten sich im eigenen
Lande wohl, wie auch der Umstand zeige, daß bei Gelegenheit der großen
Phylloxeraepidemien um das Jahr 1890 die Auswandererzahl auf das fünf¬
fache gestiegen sei. so können wir den gleichen Grund zu unsern Gunsten in
Anspruch nehmen, da in Teutschland die soziale Fürsorge und Fortbildung in
den letzten Jahrzehnten einen so gewaltigen und im Auslande bewunderten und
nachgeahmten Aufschwung genommen hat.


Zur Lntvölkcrnngsfrage

Nicht an, so bleiben sie ein „Pfahl im Fleisch", bieten Stoff zu Verwicklungen
mit der Arbeiterschaft und zu Konkurrenzkämpfen, entziehen auch namentlich als
Arbeiter dem Lande Reichtum, indem sie ihre Ersparnisse in die Heimat senden,
was wir bei unseren ausländischen Arbeitern seit Jahren mit Bedauern fest¬
stellen müssen. Sie bilden aber besonders in Kriegszeiten eine große Gefahr
durch ihre Kenntnis der Sprache, des Landes und seiner Hilfsquellen, gleich¬
zeitig, indem sie die von ihnen geleiteten Werke und damit auch die Arbeiter,
die nicht schon durch den Krieg in Anspruch genommen sind, brachlegen. —
Passen sich die Fremden dagegen dem Lande an, so verändern sie die nationale
Eigenart und Kultur, auf die gerade die Franzosen so stolz sind.

Unter den zahlreichen zur Bekämpfung vorgeschlagenen Mitteln (Schließung
der Grenzen, Spezialsteuer mit Verantwortlichkeit des etwaigen Dienstherrn)
erscheint namentlich eine Beschränkung der Arbeiterzahl bei öffentlichen Arbeiten,
die vielleicht auch bei uns nutzbringend wirken könnte. So setzt das Bedingnis-
heft der Eisenbahngesellschaften in Frankreich ein bestimmtes Verhältnis der
ausländischen Arbeiter fest, das nicht überschritten werden darf. Indes wird
sich eine Rassenmischung nicht unbedingt verdammen lassen, wie die hohe Ent¬
wicklung des Mischvolkes der Vereinigten Staaten, wie die der souveränen
Herrscher, die sich mit ausländischen Häusern verschwägern, wie namentlich
die Abstammung des französischen Halbgottes Napoleon und anderer Staats¬
männer zeigen.

Daß ein starker Geburtenüberschuß in der Tat einen Grund zur Erhaltung
der Rasse bildet, zeigt das Beispiel Polens. Der Überschuß beträgt nämlich
in der Provinz' Posen etwa 20°/^. in ganz Preußen dagegen nur un¬
gefähr 15 o/gg.

3. Wie eine schwache Bevölkerung einerseits Fremde ins Land zieht, so
fehlt ihr anderseits die Macht zu kolonisieren, wenn auch die Zahl der Kolo¬
nisten nicht so stark sein darf, daß sie zur Ausrottung der Eingeborenen führt.
In Frankreich beträgt die Auswanderung nur etwa 1.3 auf 1000 Einwohner,
während die Ziffer beispielsweise in England 70 und in Italien gar IlK erreicht.
In zahlreichen seiner Kolonien sieht sich Frankreich daher mehr Angehörigen
oberer Nationen als Franzosen gegenüber. In Deutschland, dessen Auswande¬
rung sich w den achtziger Jahren noch auf 46 °/go belief. ist sie jetzt auf 3
gesunken. Wir brauchen aber auch weder absolut noch verhältnismäßig so viel
Kolonisten wie das kolonienreichere Frankreich. Wenn dieses für seine geringere
Auswandererzahl indes ins Feld führt, seine Bewohner fühlten sich im eigenen
Lande wohl, wie auch der Umstand zeige, daß bei Gelegenheit der großen
Phylloxeraepidemien um das Jahr 1890 die Auswandererzahl auf das fünf¬
fache gestiegen sei. so können wir den gleichen Grund zu unsern Gunsten in
Anspruch nehmen, da in Teutschland die soziale Fürsorge und Fortbildung in
den letzten Jahrzehnten einen so gewaltigen und im Auslande bewunderten und
nachgeahmten Aufschwung genommen hat.


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[0559] Zur Lntvölkcrnngsfrage Nicht an, so bleiben sie ein „Pfahl im Fleisch", bieten Stoff zu Verwicklungen mit der Arbeiterschaft und zu Konkurrenzkämpfen, entziehen auch namentlich als Arbeiter dem Lande Reichtum, indem sie ihre Ersparnisse in die Heimat senden, was wir bei unseren ausländischen Arbeitern seit Jahren mit Bedauern fest¬ stellen müssen. Sie bilden aber besonders in Kriegszeiten eine große Gefahr durch ihre Kenntnis der Sprache, des Landes und seiner Hilfsquellen, gleich¬ zeitig, indem sie die von ihnen geleiteten Werke und damit auch die Arbeiter, die nicht schon durch den Krieg in Anspruch genommen sind, brachlegen. — Passen sich die Fremden dagegen dem Lande an, so verändern sie die nationale Eigenart und Kultur, auf die gerade die Franzosen so stolz sind. Unter den zahlreichen zur Bekämpfung vorgeschlagenen Mitteln (Schließung der Grenzen, Spezialsteuer mit Verantwortlichkeit des etwaigen Dienstherrn) erscheint namentlich eine Beschränkung der Arbeiterzahl bei öffentlichen Arbeiten, die vielleicht auch bei uns nutzbringend wirken könnte. So setzt das Bedingnis- heft der Eisenbahngesellschaften in Frankreich ein bestimmtes Verhältnis der ausländischen Arbeiter fest, das nicht überschritten werden darf. Indes wird sich eine Rassenmischung nicht unbedingt verdammen lassen, wie die hohe Ent¬ wicklung des Mischvolkes der Vereinigten Staaten, wie die der souveränen Herrscher, die sich mit ausländischen Häusern verschwägern, wie namentlich die Abstammung des französischen Halbgottes Napoleon und anderer Staats¬ männer zeigen. Daß ein starker Geburtenüberschuß in der Tat einen Grund zur Erhaltung der Rasse bildet, zeigt das Beispiel Polens. Der Überschuß beträgt nämlich in der Provinz' Posen etwa 20°/^. in ganz Preußen dagegen nur un¬ gefähr 15 o/gg. 3. Wie eine schwache Bevölkerung einerseits Fremde ins Land zieht, so fehlt ihr anderseits die Macht zu kolonisieren, wenn auch die Zahl der Kolo¬ nisten nicht so stark sein darf, daß sie zur Ausrottung der Eingeborenen führt. In Frankreich beträgt die Auswanderung nur etwa 1.3 auf 1000 Einwohner, während die Ziffer beispielsweise in England 70 und in Italien gar IlK erreicht. In zahlreichen seiner Kolonien sieht sich Frankreich daher mehr Angehörigen oberer Nationen als Franzosen gegenüber. In Deutschland, dessen Auswande¬ rung sich w den achtziger Jahren noch auf 46 °/go belief. ist sie jetzt auf 3 gesunken. Wir brauchen aber auch weder absolut noch verhältnismäßig so viel Kolonisten wie das kolonienreichere Frankreich. Wenn dieses für seine geringere Auswandererzahl indes ins Feld führt, seine Bewohner fühlten sich im eigenen Lande wohl, wie auch der Umstand zeige, daß bei Gelegenheit der großen Phylloxeraepidemien um das Jahr 1890 die Auswandererzahl auf das fünf¬ fache gestiegen sei. so können wir den gleichen Grund zu unsern Gunsten in Anspruch nehmen, da in Teutschland die soziale Fürsorge und Fortbildung in den letzten Jahrzehnten einen so gewaltigen und im Auslande bewunderten und nachgeahmten Aufschwung genommen hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/559>, abgerufen am 22.12.2024.