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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutschen in Rumänien

erkennung finden. Früher sorgten für die deutsche Bildung gute deutsche Privat¬
schulen. Die Deutschen in Rumänien besitzen ferner seit 1845 deutsche Zeitungen;
die älteste war die Bukarester deutsche Zeitung. Heute bestehen das Bukarester
Tagblatt, der Rumänische Lloyd und das Bukarester Gemeindeblatt. Das
deutsche Vereinswesen entwickelte sich besonders in Bukarest sehr rege. Genannt
seien: die Vereinigung der Reichsdeutschen, der Verein der siebenbürger Sachsen,
die österreichisch-ungarische Landmannschaft und der Verein der Schweizer. Sehr
bedeutend ist die 1852 begründete Bukarester Liedertafel. Ferner sind anzuführen:
der deutsche Turnverein, der Volksbildungsverein, der Krankenunterstützungs-
und Begräbniskassenverein Germania, der Deutsche Unterstützungsverein, der
Verein Anker und der Österreichisch-ungarische Hilfsverein. Außerhalb Bukarests
ist bisher wenig von deutscher Vereinsarbeit zu bemerken. Vor etwa fünfzehn
Jahren haben die Deutschen in Bakau und Umgegend einen deutschen Verein
begründet.

Der Zusammenschluß aller Deutschen Rumäniens zu einem allgemeinen
deutschen Schutzvereine ist noch nicht erfolgt. Es mag dies seine Erklärung
darin finden, daß die deutsche Kulturarbeit sich lange Zeit ungestört entwickeln
konnte und es an wohlwollender Anerkennung ihres Nutzens bei einsichtigen
Rumänen auch gegenwärtig nicht fehlt. Es mehren sich aber die Zeichen, daß
auch in Rumänien diese günstigen Verhältnisse schwinden. Die Fremden in
Rumänien sind vom ganzen öffentlichen Leben ausgeschlossen; der staatsbürger¬
liche Anschluß wird ihnen sehr schwer gemacht. Sie können sich weder am
politischen Leben beteiligen, noch in der städtischen Verwaltung betätigen. Durch
besondere gesetzliche Bestimmungen von 1902 werden die Rumänen vor fremden
Handwerkern bei allen Lieferungen an den Staat und die Gemeinden vor¬
gezogen. Zu Beginn 1910 brachte der neue Jndustriemin ihter Orleanu ein
Gewerbegesetz ein, wonach das von Fabrikanten verwendete fremde Personal
nicht mehr als 25 Prozent von der Gesamtzahl der Angestellten betragen dürfe.
Wäre dieses Gesetz angenommen worden, so hätten die Ausländer in Rumänien
nichts mehr zu tun und alle von den Deutschen errichteten Unternehmungen
wären in rumänische Hände gelangt. Dazu kommt, daß die Konkurrenz der
Juden, z. B. in Jassy, die deutschen Handwerker und Kaufleute fast gänzlich
verdrängt hat. Den bäuerlichen Ansiedlern in der Dobrudscha werden die
Versprechungen zum Teil nicht gehalten, so daß große Erbitterung herrscht und
zahlreiche Auswanderungen nach Amerika stattfinden. Die deutschen Privatschulen
in der Dobrudscha find durch rumänische Staatsschulen ersetzt worden, in denen
der deutsche Unterricht auf ein völlig unzureichendes Mindestmaß eingeschränkt
wurde. Der neue Unterrichtsminister Harel sucht in neuerer Zeit den Besuch der
evangelisch, deutschen Schule in Bukarest und anderer Privatschulen durch Aus¬
nahmebestimmungen zu stören, so daß die deutsche Schutzmacht einschreiten mußte.
Dazu erschallt in den letzten Jahren der Alarm, daß Bukarest germanisiert
werde. Ein Professor der dortigen Universität, der seine deutsch geschriebenen


Die Deutschen in Rumänien

erkennung finden. Früher sorgten für die deutsche Bildung gute deutsche Privat¬
schulen. Die Deutschen in Rumänien besitzen ferner seit 1845 deutsche Zeitungen;
die älteste war die Bukarester deutsche Zeitung. Heute bestehen das Bukarester
Tagblatt, der Rumänische Lloyd und das Bukarester Gemeindeblatt. Das
deutsche Vereinswesen entwickelte sich besonders in Bukarest sehr rege. Genannt
seien: die Vereinigung der Reichsdeutschen, der Verein der siebenbürger Sachsen,
die österreichisch-ungarische Landmannschaft und der Verein der Schweizer. Sehr
bedeutend ist die 1852 begründete Bukarester Liedertafel. Ferner sind anzuführen:
der deutsche Turnverein, der Volksbildungsverein, der Krankenunterstützungs-
und Begräbniskassenverein Germania, der Deutsche Unterstützungsverein, der
Verein Anker und der Österreichisch-ungarische Hilfsverein. Außerhalb Bukarests
ist bisher wenig von deutscher Vereinsarbeit zu bemerken. Vor etwa fünfzehn
Jahren haben die Deutschen in Bakau und Umgegend einen deutschen Verein
begründet.

Der Zusammenschluß aller Deutschen Rumäniens zu einem allgemeinen
deutschen Schutzvereine ist noch nicht erfolgt. Es mag dies seine Erklärung
darin finden, daß die deutsche Kulturarbeit sich lange Zeit ungestört entwickeln
konnte und es an wohlwollender Anerkennung ihres Nutzens bei einsichtigen
Rumänen auch gegenwärtig nicht fehlt. Es mehren sich aber die Zeichen, daß
auch in Rumänien diese günstigen Verhältnisse schwinden. Die Fremden in
Rumänien sind vom ganzen öffentlichen Leben ausgeschlossen; der staatsbürger¬
liche Anschluß wird ihnen sehr schwer gemacht. Sie können sich weder am
politischen Leben beteiligen, noch in der städtischen Verwaltung betätigen. Durch
besondere gesetzliche Bestimmungen von 1902 werden die Rumänen vor fremden
Handwerkern bei allen Lieferungen an den Staat und die Gemeinden vor¬
gezogen. Zu Beginn 1910 brachte der neue Jndustriemin ihter Orleanu ein
Gewerbegesetz ein, wonach das von Fabrikanten verwendete fremde Personal
nicht mehr als 25 Prozent von der Gesamtzahl der Angestellten betragen dürfe.
Wäre dieses Gesetz angenommen worden, so hätten die Ausländer in Rumänien
nichts mehr zu tun und alle von den Deutschen errichteten Unternehmungen
wären in rumänische Hände gelangt. Dazu kommt, daß die Konkurrenz der
Juden, z. B. in Jassy, die deutschen Handwerker und Kaufleute fast gänzlich
verdrängt hat. Den bäuerlichen Ansiedlern in der Dobrudscha werden die
Versprechungen zum Teil nicht gehalten, so daß große Erbitterung herrscht und
zahlreiche Auswanderungen nach Amerika stattfinden. Die deutschen Privatschulen
in der Dobrudscha find durch rumänische Staatsschulen ersetzt worden, in denen
der deutsche Unterricht auf ein völlig unzureichendes Mindestmaß eingeschränkt
wurde. Der neue Unterrichtsminister Harel sucht in neuerer Zeit den Besuch der
evangelisch, deutschen Schule in Bukarest und anderer Privatschulen durch Aus¬
nahmebestimmungen zu stören, so daß die deutsche Schutzmacht einschreiten mußte.
Dazu erschallt in den letzten Jahren der Alarm, daß Bukarest germanisiert
werde. Ein Professor der dortigen Universität, der seine deutsch geschriebenen


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[0427] Die Deutschen in Rumänien erkennung finden. Früher sorgten für die deutsche Bildung gute deutsche Privat¬ schulen. Die Deutschen in Rumänien besitzen ferner seit 1845 deutsche Zeitungen; die älteste war die Bukarester deutsche Zeitung. Heute bestehen das Bukarester Tagblatt, der Rumänische Lloyd und das Bukarester Gemeindeblatt. Das deutsche Vereinswesen entwickelte sich besonders in Bukarest sehr rege. Genannt seien: die Vereinigung der Reichsdeutschen, der Verein der siebenbürger Sachsen, die österreichisch-ungarische Landmannschaft und der Verein der Schweizer. Sehr bedeutend ist die 1852 begründete Bukarester Liedertafel. Ferner sind anzuführen: der deutsche Turnverein, der Volksbildungsverein, der Krankenunterstützungs- und Begräbniskassenverein Germania, der Deutsche Unterstützungsverein, der Verein Anker und der Österreichisch-ungarische Hilfsverein. Außerhalb Bukarests ist bisher wenig von deutscher Vereinsarbeit zu bemerken. Vor etwa fünfzehn Jahren haben die Deutschen in Bakau und Umgegend einen deutschen Verein begründet. Der Zusammenschluß aller Deutschen Rumäniens zu einem allgemeinen deutschen Schutzvereine ist noch nicht erfolgt. Es mag dies seine Erklärung darin finden, daß die deutsche Kulturarbeit sich lange Zeit ungestört entwickeln konnte und es an wohlwollender Anerkennung ihres Nutzens bei einsichtigen Rumänen auch gegenwärtig nicht fehlt. Es mehren sich aber die Zeichen, daß auch in Rumänien diese günstigen Verhältnisse schwinden. Die Fremden in Rumänien sind vom ganzen öffentlichen Leben ausgeschlossen; der staatsbürger¬ liche Anschluß wird ihnen sehr schwer gemacht. Sie können sich weder am politischen Leben beteiligen, noch in der städtischen Verwaltung betätigen. Durch besondere gesetzliche Bestimmungen von 1902 werden die Rumänen vor fremden Handwerkern bei allen Lieferungen an den Staat und die Gemeinden vor¬ gezogen. Zu Beginn 1910 brachte der neue Jndustriemin ihter Orleanu ein Gewerbegesetz ein, wonach das von Fabrikanten verwendete fremde Personal nicht mehr als 25 Prozent von der Gesamtzahl der Angestellten betragen dürfe. Wäre dieses Gesetz angenommen worden, so hätten die Ausländer in Rumänien nichts mehr zu tun und alle von den Deutschen errichteten Unternehmungen wären in rumänische Hände gelangt. Dazu kommt, daß die Konkurrenz der Juden, z. B. in Jassy, die deutschen Handwerker und Kaufleute fast gänzlich verdrängt hat. Den bäuerlichen Ansiedlern in der Dobrudscha werden die Versprechungen zum Teil nicht gehalten, so daß große Erbitterung herrscht und zahlreiche Auswanderungen nach Amerika stattfinden. Die deutschen Privatschulen in der Dobrudscha find durch rumänische Staatsschulen ersetzt worden, in denen der deutsche Unterricht auf ein völlig unzureichendes Mindestmaß eingeschränkt wurde. Der neue Unterrichtsminister Harel sucht in neuerer Zeit den Besuch der evangelisch, deutschen Schule in Bukarest und anderer Privatschulen durch Aus¬ nahmebestimmungen zu stören, so daß die deutsche Schutzmacht einschreiten mußte. Dazu erschallt in den letzten Jahren der Alarm, daß Bukarest germanisiert werde. Ein Professor der dortigen Universität, der seine deutsch geschriebenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/427>, abgerufen am 24.08.2024.