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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

oder der kleine Apotheker. Zum Schlüsse landen wir dann in der Gaststube
bei Pegelow, wo das Turnerfest stattgefunden hat, trinken bescheiden unser
Töpfchen Bier und -- trödeln.

Du lächelst? In der Tat ein mehr als harmloses Vergnügen! Es ent¬
wickelt sich aber dabei -- auch die Damen machen natürlich mit -- jedesmal
eine urbehagliche Stimmung, in der wir dann allerhand lustige Reime schmieden
und guten Freunden und Verwandten in poetischem Gewände unsere "Knobel¬
grüße" zusenden. Immer und immer wieder werden die Verse vorgelesen,
und wir berauschen uns an ihnen. -- Wenn die Empfänger nur halbwegs
soviele Freude an den Dingern haben wie wir selber, so dürfen wir zufrieden
sein. Wer weiß, ob Du nicht auch demnächst mit einer Knobelkarte ge¬
segnet wirst.


Alters erzlichsten Gruß! Edward.

Trebeldorf, den 24. Februar 19 . .

Lieber Cunz, Dein Brief ist zur rechten Zeit gekommen. Das ist der
alte, echte Ton des sonnigen Menschen, den ich immer an Dir geliebt habe.
Gerade heute bedarf ich eines so erquickenden Zuspruchs. Es ist, als hättest
Du eine Ahnung gehabt von dem, was inzwischen geschehen ist.

Nicht genug, daß man vom Schicksal überhaupt an dies Niftheim gekettet
ist, auch jede kleine Freude noch muß einem vergällt werden.

Daß ich im Turnverein fröhlich gewesen bin mit den Fröhlichen, daß ich
mich auf die Bretter gestellt und das Publikum belustigt habe, das ist nun
der neueste Frevel.

O, ich Tor, ich blinder Tor! -- Warum habe ich das nicht voraus¬
gesehen! -- Alles andere sollte mir ja noch gleichgültig sein, daß ich aber dafür
einen offiziellen Rüssel einstecken muß, ist zuviel.

Nun sogar der Rektor. Mit Amtsmiene schreitet er heute Vormittag auf
mich zu und spricht: "Lieber Kollege, Sie haben auf öffentlicher Bühne Komödie
gespielt."

"Allerdings, vor einer Woche, und zwar mit vielem Vergnügen," erwidere
ich ein wenig gereizt, da mir diese Tonart an dem Rektor völlig überraschend ist.

"Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß das Anstoß erregt hat,"
versetzt er.

"In wiefern?", frage ich. "Wir waren überdies eine geschlossene Gesellschaft."

"Die aber zu ihrem Fest Einlatzkarten verkauft hatte," entgegnet er.

"Ein großer Teil Ihres Publikums hat aus Vätern und Müttern unserer
Schüler, sogar aus Schülern selbst bestanden."

"Und alle haben sich köstlich amüsiert."

"Das ist ja gerade das Schlimme," meint er. "Der Lehrer ist kein
Spaßmacher. Er soll sich der Würde seines Amtes bewußt fein; zumal der
Korrektor soll es."


Briefe aus Trebeldorf

oder der kleine Apotheker. Zum Schlüsse landen wir dann in der Gaststube
bei Pegelow, wo das Turnerfest stattgefunden hat, trinken bescheiden unser
Töpfchen Bier und — trödeln.

Du lächelst? In der Tat ein mehr als harmloses Vergnügen! Es ent¬
wickelt sich aber dabei — auch die Damen machen natürlich mit — jedesmal
eine urbehagliche Stimmung, in der wir dann allerhand lustige Reime schmieden
und guten Freunden und Verwandten in poetischem Gewände unsere „Knobel¬
grüße" zusenden. Immer und immer wieder werden die Verse vorgelesen,
und wir berauschen uns an ihnen. — Wenn die Empfänger nur halbwegs
soviele Freude an den Dingern haben wie wir selber, so dürfen wir zufrieden
sein. Wer weiß, ob Du nicht auch demnächst mit einer Knobelkarte ge¬
segnet wirst.


Alters erzlichsten Gruß! Edward.

Trebeldorf, den 24. Februar 19 . .

Lieber Cunz, Dein Brief ist zur rechten Zeit gekommen. Das ist der
alte, echte Ton des sonnigen Menschen, den ich immer an Dir geliebt habe.
Gerade heute bedarf ich eines so erquickenden Zuspruchs. Es ist, als hättest
Du eine Ahnung gehabt von dem, was inzwischen geschehen ist.

Nicht genug, daß man vom Schicksal überhaupt an dies Niftheim gekettet
ist, auch jede kleine Freude noch muß einem vergällt werden.

Daß ich im Turnverein fröhlich gewesen bin mit den Fröhlichen, daß ich
mich auf die Bretter gestellt und das Publikum belustigt habe, das ist nun
der neueste Frevel.

O, ich Tor, ich blinder Tor! — Warum habe ich das nicht voraus¬
gesehen! — Alles andere sollte mir ja noch gleichgültig sein, daß ich aber dafür
einen offiziellen Rüssel einstecken muß, ist zuviel.

Nun sogar der Rektor. Mit Amtsmiene schreitet er heute Vormittag auf
mich zu und spricht: „Lieber Kollege, Sie haben auf öffentlicher Bühne Komödie
gespielt."

„Allerdings, vor einer Woche, und zwar mit vielem Vergnügen," erwidere
ich ein wenig gereizt, da mir diese Tonart an dem Rektor völlig überraschend ist.

„Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß das Anstoß erregt hat,"
versetzt er.

„In wiefern?", frage ich. „Wir waren überdies eine geschlossene Gesellschaft."

„Die aber zu ihrem Fest Einlatzkarten verkauft hatte," entgegnet er.

„Ein großer Teil Ihres Publikums hat aus Vätern und Müttern unserer
Schüler, sogar aus Schülern selbst bestanden."

„Und alle haben sich köstlich amüsiert."

„Das ist ja gerade das Schlimme," meint er. „Der Lehrer ist kein
Spaßmacher. Er soll sich der Würde seines Amtes bewußt fein; zumal der
Korrektor soll es."


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[0536] Briefe aus Trebeldorf oder der kleine Apotheker. Zum Schlüsse landen wir dann in der Gaststube bei Pegelow, wo das Turnerfest stattgefunden hat, trinken bescheiden unser Töpfchen Bier und — trödeln. Du lächelst? In der Tat ein mehr als harmloses Vergnügen! Es ent¬ wickelt sich aber dabei — auch die Damen machen natürlich mit — jedesmal eine urbehagliche Stimmung, in der wir dann allerhand lustige Reime schmieden und guten Freunden und Verwandten in poetischem Gewände unsere „Knobel¬ grüße" zusenden. Immer und immer wieder werden die Verse vorgelesen, und wir berauschen uns an ihnen. — Wenn die Empfänger nur halbwegs soviele Freude an den Dingern haben wie wir selber, so dürfen wir zufrieden sein. Wer weiß, ob Du nicht auch demnächst mit einer Knobelkarte ge¬ segnet wirst. Alters erzlichsten Gruß! Edward. Trebeldorf, den 24. Februar 19 . . Lieber Cunz, Dein Brief ist zur rechten Zeit gekommen. Das ist der alte, echte Ton des sonnigen Menschen, den ich immer an Dir geliebt habe. Gerade heute bedarf ich eines so erquickenden Zuspruchs. Es ist, als hättest Du eine Ahnung gehabt von dem, was inzwischen geschehen ist. Nicht genug, daß man vom Schicksal überhaupt an dies Niftheim gekettet ist, auch jede kleine Freude noch muß einem vergällt werden. Daß ich im Turnverein fröhlich gewesen bin mit den Fröhlichen, daß ich mich auf die Bretter gestellt und das Publikum belustigt habe, das ist nun der neueste Frevel. O, ich Tor, ich blinder Tor! — Warum habe ich das nicht voraus¬ gesehen! — Alles andere sollte mir ja noch gleichgültig sein, daß ich aber dafür einen offiziellen Rüssel einstecken muß, ist zuviel. Nun sogar der Rektor. Mit Amtsmiene schreitet er heute Vormittag auf mich zu und spricht: „Lieber Kollege, Sie haben auf öffentlicher Bühne Komödie gespielt." „Allerdings, vor einer Woche, und zwar mit vielem Vergnügen," erwidere ich ein wenig gereizt, da mir diese Tonart an dem Rektor völlig überraschend ist. „Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß das Anstoß erregt hat," versetzt er. „In wiefern?", frage ich. „Wir waren überdies eine geschlossene Gesellschaft." „Die aber zu ihrem Fest Einlatzkarten verkauft hatte," entgegnet er. „Ein großer Teil Ihres Publikums hat aus Vätern und Müttern unserer Schüler, sogar aus Schülern selbst bestanden." „Und alle haben sich köstlich amüsiert." „Das ist ja gerade das Schlimme," meint er. „Der Lehrer ist kein Spaßmacher. Er soll sich der Würde seines Amtes bewußt fein; zumal der Korrektor soll es."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/536>, abgerufen am 22.12.2024.