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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kritik und Publikum

^) Diese "Andeutungen" sind Zitate von Vilmar
und Schiller, an deren Adresse ich also auch den Tadel
des Kritikus mit Verlaub weitergebe.

^) Das stimmt zunächst wieder nicht ganz. Die
Stelle, an der ich die intime Sprachkenntnis als Vor¬
aussetzung bezeichnete, und die den Herrn Kritikus
so merkwürdig nachhaltig beschäftigt, besagte nur, daß
zur Auslösung der schlagkräftigen Formwirkung des
Fremdwortes seine buchstäbliche Bedeutung bekannt
sein muß. Versagt diese Formwirkung bei einem un¬
kundigen Leser, so ist damit kein Wesensmteresse
der Wissenschaft verletzt, das immer auf den In¬
halt geht.

2°) Wieder ist Kritikus so viel "folgerichtiger" als
ich. Ich habe zwar bekanntlich "für das Wirkliche
gar keinen Blick", aber mir kommt es immer noch so
vor, als ob die wissenschaftliche Literatur, für die ich
das Fremdwort in Anspruch nahm, sich an Kenner
desselben wendet (sofern sie überhaupt aus ihrer
theoretischen Subjektivität heraus diesen praktischen
Schritt tut und sich, an irgend jemand "wendet").
Besteht also eine Übereinstimmung "in einer Hinsicht"
zwischen den "Wortführern" und mir, so scheinen um¬
gekehrt "die Forderungen dieser Männer meinen An¬
sichten recht zu geben". Was sehr erfreulich wäre,
und beizeiten erkannt, mir viel Arbeit erspart hätte.
Daß sich anderseits Nichtkenner an die wissenschaftliche
Literatur wenden, kommt vor und ist löblich. Daß
diese dann an dem Fremdwort, außer der Unwirksamkeit
seines formalen Wertes, auch inhaltliche Schwierigkeiten
haben, mag für sie bedauerlich sein. Die Wissenschaft
hat sich darum nicht zu kümmern. Prinzipiell ma߬
gebend für ihre Sprache ist nach dem von mir ge¬
gebenen theoretischen Fundament nicht einmal die bloß
abgeleitete, praktische Forderung der Verständlichkeit
für "Kenner", sondern allein die subjektive Verant¬
wortung des Autors. Daß er innerhalb dieser an die
wissenschaftliche Sprache seiner Zeit und diese wieder an
die Tradition einer historischen Entwicklung objektiv
gebunden ist, macht eine Wissenschaft Praktisch möglich.

^) Auf die groteske Eleganz dieser Schlußwendung
ist schon hingewiesen worden (Ur. 10). Einen Sinn
erhält sie, und einen lustigen dazu, wenn man den
Ton auf "wir" legt: "wir unter uns." Da erfährt
auch der prophetische Schlußsatz, bei dein nur der auf¬
gehobene Zeigefinger etwas störend sichtbar wird, seine
natürliche Auslegung: "Unsere Leser werden sich doch
davon nicht überzeugen lassen." Sie werden doch nicht?
Das will ich meinen. Nur "ein Werdender wird immer
dankbar sein." Wer seine Überzeugung weg hat, wie
der Mann seine Frau, der läßt sich nicht überzeugen,


Kritik und Publikum

^) Diese „Andeutungen" sind Zitate von Vilmar
und Schiller, an deren Adresse ich also auch den Tadel
des Kritikus mit Verlaub weitergebe.

^) Das stimmt zunächst wieder nicht ganz. Die
Stelle, an der ich die intime Sprachkenntnis als Vor¬
aussetzung bezeichnete, und die den Herrn Kritikus
so merkwürdig nachhaltig beschäftigt, besagte nur, daß
zur Auslösung der schlagkräftigen Formwirkung des
Fremdwortes seine buchstäbliche Bedeutung bekannt
sein muß. Versagt diese Formwirkung bei einem un¬
kundigen Leser, so ist damit kein Wesensmteresse
der Wissenschaft verletzt, das immer auf den In¬
halt geht.

2°) Wieder ist Kritikus so viel „folgerichtiger" als
ich. Ich habe zwar bekanntlich „für das Wirkliche
gar keinen Blick", aber mir kommt es immer noch so
vor, als ob die wissenschaftliche Literatur, für die ich
das Fremdwort in Anspruch nahm, sich an Kenner
desselben wendet (sofern sie überhaupt aus ihrer
theoretischen Subjektivität heraus diesen praktischen
Schritt tut und sich, an irgend jemand „wendet").
Besteht also eine Übereinstimmung „in einer Hinsicht"
zwischen den „Wortführern" und mir, so scheinen um¬
gekehrt „die Forderungen dieser Männer meinen An¬
sichten recht zu geben". Was sehr erfreulich wäre,
und beizeiten erkannt, mir viel Arbeit erspart hätte.
Daß sich anderseits Nichtkenner an die wissenschaftliche
Literatur wenden, kommt vor und ist löblich. Daß
diese dann an dem Fremdwort, außer der Unwirksamkeit
seines formalen Wertes, auch inhaltliche Schwierigkeiten
haben, mag für sie bedauerlich sein. Die Wissenschaft
hat sich darum nicht zu kümmern. Prinzipiell ma߬
gebend für ihre Sprache ist nach dem von mir ge¬
gebenen theoretischen Fundament nicht einmal die bloß
abgeleitete, praktische Forderung der Verständlichkeit
für „Kenner", sondern allein die subjektive Verant¬
wortung des Autors. Daß er innerhalb dieser an die
wissenschaftliche Sprache seiner Zeit und diese wieder an
die Tradition einer historischen Entwicklung objektiv
gebunden ist, macht eine Wissenschaft Praktisch möglich.

^) Auf die groteske Eleganz dieser Schlußwendung
ist schon hingewiesen worden (Ur. 10). Einen Sinn
erhält sie, und einen lustigen dazu, wenn man den
Ton auf „wir" legt: „wir unter uns." Da erfährt
auch der prophetische Schlußsatz, bei dein nur der auf¬
gehobene Zeigefinger etwas störend sichtbar wird, seine
natürliche Auslegung: „Unsere Leser werden sich doch
davon nicht überzeugen lassen." Sie werden doch nicht?
Das will ich meinen. Nur „ein Werdender wird immer
dankbar sein." Wer seine Überzeugung weg hat, wie
der Mann seine Frau, der läßt sich nicht überzeugen,


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[0526] Kritik und Publikum ^) Diese „Andeutungen" sind Zitate von Vilmar und Schiller, an deren Adresse ich also auch den Tadel des Kritikus mit Verlaub weitergebe. ^) Das stimmt zunächst wieder nicht ganz. Die Stelle, an der ich die intime Sprachkenntnis als Vor¬ aussetzung bezeichnete, und die den Herrn Kritikus so merkwürdig nachhaltig beschäftigt, besagte nur, daß zur Auslösung der schlagkräftigen Formwirkung des Fremdwortes seine buchstäbliche Bedeutung bekannt sein muß. Versagt diese Formwirkung bei einem un¬ kundigen Leser, so ist damit kein Wesensmteresse der Wissenschaft verletzt, das immer auf den In¬ halt geht. 2°) Wieder ist Kritikus so viel „folgerichtiger" als ich. Ich habe zwar bekanntlich „für das Wirkliche gar keinen Blick", aber mir kommt es immer noch so vor, als ob die wissenschaftliche Literatur, für die ich das Fremdwort in Anspruch nahm, sich an Kenner desselben wendet (sofern sie überhaupt aus ihrer theoretischen Subjektivität heraus diesen praktischen Schritt tut und sich, an irgend jemand „wendet"). Besteht also eine Übereinstimmung „in einer Hinsicht" zwischen den „Wortführern" und mir, so scheinen um¬ gekehrt „die Forderungen dieser Männer meinen An¬ sichten recht zu geben". Was sehr erfreulich wäre, und beizeiten erkannt, mir viel Arbeit erspart hätte. Daß sich anderseits Nichtkenner an die wissenschaftliche Literatur wenden, kommt vor und ist löblich. Daß diese dann an dem Fremdwort, außer der Unwirksamkeit seines formalen Wertes, auch inhaltliche Schwierigkeiten haben, mag für sie bedauerlich sein. Die Wissenschaft hat sich darum nicht zu kümmern. Prinzipiell ma߬ gebend für ihre Sprache ist nach dem von mir ge¬ gebenen theoretischen Fundament nicht einmal die bloß abgeleitete, praktische Forderung der Verständlichkeit für „Kenner", sondern allein die subjektive Verant¬ wortung des Autors. Daß er innerhalb dieser an die wissenschaftliche Sprache seiner Zeit und diese wieder an die Tradition einer historischen Entwicklung objektiv gebunden ist, macht eine Wissenschaft Praktisch möglich. ^) Auf die groteske Eleganz dieser Schlußwendung ist schon hingewiesen worden (Ur. 10). Einen Sinn erhält sie, und einen lustigen dazu, wenn man den Ton auf „wir" legt: „wir unter uns." Da erfährt auch der prophetische Schlußsatz, bei dein nur der auf¬ gehobene Zeigefinger etwas störend sichtbar wird, seine natürliche Auslegung: „Unsere Leser werden sich doch davon nicht überzeugen lassen." Sie werden doch nicht? Das will ich meinen. Nur „ein Werdender wird immer dankbar sein." Wer seine Überzeugung weg hat, wie der Mann seine Frau, der läßt sich nicht überzeugen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/526>, abgerufen am 04.07.2024.