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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutschen in Rumänien

sehr häufig; in Bukarest werden die Kinder der höheren Gesellschaft in die
deutsch-evangelische Schule geschickt; die Zahl der an auswärtigen deutschen
Schulen studierenden jungen Leute steigert sich von Jahr zu Jahr; die Nach¬
frage nach deutschen Büchern ist lebhafter geworden, ebenso wächst die Zahl der
Übersetzungen aus dem Deutschen rasch an. Rumänische Gelehrte befassen sich
in der letzten Zeit mit den deutschen Kultureinflüssen auf die rumänische Sprache.
Einer von ihnen, S. MLndrescu, erhielt die von der Bukarester Universität
neu errichtete Kanzel für deutsche Sprache (1906).

Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Deutschen an der Kultivierung
Rumäniens einen Löwenanteil haben; überall tritt der Einfluß deutscher Arbeit
und Bildung zutage. Es erübrigt noch, einiges über die völkische Lage des
Deutschtums in Rumänien zu sagen.

Ein verläßlicher Gewährsmann, der preußische Generalkonsul der Moldau
und Walachei, Neigebaur, hebt 1848 hervor, daß die deutsche Nationalität in
diesen Ländern sich sehr gut erhält: "Unter den jetzt Lebenden gibt es In¬
dividuen, die in der dritten, unes wohl in der vierten Generation von Ein¬
gewanderten abstammen und noch ebenso deutsch sind, als ob sie jetzt erst aus
dem Mutterlande kämen, wenn sie gleich die Landessprache vollkommen fertig
sprechen." Als Ursache für diese Erscheinung bezeichnet Neigebaur die höhere
Bildung der Deutschen und das verschiedene Glaubensbekenntnis. Die Deutschen
bildeten untereinander "Gesellschaften, die mit den Walachen in beinahe gar
keiner Berührung stehen und Verheiratungen mit Individuen griechischer Kon¬
fession haben religiöse Schwierigkeiten". Die Deutschen besuchten im Sommer
öffentliche Gärten, wo Deutsche die Wirtschaften führten; im Winter veran¬
stalteten sie deutsche Bälle, zu denen selbst Bojaren nur ausnahmsweise Zutritt
erhielten. Die Deutschen wahrten ihr Volkstum vor allem durch Abschluß gegen
die Rumänen, ganz ähnlich wie es die siebenbürger Sachsen allzeit gemacht
haben. In neuerer Zeit haben sich aber die Verhältnisse geändert. Jene
Schranken sind zum Teil gefallen, Mischehen find nicht selten und der kosmo¬
politische Zug führt die Deutschen häufig zur Entnationalisierung. Nach der
Beobachtung des Bukarester Pfarrers Honigberger gehen die Deutschen gegen¬
wärtig in vielen Fällen schon in der zweiten oder dritten Generation im
Rumänentum auf. Besonders rasch erfolgt die Entnationalisierung der zahl¬
reichen eingewanderten deutschen Arbeiter, Diener u. tgi.

Wie ist es nun mit den Schutzmitteln der Deutschen gegen die Entnatio¬
nalisierung bestellt? Vor allen haben sie zu allen Zeiten ihr eigenes Schul¬
wesen gepflegt. In Bukarest kann man deutsche Lehrer schon seit etwa 1760
nachweisen. Gegenwärtig bestehen etwa vierzig teils von der evangelischen,
teils von der katholischen Kirche erhaltene Schulen. In Bukarest besitzt die
evangelische deutsche Gemeinde eine Oberrealschule, eine Handelsschule und eine
höhere Mädchenschule mit Handelsklassen. Die Organisation der beiden erst¬
genannten ist derart, daß ihre Zeugnisse in Osterreich und Deutschland An-


Die Deutschen in Rumänien

sehr häufig; in Bukarest werden die Kinder der höheren Gesellschaft in die
deutsch-evangelische Schule geschickt; die Zahl der an auswärtigen deutschen
Schulen studierenden jungen Leute steigert sich von Jahr zu Jahr; die Nach¬
frage nach deutschen Büchern ist lebhafter geworden, ebenso wächst die Zahl der
Übersetzungen aus dem Deutschen rasch an. Rumänische Gelehrte befassen sich
in der letzten Zeit mit den deutschen Kultureinflüssen auf die rumänische Sprache.
Einer von ihnen, S. MLndrescu, erhielt die von der Bukarester Universität
neu errichtete Kanzel für deutsche Sprache (1906).

Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Deutschen an der Kultivierung
Rumäniens einen Löwenanteil haben; überall tritt der Einfluß deutscher Arbeit
und Bildung zutage. Es erübrigt noch, einiges über die völkische Lage des
Deutschtums in Rumänien zu sagen.

Ein verläßlicher Gewährsmann, der preußische Generalkonsul der Moldau
und Walachei, Neigebaur, hebt 1848 hervor, daß die deutsche Nationalität in
diesen Ländern sich sehr gut erhält: „Unter den jetzt Lebenden gibt es In¬
dividuen, die in der dritten, unes wohl in der vierten Generation von Ein¬
gewanderten abstammen und noch ebenso deutsch sind, als ob sie jetzt erst aus
dem Mutterlande kämen, wenn sie gleich die Landessprache vollkommen fertig
sprechen." Als Ursache für diese Erscheinung bezeichnet Neigebaur die höhere
Bildung der Deutschen und das verschiedene Glaubensbekenntnis. Die Deutschen
bildeten untereinander „Gesellschaften, die mit den Walachen in beinahe gar
keiner Berührung stehen und Verheiratungen mit Individuen griechischer Kon¬
fession haben religiöse Schwierigkeiten". Die Deutschen besuchten im Sommer
öffentliche Gärten, wo Deutsche die Wirtschaften führten; im Winter veran¬
stalteten sie deutsche Bälle, zu denen selbst Bojaren nur ausnahmsweise Zutritt
erhielten. Die Deutschen wahrten ihr Volkstum vor allem durch Abschluß gegen
die Rumänen, ganz ähnlich wie es die siebenbürger Sachsen allzeit gemacht
haben. In neuerer Zeit haben sich aber die Verhältnisse geändert. Jene
Schranken sind zum Teil gefallen, Mischehen find nicht selten und der kosmo¬
politische Zug führt die Deutschen häufig zur Entnationalisierung. Nach der
Beobachtung des Bukarester Pfarrers Honigberger gehen die Deutschen gegen¬
wärtig in vielen Fällen schon in der zweiten oder dritten Generation im
Rumänentum auf. Besonders rasch erfolgt die Entnationalisierung der zahl¬
reichen eingewanderten deutschen Arbeiter, Diener u. tgi.

Wie ist es nun mit den Schutzmitteln der Deutschen gegen die Entnatio¬
nalisierung bestellt? Vor allen haben sie zu allen Zeiten ihr eigenes Schul¬
wesen gepflegt. In Bukarest kann man deutsche Lehrer schon seit etwa 1760
nachweisen. Gegenwärtig bestehen etwa vierzig teils von der evangelischen,
teils von der katholischen Kirche erhaltene Schulen. In Bukarest besitzt die
evangelische deutsche Gemeinde eine Oberrealschule, eine Handelsschule und eine
höhere Mädchenschule mit Handelsklassen. Die Organisation der beiden erst¬
genannten ist derart, daß ihre Zeugnisse in Osterreich und Deutschland An-


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[0426] Die Deutschen in Rumänien sehr häufig; in Bukarest werden die Kinder der höheren Gesellschaft in die deutsch-evangelische Schule geschickt; die Zahl der an auswärtigen deutschen Schulen studierenden jungen Leute steigert sich von Jahr zu Jahr; die Nach¬ frage nach deutschen Büchern ist lebhafter geworden, ebenso wächst die Zahl der Übersetzungen aus dem Deutschen rasch an. Rumänische Gelehrte befassen sich in der letzten Zeit mit den deutschen Kultureinflüssen auf die rumänische Sprache. Einer von ihnen, S. MLndrescu, erhielt die von der Bukarester Universität neu errichtete Kanzel für deutsche Sprache (1906). Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Deutschen an der Kultivierung Rumäniens einen Löwenanteil haben; überall tritt der Einfluß deutscher Arbeit und Bildung zutage. Es erübrigt noch, einiges über die völkische Lage des Deutschtums in Rumänien zu sagen. Ein verläßlicher Gewährsmann, der preußische Generalkonsul der Moldau und Walachei, Neigebaur, hebt 1848 hervor, daß die deutsche Nationalität in diesen Ländern sich sehr gut erhält: „Unter den jetzt Lebenden gibt es In¬ dividuen, die in der dritten, unes wohl in der vierten Generation von Ein¬ gewanderten abstammen und noch ebenso deutsch sind, als ob sie jetzt erst aus dem Mutterlande kämen, wenn sie gleich die Landessprache vollkommen fertig sprechen." Als Ursache für diese Erscheinung bezeichnet Neigebaur die höhere Bildung der Deutschen und das verschiedene Glaubensbekenntnis. Die Deutschen bildeten untereinander „Gesellschaften, die mit den Walachen in beinahe gar keiner Berührung stehen und Verheiratungen mit Individuen griechischer Kon¬ fession haben religiöse Schwierigkeiten". Die Deutschen besuchten im Sommer öffentliche Gärten, wo Deutsche die Wirtschaften führten; im Winter veran¬ stalteten sie deutsche Bälle, zu denen selbst Bojaren nur ausnahmsweise Zutritt erhielten. Die Deutschen wahrten ihr Volkstum vor allem durch Abschluß gegen die Rumänen, ganz ähnlich wie es die siebenbürger Sachsen allzeit gemacht haben. In neuerer Zeit haben sich aber die Verhältnisse geändert. Jene Schranken sind zum Teil gefallen, Mischehen find nicht selten und der kosmo¬ politische Zug führt die Deutschen häufig zur Entnationalisierung. Nach der Beobachtung des Bukarester Pfarrers Honigberger gehen die Deutschen gegen¬ wärtig in vielen Fällen schon in der zweiten oder dritten Generation im Rumänentum auf. Besonders rasch erfolgt die Entnationalisierung der zahl¬ reichen eingewanderten deutschen Arbeiter, Diener u. tgi. Wie ist es nun mit den Schutzmitteln der Deutschen gegen die Entnatio¬ nalisierung bestellt? Vor allen haben sie zu allen Zeiten ihr eigenes Schul¬ wesen gepflegt. In Bukarest kann man deutsche Lehrer schon seit etwa 1760 nachweisen. Gegenwärtig bestehen etwa vierzig teils von der evangelischen, teils von der katholischen Kirche erhaltene Schulen. In Bukarest besitzt die evangelische deutsche Gemeinde eine Oberrealschule, eine Handelsschule und eine höhere Mädchenschule mit Handelsklassen. Die Organisation der beiden erst¬ genannten ist derart, daß ihre Zeugnisse in Osterreich und Deutschland An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/426>, abgerufen am 22.07.2024.