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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe ans Trebeldorf

Wozu nun wieder die Ermahnungen! Gewiß werden die Leute bald merken,
daß Anna alle Tage zu mir kommt. Mögen sie doch reden darüber, wie sie
Lust haben! -- Was wollen sie denn von mir? Was will ich von ihnen?

Du meinst, ich habe gar ein Vergnügen daran, aus einem gewissen Trotz
heraus der Gesellschaft ins Gesicht zu schlagen? Mag sein, ja. Vor allem
aber kommt Anna, wie ich Dir ja schrieb, aus einem einfach praktischen Grunde
in meine Wohnung. Weins nicht paßt, der läßts bleiben.

Daß mir der Ärger von neulich alle ruhige Besinnung geraubt hätte, ist
nicht der Fall. Gewiß, ich gehöre zu den empfindsamen Naturen, die sich zu¬
weilen bei der geringsten Berührung weltscheu in sich zurückziehen. Der kleine
Verdruß aber ist verflogen, und ich will niemandem etwas vergelten, noch
irgend einem imponieren. Nur vor mir selbst will ich mich nicht dadurch er¬
niedrigen, daß ich die billigen Grundsätze der Talmibildung zu Lebensregeln
für mich erhebe. Das sind sie nicht wert. -- Was ist an dem Manne, der
jeweilig den Mantel nach dem Winde hängt?

Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich auch die Bitte des alten Pastors
abgeschlagen, ihn übermorgen im "heiligen Kaffee" zu vertreten. Er hat sie
mir durch den Rektor übermittelt.

Dieser "heilige Kaffee" ist die menschenliebendste und zugleich vornehm
exklusivste Damengesellschaft in Trebeldorf. Solche, deren Männer nur Hand¬
werker oder Kommis oder Geschäftsführer sind, kommen nicht hinein. Die
hohen und allerhöchsten Frauen aber mit ihren erwachsenen Töchtern sitzen all-
monatlich einmal in steifer Ehrbarkeit zusammen, nähen, stricken und -- klatschen
für arme Kinder zu Weihnacht und zur Konfirmation.

Die Wohltätigkeit ist eine gute Sache; daß aber aus solchen Treibhäusern
der Übermoral nebenher allerlei giftige Dünste aufsteigen, ist ein schlechtes Anhängsel.
Man sollte von Zeit zu Zeit mal "auslüften"; Lona Hefsel hat ganz recht.

Der alte Pastor ist also verhindert, dort übermorgen die übliche Ansprache
zu halten, und ich sollte für ihn einspringen. Ich denke mich hinreichend ent¬
schuldigt zu haben. Den Hauptgrund, daß mir die Sache innerlich widerstrebt,
habe ich nicht verraten; aber ich habe gesagt, daß ich mit meiner Rede noch
ausreichend beschäftigt bin und daß ich vor allem nicht Lust verspüre, mich nun
wieder denselbigen Damen, in deren Augen ich etlichermaßen schwere Sünden
auf mich geladen habe, als betender Bruder und demütiger Büßer zu nähern,
sintemalen der Kaffee zufällig im Hause der Frau Senator Strabel stattfindet.

Die Predigt ist schon wiederholt ausgefallen, mag sich also auch diesmal.

Ich durcheile die Zeilen noch einmal. Sie sind ein bißchen gallig. Nun,
mögen sie reisen!

Ostern schon Hochzeit? Gewiß, mein guter Junge, ich mache mit. Ein
Glück, daß ich hier mal rauskomme.


Gruß! Edward.

(Schluß folgt)


Briefe ans Trebeldorf

Wozu nun wieder die Ermahnungen! Gewiß werden die Leute bald merken,
daß Anna alle Tage zu mir kommt. Mögen sie doch reden darüber, wie sie
Lust haben! — Was wollen sie denn von mir? Was will ich von ihnen?

Du meinst, ich habe gar ein Vergnügen daran, aus einem gewissen Trotz
heraus der Gesellschaft ins Gesicht zu schlagen? Mag sein, ja. Vor allem
aber kommt Anna, wie ich Dir ja schrieb, aus einem einfach praktischen Grunde
in meine Wohnung. Weins nicht paßt, der läßts bleiben.

Daß mir der Ärger von neulich alle ruhige Besinnung geraubt hätte, ist
nicht der Fall. Gewiß, ich gehöre zu den empfindsamen Naturen, die sich zu¬
weilen bei der geringsten Berührung weltscheu in sich zurückziehen. Der kleine
Verdruß aber ist verflogen, und ich will niemandem etwas vergelten, noch
irgend einem imponieren. Nur vor mir selbst will ich mich nicht dadurch er¬
niedrigen, daß ich die billigen Grundsätze der Talmibildung zu Lebensregeln
für mich erhebe. Das sind sie nicht wert. — Was ist an dem Manne, der
jeweilig den Mantel nach dem Winde hängt?

Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich auch die Bitte des alten Pastors
abgeschlagen, ihn übermorgen im „heiligen Kaffee" zu vertreten. Er hat sie
mir durch den Rektor übermittelt.

Dieser „heilige Kaffee" ist die menschenliebendste und zugleich vornehm
exklusivste Damengesellschaft in Trebeldorf. Solche, deren Männer nur Hand¬
werker oder Kommis oder Geschäftsführer sind, kommen nicht hinein. Die
hohen und allerhöchsten Frauen aber mit ihren erwachsenen Töchtern sitzen all-
monatlich einmal in steifer Ehrbarkeit zusammen, nähen, stricken und — klatschen
für arme Kinder zu Weihnacht und zur Konfirmation.

Die Wohltätigkeit ist eine gute Sache; daß aber aus solchen Treibhäusern
der Übermoral nebenher allerlei giftige Dünste aufsteigen, ist ein schlechtes Anhängsel.
Man sollte von Zeit zu Zeit mal „auslüften"; Lona Hefsel hat ganz recht.

Der alte Pastor ist also verhindert, dort übermorgen die übliche Ansprache
zu halten, und ich sollte für ihn einspringen. Ich denke mich hinreichend ent¬
schuldigt zu haben. Den Hauptgrund, daß mir die Sache innerlich widerstrebt,
habe ich nicht verraten; aber ich habe gesagt, daß ich mit meiner Rede noch
ausreichend beschäftigt bin und daß ich vor allem nicht Lust verspüre, mich nun
wieder denselbigen Damen, in deren Augen ich etlichermaßen schwere Sünden
auf mich geladen habe, als betender Bruder und demütiger Büßer zu nähern,
sintemalen der Kaffee zufällig im Hause der Frau Senator Strabel stattfindet.

Die Predigt ist schon wiederholt ausgefallen, mag sich also auch diesmal.

Ich durcheile die Zeilen noch einmal. Sie sind ein bißchen gallig. Nun,
mögen sie reisen!

Ostern schon Hochzeit? Gewiß, mein guter Junge, ich mache mit. Ein
Glück, daß ich hier mal rauskomme.


Gruß! Edward.

(Schluß folgt)


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[0491] Briefe ans Trebeldorf Wozu nun wieder die Ermahnungen! Gewiß werden die Leute bald merken, daß Anna alle Tage zu mir kommt. Mögen sie doch reden darüber, wie sie Lust haben! — Was wollen sie denn von mir? Was will ich von ihnen? Du meinst, ich habe gar ein Vergnügen daran, aus einem gewissen Trotz heraus der Gesellschaft ins Gesicht zu schlagen? Mag sein, ja. Vor allem aber kommt Anna, wie ich Dir ja schrieb, aus einem einfach praktischen Grunde in meine Wohnung. Weins nicht paßt, der läßts bleiben. Daß mir der Ärger von neulich alle ruhige Besinnung geraubt hätte, ist nicht der Fall. Gewiß, ich gehöre zu den empfindsamen Naturen, die sich zu¬ weilen bei der geringsten Berührung weltscheu in sich zurückziehen. Der kleine Verdruß aber ist verflogen, und ich will niemandem etwas vergelten, noch irgend einem imponieren. Nur vor mir selbst will ich mich nicht dadurch er¬ niedrigen, daß ich die billigen Grundsätze der Talmibildung zu Lebensregeln für mich erhebe. Das sind sie nicht wert. — Was ist an dem Manne, der jeweilig den Mantel nach dem Winde hängt? Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich auch die Bitte des alten Pastors abgeschlagen, ihn übermorgen im „heiligen Kaffee" zu vertreten. Er hat sie mir durch den Rektor übermittelt. Dieser „heilige Kaffee" ist die menschenliebendste und zugleich vornehm exklusivste Damengesellschaft in Trebeldorf. Solche, deren Männer nur Hand¬ werker oder Kommis oder Geschäftsführer sind, kommen nicht hinein. Die hohen und allerhöchsten Frauen aber mit ihren erwachsenen Töchtern sitzen all- monatlich einmal in steifer Ehrbarkeit zusammen, nähen, stricken und — klatschen für arme Kinder zu Weihnacht und zur Konfirmation. Die Wohltätigkeit ist eine gute Sache; daß aber aus solchen Treibhäusern der Übermoral nebenher allerlei giftige Dünste aufsteigen, ist ein schlechtes Anhängsel. Man sollte von Zeit zu Zeit mal „auslüften"; Lona Hefsel hat ganz recht. Der alte Pastor ist also verhindert, dort übermorgen die übliche Ansprache zu halten, und ich sollte für ihn einspringen. Ich denke mich hinreichend ent¬ schuldigt zu haben. Den Hauptgrund, daß mir die Sache innerlich widerstrebt, habe ich nicht verraten; aber ich habe gesagt, daß ich mit meiner Rede noch ausreichend beschäftigt bin und daß ich vor allem nicht Lust verspüre, mich nun wieder denselbigen Damen, in deren Augen ich etlichermaßen schwere Sünden auf mich geladen habe, als betender Bruder und demütiger Büßer zu nähern, sintemalen der Kaffee zufällig im Hause der Frau Senator Strabel stattfindet. Die Predigt ist schon wiederholt ausgefallen, mag sich also auch diesmal. Ich durcheile die Zeilen noch einmal. Sie sind ein bißchen gallig. Nun, mögen sie reisen! Ostern schon Hochzeit? Gewiß, mein guter Junge, ich mache mit. Ein Glück, daß ich hier mal rauskomme. Gruß! Edward. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/491>, abgerufen am 23.12.2024.