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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Geldnot

ist also in der Tat kritisch. Es handelt sich um eine internationale Erscheinung,
deren Ursachen notwendigerweise auch allgemeiner Natur sein müssen. Es ist
kein Zweifel, daß die politischen Verhältnisse an dieser Gestaltung einen erheb¬
lichen Anteil tragen. Namentlich die Thesaurierung infolge der Kriegsfurcht
hat weit größeren Umfang angenommen, als man ursprünglich geneigt war,
anzunehmen. Aber die hauptsächlichste Ursache der Geldknappheit ist wohl in
der internationalen Hochkonjunktur zu erblicken. Der enorm gestiegene Außen¬
handel Deutschlands, Englands, Amerikas erfordert weit größere Geldmittel zur
Bewältigung; die Verteuerung der wichtigsten Rohmaterialien und der Lebens¬
mittel, die gestiegenen Arbeitslöhne bedingen die Investierung weitaus größerer
Summen zur Aufrechterhaltung und Erweiterung der Produktion als früher.
Es ist daher zwar wahrscheinlich, daß die Beseitigung der Kriegsfurcht eine
Besserung der Geldverhältnisse infolge des Rückströmens der aufgespeicherten
Barmittel zur Folge haben wird; eine durchgreifende Wandlung aber wird sich
erst vollziehen, wenn die Industrie und der Handel ein langsameres Tempo
einschlagen, wenn die Preise sinken, mit einem Wort, wenn die Konjunktur
abzuebben beginnt.




Es ist denn auch die Hauptfrage, die gegenwärtig den praktischen Volks¬
wirt beschäftigt, ob und welche Anzeichen für einen Konjunkturwechsel vor¬
liegen. Nach den Erfahrungen früherer Jahre darf man ohne weiteres schließen,
daß die längere Herrschaft hoher Zinssätze den Rückgang der Konjunktur von
selbst erzwingen wird. Man darf sich nicht dadurch täuschen lassen, daß augen¬
blicklich noch die schwere Industrie mit fieberhafter Hast arbeitet, um ihre Auf¬
träge zu erledigen, daß der Monat Januar in der Roheisen- und Kohlen¬
produktion wieder Rekordziffern gebracht hat und daß die Industriellen selbst
der Meinung sind, nach Beseitigung der politischen Wirren werden die zahl¬
reichen Staatsaufträge für das Retablissement und für die Heeresverstärkungen,
die Bedürfnisse der Eisenbahnverwaltung und der Gemeinden der Industrie
eine ausreichende Beschäftigung gewährleisten. Unzweifelhaft sind diese Aus¬
sichten auch nicht gering zu schätzen. Staatsaufträge in solcher Höhe bilden
ein gutes Bollwerk gegen einen jähen Absturz der Konjunktur. Aber sie
werden den Umschwung selbst nicht aufhalten können, wenn er von
den allgemeinen Verhältnissen gefordert wird. Wäre es möglich, so wäre es
nicht einmal wünschenswert. Denn das würde eine Fortdauer der augenblick¬
lichen Geldteuerung bedeuten, welche unerträglich und verhängnisvoll wäre. Die
hohen Zinssätze sind auf die Dauer eine wirtschaftliche Kalamität; sie wirken
überall da vernichtend, wo jene staatsseitige Unterstützung keine Rückwirkung
mehr ausüben kann. Man denke an die kritischen Verhältnisse auf dem Bau-
und Hypothekenmarkt und an die Kreditbedürfnisse des Mittelstandes, wennauch
für letztere durch die genossenschaftliche Organisation im allgemeinen in dress-


Geldnot

ist also in der Tat kritisch. Es handelt sich um eine internationale Erscheinung,
deren Ursachen notwendigerweise auch allgemeiner Natur sein müssen. Es ist
kein Zweifel, daß die politischen Verhältnisse an dieser Gestaltung einen erheb¬
lichen Anteil tragen. Namentlich die Thesaurierung infolge der Kriegsfurcht
hat weit größeren Umfang angenommen, als man ursprünglich geneigt war,
anzunehmen. Aber die hauptsächlichste Ursache der Geldknappheit ist wohl in
der internationalen Hochkonjunktur zu erblicken. Der enorm gestiegene Außen¬
handel Deutschlands, Englands, Amerikas erfordert weit größere Geldmittel zur
Bewältigung; die Verteuerung der wichtigsten Rohmaterialien und der Lebens¬
mittel, die gestiegenen Arbeitslöhne bedingen die Investierung weitaus größerer
Summen zur Aufrechterhaltung und Erweiterung der Produktion als früher.
Es ist daher zwar wahrscheinlich, daß die Beseitigung der Kriegsfurcht eine
Besserung der Geldverhältnisse infolge des Rückströmens der aufgespeicherten
Barmittel zur Folge haben wird; eine durchgreifende Wandlung aber wird sich
erst vollziehen, wenn die Industrie und der Handel ein langsameres Tempo
einschlagen, wenn die Preise sinken, mit einem Wort, wenn die Konjunktur
abzuebben beginnt.




Es ist denn auch die Hauptfrage, die gegenwärtig den praktischen Volks¬
wirt beschäftigt, ob und welche Anzeichen für einen Konjunkturwechsel vor¬
liegen. Nach den Erfahrungen früherer Jahre darf man ohne weiteres schließen,
daß die längere Herrschaft hoher Zinssätze den Rückgang der Konjunktur von
selbst erzwingen wird. Man darf sich nicht dadurch täuschen lassen, daß augen¬
blicklich noch die schwere Industrie mit fieberhafter Hast arbeitet, um ihre Auf¬
träge zu erledigen, daß der Monat Januar in der Roheisen- und Kohlen¬
produktion wieder Rekordziffern gebracht hat und daß die Industriellen selbst
der Meinung sind, nach Beseitigung der politischen Wirren werden die zahl¬
reichen Staatsaufträge für das Retablissement und für die Heeresverstärkungen,
die Bedürfnisse der Eisenbahnverwaltung und der Gemeinden der Industrie
eine ausreichende Beschäftigung gewährleisten. Unzweifelhaft sind diese Aus¬
sichten auch nicht gering zu schätzen. Staatsaufträge in solcher Höhe bilden
ein gutes Bollwerk gegen einen jähen Absturz der Konjunktur. Aber sie
werden den Umschwung selbst nicht aufhalten können, wenn er von
den allgemeinen Verhältnissen gefordert wird. Wäre es möglich, so wäre es
nicht einmal wünschenswert. Denn das würde eine Fortdauer der augenblick¬
lichen Geldteuerung bedeuten, welche unerträglich und verhängnisvoll wäre. Die
hohen Zinssätze sind auf die Dauer eine wirtschaftliche Kalamität; sie wirken
überall da vernichtend, wo jene staatsseitige Unterstützung keine Rückwirkung
mehr ausüben kann. Man denke an die kritischen Verhältnisse auf dem Bau-
und Hypothekenmarkt und an die Kreditbedürfnisse des Mittelstandes, wennauch
für letztere durch die genossenschaftliche Organisation im allgemeinen in dress-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/493>, abgerufen am 22.12.2024.