Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe aus Trebeldorf

bedeutenden Brettern des Herzens höchste Wonne ist. das wird mir in über¬
reichen Maße zuteil.

Der Sturz in die Kiste und die zitierten Schlußworte sichern mir den
glänzendsten Abgang.

Es war ein Erfolg, wie er einzig dasteht in der Geschichte des Theaters.

So bin ich nun zu dieser Gesellschaft zweiter Garnitur hinabgestiegen und
habe in ihr einen herzensfröhlichen Abend verlebt. -- Wie in den niederen
Schichten überhaupt, so herrscht auch hier im Verkehr zwischen Männern und
Frauen ein durchweg derber Ton. und unter den Burschen lassen manche, die
schnell über den Durst trinken, sich gehen in breitspuriger Manierenlosigkeit.
Aber in all diesem ungezwungenen Wesen steckt Wahrheit, Echtheit und Natür¬
lichkeit; und wer von den Oberen sich nur einmal rechte Mühe gibt, die große
Kluft zu überwinden, die befestigt ist zwischen ihm und dem "unteren Volke",
wer nur die Lust hat zu lesen in den Seelen dieser einfachen Leute, der findet
viel aufrichtige Biederkeit, viel braves Pflichtgefühl, viel Hochherzigkeit, edle Treue
und viel hellen Verstand, lauter Eigenschaften, die tausendmal mehr wert sind als
alle flüchtig aufgetragene Bildungsschminke. Hier dürfte mancher, dem Zöllner gleich,
beschämt an seine Brust schlagen, wenn in ihm der Wille ist zu ehrlicher Erkenntnis.

Hab ich nicht immer noch allerlei Talent zum Plebejer? Laß mirs. Es
ist vielleicht mein besseres Teil.

Selbstredend habe ich mich auch in den Tanz mit Eifer gestürzt. Wie
ganz anders doch hier alles als neulich im Pipenklubl Ich hatte das Faustsche
Gefühl: "Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein." -- Oder habe ich nur mit
anderen Augen gesehen?

Vater Ewert war auch dort mit Anna; und sie war Ballkönigin. Was
haben sich die Tänzer um sie gerissen I Ihrer drei, vier und mehr stürzten
regelmäßig auf sie ein. sobald ein neuer Reigen begann. Den ganzen Abend
hat sie keine Minute gesessen. -- Wie schön sie aber auch war in ihrem schlichten
Kleide I Ich habe meine stille Freude dran gehabt.

Ein paarmal habe ich auch mit ihr getanzt, absichtlich nicht zu viel,
besonders wegen des Fritze Adlers. Der hat mich gejammert, als er in der
allgemeinen Fröhlichkeit eine ganze Weile hindurch verlassen abseits stand, nach¬
dem ihm Anna einmal einen Korb gegeben hatte. Sie hätte das nicht tun
sollen. Ich Habs ihr gesagt. Da ist es ihr leid gewesen, und ich habe sie noch
Zweimal mit ihm walzen sehen.

Wie ich zu diesem Fest gekommen bin? -- Durch den Präparandenanstalts-
vorsteher. Er ist der Ehrenvorsitzende des Vereins und hatte Frau und Tochter
mitgebracht. -- Immer mehr gewinne ich diese Leute lieb. Sie sind wohl aus
der kleinen Honoratiorenschicht die einzigen, die es nicht unter ihrer Würde
halten, sich unter das Volk zu mischen und mit ihm vergnügt zu sein.

Mit ihnen mache ich auch seit einiger Zeit meinen regelmäßigen Sonntags-
"achmittagsspaziergang. Gewöhnlich ist noch einer der jüngeren Lehrer dabei


34*
Briefe aus Trebeldorf

bedeutenden Brettern des Herzens höchste Wonne ist. das wird mir in über¬
reichen Maße zuteil.

Der Sturz in die Kiste und die zitierten Schlußworte sichern mir den
glänzendsten Abgang.

Es war ein Erfolg, wie er einzig dasteht in der Geschichte des Theaters.

So bin ich nun zu dieser Gesellschaft zweiter Garnitur hinabgestiegen und
habe in ihr einen herzensfröhlichen Abend verlebt. — Wie in den niederen
Schichten überhaupt, so herrscht auch hier im Verkehr zwischen Männern und
Frauen ein durchweg derber Ton. und unter den Burschen lassen manche, die
schnell über den Durst trinken, sich gehen in breitspuriger Manierenlosigkeit.
Aber in all diesem ungezwungenen Wesen steckt Wahrheit, Echtheit und Natür¬
lichkeit; und wer von den Oberen sich nur einmal rechte Mühe gibt, die große
Kluft zu überwinden, die befestigt ist zwischen ihm und dem „unteren Volke",
wer nur die Lust hat zu lesen in den Seelen dieser einfachen Leute, der findet
viel aufrichtige Biederkeit, viel braves Pflichtgefühl, viel Hochherzigkeit, edle Treue
und viel hellen Verstand, lauter Eigenschaften, die tausendmal mehr wert sind als
alle flüchtig aufgetragene Bildungsschminke. Hier dürfte mancher, dem Zöllner gleich,
beschämt an seine Brust schlagen, wenn in ihm der Wille ist zu ehrlicher Erkenntnis.

Hab ich nicht immer noch allerlei Talent zum Plebejer? Laß mirs. Es
ist vielleicht mein besseres Teil.

Selbstredend habe ich mich auch in den Tanz mit Eifer gestürzt. Wie
ganz anders doch hier alles als neulich im Pipenklubl Ich hatte das Faustsche
Gefühl: „Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein." — Oder habe ich nur mit
anderen Augen gesehen?

Vater Ewert war auch dort mit Anna; und sie war Ballkönigin. Was
haben sich die Tänzer um sie gerissen I Ihrer drei, vier und mehr stürzten
regelmäßig auf sie ein. sobald ein neuer Reigen begann. Den ganzen Abend
hat sie keine Minute gesessen. — Wie schön sie aber auch war in ihrem schlichten
Kleide I Ich habe meine stille Freude dran gehabt.

Ein paarmal habe ich auch mit ihr getanzt, absichtlich nicht zu viel,
besonders wegen des Fritze Adlers. Der hat mich gejammert, als er in der
allgemeinen Fröhlichkeit eine ganze Weile hindurch verlassen abseits stand, nach¬
dem ihm Anna einmal einen Korb gegeben hatte. Sie hätte das nicht tun
sollen. Ich Habs ihr gesagt. Da ist es ihr leid gewesen, und ich habe sie noch
Zweimal mit ihm walzen sehen.

Wie ich zu diesem Fest gekommen bin? — Durch den Präparandenanstalts-
vorsteher. Er ist der Ehrenvorsitzende des Vereins und hatte Frau und Tochter
mitgebracht. — Immer mehr gewinne ich diese Leute lieb. Sie sind wohl aus
der kleinen Honoratiorenschicht die einzigen, die es nicht unter ihrer Würde
halten, sich unter das Volk zu mischen und mit ihm vergnügt zu sein.

Mit ihnen mache ich auch seit einiger Zeit meinen regelmäßigen Sonntags-
»achmittagsspaziergang. Gewöhnlich ist noch einer der jüngeren Lehrer dabei


34*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0535" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325405"/>
          <fw type="header" place="top"> Briefe aus Trebeldorf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2496" prev="#ID_2495"> bedeutenden Brettern des Herzens höchste Wonne ist. das wird mir in über¬<lb/>
reichen Maße zuteil.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2497"> Der Sturz in die Kiste und die zitierten Schlußworte sichern mir den<lb/>
glänzendsten Abgang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2498"> Es war ein Erfolg, wie er einzig dasteht in der Geschichte des Theaters.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2499"> So bin ich nun zu dieser Gesellschaft zweiter Garnitur hinabgestiegen und<lb/>
habe in ihr einen herzensfröhlichen Abend verlebt. &#x2014; Wie in den niederen<lb/>
Schichten überhaupt, so herrscht auch hier im Verkehr zwischen Männern und<lb/>
Frauen ein durchweg derber Ton. und unter den Burschen lassen manche, die<lb/>
schnell über den Durst trinken, sich gehen in breitspuriger Manierenlosigkeit.<lb/>
Aber in all diesem ungezwungenen Wesen steckt Wahrheit, Echtheit und Natür¬<lb/>
lichkeit; und wer von den Oberen sich nur einmal rechte Mühe gibt, die große<lb/>
Kluft zu überwinden, die befestigt ist zwischen ihm und dem &#x201E;unteren Volke",<lb/>
wer nur die Lust hat zu lesen in den Seelen dieser einfachen Leute, der findet<lb/>
viel aufrichtige Biederkeit, viel braves Pflichtgefühl, viel Hochherzigkeit, edle Treue<lb/>
und viel hellen Verstand, lauter Eigenschaften, die tausendmal mehr wert sind als<lb/>
alle flüchtig aufgetragene Bildungsschminke. Hier dürfte mancher, dem Zöllner gleich,<lb/>
beschämt an seine Brust schlagen, wenn in ihm der Wille ist zu ehrlicher Erkenntnis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2500"> Hab ich nicht immer noch allerlei Talent zum Plebejer? Laß mirs. Es<lb/>
ist vielleicht mein besseres Teil.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2501"> Selbstredend habe ich mich auch in den Tanz mit Eifer gestürzt. Wie<lb/>
ganz anders doch hier alles als neulich im Pipenklubl Ich hatte das Faustsche<lb/>
Gefühl: &#x201E;Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein." &#x2014; Oder habe ich nur mit<lb/>
anderen Augen gesehen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2502"> Vater Ewert war auch dort mit Anna; und sie war Ballkönigin. Was<lb/>
haben sich die Tänzer um sie gerissen I Ihrer drei, vier und mehr stürzten<lb/>
regelmäßig auf sie ein. sobald ein neuer Reigen begann. Den ganzen Abend<lb/>
hat sie keine Minute gesessen. &#x2014; Wie schön sie aber auch war in ihrem schlichten<lb/>
Kleide I Ich habe meine stille Freude dran gehabt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2503"> Ein paarmal habe ich auch mit ihr getanzt, absichtlich nicht zu viel,<lb/>
besonders wegen des Fritze Adlers. Der hat mich gejammert, als er in der<lb/>
allgemeinen Fröhlichkeit eine ganze Weile hindurch verlassen abseits stand, nach¬<lb/>
dem ihm Anna einmal einen Korb gegeben hatte. Sie hätte das nicht tun<lb/>
sollen. Ich Habs ihr gesagt. Da ist es ihr leid gewesen, und ich habe sie noch<lb/>
Zweimal mit ihm walzen sehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2504"> Wie ich zu diesem Fest gekommen bin? &#x2014; Durch den Präparandenanstalts-<lb/>
vorsteher. Er ist der Ehrenvorsitzende des Vereins und hatte Frau und Tochter<lb/>
mitgebracht. &#x2014; Immer mehr gewinne ich diese Leute lieb. Sie sind wohl aus<lb/>
der kleinen Honoratiorenschicht die einzigen, die es nicht unter ihrer Würde<lb/>
halten, sich unter das Volk zu mischen und mit ihm vergnügt zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2505" next="#ID_2506"> Mit ihnen mache ich auch seit einiger Zeit meinen regelmäßigen Sonntags-<lb/>
»achmittagsspaziergang.  Gewöhnlich ist noch einer der jüngeren Lehrer dabei</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 34*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0535] Briefe aus Trebeldorf bedeutenden Brettern des Herzens höchste Wonne ist. das wird mir in über¬ reichen Maße zuteil. Der Sturz in die Kiste und die zitierten Schlußworte sichern mir den glänzendsten Abgang. Es war ein Erfolg, wie er einzig dasteht in der Geschichte des Theaters. So bin ich nun zu dieser Gesellschaft zweiter Garnitur hinabgestiegen und habe in ihr einen herzensfröhlichen Abend verlebt. — Wie in den niederen Schichten überhaupt, so herrscht auch hier im Verkehr zwischen Männern und Frauen ein durchweg derber Ton. und unter den Burschen lassen manche, die schnell über den Durst trinken, sich gehen in breitspuriger Manierenlosigkeit. Aber in all diesem ungezwungenen Wesen steckt Wahrheit, Echtheit und Natür¬ lichkeit; und wer von den Oberen sich nur einmal rechte Mühe gibt, die große Kluft zu überwinden, die befestigt ist zwischen ihm und dem „unteren Volke", wer nur die Lust hat zu lesen in den Seelen dieser einfachen Leute, der findet viel aufrichtige Biederkeit, viel braves Pflichtgefühl, viel Hochherzigkeit, edle Treue und viel hellen Verstand, lauter Eigenschaften, die tausendmal mehr wert sind als alle flüchtig aufgetragene Bildungsschminke. Hier dürfte mancher, dem Zöllner gleich, beschämt an seine Brust schlagen, wenn in ihm der Wille ist zu ehrlicher Erkenntnis. Hab ich nicht immer noch allerlei Talent zum Plebejer? Laß mirs. Es ist vielleicht mein besseres Teil. Selbstredend habe ich mich auch in den Tanz mit Eifer gestürzt. Wie ganz anders doch hier alles als neulich im Pipenklubl Ich hatte das Faustsche Gefühl: „Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein." — Oder habe ich nur mit anderen Augen gesehen? Vater Ewert war auch dort mit Anna; und sie war Ballkönigin. Was haben sich die Tänzer um sie gerissen I Ihrer drei, vier und mehr stürzten regelmäßig auf sie ein. sobald ein neuer Reigen begann. Den ganzen Abend hat sie keine Minute gesessen. — Wie schön sie aber auch war in ihrem schlichten Kleide I Ich habe meine stille Freude dran gehabt. Ein paarmal habe ich auch mit ihr getanzt, absichtlich nicht zu viel, besonders wegen des Fritze Adlers. Der hat mich gejammert, als er in der allgemeinen Fröhlichkeit eine ganze Weile hindurch verlassen abseits stand, nach¬ dem ihm Anna einmal einen Korb gegeben hatte. Sie hätte das nicht tun sollen. Ich Habs ihr gesagt. Da ist es ihr leid gewesen, und ich habe sie noch Zweimal mit ihm walzen sehen. Wie ich zu diesem Fest gekommen bin? — Durch den Präparandenanstalts- vorsteher. Er ist der Ehrenvorsitzende des Vereins und hatte Frau und Tochter mitgebracht. — Immer mehr gewinne ich diese Leute lieb. Sie sind wohl aus der kleinen Honoratiorenschicht die einzigen, die es nicht unter ihrer Würde halten, sich unter das Volk zu mischen und mit ihm vergnügt zu sein. Mit ihnen mache ich auch seit einiger Zeit meinen regelmäßigen Sonntags- »achmittagsspaziergang. Gewöhnlich ist noch einer der jüngeren Lehrer dabei 34*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/535
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/535>, abgerufen am 22.12.2024.