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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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was ist der Krieg?

Was ist der Arica ?
Hermann Schurig vonin

Nicht die Dinge verwirren die Menschen,
sondern die Meinungen der Menschen über die Dinge

> le theoretischen Erörterungen über Krieg und Frieden im großen
Sprechsaal des Reichstags haben wenig befriedigt. Daß der Krieg
trotz allem auch in der Gegenwart ein Stück Wirklichkeit ist, spürt
die Welt. Und wenn die Apostel der neuen Welt und des ewigen
> Friedens meinen, daß es mit der Erreichung dieses Ideals
noch zweitausend Jahre Zeit habe, so stellen sie sich damit doch ebenfalls
auf den Boden der Wirklichkeit. Beide indessen, die Bekämpfer ebenso wie seine
Verteidiger, behandeln den Krieg als eine Art Institution im Völkerleben. Ist
er das wirklich? Ich meine, so wenig für den Einzelorganismus die Krankheit
als eine Institution betrachtet werden kann, eben so wenig auch der Krieg für
die nationalen Organismen. Beides sind biologische Erscheinungen oder Prozess",
die zur Genesung des Erkrankten führen können oder zur Vernichtung. Darum
beleuchtet auch der Vergleich des Krieges mit einer Kontraselektion nur die eine
Seite der Sache; denn abgesehen von jahrelangen oder gar dreißigjährigen Kriegen,
die ja jetzt völlig unmöglich sind, hat er bei vollsaftigen, innerlich kernhaften
Volkskörpern erfahrungsgemäß recht oft blutauffrischend und wachstumfördernd
gewirkt. Ist der Stamm gesund, so treibt die Axt das Leben nur mannigfaltiger
und kräftiger heraus. Auch die ethischen, in diametralem Gegensatze sich be¬
wegenden Prädizierungen über den Krieg zeigen doch nur, daß er an sich keins
von beiden ist, weder ein Jungbrunnen sittlicher Erneuerung, noch das moralisch
Verwerflichste, das die gierigsten Triebe und Gelüste der Menschheit entfesselt. Er
kann beides sein, ja sogar beides zu gleicher Zeit. Damit tritt der Krieg jenseits
der Grenze von Gut und Böse.

Auch der Krieg ist, wie alles Wirkliche, ein Absolutes, das nur sich selber
richtet durch Wirkung und Erfolg. Den Doppelsinn des Lebens bringt erst der
Mensch, schnell fertig mit dem Wort, voreilig an die Dinge heran. "Gleich heißt
ihm alles schändlich oder würdig, bös oder gut -- und was die Einbildung
phantastisch schleppt in diesen dunkeln Namen." Darum bleiben auch jetzt wieder
alle an sich wohlgemeinten Versuche, den Krieg sozial-ethisch und ethisch-religiös
zu verwerfen oder zu rechtfertigen ein müßiges ideologisches Spiel, alle die für
oder gegen den Krieg zum so und sovielten Male geäußerten Meinungen werden
durch Wiederholung nicht beweiskräftiger. Wie die in der Welt vorhandene Un-
vollkommenheit, das Übel, das Leiden, ja das Böse selbst als ein notwendiger
Bestandteil des Menschenlebens zu betrachten ist, der untrennbar mit jedem Leben
verbunden ist als der Stoff, den das Leben erst zu formen hat, um aus ihm
Gedeihen, Glück und Sittlichkeit zu schaffen, so gehört auch der Krieg zur Natur
als der andere Pol des Lebens.

Menschlicher Willkür entspringt der Krieg gewiß, er hat das eben mit dem
menschlich Bösen überhaupt gemein. So lange aber Übel und Böses in der Welt
sind, so lange die allgemeine Mangelhaftigkeit alles Irdischen besteht, innerhalb


was ist der Krieg?

Was ist der Arica ?
Hermann Schurig vonin

Nicht die Dinge verwirren die Menschen,
sondern die Meinungen der Menschen über die Dinge

> le theoretischen Erörterungen über Krieg und Frieden im großen
Sprechsaal des Reichstags haben wenig befriedigt. Daß der Krieg
trotz allem auch in der Gegenwart ein Stück Wirklichkeit ist, spürt
die Welt. Und wenn die Apostel der neuen Welt und des ewigen
> Friedens meinen, daß es mit der Erreichung dieses Ideals
noch zweitausend Jahre Zeit habe, so stellen sie sich damit doch ebenfalls
auf den Boden der Wirklichkeit. Beide indessen, die Bekämpfer ebenso wie seine
Verteidiger, behandeln den Krieg als eine Art Institution im Völkerleben. Ist
er das wirklich? Ich meine, so wenig für den Einzelorganismus die Krankheit
als eine Institution betrachtet werden kann, eben so wenig auch der Krieg für
die nationalen Organismen. Beides sind biologische Erscheinungen oder Prozess«,
die zur Genesung des Erkrankten führen können oder zur Vernichtung. Darum
beleuchtet auch der Vergleich des Krieges mit einer Kontraselektion nur die eine
Seite der Sache; denn abgesehen von jahrelangen oder gar dreißigjährigen Kriegen,
die ja jetzt völlig unmöglich sind, hat er bei vollsaftigen, innerlich kernhaften
Volkskörpern erfahrungsgemäß recht oft blutauffrischend und wachstumfördernd
gewirkt. Ist der Stamm gesund, so treibt die Axt das Leben nur mannigfaltiger
und kräftiger heraus. Auch die ethischen, in diametralem Gegensatze sich be¬
wegenden Prädizierungen über den Krieg zeigen doch nur, daß er an sich keins
von beiden ist, weder ein Jungbrunnen sittlicher Erneuerung, noch das moralisch
Verwerflichste, das die gierigsten Triebe und Gelüste der Menschheit entfesselt. Er
kann beides sein, ja sogar beides zu gleicher Zeit. Damit tritt der Krieg jenseits
der Grenze von Gut und Böse.

Auch der Krieg ist, wie alles Wirkliche, ein Absolutes, das nur sich selber
richtet durch Wirkung und Erfolg. Den Doppelsinn des Lebens bringt erst der
Mensch, schnell fertig mit dem Wort, voreilig an die Dinge heran. „Gleich heißt
ihm alles schändlich oder würdig, bös oder gut — und was die Einbildung
phantastisch schleppt in diesen dunkeln Namen." Darum bleiben auch jetzt wieder
alle an sich wohlgemeinten Versuche, den Krieg sozial-ethisch und ethisch-religiös
zu verwerfen oder zu rechtfertigen ein müßiges ideologisches Spiel, alle die für
oder gegen den Krieg zum so und sovielten Male geäußerten Meinungen werden
durch Wiederholung nicht beweiskräftiger. Wie die in der Welt vorhandene Un-
vollkommenheit, das Übel, das Leiden, ja das Böse selbst als ein notwendiger
Bestandteil des Menschenlebens zu betrachten ist, der untrennbar mit jedem Leben
verbunden ist als der Stoff, den das Leben erst zu formen hat, um aus ihm
Gedeihen, Glück und Sittlichkeit zu schaffen, so gehört auch der Krieg zur Natur
als der andere Pol des Lebens.

Menschlicher Willkür entspringt der Krieg gewiß, er hat das eben mit dem
menschlich Bösen überhaupt gemein. So lange aber Übel und Böses in der Welt
sind, so lange die allgemeine Mangelhaftigkeit alles Irdischen besteht, innerhalb


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[0348] was ist der Krieg? Was ist der Arica ? Hermann Schurig vonin Nicht die Dinge verwirren die Menschen, sondern die Meinungen der Menschen über die Dinge > le theoretischen Erörterungen über Krieg und Frieden im großen Sprechsaal des Reichstags haben wenig befriedigt. Daß der Krieg trotz allem auch in der Gegenwart ein Stück Wirklichkeit ist, spürt die Welt. Und wenn die Apostel der neuen Welt und des ewigen > Friedens meinen, daß es mit der Erreichung dieses Ideals noch zweitausend Jahre Zeit habe, so stellen sie sich damit doch ebenfalls auf den Boden der Wirklichkeit. Beide indessen, die Bekämpfer ebenso wie seine Verteidiger, behandeln den Krieg als eine Art Institution im Völkerleben. Ist er das wirklich? Ich meine, so wenig für den Einzelorganismus die Krankheit als eine Institution betrachtet werden kann, eben so wenig auch der Krieg für die nationalen Organismen. Beides sind biologische Erscheinungen oder Prozess«, die zur Genesung des Erkrankten führen können oder zur Vernichtung. Darum beleuchtet auch der Vergleich des Krieges mit einer Kontraselektion nur die eine Seite der Sache; denn abgesehen von jahrelangen oder gar dreißigjährigen Kriegen, die ja jetzt völlig unmöglich sind, hat er bei vollsaftigen, innerlich kernhaften Volkskörpern erfahrungsgemäß recht oft blutauffrischend und wachstumfördernd gewirkt. Ist der Stamm gesund, so treibt die Axt das Leben nur mannigfaltiger und kräftiger heraus. Auch die ethischen, in diametralem Gegensatze sich be¬ wegenden Prädizierungen über den Krieg zeigen doch nur, daß er an sich keins von beiden ist, weder ein Jungbrunnen sittlicher Erneuerung, noch das moralisch Verwerflichste, das die gierigsten Triebe und Gelüste der Menschheit entfesselt. Er kann beides sein, ja sogar beides zu gleicher Zeit. Damit tritt der Krieg jenseits der Grenze von Gut und Böse. Auch der Krieg ist, wie alles Wirkliche, ein Absolutes, das nur sich selber richtet durch Wirkung und Erfolg. Den Doppelsinn des Lebens bringt erst der Mensch, schnell fertig mit dem Wort, voreilig an die Dinge heran. „Gleich heißt ihm alles schändlich oder würdig, bös oder gut — und was die Einbildung phantastisch schleppt in diesen dunkeln Namen." Darum bleiben auch jetzt wieder alle an sich wohlgemeinten Versuche, den Krieg sozial-ethisch und ethisch-religiös zu verwerfen oder zu rechtfertigen ein müßiges ideologisches Spiel, alle die für oder gegen den Krieg zum so und sovielten Male geäußerten Meinungen werden durch Wiederholung nicht beweiskräftiger. Wie die in der Welt vorhandene Un- vollkommenheit, das Übel, das Leiden, ja das Böse selbst als ein notwendiger Bestandteil des Menschenlebens zu betrachten ist, der untrennbar mit jedem Leben verbunden ist als der Stoff, den das Leben erst zu formen hat, um aus ihm Gedeihen, Glück und Sittlichkeit zu schaffen, so gehört auch der Krieg zur Natur als der andere Pol des Lebens. Menschlicher Willkür entspringt der Krieg gewiß, er hat das eben mit dem menschlich Bösen überhaupt gemein. So lange aber Übel und Böses in der Welt sind, so lange die allgemeine Mangelhaftigkeit alles Irdischen besteht, innerhalb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/348>, abgerufen am 04.07.2024.