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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Wels und waibling

schien es dann, als wollte die Dänentochter Thyra, Herzogin von Cumberland,
den Streit begraben helfen. Gewisse Heiratsprojekte, die eine verwandtschaft¬
liche Annäherung zwischen Preußen und Dänemark zum Ziel hatten, standen im
Hintergrunde. Im letzten Augenblick jedoch erneuerte Herzog Ernst August von
Cumberland, angeblich überredet durch seine Schwägerin Dagmar alia8 Maria
Pawlowna Kaiserin-Mutter von Rußland, seine Proteste gegen Preußen und
seine Ansprüche auf Hannover. Auch auf König Eduard wird als Friedens¬
störer hingewiesen. Der Kaiser war besonders auch durch die Form der Ab¬
lehnung so aufgebracht, daß man allgemein glaubte, die Aussöhnungsversuche
mit den Weisen seien ein für allemal als gescheitert zu betrachten.

Am 13. September 1906 starb indessen auf seinem Schloß zu Camenz in
Schlesien der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogtums Braunschweig.
Ehe man zur Wahl eines neuen Regenten schritt, versuchte das "Herzoglich
Braunschweigisch-Lüneburgische Staatsministerium" nach Einverständniserklärung
mit dem Landtage sowohl wie mit Preußen und dem Reichskanzler die Gegen¬
sätze zwischen Preußen und dem Herzog Ernst August von Cumberland aus¬
zugleichen. Ein langer Schriftwechsel, der bis in den Dezember währte, führte
zu nichts, da der Welfe sich den durch 1866 und die Gründung des Reiches
geschaffenen staatsrechtlichen Verhältnissen nicht fügen wollte. Am 28. Mai 1907
wählte die Landesversammlung auf Antrag des Regentschaftsrates Seine Hoheit
den Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg zum Regenten des Herzogtums.")

Inzwischen kam das Jahr 1908 heran und Großherzog Ernst August mußte
sich überzeugt haben, daß es keine Bundesgenossen gab, die befähigt wären,
seinem Hause den Thron zurückzugewinnen. Besonders der Haß Dagmars erwies
sich für Deutschland als unschädlich. Rußland, im eigenen Lande arg zerrüttet,
mit seinen weltwirtschaftlichen Interessen im nahen und fernen Osten gebunden,
kam als Gegner Deutschlands nicht ernsthaft in Frage. Der Dreibund blieb
unantastbar. Kleine Herausforderungen Englands und Frankreichs vermochten
aber den Kaiser in seiner besonnenen Friedensliebe nicht zu erschüttern. Für
das Oberhaupt der Familie Cumberland bekam die braunschweigische Frage
allmählich ein anderes Gesicht. Die Entscheidung von 1866 war unwiderruflich
geworden. Unter dem Schutz des mächtigen Deutschen Reiches genossen auch
die Mitglieder der Welfenpartei in Hannover und Braunschweig alle die Seg¬
nungen des Friedens, die durch Eintreten für eine zur Utopie gewordene Idee ge¬
fährdet werden konnten. Die sogenannten "Treibereien der Welsen" bestanden mehr
in der erregten Phantasie gewisser Auchpolitiker in Deutschland als in der
Wirklichkeit, jedenfalls vermochten sie die großen Massen nicht mehr aufzuregen;
schließlich hatte auch das Verhalten des Herzogs während der Verhandlungen



") über diese Episode unterrichtet unter voller Wiedergabe der Dokumente ein Aufsatz von
A, Rhamm "Die Neuordnung der Regierungsverhältnisse in Braunschweig" in Band I des
Jahrbuchs des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Tübingen, Verlag von I. C. B, Mohr
(Paul Siebeck) 1907, Seite 340-861.
Wels und waibling

schien es dann, als wollte die Dänentochter Thyra, Herzogin von Cumberland,
den Streit begraben helfen. Gewisse Heiratsprojekte, die eine verwandtschaft¬
liche Annäherung zwischen Preußen und Dänemark zum Ziel hatten, standen im
Hintergrunde. Im letzten Augenblick jedoch erneuerte Herzog Ernst August von
Cumberland, angeblich überredet durch seine Schwägerin Dagmar alia8 Maria
Pawlowna Kaiserin-Mutter von Rußland, seine Proteste gegen Preußen und
seine Ansprüche auf Hannover. Auch auf König Eduard wird als Friedens¬
störer hingewiesen. Der Kaiser war besonders auch durch die Form der Ab¬
lehnung so aufgebracht, daß man allgemein glaubte, die Aussöhnungsversuche
mit den Weisen seien ein für allemal als gescheitert zu betrachten.

Am 13. September 1906 starb indessen auf seinem Schloß zu Camenz in
Schlesien der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogtums Braunschweig.
Ehe man zur Wahl eines neuen Regenten schritt, versuchte das „Herzoglich
Braunschweigisch-Lüneburgische Staatsministerium" nach Einverständniserklärung
mit dem Landtage sowohl wie mit Preußen und dem Reichskanzler die Gegen¬
sätze zwischen Preußen und dem Herzog Ernst August von Cumberland aus¬
zugleichen. Ein langer Schriftwechsel, der bis in den Dezember währte, führte
zu nichts, da der Welfe sich den durch 1866 und die Gründung des Reiches
geschaffenen staatsrechtlichen Verhältnissen nicht fügen wollte. Am 28. Mai 1907
wählte die Landesversammlung auf Antrag des Regentschaftsrates Seine Hoheit
den Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg zum Regenten des Herzogtums.")

Inzwischen kam das Jahr 1908 heran und Großherzog Ernst August mußte
sich überzeugt haben, daß es keine Bundesgenossen gab, die befähigt wären,
seinem Hause den Thron zurückzugewinnen. Besonders der Haß Dagmars erwies
sich für Deutschland als unschädlich. Rußland, im eigenen Lande arg zerrüttet,
mit seinen weltwirtschaftlichen Interessen im nahen und fernen Osten gebunden,
kam als Gegner Deutschlands nicht ernsthaft in Frage. Der Dreibund blieb
unantastbar. Kleine Herausforderungen Englands und Frankreichs vermochten
aber den Kaiser in seiner besonnenen Friedensliebe nicht zu erschüttern. Für
das Oberhaupt der Familie Cumberland bekam die braunschweigische Frage
allmählich ein anderes Gesicht. Die Entscheidung von 1866 war unwiderruflich
geworden. Unter dem Schutz des mächtigen Deutschen Reiches genossen auch
die Mitglieder der Welfenpartei in Hannover und Braunschweig alle die Seg¬
nungen des Friedens, die durch Eintreten für eine zur Utopie gewordene Idee ge¬
fährdet werden konnten. Die sogenannten „Treibereien der Welsen" bestanden mehr
in der erregten Phantasie gewisser Auchpolitiker in Deutschland als in der
Wirklichkeit, jedenfalls vermochten sie die großen Massen nicht mehr aufzuregen;
schließlich hatte auch das Verhalten des Herzogs während der Verhandlungen



") über diese Episode unterrichtet unter voller Wiedergabe der Dokumente ein Aufsatz von
A, Rhamm „Die Neuordnung der Regierungsverhältnisse in Braunschweig" in Band I des
Jahrbuchs des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Tübingen, Verlag von I. C. B, Mohr
(Paul Siebeck) 1907, Seite 340-861.
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[0363] Wels und waibling schien es dann, als wollte die Dänentochter Thyra, Herzogin von Cumberland, den Streit begraben helfen. Gewisse Heiratsprojekte, die eine verwandtschaft¬ liche Annäherung zwischen Preußen und Dänemark zum Ziel hatten, standen im Hintergrunde. Im letzten Augenblick jedoch erneuerte Herzog Ernst August von Cumberland, angeblich überredet durch seine Schwägerin Dagmar alia8 Maria Pawlowna Kaiserin-Mutter von Rußland, seine Proteste gegen Preußen und seine Ansprüche auf Hannover. Auch auf König Eduard wird als Friedens¬ störer hingewiesen. Der Kaiser war besonders auch durch die Form der Ab¬ lehnung so aufgebracht, daß man allgemein glaubte, die Aussöhnungsversuche mit den Weisen seien ein für allemal als gescheitert zu betrachten. Am 13. September 1906 starb indessen auf seinem Schloß zu Camenz in Schlesien der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogtums Braunschweig. Ehe man zur Wahl eines neuen Regenten schritt, versuchte das „Herzoglich Braunschweigisch-Lüneburgische Staatsministerium" nach Einverständniserklärung mit dem Landtage sowohl wie mit Preußen und dem Reichskanzler die Gegen¬ sätze zwischen Preußen und dem Herzog Ernst August von Cumberland aus¬ zugleichen. Ein langer Schriftwechsel, der bis in den Dezember währte, führte zu nichts, da der Welfe sich den durch 1866 und die Gründung des Reiches geschaffenen staatsrechtlichen Verhältnissen nicht fügen wollte. Am 28. Mai 1907 wählte die Landesversammlung auf Antrag des Regentschaftsrates Seine Hoheit den Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg zum Regenten des Herzogtums.") Inzwischen kam das Jahr 1908 heran und Großherzog Ernst August mußte sich überzeugt haben, daß es keine Bundesgenossen gab, die befähigt wären, seinem Hause den Thron zurückzugewinnen. Besonders der Haß Dagmars erwies sich für Deutschland als unschädlich. Rußland, im eigenen Lande arg zerrüttet, mit seinen weltwirtschaftlichen Interessen im nahen und fernen Osten gebunden, kam als Gegner Deutschlands nicht ernsthaft in Frage. Der Dreibund blieb unantastbar. Kleine Herausforderungen Englands und Frankreichs vermochten aber den Kaiser in seiner besonnenen Friedensliebe nicht zu erschüttern. Für das Oberhaupt der Familie Cumberland bekam die braunschweigische Frage allmählich ein anderes Gesicht. Die Entscheidung von 1866 war unwiderruflich geworden. Unter dem Schutz des mächtigen Deutschen Reiches genossen auch die Mitglieder der Welfenpartei in Hannover und Braunschweig alle die Seg¬ nungen des Friedens, die durch Eintreten für eine zur Utopie gewordene Idee ge¬ fährdet werden konnten. Die sogenannten „Treibereien der Welsen" bestanden mehr in der erregten Phantasie gewisser Auchpolitiker in Deutschland als in der Wirklichkeit, jedenfalls vermochten sie die großen Massen nicht mehr aufzuregen; schließlich hatte auch das Verhalten des Herzogs während der Verhandlungen ") über diese Episode unterrichtet unter voller Wiedergabe der Dokumente ein Aufsatz von A, Rhamm „Die Neuordnung der Regierungsverhältnisse in Braunschweig" in Band I des Jahrbuchs des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Tübingen, Verlag von I. C. B, Mohr (Paul Siebeck) 1907, Seite 340-861.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/363>, abgerufen am 24.07.2024.