Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe ans Trebeldorf

Welche glänzenden Fortschritte trotz aller möglichen häuslichen Arbeit! -- Ich
gebe ihr aus meiner Bibliothek die verschiedensten Bücher mit nach Hause, und
es ist geradeaus ein Wunder, mit welch durchdringender Klarheit und welch
warmer Seele sie jedesmal nachher über alles zu fragen und zu sprechen weiß.

Nun rate mir, lieber Cunz. Soll ich abwarten oder sofort kündigen?
Lange ist meines Bleibens hier nicht mehr. Das fühle ich wohl.

Heut Abend war übrigens ein interessanter Reisender drüben im Hotel,
ein gebildeter, weit herumgekommener Mann. Er kennt viele große und kleine
Städte des In- und Auslandes, aber so eine wie Trebeldorf, sagt er, ist ihm
noch nicht vorgekommen. Sie ist keineswegs der Typus der Kleinstadt, sondern
in jeder Hinsicht abnorm.


Gruß
Eoward.

Trebeldorf, den 6. März 19 . .


Lieber Cunz,

was habe ich nur verbrochen, daß alle Geister der Hölle auf mich losge¬
lassen sind?

Augenblicklich haben meine Kopfschmerzen etwas nachgelassen, und ich will
versuchen in kurzem Zusammenhange deutlich zu sein.

Als ich vor neun Tagen abends etwas nach zehn Uhr im Dunkeln von
meiner Schachpartie beim Präparandenvorsteher nach Hause zurückkehre, geht
plötzlich neben mir in etwa gleichem Schritt ein Mensch, dessen ich nicht weiter
achte. Ich bin an der Haustür und will aufschließen, da fühle ich meinen
Hut heruntergerissen und in demselben Augenblick einen harten, schweren Schlag
wie mit einem Stück Eisen über meinen Hinterkopf. Ich habe noch soviel Kraft
mich schnell umzuwenden und auf den Angreifer zu stürzen. Der taumelt
rücklings zu Boden; aber schon fühle ich das warme Blut mir in den Nacken
hinabrinnen, und mir wird eigentümlich übel. Ich schreie nach der Polizei.
Der Bursche, auf dem ich kniee, entwindet sich mir und entkommt. -- Was
weiter gewesen ist, weiß ich nicht.

Drei Tage danach erwache ich in meinem Bett mit verbundenem Kopf-
Mir ist, als habe ich schwere, quälende Träume gehabt.

Bald kommt Doktor Henschel und erzählt, daß ich um Haaresbreite am
Tode vorbeigegangen bin. -- Den Burschen, der mich meuchlings überfallen
hat, haben sie gefaßt, weil er im Hinstürzen den rechten Fuß verstaucht hat.
Es ist -- Fritze Adlers. Er will nicht gestehen, was ihn zu dem Attentat
getrieben hat. -- Der Mensch muß mich furchtbar hassen. Gut, daß ihn Anna
von sich gewiesen hat. In dem steckt eine brutale Seele. --

Seit vier Tagen kann ich wieder im Zimmer umherwandern, und über¬
morgen denke ich den Dienst wieder aufzunehmen.

Anna hat sich immer getreulich nach mir erkundigt. Gestern ist sie eine
Stunde hier gewesen und heute auch mit Paul. Sie war ganz aufgelöst, daß


Briefe ans Trebeldorf

Welche glänzenden Fortschritte trotz aller möglichen häuslichen Arbeit! — Ich
gebe ihr aus meiner Bibliothek die verschiedensten Bücher mit nach Hause, und
es ist geradeaus ein Wunder, mit welch durchdringender Klarheit und welch
warmer Seele sie jedesmal nachher über alles zu fragen und zu sprechen weiß.

Nun rate mir, lieber Cunz. Soll ich abwarten oder sofort kündigen?
Lange ist meines Bleibens hier nicht mehr. Das fühle ich wohl.

Heut Abend war übrigens ein interessanter Reisender drüben im Hotel,
ein gebildeter, weit herumgekommener Mann. Er kennt viele große und kleine
Städte des In- und Auslandes, aber so eine wie Trebeldorf, sagt er, ist ihm
noch nicht vorgekommen. Sie ist keineswegs der Typus der Kleinstadt, sondern
in jeder Hinsicht abnorm.


Gruß
Eoward.

Trebeldorf, den 6. März 19 . .


Lieber Cunz,

was habe ich nur verbrochen, daß alle Geister der Hölle auf mich losge¬
lassen sind?

Augenblicklich haben meine Kopfschmerzen etwas nachgelassen, und ich will
versuchen in kurzem Zusammenhange deutlich zu sein.

Als ich vor neun Tagen abends etwas nach zehn Uhr im Dunkeln von
meiner Schachpartie beim Präparandenvorsteher nach Hause zurückkehre, geht
plötzlich neben mir in etwa gleichem Schritt ein Mensch, dessen ich nicht weiter
achte. Ich bin an der Haustür und will aufschließen, da fühle ich meinen
Hut heruntergerissen und in demselben Augenblick einen harten, schweren Schlag
wie mit einem Stück Eisen über meinen Hinterkopf. Ich habe noch soviel Kraft
mich schnell umzuwenden und auf den Angreifer zu stürzen. Der taumelt
rücklings zu Boden; aber schon fühle ich das warme Blut mir in den Nacken
hinabrinnen, und mir wird eigentümlich übel. Ich schreie nach der Polizei.
Der Bursche, auf dem ich kniee, entwindet sich mir und entkommt. — Was
weiter gewesen ist, weiß ich nicht.

Drei Tage danach erwache ich in meinem Bett mit verbundenem Kopf-
Mir ist, als habe ich schwere, quälende Träume gehabt.

Bald kommt Doktor Henschel und erzählt, daß ich um Haaresbreite am
Tode vorbeigegangen bin. — Den Burschen, der mich meuchlings überfallen
hat, haben sie gefaßt, weil er im Hinstürzen den rechten Fuß verstaucht hat.
Es ist — Fritze Adlers. Er will nicht gestehen, was ihn zu dem Attentat
getrieben hat. — Der Mensch muß mich furchtbar hassen. Gut, daß ihn Anna
von sich gewiesen hat. In dem steckt eine brutale Seele. —

Seit vier Tagen kann ich wieder im Zimmer umherwandern, und über¬
morgen denke ich den Dienst wieder aufzunehmen.

Anna hat sich immer getreulich nach mir erkundigt. Gestern ist sie eine
Stunde hier gewesen und heute auch mit Paul. Sie war ganz aufgelöst, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325408"/>
          <fw type="header" place="top"> Briefe ans Trebeldorf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2533" prev="#ID_2532"> Welche glänzenden Fortschritte trotz aller möglichen häuslichen Arbeit! &#x2014; Ich<lb/>
gebe ihr aus meiner Bibliothek die verschiedensten Bücher mit nach Hause, und<lb/>
es ist geradeaus ein Wunder, mit welch durchdringender Klarheit und welch<lb/>
warmer Seele sie jedesmal nachher über alles zu fragen und zu sprechen weiß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2534"> Nun rate mir, lieber Cunz. Soll ich abwarten oder sofort kündigen?<lb/>
Lange ist meines Bleibens hier nicht mehr. Das fühle ich wohl.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2535"> Heut Abend war übrigens ein interessanter Reisender drüben im Hotel,<lb/>
ein gebildeter, weit herumgekommener Mann. Er kennt viele große und kleine<lb/>
Städte des In- und Auslandes, aber so eine wie Trebeldorf, sagt er, ist ihm<lb/>
noch nicht vorgekommen. Sie ist keineswegs der Typus der Kleinstadt, sondern<lb/>
in jeder Hinsicht abnorm.</p><lb/>
          <note type="closer"> Gruß<lb/><note type="bibl"> Eoward.</note></note><lb/>
          <p xml:id="ID_2536"> Trebeldorf, den 6. März 19 . .</p><lb/>
          <note type="salute"> Lieber Cunz,</note><lb/>
          <p xml:id="ID_2537"> was habe ich nur verbrochen, daß alle Geister der Hölle auf mich losge¬<lb/>
lassen sind?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2538"> Augenblicklich haben meine Kopfschmerzen etwas nachgelassen, und ich will<lb/>
versuchen in kurzem Zusammenhange deutlich zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2539"> Als ich vor neun Tagen abends etwas nach zehn Uhr im Dunkeln von<lb/>
meiner Schachpartie beim Präparandenvorsteher nach Hause zurückkehre, geht<lb/>
plötzlich neben mir in etwa gleichem Schritt ein Mensch, dessen ich nicht weiter<lb/>
achte. Ich bin an der Haustür und will aufschließen, da fühle ich meinen<lb/>
Hut heruntergerissen und in demselben Augenblick einen harten, schweren Schlag<lb/>
wie mit einem Stück Eisen über meinen Hinterkopf. Ich habe noch soviel Kraft<lb/>
mich schnell umzuwenden und auf den Angreifer zu stürzen. Der taumelt<lb/>
rücklings zu Boden; aber schon fühle ich das warme Blut mir in den Nacken<lb/>
hinabrinnen, und mir wird eigentümlich übel. Ich schreie nach der Polizei.<lb/>
Der Bursche, auf dem ich kniee, entwindet sich mir und entkommt. &#x2014; Was<lb/>
weiter gewesen ist, weiß ich nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2540"> Drei Tage danach erwache ich in meinem Bett mit verbundenem Kopf-<lb/>
Mir ist, als habe ich schwere, quälende Träume gehabt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2541"> Bald kommt Doktor Henschel und erzählt, daß ich um Haaresbreite am<lb/>
Tode vorbeigegangen bin. &#x2014; Den Burschen, der mich meuchlings überfallen<lb/>
hat, haben sie gefaßt, weil er im Hinstürzen den rechten Fuß verstaucht hat.<lb/>
Es ist &#x2014; Fritze Adlers. Er will nicht gestehen, was ihn zu dem Attentat<lb/>
getrieben hat. &#x2014; Der Mensch muß mich furchtbar hassen. Gut, daß ihn Anna<lb/>
von sich gewiesen hat.  In dem steckt eine brutale Seele. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2542"> Seit vier Tagen kann ich wieder im Zimmer umherwandern, und über¬<lb/>
morgen denke ich den Dienst wieder aufzunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2543" next="#ID_2544"> Anna hat sich immer getreulich nach mir erkundigt. Gestern ist sie eine<lb/>
Stunde hier gewesen und heute auch mit Paul.  Sie war ganz aufgelöst, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] Briefe ans Trebeldorf Welche glänzenden Fortschritte trotz aller möglichen häuslichen Arbeit! — Ich gebe ihr aus meiner Bibliothek die verschiedensten Bücher mit nach Hause, und es ist geradeaus ein Wunder, mit welch durchdringender Klarheit und welch warmer Seele sie jedesmal nachher über alles zu fragen und zu sprechen weiß. Nun rate mir, lieber Cunz. Soll ich abwarten oder sofort kündigen? Lange ist meines Bleibens hier nicht mehr. Das fühle ich wohl. Heut Abend war übrigens ein interessanter Reisender drüben im Hotel, ein gebildeter, weit herumgekommener Mann. Er kennt viele große und kleine Städte des In- und Auslandes, aber so eine wie Trebeldorf, sagt er, ist ihm noch nicht vorgekommen. Sie ist keineswegs der Typus der Kleinstadt, sondern in jeder Hinsicht abnorm. Gruß Eoward. Trebeldorf, den 6. März 19 . . Lieber Cunz, was habe ich nur verbrochen, daß alle Geister der Hölle auf mich losge¬ lassen sind? Augenblicklich haben meine Kopfschmerzen etwas nachgelassen, und ich will versuchen in kurzem Zusammenhange deutlich zu sein. Als ich vor neun Tagen abends etwas nach zehn Uhr im Dunkeln von meiner Schachpartie beim Präparandenvorsteher nach Hause zurückkehre, geht plötzlich neben mir in etwa gleichem Schritt ein Mensch, dessen ich nicht weiter achte. Ich bin an der Haustür und will aufschließen, da fühle ich meinen Hut heruntergerissen und in demselben Augenblick einen harten, schweren Schlag wie mit einem Stück Eisen über meinen Hinterkopf. Ich habe noch soviel Kraft mich schnell umzuwenden und auf den Angreifer zu stürzen. Der taumelt rücklings zu Boden; aber schon fühle ich das warme Blut mir in den Nacken hinabrinnen, und mir wird eigentümlich übel. Ich schreie nach der Polizei. Der Bursche, auf dem ich kniee, entwindet sich mir und entkommt. — Was weiter gewesen ist, weiß ich nicht. Drei Tage danach erwache ich in meinem Bett mit verbundenem Kopf- Mir ist, als habe ich schwere, quälende Träume gehabt. Bald kommt Doktor Henschel und erzählt, daß ich um Haaresbreite am Tode vorbeigegangen bin. — Den Burschen, der mich meuchlings überfallen hat, haben sie gefaßt, weil er im Hinstürzen den rechten Fuß verstaucht hat. Es ist — Fritze Adlers. Er will nicht gestehen, was ihn zu dem Attentat getrieben hat. — Der Mensch muß mich furchtbar hassen. Gut, daß ihn Anna von sich gewiesen hat. In dem steckt eine brutale Seele. — Seit vier Tagen kann ich wieder im Zimmer umherwandern, und über¬ morgen denke ich den Dienst wieder aufzunehmen. Anna hat sich immer getreulich nach mir erkundigt. Gestern ist sie eine Stunde hier gewesen und heute auch mit Paul. Sie war ganz aufgelöst, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/538>, abgerufen am 23.12.2024.