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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Hebbel und Heine

ist dies der Ruin, seine Berufung ist auf einem anderen Gebiet. Noch glaubt
er an seine Berufung, der Nation ein aufrüttelnder, gewissenschärfender Weg¬
weiser zu werden.

Da kommt er sich vor wie ein Soldat, der um der Tränen einer Frau
willen wegbleibt von der Fahne und vom Kampf, wenn er diesen Antrag annimmt,
der seine Kräfte für seine eigentlichen Ziele brach legt. .. .

Vielleicht Schimäre. Vielleicht liegt seine Pflicht jetzt im Menschlichen.
Elisen ihre Leiden und Sorgen zu vergelten, sich eine Existenz zu schaffen, die
glänzend sein kann. . . .

Er braucht einen Rat. Nicht von klugen, wohlmeinenden, achtungswürdigen
Alltagsmenschen. Die würden ihn nicht verstehen. Eine kongeniale Natur. . . .

Einen einzigen solchen Menschen kennt er in Paris: das ist Heine. Er
macht sich fertig, er will zu Heine gehen.

Draußen brennt das Pflaster; es wird ein heißer Tag. Er steigt die
vier Treppen des eleganten Hauses in der Rue Richelieu hinan. Die kenne
6o enambi'ö öffnet.

.Monteur est cke? lui."

Heine hat seinen guten Tag; er ist nicht mehr so schön wie auf Oppen-
Heims Bild mit dem sinnenden Ausdruck; er ist etwas angerundet und sieht
jüdischer aus als früher; seine scharfen, mokanten Augen haben etwas Zntrauen-
erweckendes. Nebenan lärmt Frau Mathilde mit den Nachbarskindern, die
sie sich zum Zeitvertreib holen darf. Die Sonne liegt über dem Zimmer, die
Jalousien stehen schräg, ein Busch Narzissen ist auf Heines Tisch, der duftet
und leuchtet.

Heine lacht, als er Hebbel sieht.

"Heut hab' ich an unseren Nährvater geschrieben in Hamburg. Wenn er
das liest, stößt er sich den Schädel ein, so hoch wird er springen vor Wut.
Ich habe jetzt einmal Bedingungen gemacht. . . ."

Schon wieder das leidige Thema. Aber das erleichtert die Anknüpfung.

"Sie wissen, daß Gutzkow weg ist von Campe, Herr Heine. . ."

Heine macht pantomimisch die Bewegung des Ausspeiens.

"Nichts von diesem Schuft. Das ist der Schufterle aus den Räubern . . ."

Hebbel lächelt:

"Laube ist viel schlechter als Charakter. Und Laube ist lieb Kind bei
Ihnen..."

Heine betrachtet die Spitzen seiner Schuhe.

"Laube hat mir nichts im Geschäft verdorben. Wer mir mein Geschäft
verdirbt, der ist mein Feind. -- Mag er sonst sein, wie er will. Laß ihn
doch leben, wollen wir doch auch leben. -- Was ist's mit dem Telegraphen?" --

"Was meinen Sie, soll ich hingehen für den Fall, daß --" sagt Hebbel
langsam und vorsichtig.

Heine wird Feuer und Flamme.


Hebbel und Heine

ist dies der Ruin, seine Berufung ist auf einem anderen Gebiet. Noch glaubt
er an seine Berufung, der Nation ein aufrüttelnder, gewissenschärfender Weg¬
weiser zu werden.

Da kommt er sich vor wie ein Soldat, der um der Tränen einer Frau
willen wegbleibt von der Fahne und vom Kampf, wenn er diesen Antrag annimmt,
der seine Kräfte für seine eigentlichen Ziele brach legt. .. .

Vielleicht Schimäre. Vielleicht liegt seine Pflicht jetzt im Menschlichen.
Elisen ihre Leiden und Sorgen zu vergelten, sich eine Existenz zu schaffen, die
glänzend sein kann. . . .

Er braucht einen Rat. Nicht von klugen, wohlmeinenden, achtungswürdigen
Alltagsmenschen. Die würden ihn nicht verstehen. Eine kongeniale Natur. . . .

Einen einzigen solchen Menschen kennt er in Paris: das ist Heine. Er
macht sich fertig, er will zu Heine gehen.

Draußen brennt das Pflaster; es wird ein heißer Tag. Er steigt die
vier Treppen des eleganten Hauses in der Rue Richelieu hinan. Die kenne
6o enambi'ö öffnet.

.Monteur est cke? lui."

Heine hat seinen guten Tag; er ist nicht mehr so schön wie auf Oppen-
Heims Bild mit dem sinnenden Ausdruck; er ist etwas angerundet und sieht
jüdischer aus als früher; seine scharfen, mokanten Augen haben etwas Zntrauen-
erweckendes. Nebenan lärmt Frau Mathilde mit den Nachbarskindern, die
sie sich zum Zeitvertreib holen darf. Die Sonne liegt über dem Zimmer, die
Jalousien stehen schräg, ein Busch Narzissen ist auf Heines Tisch, der duftet
und leuchtet.

Heine lacht, als er Hebbel sieht.

„Heut hab' ich an unseren Nährvater geschrieben in Hamburg. Wenn er
das liest, stößt er sich den Schädel ein, so hoch wird er springen vor Wut.
Ich habe jetzt einmal Bedingungen gemacht. . . ."

Schon wieder das leidige Thema. Aber das erleichtert die Anknüpfung.

„Sie wissen, daß Gutzkow weg ist von Campe, Herr Heine. . ."

Heine macht pantomimisch die Bewegung des Ausspeiens.

„Nichts von diesem Schuft. Das ist der Schufterle aus den Räubern . . ."

Hebbel lächelt:

„Laube ist viel schlechter als Charakter. Und Laube ist lieb Kind bei
Ihnen..."

Heine betrachtet die Spitzen seiner Schuhe.

„Laube hat mir nichts im Geschäft verdorben. Wer mir mein Geschäft
verdirbt, der ist mein Feind. — Mag er sonst sein, wie er will. Laß ihn
doch leben, wollen wir doch auch leben. — Was ist's mit dem Telegraphen?" —

„Was meinen Sie, soll ich hingehen für den Fall, daß —" sagt Hebbel
langsam und vorsichtig.

Heine wird Feuer und Flamme.


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[0529] Hebbel und Heine ist dies der Ruin, seine Berufung ist auf einem anderen Gebiet. Noch glaubt er an seine Berufung, der Nation ein aufrüttelnder, gewissenschärfender Weg¬ weiser zu werden. Da kommt er sich vor wie ein Soldat, der um der Tränen einer Frau willen wegbleibt von der Fahne und vom Kampf, wenn er diesen Antrag annimmt, der seine Kräfte für seine eigentlichen Ziele brach legt. .. . Vielleicht Schimäre. Vielleicht liegt seine Pflicht jetzt im Menschlichen. Elisen ihre Leiden und Sorgen zu vergelten, sich eine Existenz zu schaffen, die glänzend sein kann. . . . Er braucht einen Rat. Nicht von klugen, wohlmeinenden, achtungswürdigen Alltagsmenschen. Die würden ihn nicht verstehen. Eine kongeniale Natur. . . . Einen einzigen solchen Menschen kennt er in Paris: das ist Heine. Er macht sich fertig, er will zu Heine gehen. Draußen brennt das Pflaster; es wird ein heißer Tag. Er steigt die vier Treppen des eleganten Hauses in der Rue Richelieu hinan. Die kenne 6o enambi'ö öffnet. .Monteur est cke? lui." Heine hat seinen guten Tag; er ist nicht mehr so schön wie auf Oppen- Heims Bild mit dem sinnenden Ausdruck; er ist etwas angerundet und sieht jüdischer aus als früher; seine scharfen, mokanten Augen haben etwas Zntrauen- erweckendes. Nebenan lärmt Frau Mathilde mit den Nachbarskindern, die sie sich zum Zeitvertreib holen darf. Die Sonne liegt über dem Zimmer, die Jalousien stehen schräg, ein Busch Narzissen ist auf Heines Tisch, der duftet und leuchtet. Heine lacht, als er Hebbel sieht. „Heut hab' ich an unseren Nährvater geschrieben in Hamburg. Wenn er das liest, stößt er sich den Schädel ein, so hoch wird er springen vor Wut. Ich habe jetzt einmal Bedingungen gemacht. . . ." Schon wieder das leidige Thema. Aber das erleichtert die Anknüpfung. „Sie wissen, daß Gutzkow weg ist von Campe, Herr Heine. . ." Heine macht pantomimisch die Bewegung des Ausspeiens. „Nichts von diesem Schuft. Das ist der Schufterle aus den Räubern . . ." Hebbel lächelt: „Laube ist viel schlechter als Charakter. Und Laube ist lieb Kind bei Ihnen..." Heine betrachtet die Spitzen seiner Schuhe. „Laube hat mir nichts im Geschäft verdorben. Wer mir mein Geschäft verdirbt, der ist mein Feind. — Mag er sonst sein, wie er will. Laß ihn doch leben, wollen wir doch auch leben. — Was ist's mit dem Telegraphen?" — „Was meinen Sie, soll ich hingehen für den Fall, daß —" sagt Hebbel langsam und vorsichtig. Heine wird Feuer und Flamme.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/529>, abgerufen am 23.12.2024.