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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Träger der inneren Kolonisation in Preußen

verblaßt die Bedeutung dessen, was sonst am Buche, wesentlich im Kapitel "Der
Dichter" noch zu loben ist: eine recht bedeutende Anzahl guter, fruchtbarer
Ideen, die unsere ideenarme Goetheforschung gut gebrauchen kann und
gebrauchen wird. Leider schwimmen diese guten Ideen, die musikalischen
Grundlagen Goethescher Dichtung, die Einheit zwischen Naturforschung und
Poesie, die Charakterisierung der Form bei Goethe als Vereinigung der Natur¬
treue und der Phantasiefreiheit, alles das, gewiß fruchtbar, gründlich und
originell zugleich, schwimmt in einer überreichen Wortflut von -- Parteigeschwätz.
Im einzelnen vortrefflich, im ganzen ebensowenig belehrend wie genießbar.

Und zum Schluß noch ein Wort über Vornehmheit. Chamberlain meint:
Vornehmheit werde in Deutschland nicht geschätzt. Daß er sich darin irrt, wird
er an der Rückwirkung einiger Unvornehmheiten seines Buches merken müssen.
Wenn er, ganz abgesehen von anderen allzuhäufigen Kraftausdrücken. Hermann
Grimm als den "schalsten und eitelsten Schwätzer" bezeichnet (S. 752), wenn er
mit großer Leidenschaftlichkeit und heftigen Kriegsgebärden gegen die Philologen
das Verhältnis von Zeitwort und Eigenschaftswort in Goethes Dichtung als
ureigenste, gewaltige Entdeckung genau so wiedergibt, wie wir es seit Wilhelm
Scherer kennen (S. 437 und 444 ff.), so trägt er durch das Gegenbeispiel nur
dazu bei, uns Vornehmheit in wissenschaftlichem und literarischem Streite lieb
und wert zu machen. Aber nichtsdestoweniger nochmal und noch tausendmal:
das Kapitel: der Naturforscher bleibt mit Chamberlains Namen zu einem Begriff
verbunden. Das andere vergessen wir schleunigst.




Die Träger der inneren Aolonisation in Preußen
Dr. L. Maaß i vonn

!urch Umwandlung von Gutsbezirken in Bauerngemeinden, sowie
durch Urbarmachung von Heide und Moor, bereitet die plan¬
mäßige Siedlungsarbeit, die wir als innere Kolonisation bezeichnen,
neuen Boden für die volksverjüngende landwirtschaftliche Arbeit.
Mit Hilfe der Einrichtung des Rentengutes vermag die innere
Kolonisation minderbegüterten, aber arbeitstüchtigen Volksgenossen eigene Scholle
und eigenes Herdfeuer zu freiem selbständigen Schaffen anzuweisen. In Über¬
einstimmung mit den von der Königlichen Ansiedlungskommission und den Ge¬
neralkommissionen angenommenen Grundsätzen, ist insbesondere für den deutschen
Osten in der Schaffung großer leistungsfähiger Landgemeinden mit größeren,


Die Träger der inneren Kolonisation in Preußen

verblaßt die Bedeutung dessen, was sonst am Buche, wesentlich im Kapitel „Der
Dichter" noch zu loben ist: eine recht bedeutende Anzahl guter, fruchtbarer
Ideen, die unsere ideenarme Goetheforschung gut gebrauchen kann und
gebrauchen wird. Leider schwimmen diese guten Ideen, die musikalischen
Grundlagen Goethescher Dichtung, die Einheit zwischen Naturforschung und
Poesie, die Charakterisierung der Form bei Goethe als Vereinigung der Natur¬
treue und der Phantasiefreiheit, alles das, gewiß fruchtbar, gründlich und
originell zugleich, schwimmt in einer überreichen Wortflut von — Parteigeschwätz.
Im einzelnen vortrefflich, im ganzen ebensowenig belehrend wie genießbar.

Und zum Schluß noch ein Wort über Vornehmheit. Chamberlain meint:
Vornehmheit werde in Deutschland nicht geschätzt. Daß er sich darin irrt, wird
er an der Rückwirkung einiger Unvornehmheiten seines Buches merken müssen.
Wenn er, ganz abgesehen von anderen allzuhäufigen Kraftausdrücken. Hermann
Grimm als den „schalsten und eitelsten Schwätzer" bezeichnet (S. 752), wenn er
mit großer Leidenschaftlichkeit und heftigen Kriegsgebärden gegen die Philologen
das Verhältnis von Zeitwort und Eigenschaftswort in Goethes Dichtung als
ureigenste, gewaltige Entdeckung genau so wiedergibt, wie wir es seit Wilhelm
Scherer kennen (S. 437 und 444 ff.), so trägt er durch das Gegenbeispiel nur
dazu bei, uns Vornehmheit in wissenschaftlichem und literarischem Streite lieb
und wert zu machen. Aber nichtsdestoweniger nochmal und noch tausendmal:
das Kapitel: der Naturforscher bleibt mit Chamberlains Namen zu einem Begriff
verbunden. Das andere vergessen wir schleunigst.




Die Träger der inneren Aolonisation in Preußen
Dr. L. Maaß i vonn

!urch Umwandlung von Gutsbezirken in Bauerngemeinden, sowie
durch Urbarmachung von Heide und Moor, bereitet die plan¬
mäßige Siedlungsarbeit, die wir als innere Kolonisation bezeichnen,
neuen Boden für die volksverjüngende landwirtschaftliche Arbeit.
Mit Hilfe der Einrichtung des Rentengutes vermag die innere
Kolonisation minderbegüterten, aber arbeitstüchtigen Volksgenossen eigene Scholle
und eigenes Herdfeuer zu freiem selbständigen Schaffen anzuweisen. In Über¬
einstimmung mit den von der Königlichen Ansiedlungskommission und den Ge¬
neralkommissionen angenommenen Grundsätzen, ist insbesondere für den deutschen
Osten in der Schaffung großer leistungsfähiger Landgemeinden mit größeren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/460>, abgerufen am 03.07.2024.