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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel als Politiker

öffentlichen Denunziationen verfolgen, und die Toten in ihren Gräbern mit
Schmach bedecken?" --

So ist am Ausgang des Jahres 1848 Hebbel derselbe und der gleiche,
wie er am Beginn war. Er selbst hat sich nicht gewandelt, aber alles um ihn
herum hat inzwischen die mannigfachsten Wandlungen durchgemacht, so daß er
bald auf der rechten, bald auf der linken Seite steht. Dies muß man im
Auge behalten, um dem Charakter Hebbels ganz gerecht zu werden.

Mit Ablauf des Jahres 1843 stellt Hebbel seine Berichte an die Allgemeine
Zeitung ein. Er wendet sich wieder ganz dichterischen Aufgaben zu. Nur noch
zweimal spricht er als Dichter sein politisches Glaubensbekenntnis aus und
zwar aus verwandten Anlässen. Das eine Mal nach dem Attentat auf den
Kaiser von Osterreich vom Oktober 1853, das andere Mal nach dem Attentat
von 1861 auf den König von Preußen. Das Gedicht an diesen erregte in
Osterreich eine Sturmflut von Schmähungen des Dichters, weil er seine feste
Überzeugung von dem Kulturträgertum der Deutschen gegenüber den Slawen
und Magyaren einen scharfen Ausdruck dadurch gegeben hatte, daß er diese
Nationen "Bedientenvölker" nannte. Ähnlich hatte er sich schon in einem Epi¬
gramm über die Russen ausgedrückt, das ihn später einmal stark bedrückte, als
er bei der Fürstin Wittgenstein und ihrer Tochter, den Russen, eine Kenntnis
und ein Verständnis seiner Werke fand, das ihm in Deutschland kaum begegnet
war. Aber auch in Österreich vergaß man ihm diese Angriffe, so daß er sogar
ein Jahr später in der Hauptstadt aufgefordert wurde, anläßlich des Jahres¬
tages der Verleihung des Staatsgrundgesetzes den Prolog zur Festaufführung
zu verfassen. In diesem Prolog legt er noch einmal seine politische Welt¬
anschauung nieder, ohne damit recht verstanden zu werden. Im nächsten Jahre
rief ihn dann ein früher Tod ab, die Jahre 1866 und 1870/71 durfte er
nicht mehr erleben. So ward ihm, wie so vielen anderen, nicht mehr vergönnt,
ins Land der Verheißung zu gelangen, das er mit seinen geistigen Augen schon
geschaut hatte; mochte die Erfüllung auch anders sein als seine Erwartung, der
Dichter hätte mit stolzer deutscher Freude das Werk Bismarcks bejubelt.




Bismarck aber, der in dem harten Niedersachsen einen vielfach verwandten
Geist hätte grüßen können, scheint Hebbel wenig gekannt zu haben. Gerade
des Dichters Anschauung vom Wesen des Staates mußte ihm sympathisch sein,
und in der Neckengestalt des grimmen Hagen hätte er viel von seinem eigenen
Wesen wiedergefunden. Der Dichter ist überhaupt für die Zeit nach der Gründung
des Deutschen Reiches kaum vorhanden. Das deutsche Drama, die "Agnes Ber-
nauer", hätte Begeisterung wecken müssen, die "Nibelungen" hätten gerade dem
neuen Deutschen Reich unendlich viel sein können: es war Hebbels Schicksal,
in diesem Jahrzehnt vergessen zu werden. Und wenn wir nach der Ursache
fragen, wie ein solches Vergessen möglich war, so kommen wir zu der Erkenntnis,


Friedrich Hebbel als Politiker

öffentlichen Denunziationen verfolgen, und die Toten in ihren Gräbern mit
Schmach bedecken?" —

So ist am Ausgang des Jahres 1848 Hebbel derselbe und der gleiche,
wie er am Beginn war. Er selbst hat sich nicht gewandelt, aber alles um ihn
herum hat inzwischen die mannigfachsten Wandlungen durchgemacht, so daß er
bald auf der rechten, bald auf der linken Seite steht. Dies muß man im
Auge behalten, um dem Charakter Hebbels ganz gerecht zu werden.

Mit Ablauf des Jahres 1843 stellt Hebbel seine Berichte an die Allgemeine
Zeitung ein. Er wendet sich wieder ganz dichterischen Aufgaben zu. Nur noch
zweimal spricht er als Dichter sein politisches Glaubensbekenntnis aus und
zwar aus verwandten Anlässen. Das eine Mal nach dem Attentat auf den
Kaiser von Osterreich vom Oktober 1853, das andere Mal nach dem Attentat
von 1861 auf den König von Preußen. Das Gedicht an diesen erregte in
Osterreich eine Sturmflut von Schmähungen des Dichters, weil er seine feste
Überzeugung von dem Kulturträgertum der Deutschen gegenüber den Slawen
und Magyaren einen scharfen Ausdruck dadurch gegeben hatte, daß er diese
Nationen „Bedientenvölker" nannte. Ähnlich hatte er sich schon in einem Epi¬
gramm über die Russen ausgedrückt, das ihn später einmal stark bedrückte, als
er bei der Fürstin Wittgenstein und ihrer Tochter, den Russen, eine Kenntnis
und ein Verständnis seiner Werke fand, das ihm in Deutschland kaum begegnet
war. Aber auch in Österreich vergaß man ihm diese Angriffe, so daß er sogar
ein Jahr später in der Hauptstadt aufgefordert wurde, anläßlich des Jahres¬
tages der Verleihung des Staatsgrundgesetzes den Prolog zur Festaufführung
zu verfassen. In diesem Prolog legt er noch einmal seine politische Welt¬
anschauung nieder, ohne damit recht verstanden zu werden. Im nächsten Jahre
rief ihn dann ein früher Tod ab, die Jahre 1866 und 1870/71 durfte er
nicht mehr erleben. So ward ihm, wie so vielen anderen, nicht mehr vergönnt,
ins Land der Verheißung zu gelangen, das er mit seinen geistigen Augen schon
geschaut hatte; mochte die Erfüllung auch anders sein als seine Erwartung, der
Dichter hätte mit stolzer deutscher Freude das Werk Bismarcks bejubelt.




Bismarck aber, der in dem harten Niedersachsen einen vielfach verwandten
Geist hätte grüßen können, scheint Hebbel wenig gekannt zu haben. Gerade
des Dichters Anschauung vom Wesen des Staates mußte ihm sympathisch sein,
und in der Neckengestalt des grimmen Hagen hätte er viel von seinem eigenen
Wesen wiedergefunden. Der Dichter ist überhaupt für die Zeit nach der Gründung
des Deutschen Reiches kaum vorhanden. Das deutsche Drama, die „Agnes Ber-
nauer", hätte Begeisterung wecken müssen, die „Nibelungen" hätten gerade dem
neuen Deutschen Reich unendlich viel sein können: es war Hebbels Schicksal,
in diesem Jahrzehnt vergessen zu werden. Und wenn wir nach der Ursache
fragen, wie ein solches Vergessen möglich war, so kommen wir zu der Erkenntnis,


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[0035] Friedrich Hebbel als Politiker öffentlichen Denunziationen verfolgen, und die Toten in ihren Gräbern mit Schmach bedecken?" — So ist am Ausgang des Jahres 1848 Hebbel derselbe und der gleiche, wie er am Beginn war. Er selbst hat sich nicht gewandelt, aber alles um ihn herum hat inzwischen die mannigfachsten Wandlungen durchgemacht, so daß er bald auf der rechten, bald auf der linken Seite steht. Dies muß man im Auge behalten, um dem Charakter Hebbels ganz gerecht zu werden. Mit Ablauf des Jahres 1843 stellt Hebbel seine Berichte an die Allgemeine Zeitung ein. Er wendet sich wieder ganz dichterischen Aufgaben zu. Nur noch zweimal spricht er als Dichter sein politisches Glaubensbekenntnis aus und zwar aus verwandten Anlässen. Das eine Mal nach dem Attentat auf den Kaiser von Osterreich vom Oktober 1853, das andere Mal nach dem Attentat von 1861 auf den König von Preußen. Das Gedicht an diesen erregte in Osterreich eine Sturmflut von Schmähungen des Dichters, weil er seine feste Überzeugung von dem Kulturträgertum der Deutschen gegenüber den Slawen und Magyaren einen scharfen Ausdruck dadurch gegeben hatte, daß er diese Nationen „Bedientenvölker" nannte. Ähnlich hatte er sich schon in einem Epi¬ gramm über die Russen ausgedrückt, das ihn später einmal stark bedrückte, als er bei der Fürstin Wittgenstein und ihrer Tochter, den Russen, eine Kenntnis und ein Verständnis seiner Werke fand, das ihm in Deutschland kaum begegnet war. Aber auch in Österreich vergaß man ihm diese Angriffe, so daß er sogar ein Jahr später in der Hauptstadt aufgefordert wurde, anläßlich des Jahres¬ tages der Verleihung des Staatsgrundgesetzes den Prolog zur Festaufführung zu verfassen. In diesem Prolog legt er noch einmal seine politische Welt¬ anschauung nieder, ohne damit recht verstanden zu werden. Im nächsten Jahre rief ihn dann ein früher Tod ab, die Jahre 1866 und 1870/71 durfte er nicht mehr erleben. So ward ihm, wie so vielen anderen, nicht mehr vergönnt, ins Land der Verheißung zu gelangen, das er mit seinen geistigen Augen schon geschaut hatte; mochte die Erfüllung auch anders sein als seine Erwartung, der Dichter hätte mit stolzer deutscher Freude das Werk Bismarcks bejubelt. Bismarck aber, der in dem harten Niedersachsen einen vielfach verwandten Geist hätte grüßen können, scheint Hebbel wenig gekannt zu haben. Gerade des Dichters Anschauung vom Wesen des Staates mußte ihm sympathisch sein, und in der Neckengestalt des grimmen Hagen hätte er viel von seinem eigenen Wesen wiedergefunden. Der Dichter ist überhaupt für die Zeit nach der Gründung des Deutschen Reiches kaum vorhanden. Das deutsche Drama, die „Agnes Ber- nauer", hätte Begeisterung wecken müssen, die „Nibelungen" hätten gerade dem neuen Deutschen Reich unendlich viel sein können: es war Hebbels Schicksal, in diesem Jahrzehnt vergessen zu werden. Und wenn wir nach der Ursache fragen, wie ein solches Vergessen möglich war, so kommen wir zu der Erkenntnis,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/35>, abgerufen am 04.07.2024.