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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Wohnung kommen zu lassen. Das sei die Richtige. Es sei einfach ein
empörender Skandal. Zu guter Letzt habe der wackere Korrektor sich gar noch
nach Knechtsmanier mit dem Fritze Adlers um das Frauenzimmer geprügelt,
-- Und so einer wolle nun Lehrer sein!--

So ist es umgegangen hinter meinem Rücken tagelang. Die meisten von
denen, mit welchen ich sonst wohl ein freundliches Wort tauschte oder einen
höflichen Gruß, sind mir scheu aus dem Wege gegangen oder haben zur Seite
gesehen. Als selbst der würdige Präparandenvorsteher sein Wesen gegen mich
zu verändern begann, da gingen mir die Augen auf, und ich merkte, daß
irgend etwas ganz Tolles im Werke sein müsse.

Da habe ich ihn gefragt und gebeten um die ganze Wahrheit, und er
hat mir alles enthüllt. Das rechne ich ihm hoch an. Trotzdem mag es leicht
sein, daß noch schlimmere Verleumdungen in die Welt gesetzt sind, die er aus
vornehmer Rücksicht verschwiegen hat.

All meine Mannhaftigkeit habe ich ihm gegenüber zusammengenommen.
Als ich dann aber auf mein Zimmer kam und mich ganz allein wußte mit mir
selbst, da wars vorbei mit meiner Fassung. Ich habe geweint wie ein Kind.
Du darfst es wissen, mein Cunz. Also auch das reinste, schönste, unschuldigste
Verhältnis, das der Mann zum Weibe haben kann, auch das besudelt und mit
Kot beworfen!

Das waren böse, böse Tage.

Was sollte nun weiter werden, und wie sollte ich Anna gegenübertreten?
Sie sah mich so groß und angstvoll an, als sie das erstemal nach diesen
Enthüllungen bei mir war; und am Tage darauf wagte sie die Frage, die
kommen mußte. Ich wollte nichts sagen, aber sie sah mirs wohl an, daß
etwas Schweres mich bedrücke und wurde dringender. Was sollte ich tun? --

Ohne Überlegung sagte ich ihr schließlich alles, so wie mir ums Herz war.

Ich sehe sie noch vor mir. Da sitzt sie am Tisch und starrt aus dem blut¬
leeren Gesicht mit großen Augen wie abwesend in das vor ihr aufgeschlagene
Buch. Um ihre Mundwinkel zuckt es; sie sucht die aufquellenden Tränen
zurückzuhalten; aber durch ihren ganzen Körper geht ein Beben. Lange
schweigen wir beide. Dann klappt sie das Buch zu, erhebt sich langsam und
reicht mir die Hand.

"Das ist schlecht von den Menschen," sagt sie fast tonlos. "Nun muß ich
fort und darf nie wiederkommen."

"Ja, liebe Anna," antworte ich, "es muß wohl so sein. Nelken Sie von
Ihrem guten Namen, was noch zu retten ist."

Da steht sie mich an in Wehmut und Mitleid: "Was liegt an mir?
Aber um Sie muß ich fortbleiben."

"Was?" sageich, "Anna! Um meinetwillen wollten Sie aufgeben, was
wir so schön und erfolgreich begonnen haben? Um mich wollen Sie verzichten auf die
Zukunft, an der wir gebaut haben mit stiller Freude in diesen heimlichen Stunden?"


Briefe aus Trebeldorf

Wohnung kommen zu lassen. Das sei die Richtige. Es sei einfach ein
empörender Skandal. Zu guter Letzt habe der wackere Korrektor sich gar noch
nach Knechtsmanier mit dem Fritze Adlers um das Frauenzimmer geprügelt,
— Und so einer wolle nun Lehrer sein!--

So ist es umgegangen hinter meinem Rücken tagelang. Die meisten von
denen, mit welchen ich sonst wohl ein freundliches Wort tauschte oder einen
höflichen Gruß, sind mir scheu aus dem Wege gegangen oder haben zur Seite
gesehen. Als selbst der würdige Präparandenvorsteher sein Wesen gegen mich
zu verändern begann, da gingen mir die Augen auf, und ich merkte, daß
irgend etwas ganz Tolles im Werke sein müsse.

Da habe ich ihn gefragt und gebeten um die ganze Wahrheit, und er
hat mir alles enthüllt. Das rechne ich ihm hoch an. Trotzdem mag es leicht
sein, daß noch schlimmere Verleumdungen in die Welt gesetzt sind, die er aus
vornehmer Rücksicht verschwiegen hat.

All meine Mannhaftigkeit habe ich ihm gegenüber zusammengenommen.
Als ich dann aber auf mein Zimmer kam und mich ganz allein wußte mit mir
selbst, da wars vorbei mit meiner Fassung. Ich habe geweint wie ein Kind.
Du darfst es wissen, mein Cunz. Also auch das reinste, schönste, unschuldigste
Verhältnis, das der Mann zum Weibe haben kann, auch das besudelt und mit
Kot beworfen!

Das waren böse, böse Tage.

Was sollte nun weiter werden, und wie sollte ich Anna gegenübertreten?
Sie sah mich so groß und angstvoll an, als sie das erstemal nach diesen
Enthüllungen bei mir war; und am Tage darauf wagte sie die Frage, die
kommen mußte. Ich wollte nichts sagen, aber sie sah mirs wohl an, daß
etwas Schweres mich bedrücke und wurde dringender. Was sollte ich tun? —

Ohne Überlegung sagte ich ihr schließlich alles, so wie mir ums Herz war.

Ich sehe sie noch vor mir. Da sitzt sie am Tisch und starrt aus dem blut¬
leeren Gesicht mit großen Augen wie abwesend in das vor ihr aufgeschlagene
Buch. Um ihre Mundwinkel zuckt es; sie sucht die aufquellenden Tränen
zurückzuhalten; aber durch ihren ganzen Körper geht ein Beben. Lange
schweigen wir beide. Dann klappt sie das Buch zu, erhebt sich langsam und
reicht mir die Hand.

„Das ist schlecht von den Menschen," sagt sie fast tonlos. „Nun muß ich
fort und darf nie wiederkommen."

„Ja, liebe Anna," antworte ich, „es muß wohl so sein. Nelken Sie von
Ihrem guten Namen, was noch zu retten ist."

Da steht sie mich an in Wehmut und Mitleid: „Was liegt an mir?
Aber um Sie muß ich fortbleiben."

„Was?" sageich, „Anna! Um meinetwillen wollten Sie aufgeben, was
wir so schön und erfolgreich begonnen haben? Um mich wollen Sie verzichten auf die
Zukunft, an der wir gebaut haben mit stiller Freude in diesen heimlichen Stunden?"


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[0540] Briefe aus Trebeldorf Wohnung kommen zu lassen. Das sei die Richtige. Es sei einfach ein empörender Skandal. Zu guter Letzt habe der wackere Korrektor sich gar noch nach Knechtsmanier mit dem Fritze Adlers um das Frauenzimmer geprügelt, — Und so einer wolle nun Lehrer sein!-- So ist es umgegangen hinter meinem Rücken tagelang. Die meisten von denen, mit welchen ich sonst wohl ein freundliches Wort tauschte oder einen höflichen Gruß, sind mir scheu aus dem Wege gegangen oder haben zur Seite gesehen. Als selbst der würdige Präparandenvorsteher sein Wesen gegen mich zu verändern begann, da gingen mir die Augen auf, und ich merkte, daß irgend etwas ganz Tolles im Werke sein müsse. Da habe ich ihn gefragt und gebeten um die ganze Wahrheit, und er hat mir alles enthüllt. Das rechne ich ihm hoch an. Trotzdem mag es leicht sein, daß noch schlimmere Verleumdungen in die Welt gesetzt sind, die er aus vornehmer Rücksicht verschwiegen hat. All meine Mannhaftigkeit habe ich ihm gegenüber zusammengenommen. Als ich dann aber auf mein Zimmer kam und mich ganz allein wußte mit mir selbst, da wars vorbei mit meiner Fassung. Ich habe geweint wie ein Kind. Du darfst es wissen, mein Cunz. Also auch das reinste, schönste, unschuldigste Verhältnis, das der Mann zum Weibe haben kann, auch das besudelt und mit Kot beworfen! Das waren böse, böse Tage. Was sollte nun weiter werden, und wie sollte ich Anna gegenübertreten? Sie sah mich so groß und angstvoll an, als sie das erstemal nach diesen Enthüllungen bei mir war; und am Tage darauf wagte sie die Frage, die kommen mußte. Ich wollte nichts sagen, aber sie sah mirs wohl an, daß etwas Schweres mich bedrücke und wurde dringender. Was sollte ich tun? — Ohne Überlegung sagte ich ihr schließlich alles, so wie mir ums Herz war. Ich sehe sie noch vor mir. Da sitzt sie am Tisch und starrt aus dem blut¬ leeren Gesicht mit großen Augen wie abwesend in das vor ihr aufgeschlagene Buch. Um ihre Mundwinkel zuckt es; sie sucht die aufquellenden Tränen zurückzuhalten; aber durch ihren ganzen Körper geht ein Beben. Lange schweigen wir beide. Dann klappt sie das Buch zu, erhebt sich langsam und reicht mir die Hand. „Das ist schlecht von den Menschen," sagt sie fast tonlos. „Nun muß ich fort und darf nie wiederkommen." „Ja, liebe Anna," antworte ich, „es muß wohl so sein. Nelken Sie von Ihrem guten Namen, was noch zu retten ist." Da steht sie mich an in Wehmut und Mitleid: „Was liegt an mir? Aber um Sie muß ich fortbleiben." „Was?" sageich, „Anna! Um meinetwillen wollten Sie aufgeben, was wir so schön und erfolgreich begonnen haben? Um mich wollen Sie verzichten auf die Zukunft, an der wir gebaut haben mit stiller Freude in diesen heimlichen Stunden?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/540>, abgerufen am 23.12.2024.