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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Schon lag es mir auf der Zunge zu fragen, ob denn wohl alle Rektoren
in ständigen Bewußtsein ihrer Würde über den Erdball schritten und wie das
mit der Fahrt im Kälberwagen gewesen sei. aber ich verbiß mirs und er¬
laubte mir nur die Gegenbemerkung, daß ich taktlos genug sei, in meinem
Komödienspiel nichts Würdeloses erblicken zu können.

"Geschmackssache." meinte er. "Jedenfalls hat sich ein Lehrer mit ganzer
Kraft einzig seinem Amte zu widmen."

"Und wann hätte ich im Amte auch nur einen Augenblick meine Pflicht
verletzt?" frage ich. "Ich glaube nicht, Herr Rektor, daß ein Recht besteht,
nach dem mir Privatvergnügungen so harmloser Art verboten werden könnten.
Sollte es trotzdem geschehen, so würde mit dem Mittel ein besserer Lehrer aus
mir nicht gezüchtet werden, wohl aber ein freudloser, mürrischer, verdrossener.
Ich habe nicht Lust, in diesem Nest zum Staubküster zu verschrumpfen."

"Sie hätten unserem würdigen alten Pastor neulich die Vertretung im
Kaffee nicht abschlagen sollen."

"Aha." antwortete ich, "von daher kommt die Brise. Sie sprechen in
höherem Auftrage. Deshalb also auch die auffallend vielen Inspektionen
meines Unterrichtes in den letzten Tagen."

Nun kommt er ganz aus dem Häuschen, während in mir allmählich die
volle Ruhe Oberhand gewinnt. Er verbittet sich derartige "Insinuationen",
worauf ich erkläre, daß ich mir von der Fortsetzung der Verhandlungen in
dieser Form keinen Erfolg verspreche.

Was weiter wird, weiß ich nicht. Ich darf es in Ruhe abwarten. --
Von dem Rektor hätte ich eine solche Engbrüstigkeit nicht erwartet.

Am besten wäre es nun, ich ginge. Laß mich ruhig ein halbes Jahr
auf dem Trocknen sitzen. Ich komme schon durch, bis ich eine Stelle wieder
habe. Gottlob bin ich darauf überhaupt nicht angewiesen.

Was meinst Du? Am liebsten würfe ich ihnen den Kram gleich vor die
Füße. Doch schon höre ich Deine besonnene Mahnung: "Nicht gleich wieder
so hitzig, alter Junge." -- Nun ja, bis zum Herbst muß ich wohl aushalten,
aber die Kündigung könnte ich jedenfalls gleich aussprechen.

Wenn nur Anna nicht wäre! Sie und ihr Bruder sind in der Tat die
einzigen Wesen, die mich hier fesseln. -- Ja. mein lieber Cunz. laß es mich
endlich offen aussprechen, was Du ja doch lange herausgefühlt hast: ich liebe
dieses Mädchen. Aber ich liebe sie nicht mit der begehrenden Glut des Jünglings,
sondern mit der ruhigen Klarheit des gereifteren Mannes. Merkwürdig, sie erscheint
mir immer als ein Kind trotz ihrer vollen Jungfräulichkeit. Das ist wohl daher, weil
ich sie unterrichte.--Nein, nein, Cunz, sage was Du willst; es ist so.

Ich fühle die Pflicht, die Aufgabe, die ich gegen sie übernommen habe,
nun auch bis zum Ende hinauszuführen.

Wenn Du wüßtest, welch eine Freude das ist mit dem Mädchen. Was
bin ich selber diesem hellen, Verstände und diesem reinen Gemüt gegenüber!


Briefe aus Trebeldorf

Schon lag es mir auf der Zunge zu fragen, ob denn wohl alle Rektoren
in ständigen Bewußtsein ihrer Würde über den Erdball schritten und wie das
mit der Fahrt im Kälberwagen gewesen sei. aber ich verbiß mirs und er¬
laubte mir nur die Gegenbemerkung, daß ich taktlos genug sei, in meinem
Komödienspiel nichts Würdeloses erblicken zu können.

„Geschmackssache." meinte er. „Jedenfalls hat sich ein Lehrer mit ganzer
Kraft einzig seinem Amte zu widmen."

„Und wann hätte ich im Amte auch nur einen Augenblick meine Pflicht
verletzt?" frage ich. „Ich glaube nicht, Herr Rektor, daß ein Recht besteht,
nach dem mir Privatvergnügungen so harmloser Art verboten werden könnten.
Sollte es trotzdem geschehen, so würde mit dem Mittel ein besserer Lehrer aus
mir nicht gezüchtet werden, wohl aber ein freudloser, mürrischer, verdrossener.
Ich habe nicht Lust, in diesem Nest zum Staubküster zu verschrumpfen."

„Sie hätten unserem würdigen alten Pastor neulich die Vertretung im
Kaffee nicht abschlagen sollen."

„Aha." antwortete ich, „von daher kommt die Brise. Sie sprechen in
höherem Auftrage. Deshalb also auch die auffallend vielen Inspektionen
meines Unterrichtes in den letzten Tagen."

Nun kommt er ganz aus dem Häuschen, während in mir allmählich die
volle Ruhe Oberhand gewinnt. Er verbittet sich derartige „Insinuationen",
worauf ich erkläre, daß ich mir von der Fortsetzung der Verhandlungen in
dieser Form keinen Erfolg verspreche.

Was weiter wird, weiß ich nicht. Ich darf es in Ruhe abwarten. —
Von dem Rektor hätte ich eine solche Engbrüstigkeit nicht erwartet.

Am besten wäre es nun, ich ginge. Laß mich ruhig ein halbes Jahr
auf dem Trocknen sitzen. Ich komme schon durch, bis ich eine Stelle wieder
habe. Gottlob bin ich darauf überhaupt nicht angewiesen.

Was meinst Du? Am liebsten würfe ich ihnen den Kram gleich vor die
Füße. Doch schon höre ich Deine besonnene Mahnung: „Nicht gleich wieder
so hitzig, alter Junge." — Nun ja, bis zum Herbst muß ich wohl aushalten,
aber die Kündigung könnte ich jedenfalls gleich aussprechen.

Wenn nur Anna nicht wäre! Sie und ihr Bruder sind in der Tat die
einzigen Wesen, die mich hier fesseln. — Ja. mein lieber Cunz. laß es mich
endlich offen aussprechen, was Du ja doch lange herausgefühlt hast: ich liebe
dieses Mädchen. Aber ich liebe sie nicht mit der begehrenden Glut des Jünglings,
sondern mit der ruhigen Klarheit des gereifteren Mannes. Merkwürdig, sie erscheint
mir immer als ein Kind trotz ihrer vollen Jungfräulichkeit. Das ist wohl daher, weil
ich sie unterrichte.--Nein, nein, Cunz, sage was Du willst; es ist so.

Ich fühle die Pflicht, die Aufgabe, die ich gegen sie übernommen habe,
nun auch bis zum Ende hinauszuführen.

Wenn Du wüßtest, welch eine Freude das ist mit dem Mädchen. Was
bin ich selber diesem hellen, Verstände und diesem reinen Gemüt gegenüber!


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[0537] Briefe aus Trebeldorf Schon lag es mir auf der Zunge zu fragen, ob denn wohl alle Rektoren in ständigen Bewußtsein ihrer Würde über den Erdball schritten und wie das mit der Fahrt im Kälberwagen gewesen sei. aber ich verbiß mirs und er¬ laubte mir nur die Gegenbemerkung, daß ich taktlos genug sei, in meinem Komödienspiel nichts Würdeloses erblicken zu können. „Geschmackssache." meinte er. „Jedenfalls hat sich ein Lehrer mit ganzer Kraft einzig seinem Amte zu widmen." „Und wann hätte ich im Amte auch nur einen Augenblick meine Pflicht verletzt?" frage ich. „Ich glaube nicht, Herr Rektor, daß ein Recht besteht, nach dem mir Privatvergnügungen so harmloser Art verboten werden könnten. Sollte es trotzdem geschehen, so würde mit dem Mittel ein besserer Lehrer aus mir nicht gezüchtet werden, wohl aber ein freudloser, mürrischer, verdrossener. Ich habe nicht Lust, in diesem Nest zum Staubküster zu verschrumpfen." „Sie hätten unserem würdigen alten Pastor neulich die Vertretung im Kaffee nicht abschlagen sollen." „Aha." antwortete ich, „von daher kommt die Brise. Sie sprechen in höherem Auftrage. Deshalb also auch die auffallend vielen Inspektionen meines Unterrichtes in den letzten Tagen." Nun kommt er ganz aus dem Häuschen, während in mir allmählich die volle Ruhe Oberhand gewinnt. Er verbittet sich derartige „Insinuationen", worauf ich erkläre, daß ich mir von der Fortsetzung der Verhandlungen in dieser Form keinen Erfolg verspreche. Was weiter wird, weiß ich nicht. Ich darf es in Ruhe abwarten. — Von dem Rektor hätte ich eine solche Engbrüstigkeit nicht erwartet. Am besten wäre es nun, ich ginge. Laß mich ruhig ein halbes Jahr auf dem Trocknen sitzen. Ich komme schon durch, bis ich eine Stelle wieder habe. Gottlob bin ich darauf überhaupt nicht angewiesen. Was meinst Du? Am liebsten würfe ich ihnen den Kram gleich vor die Füße. Doch schon höre ich Deine besonnene Mahnung: „Nicht gleich wieder so hitzig, alter Junge." — Nun ja, bis zum Herbst muß ich wohl aushalten, aber die Kündigung könnte ich jedenfalls gleich aussprechen. Wenn nur Anna nicht wäre! Sie und ihr Bruder sind in der Tat die einzigen Wesen, die mich hier fesseln. — Ja. mein lieber Cunz. laß es mich endlich offen aussprechen, was Du ja doch lange herausgefühlt hast: ich liebe dieses Mädchen. Aber ich liebe sie nicht mit der begehrenden Glut des Jünglings, sondern mit der ruhigen Klarheit des gereifteren Mannes. Merkwürdig, sie erscheint mir immer als ein Kind trotz ihrer vollen Jungfräulichkeit. Das ist wohl daher, weil ich sie unterrichte.--Nein, nein, Cunz, sage was Du willst; es ist so. Ich fühle die Pflicht, die Aufgabe, die ich gegen sie übernommen habe, nun auch bis zum Ende hinauszuführen. Wenn Du wüßtest, welch eine Freude das ist mit dem Mädchen. Was bin ich selber diesem hellen, Verstände und diesem reinen Gemüt gegenüber!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/537>, abgerufen am 24.07.2024.