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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Etwas über die Ära (Lassirer

s
mag ziemlich gewagt erscheinen, über ein Unternehmen, das
offenbar auf der Höhe seiner Entwicklung steht, eine Art retro¬
spektiver Betrachtung anzustellen, aber da es nach dem Ausspruche
seines Gründers und Leiters selbst in ganz neue Bahnen ein¬
zulenken begonnen hat, so wird es sich einen derartigen Rückblick
schon gefallen lassen müssen. Herr Paul Cassirer war, als er im Jahre 1898
seinen Kunstsalon auftat. einer von jenen Gescheiten, von denen man so richtig
zu sagen pflegt, daß sie eineni dringenden Bedürfnis abzuhelfen wußten, und
jetzt, nach fünfzehn Jahren, kann man sich fragen, ob er nicht vielleicht -- wie
schon so mancher -- im Begriff ist, zu den weniger Gescheiten überzugehen, die
über ihren Erfolgen vergessen, daß die Bedürfnisse von heute nicht mehr die
von neulich sind. Damals war er derjenige, der mit einem sympathischen
Anflug von mutigen Idealismus, wie er dem spekulierenden Kunsthändler so
vortrefflich ansteht, neue Werte einzupflanzen unternahm, die in der Fremde
gediehen waren und hier erst Wurzel fassen sollten. Er mußte dabei mit einer
starken Gegnerschaft rechnen, nämlich aus all den Kreisen, die in Kunstfragen
keine Revolution vertragen, unter ihnen solche von Geschmack und Kapital --
beides schmerzliche Verlustreihen. Seine Anhänger konnte er zunächst nur dort
finden, wo es galt, ein lebhaftes, aus Mangel an Tradition aber noch vages
Sensationsbedürfnis irgendwie zu befriedigen, dann aber -- und das war ihm
wichtiger -- vornehmlich unter denen, deren gesteigertes und verfeinertes Kunst"
empfinden die Öde des Hergebrachten empfand und nach Werken verlangte, die
-- gleichviel woher sie kamen -- neues zu sagen hatten und die Schaffens¬
freude der Jungen anzuspornen geeignet waren. Herr Cassirer führte also --
allen nationalen Bedenken zum Trotz -- moderne Franzosen ein; er stellte den
Berlinern nach und nach alle Phasen und Richtungen des Impressionismus vor,
er wurde der Sezession, die nicht ohne sein Verdienst aus der Berührung mit
diesen neuen Strömungen als heimische Gruppe hervorging, Hort und Schirm.
Die Künstler holten sich in seinem Salon ihre besten Anregungen, die Kritik
feierte ihn. Museen und Sammler kauften seine Bilder, und die verwöhntesten
Kunstfreunde schworen auf sein Urteil.




Etwas über die Ära (Lassirer

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mag ziemlich gewagt erscheinen, über ein Unternehmen, das
offenbar auf der Höhe seiner Entwicklung steht, eine Art retro¬
spektiver Betrachtung anzustellen, aber da es nach dem Ausspruche
seines Gründers und Leiters selbst in ganz neue Bahnen ein¬
zulenken begonnen hat, so wird es sich einen derartigen Rückblick
schon gefallen lassen müssen. Herr Paul Cassirer war, als er im Jahre 1898
seinen Kunstsalon auftat. einer von jenen Gescheiten, von denen man so richtig
zu sagen pflegt, daß sie eineni dringenden Bedürfnis abzuhelfen wußten, und
jetzt, nach fünfzehn Jahren, kann man sich fragen, ob er nicht vielleicht — wie
schon so mancher — im Begriff ist, zu den weniger Gescheiten überzugehen, die
über ihren Erfolgen vergessen, daß die Bedürfnisse von heute nicht mehr die
von neulich sind. Damals war er derjenige, der mit einem sympathischen
Anflug von mutigen Idealismus, wie er dem spekulierenden Kunsthändler so
vortrefflich ansteht, neue Werte einzupflanzen unternahm, die in der Fremde
gediehen waren und hier erst Wurzel fassen sollten. Er mußte dabei mit einer
starken Gegnerschaft rechnen, nämlich aus all den Kreisen, die in Kunstfragen
keine Revolution vertragen, unter ihnen solche von Geschmack und Kapital —
beides schmerzliche Verlustreihen. Seine Anhänger konnte er zunächst nur dort
finden, wo es galt, ein lebhaftes, aus Mangel an Tradition aber noch vages
Sensationsbedürfnis irgendwie zu befriedigen, dann aber — und das war ihm
wichtiger — vornehmlich unter denen, deren gesteigertes und verfeinertes Kunst«
empfinden die Öde des Hergebrachten empfand und nach Werken verlangte, die
— gleichviel woher sie kamen — neues zu sagen hatten und die Schaffens¬
freude der Jungen anzuspornen geeignet waren. Herr Cassirer führte also —
allen nationalen Bedenken zum Trotz — moderne Franzosen ein; er stellte den
Berlinern nach und nach alle Phasen und Richtungen des Impressionismus vor,
er wurde der Sezession, die nicht ohne sein Verdienst aus der Berührung mit
diesen neuen Strömungen als heimische Gruppe hervorging, Hort und Schirm.
Die Künstler holten sich in seinem Salon ihre besten Anregungen, die Kritik
feierte ihn. Museen und Sammler kauften seine Bilder, und die verwöhntesten
Kunstfreunde schworen auf sein Urteil.


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[0390] [Abbildung] Etwas über die Ära (Lassirer s mag ziemlich gewagt erscheinen, über ein Unternehmen, das offenbar auf der Höhe seiner Entwicklung steht, eine Art retro¬ spektiver Betrachtung anzustellen, aber da es nach dem Ausspruche seines Gründers und Leiters selbst in ganz neue Bahnen ein¬ zulenken begonnen hat, so wird es sich einen derartigen Rückblick schon gefallen lassen müssen. Herr Paul Cassirer war, als er im Jahre 1898 seinen Kunstsalon auftat. einer von jenen Gescheiten, von denen man so richtig zu sagen pflegt, daß sie eineni dringenden Bedürfnis abzuhelfen wußten, und jetzt, nach fünfzehn Jahren, kann man sich fragen, ob er nicht vielleicht — wie schon so mancher — im Begriff ist, zu den weniger Gescheiten überzugehen, die über ihren Erfolgen vergessen, daß die Bedürfnisse von heute nicht mehr die von neulich sind. Damals war er derjenige, der mit einem sympathischen Anflug von mutigen Idealismus, wie er dem spekulierenden Kunsthändler so vortrefflich ansteht, neue Werte einzupflanzen unternahm, die in der Fremde gediehen waren und hier erst Wurzel fassen sollten. Er mußte dabei mit einer starken Gegnerschaft rechnen, nämlich aus all den Kreisen, die in Kunstfragen keine Revolution vertragen, unter ihnen solche von Geschmack und Kapital — beides schmerzliche Verlustreihen. Seine Anhänger konnte er zunächst nur dort finden, wo es galt, ein lebhaftes, aus Mangel an Tradition aber noch vages Sensationsbedürfnis irgendwie zu befriedigen, dann aber — und das war ihm wichtiger — vornehmlich unter denen, deren gesteigertes und verfeinertes Kunst« empfinden die Öde des Hergebrachten empfand und nach Werken verlangte, die — gleichviel woher sie kamen — neues zu sagen hatten und die Schaffens¬ freude der Jungen anzuspornen geeignet waren. Herr Cassirer führte also — allen nationalen Bedenken zum Trotz — moderne Franzosen ein; er stellte den Berlinern nach und nach alle Phasen und Richtungen des Impressionismus vor, er wurde der Sezession, die nicht ohne sein Verdienst aus der Berührung mit diesen neuen Strömungen als heimische Gruppe hervorging, Hort und Schirm. Die Künstler holten sich in seinem Salon ihre besten Anregungen, die Kritik feierte ihn. Museen und Sammler kauften seine Bilder, und die verwöhntesten Kunstfreunde schworen auf sein Urteil.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/390>, abgerufen am 22.12.2024.