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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

"permanent 8seltenere8" haben, sind die künstlich geschaffenen Großgrund¬
besitzer. Ihre Einnahmen sind so gestiegen, daß viele von ihnen, wie z. B.
der Maharadschah von Benares (dieser ist ursprünglich auch bloß ein Zemindar;
er bekam später den Titel "Maharadschah". gilt aber im Gegensatz zu den
früher unabhängigen Fürsten als "not ruIinZ cdiek"). ungeheure Vermögen
haben ansammeln können. Daß ein Zemindar mit seinen Steuern im Rück¬
stände bleibt und so der Exekution verfällt, ist heute eine große Seltenheit, zum
großen Leidwesen der Regierung, die gern möglichst viel Land in ihre Hand
zurückbekommen möchte, um die nachteiligen Folgen ihrer früher begangenen
Fehler wenigstens teilweise aufzuheben. Wirkliche Abhilfe ließe sich allerdings
nur durch eine radikale Umwälzung schaffen. Eine isolierte Erhebung der un¬
ruhigen Bengalen würde man daher gar nicht einmal so ungern sehen. Die
Aufhebung der "permanent settlement8" würde einer der ersten gegen die
Revolution geführten Schläge sein.

Natürlich hat man auch in dieser Frage aus den zu Anfang begangenen
Fehlern gelernt. Die "permanent settlement8" wurden auf die später erworbenen
Gebiete nicht ausgedehnt. Man unterscheidet daher heute neben den "permanent
ssttlemenw" "annual" und "perioäical 8ettlement8", d. h. Steuern, welche
entweder jährlich oder periodenweise -- wenn ich nicht irre, alle vier Jahre --
festgesetzt werden. In der Praxis paßt dieses System sich allen Bedürfnissen
an. Denn es kennt alle Variationen von der primitiven Kopf- und Hüttensteuer
im spärlich bewohnten Urwald bis zur minutiösen Einschätzung des Boden- und
Erntewertes in der hochkultivierten Gangesebene.

Lord Cornwallis hatte mit der Einführung der oben erwähnten selbständigen
Gerichtshöfe das Justizwesen von den übrigen Regierungsorganen abgetrennt
und zu einem selbständigen Ressort gemacht. Die Einführung des englischen
Gerichtsverfahrens und die Schaffung eines für die ganze Kolonie gültigen
geschriebenen Rechtes gehörte nach seiner Ansicht zu den großen notwendigen
Reformen. Denn die Parteilichkeit und Bestechlichkeit der einheimischen Gerichte
lag klar zutage, und kein englischer Richter konnte sich in dem Wirrwarr von Ge-
wohnheitsrecht und religiösem Recht zurechtfinden. Indessen gelang es nicht, die neuen
Gesetze dem Rechtsbewußtsein des Volkes anzupassen. Noch weniger Anklang fand das
neue Gerichtsverfahren mit seinem langwierigen und kostspieligen Geschäftsgang*).
Bei aller Anerkennung der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit der englischen Richter
bevorzugen daher die Inder im allgemeinen noch heutzutage das summarische
Gerichtsverfahren, wie es sich in vielen Vasallenfürstentümern erhalten hat.



*) In den vierziger Jahren urteilt ein Hindu über die englischen Gerichte folgender-
maßen: "Eure Einrichtung mag recht gut sein, aber sie Paßt nicht für uns; sie taugt nichts
in unserem Lande. Fangt ihr einen Dieb, so werden wir zu Tode gehetzt mit Vorladungen
und Zeugenverhören. Am Ende behält der Mann in vielen Fällen das gestohlene Gut und
wird von euch noch einige Jahre lang gut verköstigt. Nach Verlauf der Zeit kehrt der Böse¬
wicht in die Heimat zurück und ist. sobald er nur die Vorschriften der Kaste befolgt, allen
Die Engländer in Indien

»permanent 8seltenere8" haben, sind die künstlich geschaffenen Großgrund¬
besitzer. Ihre Einnahmen sind so gestiegen, daß viele von ihnen, wie z. B.
der Maharadschah von Benares (dieser ist ursprünglich auch bloß ein Zemindar;
er bekam später den Titel „Maharadschah". gilt aber im Gegensatz zu den
früher unabhängigen Fürsten als „not ruIinZ cdiek"). ungeheure Vermögen
haben ansammeln können. Daß ein Zemindar mit seinen Steuern im Rück¬
stände bleibt und so der Exekution verfällt, ist heute eine große Seltenheit, zum
großen Leidwesen der Regierung, die gern möglichst viel Land in ihre Hand
zurückbekommen möchte, um die nachteiligen Folgen ihrer früher begangenen
Fehler wenigstens teilweise aufzuheben. Wirkliche Abhilfe ließe sich allerdings
nur durch eine radikale Umwälzung schaffen. Eine isolierte Erhebung der un¬
ruhigen Bengalen würde man daher gar nicht einmal so ungern sehen. Die
Aufhebung der „permanent settlement8" würde einer der ersten gegen die
Revolution geführten Schläge sein.

Natürlich hat man auch in dieser Frage aus den zu Anfang begangenen
Fehlern gelernt. Die „permanent settlement8" wurden auf die später erworbenen
Gebiete nicht ausgedehnt. Man unterscheidet daher heute neben den „permanent
ssttlemenw" „annual" und „perioäical 8ettlement8", d. h. Steuern, welche
entweder jährlich oder periodenweise — wenn ich nicht irre, alle vier Jahre —
festgesetzt werden. In der Praxis paßt dieses System sich allen Bedürfnissen
an. Denn es kennt alle Variationen von der primitiven Kopf- und Hüttensteuer
im spärlich bewohnten Urwald bis zur minutiösen Einschätzung des Boden- und
Erntewertes in der hochkultivierten Gangesebene.

Lord Cornwallis hatte mit der Einführung der oben erwähnten selbständigen
Gerichtshöfe das Justizwesen von den übrigen Regierungsorganen abgetrennt
und zu einem selbständigen Ressort gemacht. Die Einführung des englischen
Gerichtsverfahrens und die Schaffung eines für die ganze Kolonie gültigen
geschriebenen Rechtes gehörte nach seiner Ansicht zu den großen notwendigen
Reformen. Denn die Parteilichkeit und Bestechlichkeit der einheimischen Gerichte
lag klar zutage, und kein englischer Richter konnte sich in dem Wirrwarr von Ge-
wohnheitsrecht und religiösem Recht zurechtfinden. Indessen gelang es nicht, die neuen
Gesetze dem Rechtsbewußtsein des Volkes anzupassen. Noch weniger Anklang fand das
neue Gerichtsverfahren mit seinem langwierigen und kostspieligen Geschäftsgang*).
Bei aller Anerkennung der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit der englischen Richter
bevorzugen daher die Inder im allgemeinen noch heutzutage das summarische
Gerichtsverfahren, wie es sich in vielen Vasallenfürstentümern erhalten hat.



*) In den vierziger Jahren urteilt ein Hindu über die englischen Gerichte folgender-
maßen: „Eure Einrichtung mag recht gut sein, aber sie Paßt nicht für uns; sie taugt nichts
in unserem Lande. Fangt ihr einen Dieb, so werden wir zu Tode gehetzt mit Vorladungen
und Zeugenverhören. Am Ende behält der Mann in vielen Fällen das gestohlene Gut und
wird von euch noch einige Jahre lang gut verköstigt. Nach Verlauf der Zeit kehrt der Böse¬
wicht in die Heimat zurück und ist. sobald er nur die Vorschriften der Kaste befolgt, allen
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[0519] Die Engländer in Indien »permanent 8seltenere8" haben, sind die künstlich geschaffenen Großgrund¬ besitzer. Ihre Einnahmen sind so gestiegen, daß viele von ihnen, wie z. B. der Maharadschah von Benares (dieser ist ursprünglich auch bloß ein Zemindar; er bekam später den Titel „Maharadschah". gilt aber im Gegensatz zu den früher unabhängigen Fürsten als „not ruIinZ cdiek"). ungeheure Vermögen haben ansammeln können. Daß ein Zemindar mit seinen Steuern im Rück¬ stände bleibt und so der Exekution verfällt, ist heute eine große Seltenheit, zum großen Leidwesen der Regierung, die gern möglichst viel Land in ihre Hand zurückbekommen möchte, um die nachteiligen Folgen ihrer früher begangenen Fehler wenigstens teilweise aufzuheben. Wirkliche Abhilfe ließe sich allerdings nur durch eine radikale Umwälzung schaffen. Eine isolierte Erhebung der un¬ ruhigen Bengalen würde man daher gar nicht einmal so ungern sehen. Die Aufhebung der „permanent settlement8" würde einer der ersten gegen die Revolution geführten Schläge sein. Natürlich hat man auch in dieser Frage aus den zu Anfang begangenen Fehlern gelernt. Die „permanent settlement8" wurden auf die später erworbenen Gebiete nicht ausgedehnt. Man unterscheidet daher heute neben den „permanent ssttlemenw" „annual" und „perioäical 8ettlement8", d. h. Steuern, welche entweder jährlich oder periodenweise — wenn ich nicht irre, alle vier Jahre — festgesetzt werden. In der Praxis paßt dieses System sich allen Bedürfnissen an. Denn es kennt alle Variationen von der primitiven Kopf- und Hüttensteuer im spärlich bewohnten Urwald bis zur minutiösen Einschätzung des Boden- und Erntewertes in der hochkultivierten Gangesebene. Lord Cornwallis hatte mit der Einführung der oben erwähnten selbständigen Gerichtshöfe das Justizwesen von den übrigen Regierungsorganen abgetrennt und zu einem selbständigen Ressort gemacht. Die Einführung des englischen Gerichtsverfahrens und die Schaffung eines für die ganze Kolonie gültigen geschriebenen Rechtes gehörte nach seiner Ansicht zu den großen notwendigen Reformen. Denn die Parteilichkeit und Bestechlichkeit der einheimischen Gerichte lag klar zutage, und kein englischer Richter konnte sich in dem Wirrwarr von Ge- wohnheitsrecht und religiösem Recht zurechtfinden. Indessen gelang es nicht, die neuen Gesetze dem Rechtsbewußtsein des Volkes anzupassen. Noch weniger Anklang fand das neue Gerichtsverfahren mit seinem langwierigen und kostspieligen Geschäftsgang*). Bei aller Anerkennung der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit der englischen Richter bevorzugen daher die Inder im allgemeinen noch heutzutage das summarische Gerichtsverfahren, wie es sich in vielen Vasallenfürstentümern erhalten hat. *) In den vierziger Jahren urteilt ein Hindu über die englischen Gerichte folgender- maßen: „Eure Einrichtung mag recht gut sein, aber sie Paßt nicht für uns; sie taugt nichts in unserem Lande. Fangt ihr einen Dieb, so werden wir zu Tode gehetzt mit Vorladungen und Zeugenverhören. Am Ende behält der Mann in vielen Fällen das gestohlene Gut und wird von euch noch einige Jahre lang gut verköstigt. Nach Verlauf der Zeit kehrt der Böse¬ wicht in die Heimat zurück und ist. sobald er nur die Vorschriften der Kaste befolgt, allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/519>, abgerufen am 23.12.2024.