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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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vaterlcindische Zu gerd fabri sten

erwacht da ein Regen und Sich-Recken, er reift zu einem Charakter. Und ist
es ein vaterländisches Buch, das das schlummernde Volks- und Heimatsgefühl
weckt, so wird eine vaterländische Gesinnung ersprießen, die durch keine be¬
griffliche Dialektik umzubringen ist. Wenn aber nur irgend ein vaterländischer
Schriftsteller aus Geschichte und heimatlicher Natur irgend welchen patriotischen
Stoff zusammenträgt und ihn dem Jungen vorführt, so hat dieser bestenfalls
eine bunte Unterhaltung, vielleicht eine aufwallende Sehnsucht: dergleichen
möchtest du auch wohl einmal erleben. Aber wie bald verfliegt das wieder,
wenn der Nerv der Seele nicht getroffen ist. All die so gut gemeinte patriotische
Schriftstellerei ist darum im Grunde so gut wie wertlos. Wir können von
der Forderung, daß auch die vaterländischen Jugendbücher Kunstwerke, daß sie
echt sein müssen, nicht das geringste ablassen. Das ist keine "einseitig literarische"
Forderung, kein "bloßes Ästhetentum", sondern eine Forderung praktischer
Lebenserfahrung, die psychologisch wohlbegründet ist.

Die wohlmeinende patriotische Schriftstellerei, die da glaubt, es sei mit
der mehr oder weniger geschickten Vorführung eines geeigneten Stoffes alles
getan, schädigt unter Umständen sogar die erwachende patriotische Gesinnung.
Wie wenig die "beste Absicht" vor Entgleisungen bewahrt, dafür aus Kotzdes
"Stabstrompeter Kostmann", einem Buche, das in der obenerwähnten Polemik
eine große Rolle spielt, ein Beispiel. Einer Anzahl Jungen werden da
patriotische "Antworten" eingelernt, deren Inhalt an sich vortrefflich und ernst¬
haft, für diese Jungen sogar über alles Verständnis ernsthaft ist. Sie müssen
die Antworten aufsagen -- bei welchem Anlaß? Um einen Veteran zu be¬
sänftigen, der im Begriff war. sie wegen eines lustigen Dummen-Jungens-
Streiches (dessen Motiv übrigens schon bei Schaumberger) der Polizei zu über¬
antworten. Ein wirklicher vaterländischer Dichter würde niemals die Situation
so gestaltet haben. Die Antworten sind von den Jungen nicht selbst gefunden
worden, sie sprechen sie nur nach. Bitterernste patriotische Rede wird zu einer
Komödie verwendet, die den Zweck hat, einer Strafe zu entrinnen I Sicherlich
ist sich Kotzde der inneren Unmöglichkeit der ganzen Situation, als er sie so
erzählte, nicht bewußt gewesen; eben weil er, wenigstens hier, kein Dichter
war. Aber die Kritik hat die Pflicht, die Jugend vor solchen literarischen
Entgleisungen in Schutz zu nehmen. Es darf sie nicht milde stimmen, daß
die Erzählung patriotisch gemeint ist.

Hiermit sollen nun nicht etwa alle Maßstäbe für gute vaterländische
Jugendschriften aufgestellt sein. Die wichtige Frage der Lebenswirklichkeit zum
Beispiel gehört gleichfalls hierher. Aber sie würde zu weit in allgemeinere
Zusammenhänge hineinführen. Genug, es ist klar, daß im Interesse einer
vaterländischen Jugenderziehung eine strenge Kritik nötig ist. die alle wohl-
meinende, aber dilettantische Schriftstellerei ausschaltet. Denn diese fördert die
Jugend innerlich nicht, ja. sie trägt unter Umständen dazu bei. die vaterländische
Gesinnung durch Züchtung einer leeren Phantastik zu verschütten.


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erwacht da ein Regen und Sich-Recken, er reift zu einem Charakter. Und ist
es ein vaterländisches Buch, das das schlummernde Volks- und Heimatsgefühl
weckt, so wird eine vaterländische Gesinnung ersprießen, die durch keine be¬
griffliche Dialektik umzubringen ist. Wenn aber nur irgend ein vaterländischer
Schriftsteller aus Geschichte und heimatlicher Natur irgend welchen patriotischen
Stoff zusammenträgt und ihn dem Jungen vorführt, so hat dieser bestenfalls
eine bunte Unterhaltung, vielleicht eine aufwallende Sehnsucht: dergleichen
möchtest du auch wohl einmal erleben. Aber wie bald verfliegt das wieder,
wenn der Nerv der Seele nicht getroffen ist. All die so gut gemeinte patriotische
Schriftstellerei ist darum im Grunde so gut wie wertlos. Wir können von
der Forderung, daß auch die vaterländischen Jugendbücher Kunstwerke, daß sie
echt sein müssen, nicht das geringste ablassen. Das ist keine „einseitig literarische"
Forderung, kein „bloßes Ästhetentum", sondern eine Forderung praktischer
Lebenserfahrung, die psychologisch wohlbegründet ist.

Die wohlmeinende patriotische Schriftstellerei, die da glaubt, es sei mit
der mehr oder weniger geschickten Vorführung eines geeigneten Stoffes alles
getan, schädigt unter Umständen sogar die erwachende patriotische Gesinnung.
Wie wenig die „beste Absicht" vor Entgleisungen bewahrt, dafür aus Kotzdes
„Stabstrompeter Kostmann", einem Buche, das in der obenerwähnten Polemik
eine große Rolle spielt, ein Beispiel. Einer Anzahl Jungen werden da
patriotische „Antworten" eingelernt, deren Inhalt an sich vortrefflich und ernst¬
haft, für diese Jungen sogar über alles Verständnis ernsthaft ist. Sie müssen
die Antworten aufsagen — bei welchem Anlaß? Um einen Veteran zu be¬
sänftigen, der im Begriff war. sie wegen eines lustigen Dummen-Jungens-
Streiches (dessen Motiv übrigens schon bei Schaumberger) der Polizei zu über¬
antworten. Ein wirklicher vaterländischer Dichter würde niemals die Situation
so gestaltet haben. Die Antworten sind von den Jungen nicht selbst gefunden
worden, sie sprechen sie nur nach. Bitterernste patriotische Rede wird zu einer
Komödie verwendet, die den Zweck hat, einer Strafe zu entrinnen I Sicherlich
ist sich Kotzde der inneren Unmöglichkeit der ganzen Situation, als er sie so
erzählte, nicht bewußt gewesen; eben weil er, wenigstens hier, kein Dichter
war. Aber die Kritik hat die Pflicht, die Jugend vor solchen literarischen
Entgleisungen in Schutz zu nehmen. Es darf sie nicht milde stimmen, daß
die Erzählung patriotisch gemeint ist.

Hiermit sollen nun nicht etwa alle Maßstäbe für gute vaterländische
Jugendschriften aufgestellt sein. Die wichtige Frage der Lebenswirklichkeit zum
Beispiel gehört gleichfalls hierher. Aber sie würde zu weit in allgemeinere
Zusammenhänge hineinführen. Genug, es ist klar, daß im Interesse einer
vaterländischen Jugenderziehung eine strenge Kritik nötig ist. die alle wohl-
meinende, aber dilettantische Schriftstellerei ausschaltet. Denn diese fördert die
Jugend innerlich nicht, ja. sie trägt unter Umständen dazu bei. die vaterländische
Gesinnung durch Züchtung einer leeren Phantastik zu verschütten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/417>, abgerufen am 04.07.2024.