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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Presse und Z ^9Z Strafgesetzbuches

des Staatswohles mit Aufnahme dieses Artikels wahrgenommen habe, Interessen,
zu deren Verteidigung ein amtliches Publikationsorgan, wie die N. A. Z., be¬
sonders berufen sei. Die Verurteilung des Angeklagten ist dann offenbar (auch
hier sind die Zeitungsberichte nicht ganz klar) erfolgt, weil die Staatsinteressen
nicht zu den einen Redakteur oder eine Zeitung so nahe angehenden Interessen
gehören, daß sie unter Z 193 Se. G. B. fielen.

Es liegt mir fern, in die Kritik eines offenbar noch nicht rechtskräftigen
Urteils und noch dazu eines solchen, welches mir nicht voll inhaltlich vorgelegen
hat, eintreten zu wollen. Es trifft das Schöffengericht, wenn es so, wie vor¬
stehend nach den Zeitungsberichten angegeben, entschieden hat, auch gar kein
Vorwurf; denn es hat dann in voller Übereinstimmung mit den Rechts¬
anschauungen des Reichsgerichts sein Urteil gefällt, und es ist in der Regel
für ein unteres Gericht, besonders in Strafsachen, ein hoffnungsloses Unter¬
fangen, sich gegen die Rechtsprechung des R. G. aufzulehnen.

Was aber aus Anlaß dieses immerhin besonders krassen Falles wieder
einmal geschehen muß, ist eine erneute Polemik gegen den Standpunkt des R. G.
zu unserer Frage; denn hier handelt es sich nach meiner Überzeugung um eine
der Positionen, welche unser höchster deutscher Gerichtshof auf die Dauer nicht
wird verteidigen können, und welche deshalb so lange und so oft berannt
werden müssen, bis sie das R. G. räumt.

Vergegenwärtigen wir uns die Rechtslage.

§ 193 Se. G. B. bestimmt:

"Tadelnde Urteile über die wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche
Leistungen, ingleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung
von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden,
sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen,
dienstliche Anzeigen oder Urteile von feiten eines Beamten und ähnliche Fälle
sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form
der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht."

Mit diesem Paragraphen erkennt der Gesetzgeber an, daß der Anspruch
auf Achtung, den jedermann hat, und der gesetzliche Schutz dieses Anspruchs
unter Umständen zurücktreten müssen, wenn sie mit der Verfolgung anderer
rechtlich anerkannter Zwecke kollidieren. Soweit ein öffentliches Interesse diese
Bevorzugung der anderen Zwecke erheischt, ist der Konflikt leicht zu entscheiden.
Deshalb macht auch die Straffreiheit der wissenschaftlichen und künstlerischen
Kritik, der Rügen der Vorgesetzten usw. keine Schwierigkeiten. Schwerer liegt
es bei den Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen; denn hier
scheint dem privaten Anspruch auf Achtung auch nur ein privater Anspruch
entgegen zu stehen. Dem ist jedoch nicht so. Es besteht ein Interesse des
Staates, ein öffentliches Interesse, daß jeder seine Rechte verteidige und seine
berechtigten Interessen wahrnehme. Was aber unter diesen berechtigten Interessen
zu verstehen sei. das hat zu dem heftigsten Streite Anlaß gegeben, und zwar ist
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Die Presse und Z ^9Z Strafgesetzbuches

des Staatswohles mit Aufnahme dieses Artikels wahrgenommen habe, Interessen,
zu deren Verteidigung ein amtliches Publikationsorgan, wie die N. A. Z., be¬
sonders berufen sei. Die Verurteilung des Angeklagten ist dann offenbar (auch
hier sind die Zeitungsberichte nicht ganz klar) erfolgt, weil die Staatsinteressen
nicht zu den einen Redakteur oder eine Zeitung so nahe angehenden Interessen
gehören, daß sie unter Z 193 Se. G. B. fielen.

Es liegt mir fern, in die Kritik eines offenbar noch nicht rechtskräftigen
Urteils und noch dazu eines solchen, welches mir nicht voll inhaltlich vorgelegen
hat, eintreten zu wollen. Es trifft das Schöffengericht, wenn es so, wie vor¬
stehend nach den Zeitungsberichten angegeben, entschieden hat, auch gar kein
Vorwurf; denn es hat dann in voller Übereinstimmung mit den Rechts¬
anschauungen des Reichsgerichts sein Urteil gefällt, und es ist in der Regel
für ein unteres Gericht, besonders in Strafsachen, ein hoffnungsloses Unter¬
fangen, sich gegen die Rechtsprechung des R. G. aufzulehnen.

Was aber aus Anlaß dieses immerhin besonders krassen Falles wieder
einmal geschehen muß, ist eine erneute Polemik gegen den Standpunkt des R. G.
zu unserer Frage; denn hier handelt es sich nach meiner Überzeugung um eine
der Positionen, welche unser höchster deutscher Gerichtshof auf die Dauer nicht
wird verteidigen können, und welche deshalb so lange und so oft berannt
werden müssen, bis sie das R. G. räumt.

Vergegenwärtigen wir uns die Rechtslage.

§ 193 Se. G. B. bestimmt:

„Tadelnde Urteile über die wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche
Leistungen, ingleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung
von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden,
sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen,
dienstliche Anzeigen oder Urteile von feiten eines Beamten und ähnliche Fälle
sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form
der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht."

Mit diesem Paragraphen erkennt der Gesetzgeber an, daß der Anspruch
auf Achtung, den jedermann hat, und der gesetzliche Schutz dieses Anspruchs
unter Umständen zurücktreten müssen, wenn sie mit der Verfolgung anderer
rechtlich anerkannter Zwecke kollidieren. Soweit ein öffentliches Interesse diese
Bevorzugung der anderen Zwecke erheischt, ist der Konflikt leicht zu entscheiden.
Deshalb macht auch die Straffreiheit der wissenschaftlichen und künstlerischen
Kritik, der Rügen der Vorgesetzten usw. keine Schwierigkeiten. Schwerer liegt
es bei den Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen; denn hier
scheint dem privaten Anspruch auf Achtung auch nur ein privater Anspruch
entgegen zu stehen. Dem ist jedoch nicht so. Es besteht ein Interesse des
Staates, ein öffentliches Interesse, daß jeder seine Rechte verteidige und seine
berechtigten Interessen wahrnehme. Was aber unter diesen berechtigten Interessen
zu verstehen sei. das hat zu dem heftigsten Streite Anlaß gegeben, und zwar ist
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/471>, abgerufen am 04.07.2024.