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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

richt, Heft 1, Teubner, 1912) nachweist,
unsere gegenwärtige Rechtschreibung nicht.
Das amtliche Regel- und Wörterverzeichnis
schreibt als Hauptregel vor: "Bezeichne jeden
Laut, den man bei richtiger und deutlicher
Aussprache hört, durch das ihm zukommende
Zeichen." Nach dieser Regel stellt Kosog allein
63 (I) verschiedene Möglichkeiten für die
Fixierung des aus nur vier Lauten bestehen¬
den Wortes "Fuchs" auf -- und ein ver¬
nünftiger Grund, weshalb S2 von diesen
Möglichkeiten falsch sein sollen und nur die
eine richtig, ist beim besten Willen nicht ein¬
zusehen. Bedenkliche Jnkonsequenzen ergeben
sich auch, wie jeder Lehrer weiß, durch die
amtlichen Regeln über Schärfung, Dehnung
(vier Möglichkeiten!); und das "richtige"
Setzen von großen und kleinen Anfangsbuch¬
staben ist so schwierig, daß Kosog selbst ein
37 Druckzeilen langes Diktat über diese
Regeln mit 4 Fehlern schrieb, während bei
30 Lehrern der Durchschnitt 13, bei 10 Herren
mit akademischer Vorbildung MVg, bei 2
Subalternbeamten 23Vs Fehler betrug. Diese
und andere vom Verfasser angeführten Tat¬
sachen lassen deutlich erkennen, welche enormen
und sinnlosen Anforderungen wir an unsere
Schulkinder stellen. Wir müssen also durch¬
aus einen Normaltypus schaffen, der leichter
zu lernen und zu beherrschen ist; die Kraft- und
Zeitersparnis, die dadurch nicht nur im Be¬
reich der Schule, sondern auf allen Gebieten,
wo schriftliche Mitteilung eine Rolle spielt
(Buchhandel, Behörden usw.), erzielt werden
würde, ist geradezu ungeheuer. Auch die
Reformvorschläge, die Kosog einstweilen zur
Erörterung stellt, sind durchaus der Beachtung
wert. Ein rein phonetisches System hält er
mit Recht vorläufig für nicht durchführbar.
Dagegen verlangt er die Ausmerzung doppelt
vertretener Buchstaben, wie des c (für z), des
qu (für kW), des x und des v (für f). Die
Dehnungszeichen könnten, wie schon Weinhold,
Wackernagel u. a. wollten, überhaupt wegfallen,
dafür wären die Schärfungszeichen überall
folgerecht durchzuführen. Ferner müssen die
Regeln über große und kleine Anfangsbuch¬
staben vereinfacht werden. Doch geht der
Verfasser meiner Meinung nach zu weit, Kenn
er vorschlägt, die Großschreibung auf Satz¬
anfänge und Eigennamen zu beschränken.

[Spaltenumbruch]

Ich weiß sehr Wohl, daß das in Philologen¬
kreisen auch in? Druck schon vielfach üblich ist,
gebe auch ohne weiteres zu, daß nicht immer
mit Sicherheit zu entscheiden ist, wo ein
Hauptwort vorliegt und wo nicht, und daß
ästhetische Gegengründe nicht ausschlaggebend
zu sein brauchen. Aber solange nicht mit
Bestimmtheit nachgewiesen ist, daß die großen
Buchstaben wirklich kein schnelleres und leich¬
teres Lesen ermöglichen, scheint es mir be¬
denklich, diesen vielleicht doch existierenden
Borten für den der Zeitersparnis beim Er¬
lernen der Großschreibung fahren zu lassen.
Dagegen vermisse ich die Forderung größerer
Konsequenz in der Schreibung eingebürgerter
Frenidwörter. Warum soll ich Cousine
schreiben aber Kognak, warum Coupon aber
Kulisse, warum Chor aber Kartausc, wozu
die Widersinnigkeit, auf ein deutsches e einen
Akzent zu setzen wie in Charles oder Coupe,
und wozu müssen unsere Kinder Bureau oder
Telephon lernen, wenn sie überall Buro oder
Telefon lesen können?

Dr. R. Schacht
Tagesfragen

Monismus und Sozialdemokratie. Das
Streben nach Einheit ist im innersten Wesen
des Menschen begründet. ES wird ausgelöst
durch das Bewußtsein der widerspruchsvollen
Mannigfaltigkeit in den Erscheinungen der
Wirklichkeit. Der moderne Monist sucht die
Widersprüche durch die wissenschaftliche Er¬
kenntnis, durch die Erkenntnis der ursäch¬
lichen Bedingtheit aller Erscheinungen aus¬
zugleichen und durch ein ästhetisches Be¬
trachten der Welt, wobei alles einzelne als
Teil eines großen harmonischen Zusammen¬
hangs aufgefaßt wird. Der Gesunde und
Wohlhabende mag sich mit einer wissenschaft¬
lichen und künstlerischen Einheit der Welt
zufriedengeben. Dem Kranken aber, dem die
Schönheit der Welt verschlossen ist, und dem
Armen, der von früh bis abends um das
tägliche Brot kämpfen muß, und der keine
Zeit hat zum Genießen, wird das Bewußtsein
nicht genügen, daß das Elend seines Lebens
durch eine Reihe von Ursachen bedingt ist,
wie Abstammung, Vererbung, soziale Gliede¬
rung unseres Staates und ähnliches, und
daß gerade ihn: in dem großartigen Drama

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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richt, Heft 1, Teubner, 1912) nachweist,
unsere gegenwärtige Rechtschreibung nicht.
Das amtliche Regel- und Wörterverzeichnis
schreibt als Hauptregel vor: „Bezeichne jeden
Laut, den man bei richtiger und deutlicher
Aussprache hört, durch das ihm zukommende
Zeichen." Nach dieser Regel stellt Kosog allein
63 (I) verschiedene Möglichkeiten für die
Fixierung des aus nur vier Lauten bestehen¬
den Wortes „Fuchs" auf — und ein ver¬
nünftiger Grund, weshalb S2 von diesen
Möglichkeiten falsch sein sollen und nur die
eine richtig, ist beim besten Willen nicht ein¬
zusehen. Bedenkliche Jnkonsequenzen ergeben
sich auch, wie jeder Lehrer weiß, durch die
amtlichen Regeln über Schärfung, Dehnung
(vier Möglichkeiten!); und das „richtige"
Setzen von großen und kleinen Anfangsbuch¬
staben ist so schwierig, daß Kosog selbst ein
37 Druckzeilen langes Diktat über diese
Regeln mit 4 Fehlern schrieb, während bei
30 Lehrern der Durchschnitt 13, bei 10 Herren
mit akademischer Vorbildung MVg, bei 2
Subalternbeamten 23Vs Fehler betrug. Diese
und andere vom Verfasser angeführten Tat¬
sachen lassen deutlich erkennen, welche enormen
und sinnlosen Anforderungen wir an unsere
Schulkinder stellen. Wir müssen also durch¬
aus einen Normaltypus schaffen, der leichter
zu lernen und zu beherrschen ist; die Kraft- und
Zeitersparnis, die dadurch nicht nur im Be¬
reich der Schule, sondern auf allen Gebieten,
wo schriftliche Mitteilung eine Rolle spielt
(Buchhandel, Behörden usw.), erzielt werden
würde, ist geradezu ungeheuer. Auch die
Reformvorschläge, die Kosog einstweilen zur
Erörterung stellt, sind durchaus der Beachtung
wert. Ein rein phonetisches System hält er
mit Recht vorläufig für nicht durchführbar.
Dagegen verlangt er die Ausmerzung doppelt
vertretener Buchstaben, wie des c (für z), des
qu (für kW), des x und des v (für f). Die
Dehnungszeichen könnten, wie schon Weinhold,
Wackernagel u. a. wollten, überhaupt wegfallen,
dafür wären die Schärfungszeichen überall
folgerecht durchzuführen. Ferner müssen die
Regeln über große und kleine Anfangsbuch¬
staben vereinfacht werden. Doch geht der
Verfasser meiner Meinung nach zu weit, Kenn
er vorschlägt, die Großschreibung auf Satz¬
anfänge und Eigennamen zu beschränken.

[Spaltenumbruch]

Ich weiß sehr Wohl, daß das in Philologen¬
kreisen auch in? Druck schon vielfach üblich ist,
gebe auch ohne weiteres zu, daß nicht immer
mit Sicherheit zu entscheiden ist, wo ein
Hauptwort vorliegt und wo nicht, und daß
ästhetische Gegengründe nicht ausschlaggebend
zu sein brauchen. Aber solange nicht mit
Bestimmtheit nachgewiesen ist, daß die großen
Buchstaben wirklich kein schnelleres und leich¬
teres Lesen ermöglichen, scheint es mir be¬
denklich, diesen vielleicht doch existierenden
Borten für den der Zeitersparnis beim Er¬
lernen der Großschreibung fahren zu lassen.
Dagegen vermisse ich die Forderung größerer
Konsequenz in der Schreibung eingebürgerter
Frenidwörter. Warum soll ich Cousine
schreiben aber Kognak, warum Coupon aber
Kulisse, warum Chor aber Kartausc, wozu
die Widersinnigkeit, auf ein deutsches e einen
Akzent zu setzen wie in Charles oder Coupe,
und wozu müssen unsere Kinder Bureau oder
Telephon lernen, wenn sie überall Buro oder
Telefon lesen können?

Dr. R. Schacht
Tagesfragen

Monismus und Sozialdemokratie. Das
Streben nach Einheit ist im innersten Wesen
des Menschen begründet. ES wird ausgelöst
durch das Bewußtsein der widerspruchsvollen
Mannigfaltigkeit in den Erscheinungen der
Wirklichkeit. Der moderne Monist sucht die
Widersprüche durch die wissenschaftliche Er¬
kenntnis, durch die Erkenntnis der ursäch¬
lichen Bedingtheit aller Erscheinungen aus¬
zugleichen und durch ein ästhetisches Be¬
trachten der Welt, wobei alles einzelne als
Teil eines großen harmonischen Zusammen¬
hangs aufgefaßt wird. Der Gesunde und
Wohlhabende mag sich mit einer wissenschaft¬
lichen und künstlerischen Einheit der Welt
zufriedengeben. Dem Kranken aber, dem die
Schönheit der Welt verschlossen ist, und dem
Armen, der von früh bis abends um das
tägliche Brot kämpfen muß, und der keine
Zeit hat zum Genießen, wird das Bewußtsein
nicht genügen, daß das Elend seines Lebens
durch eine Reihe von Ursachen bedingt ist,
wie Abstammung, Vererbung, soziale Gliede¬
rung unseres Staates und ähnliches, und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/402>, abgerufen am 22.12.2024.