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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Schule und Kunsterziehung

in erster Linie Gefühl für Qualität, die sich ja durchaus nicht durch vorlaute
Kritik Luft zu machen braucht. Doch hören wir weiter: "Wir haben uns
auf die Baukunst beschränkt." Für diese Beschränkung werden folgende
Gründe angegeben: "Die Architektur ist die Mutter aller Künste." Ein
höchst anfechtbarer und in dieser Formulierung ganz unbeweisbarer Satz.
"Die Einführung in die großen Meisterwerke der Baukunst weckt den Raumsinn
(als ob das das einzig Wichtige wärel), das Verständnis für die Harmonie
der Verhältnisse (das tun andere Künste doch auch), für die Schönheit als
inneres Prinzip (auch dies trifft nicht die Baukunst allein). Sie lehrt aber
auch ein Grundgesetz aller Kunst: Stil kann nur wachsen aus stilvollen
harmonischen Leben." Wenn ich nun frage, was ist ein stilvolles Leben, so
dürfte ich kaum mehr als Phrasen zur Antwort bekommen. Die Geschichte der
griechischen Welt, des deutschen Mittelalters und der italienischen Renaissance
sollen die Bekräftigung für den letzten Begründungssatz sein. War nun aber die
Zeit der Phidiasschule, als ein Perikles durch Kleon ersetzt wurde, die Zeit des
Praxiteles, da die Sittlichkeit griechischen Lebens rettungslos zugrunde ging,
wirklich stilvoll oder harmonisch? War die zerrissene und zerspaltene Welt des
deutschen Mittelalters harmonisch? Und wie ist es mit der Baukunst des
Barock? Wo ist da das "stilvolle und harmonische" Leben? Auf so unsicherer
Grundlage sollte man kein System aufbauen.

Doch ein Vorschlag kann vortrefflich sein, auch wenn er schlecht begründet
wird. Wir werden aber sogleich sehen, daß der Vorschlag selber nichts taugt.
Dieser Unterricht wird nämlich, an sich ein vortrefflicher Gedanke, auf drei
Unterrichtsfächer, die Hand in Hand arbeiten müssen, auf das Zeichnen, auf
die Geschichte und Deutsch verteilt. Der Geschichtslehrer benutzt, wie es ja
auch bereits in den meisten Lehrbüchern der Geschichte angedeutet ist, die Ruhe¬
pausen zwischen den einzelnen großen Abschnitten der Geschichte, um auf die
wichtigsten Bauten der behandelten Epoche einzugehen. Der Zeichenlehrer
bereitet das Verständnis dafür durch konstruktive Anleitungen vor, während der
Deutschlehrer den Schülern Gelegenheit gibt, in Aufsätzen und Vorträgen das
Gelernte selbständig zu verarbeiten. Soweit klingt alles sehr schön. Aber nun
wird, "dem historischen Bildungsgang entsprechend", natürlich mit der antiken
Baukunst angefangen. Hier Stocke ich schon! Denn trotz aller schönen
Erklärungen aus dem Wesen der Zeit wird kein Erwachsener, geschweige
ein Schüler, falls er nicht einfach Vorgetragenes unselbständig nach¬
empfindet, die innere Schönheit eines griechischen Tempels auf Grund einer
Abbildung erleben. Ich entsinne mich aus meiner eigenen Schulzeit,
daß ich, obwohl für Kunstgeschichte lebhaft interessiert und durch be¬
geisterte und verehrte Lehrer unterwiesen, griechische Tempel stets absolut un¬
interessant und langweilig gefunden habe. Und das blieb so, bis ich als
Student in einem Pariser Museum vor einer ortginalgroßen Nachbildung
einer Tempelecke stand. Da ging mir auf, etwas müsse daran sein. Ich


Schule und Kunsterziehung

in erster Linie Gefühl für Qualität, die sich ja durchaus nicht durch vorlaute
Kritik Luft zu machen braucht. Doch hören wir weiter: „Wir haben uns
auf die Baukunst beschränkt." Für diese Beschränkung werden folgende
Gründe angegeben: „Die Architektur ist die Mutter aller Künste." Ein
höchst anfechtbarer und in dieser Formulierung ganz unbeweisbarer Satz.
„Die Einführung in die großen Meisterwerke der Baukunst weckt den Raumsinn
(als ob das das einzig Wichtige wärel), das Verständnis für die Harmonie
der Verhältnisse (das tun andere Künste doch auch), für die Schönheit als
inneres Prinzip (auch dies trifft nicht die Baukunst allein). Sie lehrt aber
auch ein Grundgesetz aller Kunst: Stil kann nur wachsen aus stilvollen
harmonischen Leben." Wenn ich nun frage, was ist ein stilvolles Leben, so
dürfte ich kaum mehr als Phrasen zur Antwort bekommen. Die Geschichte der
griechischen Welt, des deutschen Mittelalters und der italienischen Renaissance
sollen die Bekräftigung für den letzten Begründungssatz sein. War nun aber die
Zeit der Phidiasschule, als ein Perikles durch Kleon ersetzt wurde, die Zeit des
Praxiteles, da die Sittlichkeit griechischen Lebens rettungslos zugrunde ging,
wirklich stilvoll oder harmonisch? War die zerrissene und zerspaltene Welt des
deutschen Mittelalters harmonisch? Und wie ist es mit der Baukunst des
Barock? Wo ist da das „stilvolle und harmonische" Leben? Auf so unsicherer
Grundlage sollte man kein System aufbauen.

Doch ein Vorschlag kann vortrefflich sein, auch wenn er schlecht begründet
wird. Wir werden aber sogleich sehen, daß der Vorschlag selber nichts taugt.
Dieser Unterricht wird nämlich, an sich ein vortrefflicher Gedanke, auf drei
Unterrichtsfächer, die Hand in Hand arbeiten müssen, auf das Zeichnen, auf
die Geschichte und Deutsch verteilt. Der Geschichtslehrer benutzt, wie es ja
auch bereits in den meisten Lehrbüchern der Geschichte angedeutet ist, die Ruhe¬
pausen zwischen den einzelnen großen Abschnitten der Geschichte, um auf die
wichtigsten Bauten der behandelten Epoche einzugehen. Der Zeichenlehrer
bereitet das Verständnis dafür durch konstruktive Anleitungen vor, während der
Deutschlehrer den Schülern Gelegenheit gibt, in Aufsätzen und Vorträgen das
Gelernte selbständig zu verarbeiten. Soweit klingt alles sehr schön. Aber nun
wird, „dem historischen Bildungsgang entsprechend", natürlich mit der antiken
Baukunst angefangen. Hier Stocke ich schon! Denn trotz aller schönen
Erklärungen aus dem Wesen der Zeit wird kein Erwachsener, geschweige
ein Schüler, falls er nicht einfach Vorgetragenes unselbständig nach¬
empfindet, die innere Schönheit eines griechischen Tempels auf Grund einer
Abbildung erleben. Ich entsinne mich aus meiner eigenen Schulzeit,
daß ich, obwohl für Kunstgeschichte lebhaft interessiert und durch be¬
geisterte und verehrte Lehrer unterwiesen, griechische Tempel stets absolut un¬
interessant und langweilig gefunden habe. Und das blieb so, bis ich als
Student in einem Pariser Museum vor einer ortginalgroßen Nachbildung
einer Tempelecke stand. Da ging mir auf, etwas müsse daran sein. Ich


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[0368] Schule und Kunsterziehung in erster Linie Gefühl für Qualität, die sich ja durchaus nicht durch vorlaute Kritik Luft zu machen braucht. Doch hören wir weiter: „Wir haben uns auf die Baukunst beschränkt." Für diese Beschränkung werden folgende Gründe angegeben: „Die Architektur ist die Mutter aller Künste." Ein höchst anfechtbarer und in dieser Formulierung ganz unbeweisbarer Satz. „Die Einführung in die großen Meisterwerke der Baukunst weckt den Raumsinn (als ob das das einzig Wichtige wärel), das Verständnis für die Harmonie der Verhältnisse (das tun andere Künste doch auch), für die Schönheit als inneres Prinzip (auch dies trifft nicht die Baukunst allein). Sie lehrt aber auch ein Grundgesetz aller Kunst: Stil kann nur wachsen aus stilvollen harmonischen Leben." Wenn ich nun frage, was ist ein stilvolles Leben, so dürfte ich kaum mehr als Phrasen zur Antwort bekommen. Die Geschichte der griechischen Welt, des deutschen Mittelalters und der italienischen Renaissance sollen die Bekräftigung für den letzten Begründungssatz sein. War nun aber die Zeit der Phidiasschule, als ein Perikles durch Kleon ersetzt wurde, die Zeit des Praxiteles, da die Sittlichkeit griechischen Lebens rettungslos zugrunde ging, wirklich stilvoll oder harmonisch? War die zerrissene und zerspaltene Welt des deutschen Mittelalters harmonisch? Und wie ist es mit der Baukunst des Barock? Wo ist da das „stilvolle und harmonische" Leben? Auf so unsicherer Grundlage sollte man kein System aufbauen. Doch ein Vorschlag kann vortrefflich sein, auch wenn er schlecht begründet wird. Wir werden aber sogleich sehen, daß der Vorschlag selber nichts taugt. Dieser Unterricht wird nämlich, an sich ein vortrefflicher Gedanke, auf drei Unterrichtsfächer, die Hand in Hand arbeiten müssen, auf das Zeichnen, auf die Geschichte und Deutsch verteilt. Der Geschichtslehrer benutzt, wie es ja auch bereits in den meisten Lehrbüchern der Geschichte angedeutet ist, die Ruhe¬ pausen zwischen den einzelnen großen Abschnitten der Geschichte, um auf die wichtigsten Bauten der behandelten Epoche einzugehen. Der Zeichenlehrer bereitet das Verständnis dafür durch konstruktive Anleitungen vor, während der Deutschlehrer den Schülern Gelegenheit gibt, in Aufsätzen und Vorträgen das Gelernte selbständig zu verarbeiten. Soweit klingt alles sehr schön. Aber nun wird, „dem historischen Bildungsgang entsprechend", natürlich mit der antiken Baukunst angefangen. Hier Stocke ich schon! Denn trotz aller schönen Erklärungen aus dem Wesen der Zeit wird kein Erwachsener, geschweige ein Schüler, falls er nicht einfach Vorgetragenes unselbständig nach¬ empfindet, die innere Schönheit eines griechischen Tempels auf Grund einer Abbildung erleben. Ich entsinne mich aus meiner eigenen Schulzeit, daß ich, obwohl für Kunstgeschichte lebhaft interessiert und durch be¬ geisterte und verehrte Lehrer unterwiesen, griechische Tempel stets absolut un¬ interessant und langweilig gefunden habe. Und das blieb so, bis ich als Student in einem Pariser Museum vor einer ortginalgroßen Nachbildung einer Tempelecke stand. Da ging mir auf, etwas müsse daran sein. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/368>, abgerufen am 22.12.2024.