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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kolonialer Fortschritt im Jahre 5952

obersten Reichsverwaltung, aus irgendwelchen Gründen dem betreffenden Ver¬
waltungszweig in bestimmter Richtung neues Leben einzuhauchen, erwartet die
öffentliche Meinung selbstverständlich von dem neuen Mann einen gewissen
individuellen Betätigungsdrang -- kurz, etwas Neues. Auch Herr Dr. Sols
hat taktvollerweise bei seiner Berufung erklärt, er wolle die bewährte Politik
Dernburgs nicht durch ein neues Programm umwerfen und die Öffentlichkeit,
die in ihm -- unschuldigerweise -- jahrelang den Schildträger Dernburgscher
Politik gesehen hatte, konnte sich zunächst einer gewissen Enttäuschung nicht
erwehren. Die Wissenden waren aber schon darüber orientiert, daß ein neuer
Wind wehen würde. Er hat denn auch mittlerweile die kolonialpolitische Atmo¬
sphäre gereinigt, Mißtrauen und Verstimmung hinweggefegt und den Weg frei¬
gemacht für eine gut deutsche von reinlichem Rassegefühl getragene Kolonial¬
politik. Und wenn auch die Kolonialverwaltung an manche Fragen der Kolonial¬
politik, wie die der Selbstverwaltung und der Besiedlung noch zaghaft heran¬
geht, so muß man Geduld haben -- kein Baum fällt auf einen Hieb und gut
Ding will Weile haben, zumal wenn es bisher amtlicherseits als quantitö
nöxliAsable behandelt worden ist. Eins folgt aus dem anderen. Wenn nun
Dr. Sols mit solcher Energie dem Widerstande bisher gefürchteter Parteien
zum Trotz die Nassenfrage angefaßt hat, so hat er dies sicher im Hinblick auf
eine künftige, viel größere weiße Bevölkerung in den Kolonien getan. Näher
darauf einzugehen, können wir uns versagen, denn diese Fragen sind an dieser
Stelle schon bei Würdigung der Solfschen Afrikareise (Ur. 45 des letzten Jahr¬
ganges) erörtert worden, ebenso wie die Bereitwilligkeit des Staatssekretärs,
endlich die Farmwirtschaft in Südwestafrika durch Schaffung eines staatlichen
Kreditinstituts auf eine entwicklungsfähigere Grundlage zu stellen. Dieses Kredit¬
institut ist in Vorbereitung, und zwar im wesentlichen in der Form, wie sie
von uns schon vor etwa zwei Jahren vorgeschlagen wurde. Also nicht nur
programmatische Erklärungen hat uns der neue Staatssekretär gebracht, sondern
eine respektable Portion praktischer und ideeller Fortschritte.

Ehe wir nun die materiellen Ergebnisse des verflossenen Jahres aufzählen,
muß auf das verkehrspolitische Programm Dr. Solfs, das er neulich bei einem
parlamentarischen Abend entwickelte, eingegangen werden, weil es die aus der
heutigen Entwicklung des Eisenbahnnetzes zu ziehenden Schlüsse vorwegnimmt.
Mit schlichter Selbstverständlichkeit vorgetragen, wirkte dieses Programm sicht¬
lich auf die Teilnehmer an dem Abend, und wird wohl eher beachtet und
"in einem feinen Herzen bewahrt" werden, als dieselben Ausführungen im all-
gemeinen Teil des oben erwähnten amtlichen Jahresberichts. Herr Dr. Sols
kennt seine Pappenheimer, er weiß wohl, daß dieser Jahresbericht auch von den
Leuten, für die er hauptsächlich bestimmt ist, den Volksvertretern, meist nicht
gelesen wird, obwohl sein gewissenhaftes Studium viel Rederei im Reichstag
überflüssig machen würde. Leider hat Herr Matthias Erzberger. dessen koloniales
Sachverständigentum in letzter Zeit infolge sichtbarer Mängel elementarsten
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Kolonialer Fortschritt im Jahre 5952

obersten Reichsverwaltung, aus irgendwelchen Gründen dem betreffenden Ver¬
waltungszweig in bestimmter Richtung neues Leben einzuhauchen, erwartet die
öffentliche Meinung selbstverständlich von dem neuen Mann einen gewissen
individuellen Betätigungsdrang — kurz, etwas Neues. Auch Herr Dr. Sols
hat taktvollerweise bei seiner Berufung erklärt, er wolle die bewährte Politik
Dernburgs nicht durch ein neues Programm umwerfen und die Öffentlichkeit,
die in ihm — unschuldigerweise — jahrelang den Schildträger Dernburgscher
Politik gesehen hatte, konnte sich zunächst einer gewissen Enttäuschung nicht
erwehren. Die Wissenden waren aber schon darüber orientiert, daß ein neuer
Wind wehen würde. Er hat denn auch mittlerweile die kolonialpolitische Atmo¬
sphäre gereinigt, Mißtrauen und Verstimmung hinweggefegt und den Weg frei¬
gemacht für eine gut deutsche von reinlichem Rassegefühl getragene Kolonial¬
politik. Und wenn auch die Kolonialverwaltung an manche Fragen der Kolonial¬
politik, wie die der Selbstverwaltung und der Besiedlung noch zaghaft heran¬
geht, so muß man Geduld haben — kein Baum fällt auf einen Hieb und gut
Ding will Weile haben, zumal wenn es bisher amtlicherseits als quantitö
nöxliAsable behandelt worden ist. Eins folgt aus dem anderen. Wenn nun
Dr. Sols mit solcher Energie dem Widerstande bisher gefürchteter Parteien
zum Trotz die Nassenfrage angefaßt hat, so hat er dies sicher im Hinblick auf
eine künftige, viel größere weiße Bevölkerung in den Kolonien getan. Näher
darauf einzugehen, können wir uns versagen, denn diese Fragen sind an dieser
Stelle schon bei Würdigung der Solfschen Afrikareise (Ur. 45 des letzten Jahr¬
ganges) erörtert worden, ebenso wie die Bereitwilligkeit des Staatssekretärs,
endlich die Farmwirtschaft in Südwestafrika durch Schaffung eines staatlichen
Kreditinstituts auf eine entwicklungsfähigere Grundlage zu stellen. Dieses Kredit¬
institut ist in Vorbereitung, und zwar im wesentlichen in der Form, wie sie
von uns schon vor etwa zwei Jahren vorgeschlagen wurde. Also nicht nur
programmatische Erklärungen hat uns der neue Staatssekretär gebracht, sondern
eine respektable Portion praktischer und ideeller Fortschritte.

Ehe wir nun die materiellen Ergebnisse des verflossenen Jahres aufzählen,
muß auf das verkehrspolitische Programm Dr. Solfs, das er neulich bei einem
parlamentarischen Abend entwickelte, eingegangen werden, weil es die aus der
heutigen Entwicklung des Eisenbahnnetzes zu ziehenden Schlüsse vorwegnimmt.
Mit schlichter Selbstverständlichkeit vorgetragen, wirkte dieses Programm sicht¬
lich auf die Teilnehmer an dem Abend, und wird wohl eher beachtet und
„in einem feinen Herzen bewahrt" werden, als dieselben Ausführungen im all-
gemeinen Teil des oben erwähnten amtlichen Jahresberichts. Herr Dr. Sols
kennt seine Pappenheimer, er weiß wohl, daß dieser Jahresbericht auch von den
Leuten, für die er hauptsächlich bestimmt ist, den Volksvertretern, meist nicht
gelesen wird, obwohl sein gewissenhaftes Studium viel Rederei im Reichstag
überflüssig machen würde. Leider hat Herr Matthias Erzberger. dessen koloniales
Sachverständigentum in letzter Zeit infolge sichtbarer Mängel elementarsten
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[0407] Kolonialer Fortschritt im Jahre 5952 obersten Reichsverwaltung, aus irgendwelchen Gründen dem betreffenden Ver¬ waltungszweig in bestimmter Richtung neues Leben einzuhauchen, erwartet die öffentliche Meinung selbstverständlich von dem neuen Mann einen gewissen individuellen Betätigungsdrang — kurz, etwas Neues. Auch Herr Dr. Sols hat taktvollerweise bei seiner Berufung erklärt, er wolle die bewährte Politik Dernburgs nicht durch ein neues Programm umwerfen und die Öffentlichkeit, die in ihm — unschuldigerweise — jahrelang den Schildträger Dernburgscher Politik gesehen hatte, konnte sich zunächst einer gewissen Enttäuschung nicht erwehren. Die Wissenden waren aber schon darüber orientiert, daß ein neuer Wind wehen würde. Er hat denn auch mittlerweile die kolonialpolitische Atmo¬ sphäre gereinigt, Mißtrauen und Verstimmung hinweggefegt und den Weg frei¬ gemacht für eine gut deutsche von reinlichem Rassegefühl getragene Kolonial¬ politik. Und wenn auch die Kolonialverwaltung an manche Fragen der Kolonial¬ politik, wie die der Selbstverwaltung und der Besiedlung noch zaghaft heran¬ geht, so muß man Geduld haben — kein Baum fällt auf einen Hieb und gut Ding will Weile haben, zumal wenn es bisher amtlicherseits als quantitö nöxliAsable behandelt worden ist. Eins folgt aus dem anderen. Wenn nun Dr. Sols mit solcher Energie dem Widerstande bisher gefürchteter Parteien zum Trotz die Nassenfrage angefaßt hat, so hat er dies sicher im Hinblick auf eine künftige, viel größere weiße Bevölkerung in den Kolonien getan. Näher darauf einzugehen, können wir uns versagen, denn diese Fragen sind an dieser Stelle schon bei Würdigung der Solfschen Afrikareise (Ur. 45 des letzten Jahr¬ ganges) erörtert worden, ebenso wie die Bereitwilligkeit des Staatssekretärs, endlich die Farmwirtschaft in Südwestafrika durch Schaffung eines staatlichen Kreditinstituts auf eine entwicklungsfähigere Grundlage zu stellen. Dieses Kredit¬ institut ist in Vorbereitung, und zwar im wesentlichen in der Form, wie sie von uns schon vor etwa zwei Jahren vorgeschlagen wurde. Also nicht nur programmatische Erklärungen hat uns der neue Staatssekretär gebracht, sondern eine respektable Portion praktischer und ideeller Fortschritte. Ehe wir nun die materiellen Ergebnisse des verflossenen Jahres aufzählen, muß auf das verkehrspolitische Programm Dr. Solfs, das er neulich bei einem parlamentarischen Abend entwickelte, eingegangen werden, weil es die aus der heutigen Entwicklung des Eisenbahnnetzes zu ziehenden Schlüsse vorwegnimmt. Mit schlichter Selbstverständlichkeit vorgetragen, wirkte dieses Programm sicht¬ lich auf die Teilnehmer an dem Abend, und wird wohl eher beachtet und „in einem feinen Herzen bewahrt" werden, als dieselben Ausführungen im all- gemeinen Teil des oben erwähnten amtlichen Jahresberichts. Herr Dr. Sols kennt seine Pappenheimer, er weiß wohl, daß dieser Jahresbericht auch von den Leuten, für die er hauptsächlich bestimmt ist, den Volksvertretern, meist nicht gelesen wird, obwohl sein gewissenhaftes Studium viel Rederei im Reichstag überflüssig machen würde. Leider hat Herr Matthias Erzberger. dessen koloniales Sachverständigentum in letzter Zeit infolge sichtbarer Mängel elementarsten * 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/407>, abgerufen am 22.07.2024.