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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Geldnot

Obwohl die kriegerischen Operationen auf der Balkanhalbinsel ihren Fort¬
gang nehmen, hat sich die allgemeine politische Lage in den letzten Wochen
derart gebessert, daß heute jede Befürchtung eines europäischen Konfliktes
gegenstandslos geworden ist. Die bevorstehende Demobilisierung Rußlands und
Österreichs bestätigt, daß der Weltfrieden fortan als gesichert gelten kann.
Jeder noch mögliche Zweifel an diesem erfreulichen Ergebnis muß angesichts
der Tatsache schwinden, daß die Reichsregierung und Preußen schon den Augen¬
blick für gekommen erachten, um mit Ansprüchen von über einer halben Milliarde
Mark an den Geldmarkt heranzutreten. Wäre die leiseste Besorgnis vorhanden,
daß neue politische Komplikationen diese Emission stören könnten, so würde man
zweifellos sich vorläufig ebenso beschicken haben, wie die zahlreichen anderen
Staaten, Gemeinden und Korporationen, die ihren dringenden Geldbedarf einst¬
weilen noch zurückstellen müssen. Denn an und für sich ist trotz der besseren
politischen Lage die Zeit für die Aufnahme großer Anleihen denkbar un¬
günstig. Der Geldmarkt befindet sich in einer Verfassung, die zu den ernstesten
Bedenken Anlaß gibt. Für den bisherigen Verlauf der Bewegungen am inter¬
nationalen Geldmarkt fehlt es schlechterdings an einem Analogon. Noch
niemals, auch zuzeiten der letzten Geldkrise mit ihren verheerenden Wirkungen,
konnte man beobachten, daß der Monat Februar nicht einen beträchtlichen Rück¬
fluß und eine wesentliche Erleichterung gebracht hätte. In diesem Jahre ist
eine solche Entspannung nicht zu spüren. Die Reichsbank hält unentwegt an
dem Zinsfuß von 6 Prozent fest. Sie hat im Laufe des Monats nur eine
geringfügige steuerfreie Notenreserve aufsammeln können, welche vielleicht schon
durch die Ansprüche des Monatsendes wieder verschwinden wird. Der Privat¬
diskont ist wieder auf 5^ Prozent gestiegen, tägliches Geld und die
Schiebungsgelder an der Börse sind für die Jahreszeit außergewöhnlich teuer.
Mit einer gewissen Besorgnis sieht man daher den Ansprüchen des bevor¬
stehenden Quartalswechsels entgegen. Wenn der März nicht eine gründ¬
liche Wandlung bringt, ist es nicht ausgeschlossen, daß die Reichsbank
zu einer Zinserhöhung statt zu einer Ermäßigung schreiten wird. Ganz
die gleiche Erscheinung zeigt der Londoner Geldmarkt. Auch dort herrschen
Zinssätze, die für die Jahreszeit ganz ungewöhnlich sind. Die Bank von Eng¬
land hat Mühe, den Ansprüchen, welche sowohl das Inland als das Ausland,
namentlich Südamerika und Indien, an sie stellen, bei ihrem ungenügenden
Barvorrat ohne Diskonterhöhung zu entsprechen. Die Lage des Geldmarkts




Geldnot

Obwohl die kriegerischen Operationen auf der Balkanhalbinsel ihren Fort¬
gang nehmen, hat sich die allgemeine politische Lage in den letzten Wochen
derart gebessert, daß heute jede Befürchtung eines europäischen Konfliktes
gegenstandslos geworden ist. Die bevorstehende Demobilisierung Rußlands und
Österreichs bestätigt, daß der Weltfrieden fortan als gesichert gelten kann.
Jeder noch mögliche Zweifel an diesem erfreulichen Ergebnis muß angesichts
der Tatsache schwinden, daß die Reichsregierung und Preußen schon den Augen¬
blick für gekommen erachten, um mit Ansprüchen von über einer halben Milliarde
Mark an den Geldmarkt heranzutreten. Wäre die leiseste Besorgnis vorhanden,
daß neue politische Komplikationen diese Emission stören könnten, so würde man
zweifellos sich vorläufig ebenso beschicken haben, wie die zahlreichen anderen
Staaten, Gemeinden und Korporationen, die ihren dringenden Geldbedarf einst¬
weilen noch zurückstellen müssen. Denn an und für sich ist trotz der besseren
politischen Lage die Zeit für die Aufnahme großer Anleihen denkbar un¬
günstig. Der Geldmarkt befindet sich in einer Verfassung, die zu den ernstesten
Bedenken Anlaß gibt. Für den bisherigen Verlauf der Bewegungen am inter¬
nationalen Geldmarkt fehlt es schlechterdings an einem Analogon. Noch
niemals, auch zuzeiten der letzten Geldkrise mit ihren verheerenden Wirkungen,
konnte man beobachten, daß der Monat Februar nicht einen beträchtlichen Rück¬
fluß und eine wesentliche Erleichterung gebracht hätte. In diesem Jahre ist
eine solche Entspannung nicht zu spüren. Die Reichsbank hält unentwegt an
dem Zinsfuß von 6 Prozent fest. Sie hat im Laufe des Monats nur eine
geringfügige steuerfreie Notenreserve aufsammeln können, welche vielleicht schon
durch die Ansprüche des Monatsendes wieder verschwinden wird. Der Privat¬
diskont ist wieder auf 5^ Prozent gestiegen, tägliches Geld und die
Schiebungsgelder an der Börse sind für die Jahreszeit außergewöhnlich teuer.
Mit einer gewissen Besorgnis sieht man daher den Ansprüchen des bevor¬
stehenden Quartalswechsels entgegen. Wenn der März nicht eine gründ¬
liche Wandlung bringt, ist es nicht ausgeschlossen, daß die Reichsbank
zu einer Zinserhöhung statt zu einer Ermäßigung schreiten wird. Ganz
die gleiche Erscheinung zeigt der Londoner Geldmarkt. Auch dort herrschen
Zinssätze, die für die Jahreszeit ganz ungewöhnlich sind. Die Bank von Eng¬
land hat Mühe, den Ansprüchen, welche sowohl das Inland als das Ausland,
namentlich Südamerika und Indien, an sie stellen, bei ihrem ungenügenden
Barvorrat ohne Diskonterhöhung zu entsprechen. Die Lage des Geldmarkts


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[0492] [Abbildung] Geldnot Obwohl die kriegerischen Operationen auf der Balkanhalbinsel ihren Fort¬ gang nehmen, hat sich die allgemeine politische Lage in den letzten Wochen derart gebessert, daß heute jede Befürchtung eines europäischen Konfliktes gegenstandslos geworden ist. Die bevorstehende Demobilisierung Rußlands und Österreichs bestätigt, daß der Weltfrieden fortan als gesichert gelten kann. Jeder noch mögliche Zweifel an diesem erfreulichen Ergebnis muß angesichts der Tatsache schwinden, daß die Reichsregierung und Preußen schon den Augen¬ blick für gekommen erachten, um mit Ansprüchen von über einer halben Milliarde Mark an den Geldmarkt heranzutreten. Wäre die leiseste Besorgnis vorhanden, daß neue politische Komplikationen diese Emission stören könnten, so würde man zweifellos sich vorläufig ebenso beschicken haben, wie die zahlreichen anderen Staaten, Gemeinden und Korporationen, die ihren dringenden Geldbedarf einst¬ weilen noch zurückstellen müssen. Denn an und für sich ist trotz der besseren politischen Lage die Zeit für die Aufnahme großer Anleihen denkbar un¬ günstig. Der Geldmarkt befindet sich in einer Verfassung, die zu den ernstesten Bedenken Anlaß gibt. Für den bisherigen Verlauf der Bewegungen am inter¬ nationalen Geldmarkt fehlt es schlechterdings an einem Analogon. Noch niemals, auch zuzeiten der letzten Geldkrise mit ihren verheerenden Wirkungen, konnte man beobachten, daß der Monat Februar nicht einen beträchtlichen Rück¬ fluß und eine wesentliche Erleichterung gebracht hätte. In diesem Jahre ist eine solche Entspannung nicht zu spüren. Die Reichsbank hält unentwegt an dem Zinsfuß von 6 Prozent fest. Sie hat im Laufe des Monats nur eine geringfügige steuerfreie Notenreserve aufsammeln können, welche vielleicht schon durch die Ansprüche des Monatsendes wieder verschwinden wird. Der Privat¬ diskont ist wieder auf 5^ Prozent gestiegen, tägliches Geld und die Schiebungsgelder an der Börse sind für die Jahreszeit außergewöhnlich teuer. Mit einer gewissen Besorgnis sieht man daher den Ansprüchen des bevor¬ stehenden Quartalswechsels entgegen. Wenn der März nicht eine gründ¬ liche Wandlung bringt, ist es nicht ausgeschlossen, daß die Reichsbank zu einer Zinserhöhung statt zu einer Ermäßigung schreiten wird. Ganz die gleiche Erscheinung zeigt der Londoner Geldmarkt. Auch dort herrschen Zinssätze, die für die Jahreszeit ganz ungewöhnlich sind. Die Bank von Eng¬ land hat Mühe, den Ansprüchen, welche sowohl das Inland als das Ausland, namentlich Südamerika und Indien, an sie stellen, bei ihrem ungenügenden Barvorrat ohne Diskonterhöhung zu entsprechen. Die Lage des Geldmarkts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/492>, abgerufen am 04.07.2024.