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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Peter der Große und die Jesuiten

türmten und erkannte den unauslöschlichen Haß gegen Rom. Er berichtete dem
Kaiser, daß die Audienz des Bojaren Scheremetjew beim Papste seiner Gemahlin
in Moskau ununterbrechliches Weinen verursacht, und der Bojar selbst den all¬
gemeinen Fluch seiner Familie wie des ganzen russischen Volkes auf sich geladen
habe. Ja, der Aufruhr der Strelitzen und der Zug der rebellischen Regimenter
von der polnischen Grenze gegen Moskau war durch die Gerüchte von dem
Versuche einer Vereinigung der Kirchen mit veranlaßt worden.

Guarient hatte vom Kaiser den geheimen Auftrag erhalten, sich um die
Wiedereinführung der Jesuiten in Moskau alle Mühe zu geben, doch vorsichtig, daß
nicht die katholische Sache selbst Schaden litte. Denn der Kaiser war überzeugt,
daß die patres Societatis sowohl in Religionssachen ersprießlichere Dienste tun,
als auch die Jugend besser unterrichten konnten als andere, zugleich ließ er ver¬
sichern, daß er nur solche Leute hinschicken würde, die einen erbaulichen Wandel
führen und sich in Staatssachen nicht einmischen. Guarient war denn auch
von zwei angeblichen Weltpriestern, in Wirklichkeit Jesuitenvätern, begleitet.
Sie hießen Johannes Bernia und Johannes Milan, der sich aber Franz
Emiliani nannte. Nicht so sehr in den griechisch-katholischen Priestern, weit
mehr in dem Kalvimsten Lefort, dem nächsten Freunde des Zaren, erblickten
die Jesuiten den gefährlichsten eingefleischter Feind der katholischen Sache, denn
er nahm den Zaren durch seine beständigen Einflüsterungen gegen sie ein und
suchte ihnen durch Briefe, die er auf ihren Namen erfand und fälschte, zu
schaden. Aber Lefort starb unerwartet schnell nach einem Trinkgelage im März
1699, und die Berichte der Jesuiten lassen seinen Tod als sichtbares Eingreifen
Gottes zugunsten der bedrängten und bedrohten katholischen Kirche erscheinen.

Gegen Ende desselben Jahres starb auch General Patrick Gordon, und
die katholische Gemeinde fühlte sich verwaist, ihrer Stütze beraubt. Denn nach
dem römischen Kaiser war sie niemand mehr verpflichtet als Gordon. Zar
Peter ehrte ihn so hoch, daß er ihn Vater nannte. Mit Pater Emiliani stand
er am Sterbebette des alten Helden, er stellte mit einem Spiegelglase fest, daß
er aufgeatmet hatte, schloß dem toten Freunde die Augen, küßte ihn mit tränen-
erfüllten Augen und verließ schweigend das Zimmer. "Er wäre der aus¬
gezeichnetste Fürst," ruft Emiliani begeistert aus, der über den Vorgang berichtet,
"und uns sehr wohl gesinnt, wenn ihn nicht so viele giftige Ohrenbläser
umstanden, die auf jede Art unser Bestes verhindern."

Die allgemeine Stimmung war und blieb gegen die Jesuiten. Klagen
sie doch selber: "Es ist nicht zu sagen und unglaublich, wie schlechter Meinung
die Moskowiter von den Jesuiten sind, sie erzählen von ihnen, daß sie immerdar
Aufruhr und Verwirrung anstiften. Ja, die Russen sind fest überzeugt, daß
die Jesuiten hundert Ellen durch die feste Erde sehen können, so daß sie solche
Argusse nicht unter sich leiden wollen, die sich in alle Angelegenheiten einmischen."

Sie waren den Russen unheimlich. Keine gemeinsame Schwäche brachte sie
zusammen. Die Jesuiten schimpften und fluchten nicht, sie betranken sich nicht,


Peter der Große und die Jesuiten

türmten und erkannte den unauslöschlichen Haß gegen Rom. Er berichtete dem
Kaiser, daß die Audienz des Bojaren Scheremetjew beim Papste seiner Gemahlin
in Moskau ununterbrechliches Weinen verursacht, und der Bojar selbst den all¬
gemeinen Fluch seiner Familie wie des ganzen russischen Volkes auf sich geladen
habe. Ja, der Aufruhr der Strelitzen und der Zug der rebellischen Regimenter
von der polnischen Grenze gegen Moskau war durch die Gerüchte von dem
Versuche einer Vereinigung der Kirchen mit veranlaßt worden.

Guarient hatte vom Kaiser den geheimen Auftrag erhalten, sich um die
Wiedereinführung der Jesuiten in Moskau alle Mühe zu geben, doch vorsichtig, daß
nicht die katholische Sache selbst Schaden litte. Denn der Kaiser war überzeugt,
daß die patres Societatis sowohl in Religionssachen ersprießlichere Dienste tun,
als auch die Jugend besser unterrichten konnten als andere, zugleich ließ er ver¬
sichern, daß er nur solche Leute hinschicken würde, die einen erbaulichen Wandel
führen und sich in Staatssachen nicht einmischen. Guarient war denn auch
von zwei angeblichen Weltpriestern, in Wirklichkeit Jesuitenvätern, begleitet.
Sie hießen Johannes Bernia und Johannes Milan, der sich aber Franz
Emiliani nannte. Nicht so sehr in den griechisch-katholischen Priestern, weit
mehr in dem Kalvimsten Lefort, dem nächsten Freunde des Zaren, erblickten
die Jesuiten den gefährlichsten eingefleischter Feind der katholischen Sache, denn
er nahm den Zaren durch seine beständigen Einflüsterungen gegen sie ein und
suchte ihnen durch Briefe, die er auf ihren Namen erfand und fälschte, zu
schaden. Aber Lefort starb unerwartet schnell nach einem Trinkgelage im März
1699, und die Berichte der Jesuiten lassen seinen Tod als sichtbares Eingreifen
Gottes zugunsten der bedrängten und bedrohten katholischen Kirche erscheinen.

Gegen Ende desselben Jahres starb auch General Patrick Gordon, und
die katholische Gemeinde fühlte sich verwaist, ihrer Stütze beraubt. Denn nach
dem römischen Kaiser war sie niemand mehr verpflichtet als Gordon. Zar
Peter ehrte ihn so hoch, daß er ihn Vater nannte. Mit Pater Emiliani stand
er am Sterbebette des alten Helden, er stellte mit einem Spiegelglase fest, daß
er aufgeatmet hatte, schloß dem toten Freunde die Augen, küßte ihn mit tränen-
erfüllten Augen und verließ schweigend das Zimmer. „Er wäre der aus¬
gezeichnetste Fürst," ruft Emiliani begeistert aus, der über den Vorgang berichtet,
„und uns sehr wohl gesinnt, wenn ihn nicht so viele giftige Ohrenbläser
umstanden, die auf jede Art unser Bestes verhindern."

Die allgemeine Stimmung war und blieb gegen die Jesuiten. Klagen
sie doch selber: „Es ist nicht zu sagen und unglaublich, wie schlechter Meinung
die Moskowiter von den Jesuiten sind, sie erzählen von ihnen, daß sie immerdar
Aufruhr und Verwirrung anstiften. Ja, die Russen sind fest überzeugt, daß
die Jesuiten hundert Ellen durch die feste Erde sehen können, so daß sie solche
Argusse nicht unter sich leiden wollen, die sich in alle Angelegenheiten einmischen."

Sie waren den Russen unheimlich. Keine gemeinsame Schwäche brachte sie
zusammen. Die Jesuiten schimpften und fluchten nicht, sie betranken sich nicht,


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[0480] Peter der Große und die Jesuiten türmten und erkannte den unauslöschlichen Haß gegen Rom. Er berichtete dem Kaiser, daß die Audienz des Bojaren Scheremetjew beim Papste seiner Gemahlin in Moskau ununterbrechliches Weinen verursacht, und der Bojar selbst den all¬ gemeinen Fluch seiner Familie wie des ganzen russischen Volkes auf sich geladen habe. Ja, der Aufruhr der Strelitzen und der Zug der rebellischen Regimenter von der polnischen Grenze gegen Moskau war durch die Gerüchte von dem Versuche einer Vereinigung der Kirchen mit veranlaßt worden. Guarient hatte vom Kaiser den geheimen Auftrag erhalten, sich um die Wiedereinführung der Jesuiten in Moskau alle Mühe zu geben, doch vorsichtig, daß nicht die katholische Sache selbst Schaden litte. Denn der Kaiser war überzeugt, daß die patres Societatis sowohl in Religionssachen ersprießlichere Dienste tun, als auch die Jugend besser unterrichten konnten als andere, zugleich ließ er ver¬ sichern, daß er nur solche Leute hinschicken würde, die einen erbaulichen Wandel führen und sich in Staatssachen nicht einmischen. Guarient war denn auch von zwei angeblichen Weltpriestern, in Wirklichkeit Jesuitenvätern, begleitet. Sie hießen Johannes Bernia und Johannes Milan, der sich aber Franz Emiliani nannte. Nicht so sehr in den griechisch-katholischen Priestern, weit mehr in dem Kalvimsten Lefort, dem nächsten Freunde des Zaren, erblickten die Jesuiten den gefährlichsten eingefleischter Feind der katholischen Sache, denn er nahm den Zaren durch seine beständigen Einflüsterungen gegen sie ein und suchte ihnen durch Briefe, die er auf ihren Namen erfand und fälschte, zu schaden. Aber Lefort starb unerwartet schnell nach einem Trinkgelage im März 1699, und die Berichte der Jesuiten lassen seinen Tod als sichtbares Eingreifen Gottes zugunsten der bedrängten und bedrohten katholischen Kirche erscheinen. Gegen Ende desselben Jahres starb auch General Patrick Gordon, und die katholische Gemeinde fühlte sich verwaist, ihrer Stütze beraubt. Denn nach dem römischen Kaiser war sie niemand mehr verpflichtet als Gordon. Zar Peter ehrte ihn so hoch, daß er ihn Vater nannte. Mit Pater Emiliani stand er am Sterbebette des alten Helden, er stellte mit einem Spiegelglase fest, daß er aufgeatmet hatte, schloß dem toten Freunde die Augen, küßte ihn mit tränen- erfüllten Augen und verließ schweigend das Zimmer. „Er wäre der aus¬ gezeichnetste Fürst," ruft Emiliani begeistert aus, der über den Vorgang berichtet, „und uns sehr wohl gesinnt, wenn ihn nicht so viele giftige Ohrenbläser umstanden, die auf jede Art unser Bestes verhindern." Die allgemeine Stimmung war und blieb gegen die Jesuiten. Klagen sie doch selber: „Es ist nicht zu sagen und unglaublich, wie schlechter Meinung die Moskowiter von den Jesuiten sind, sie erzählen von ihnen, daß sie immerdar Aufruhr und Verwirrung anstiften. Ja, die Russen sind fest überzeugt, daß die Jesuiten hundert Ellen durch die feste Erde sehen können, so daß sie solche Argusse nicht unter sich leiden wollen, die sich in alle Angelegenheiten einmischen." Sie waren den Russen unheimlich. Keine gemeinsame Schwäche brachte sie zusammen. Die Jesuiten schimpften und fluchten nicht, sie betranken sich nicht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/480>, abgerufen am 22.07.2024.