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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Neue Moliöre-Übersetzungen

den "schabab geigen" mögen in irgendeinem Idiotikon vorkommen, uns sind
sie unbekannt und unverständlich. Die vielen Fremdworte dienen gewiß nicht
dazu, die Volkstümlichkeit des Ausdrucks zu erhöhen, und nur aus Reim- und
Versrücksichten tut der Übersetzer der Sprache in der unglaublichsten Weise
Gewalt an. Es heißt auf S. 26:


' Mein Herr, sagen Sie, was Ihnen die Dame taten?

Zum Subjekt in der Einzahl ein Druckfehler ist ausgeschlossen -- tritt das
Prädikat in der Mehrzahll Hauser verweist im Vorwort auf eine Verdeutschung
Beaudelaires, er ist also kein Neuling als Übersetzer, dann muß er eine sehr
schwache Stunde gehabt haben, als er die Übertragung des "Sganarelle" zum
Druck beförderte.

Der bisher erschienene fünfte Band der Müllerschen Ausgabe umfaßt den
"Geizhals", "Pourceaugnac", die "Vornehmen Liebhaber" und den "Bürger¬
lichen Edelmann", also wenn man von den Einlagen absieht, nur in Prosa
geschriebene Stücke. Die Schwierigkeiten des Verses fallen weg, und man ist
berechtigt, erhöhte Ansprüche an die Wiedergabe zu stellen. Leider werden sie
nur sehr bedingt befriedigt. Neresheimers oberstes Prinzip ist offenbar, eine
möglichst moderne und flüssige Sprache zu schreiben. Den Zweck verfolgen die
höchst überflüssigen Partikel wie: denn, noch,^ na, was, vielleicht, die er überall
einstreut, sie sollen natürlich wirken, geben aber dem Ausdruck etwas Saloppes,
das sonderlich gegen die vielfach auftretenden Gallizismen absticht. Der Über¬
setzer verkennt den Unterschied zwischen der Übertragung eines modernen Romans,
bei dem es nur auf den Inhalt ankommt, und der eines klassischen Meister¬
werkes, bei dem jedes Wort gewogen sein will. Es ist unzulässig, wenn Moliere
von einer Heirat spricht (IV, 1). den Zusatz "fatal" zu machen. Im Original
steht Je8 LtiaArins et les äepIaisll-8, in der Übersetzung nur Kummer, ja einzelne
Stellen, die dem Übersetzer aus einem nicht ersichtlichen Grunde nicht zusagen,
werden glatt ausgelassen, bei bildlichen Ausdrücken wird auch nicht der Versuch
einer Wiedergabe unternommen Wenn Elise IV, 1 sagt: l^rouve quelqus
invention pour rompre, so heißt rompre sicher nicht wieder gut machen, so
wenig wie äömoräre (IV, 4 je n'su äemorärai point) sich fügen, wenn die
Übersetzung auch dem Sinn ungefähr entspricht. Die oberflächliche Art der Wieder¬
gabe muß zu schwereren Mißgriffen führen. In "Pourceaugnac" III, 7 erklärt
öraste, daß er sich von seiner Liebe heilen muß, bei Neresheimer ist er schon
"durchaus geheilt". In demselben Stück III, 2 heißt es: Leite eoitte e8t trop
lZeliee. Das letztere ist ein ungebräuchliches Wort, das von Mesnard als trop
mines. trop kine erklärt wird, es ist an eine aus dünnem Stoff gearbeitete,
das Geficht verdeckende Kopfhülle zu denken. Neresheimer überspringt die
Schwierigkeit und schreibt aus eigener Machtvollkommenheit: "Der Hut sitzt
nar nicht gut." Ich verzichte auf weitere Beispiele; die angeführten beweisen
zur Genüge, daß die Übertragung am Stofflichen hängen bleibt und sich nicht
zu einem Eindringen in Molieres Stil und Sprache erhebt.


Neue Moliöre-Übersetzungen

den „schabab geigen" mögen in irgendeinem Idiotikon vorkommen, uns sind
sie unbekannt und unverständlich. Die vielen Fremdworte dienen gewiß nicht
dazu, die Volkstümlichkeit des Ausdrucks zu erhöhen, und nur aus Reim- und
Versrücksichten tut der Übersetzer der Sprache in der unglaublichsten Weise
Gewalt an. Es heißt auf S. 26:


' Mein Herr, sagen Sie, was Ihnen die Dame taten?

Zum Subjekt in der Einzahl ein Druckfehler ist ausgeschlossen — tritt das
Prädikat in der Mehrzahll Hauser verweist im Vorwort auf eine Verdeutschung
Beaudelaires, er ist also kein Neuling als Übersetzer, dann muß er eine sehr
schwache Stunde gehabt haben, als er die Übertragung des „Sganarelle" zum
Druck beförderte.

Der bisher erschienene fünfte Band der Müllerschen Ausgabe umfaßt den
„Geizhals", „Pourceaugnac", die „Vornehmen Liebhaber" und den „Bürger¬
lichen Edelmann", also wenn man von den Einlagen absieht, nur in Prosa
geschriebene Stücke. Die Schwierigkeiten des Verses fallen weg, und man ist
berechtigt, erhöhte Ansprüche an die Wiedergabe zu stellen. Leider werden sie
nur sehr bedingt befriedigt. Neresheimers oberstes Prinzip ist offenbar, eine
möglichst moderne und flüssige Sprache zu schreiben. Den Zweck verfolgen die
höchst überflüssigen Partikel wie: denn, noch,^ na, was, vielleicht, die er überall
einstreut, sie sollen natürlich wirken, geben aber dem Ausdruck etwas Saloppes,
das sonderlich gegen die vielfach auftretenden Gallizismen absticht. Der Über¬
setzer verkennt den Unterschied zwischen der Übertragung eines modernen Romans,
bei dem es nur auf den Inhalt ankommt, und der eines klassischen Meister¬
werkes, bei dem jedes Wort gewogen sein will. Es ist unzulässig, wenn Moliere
von einer Heirat spricht (IV, 1). den Zusatz „fatal" zu machen. Im Original
steht Je8 LtiaArins et les äepIaisll-8, in der Übersetzung nur Kummer, ja einzelne
Stellen, die dem Übersetzer aus einem nicht ersichtlichen Grunde nicht zusagen,
werden glatt ausgelassen, bei bildlichen Ausdrücken wird auch nicht der Versuch
einer Wiedergabe unternommen Wenn Elise IV, 1 sagt: l^rouve quelqus
invention pour rompre, so heißt rompre sicher nicht wieder gut machen, so
wenig wie äömoräre (IV, 4 je n'su äemorärai point) sich fügen, wenn die
Übersetzung auch dem Sinn ungefähr entspricht. Die oberflächliche Art der Wieder¬
gabe muß zu schwereren Mißgriffen führen. In „Pourceaugnac" III, 7 erklärt
öraste, daß er sich von seiner Liebe heilen muß, bei Neresheimer ist er schon
„durchaus geheilt". In demselben Stück III, 2 heißt es: Leite eoitte e8t trop
lZeliee. Das letztere ist ein ungebräuchliches Wort, das von Mesnard als trop
mines. trop kine erklärt wird, es ist an eine aus dünnem Stoff gearbeitete,
das Geficht verdeckende Kopfhülle zu denken. Neresheimer überspringt die
Schwierigkeit und schreibt aus eigener Machtvollkommenheit: „Der Hut sitzt
nar nicht gut." Ich verzichte auf weitere Beispiele; die angeführten beweisen
zur Genüge, daß die Übertragung am Stofflichen hängen bleibt und sich nicht
zu einem Eindringen in Molieres Stil und Sprache erhebt.


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[0346] Neue Moliöre-Übersetzungen den „schabab geigen" mögen in irgendeinem Idiotikon vorkommen, uns sind sie unbekannt und unverständlich. Die vielen Fremdworte dienen gewiß nicht dazu, die Volkstümlichkeit des Ausdrucks zu erhöhen, und nur aus Reim- und Versrücksichten tut der Übersetzer der Sprache in der unglaublichsten Weise Gewalt an. Es heißt auf S. 26: ' Mein Herr, sagen Sie, was Ihnen die Dame taten? Zum Subjekt in der Einzahl ein Druckfehler ist ausgeschlossen — tritt das Prädikat in der Mehrzahll Hauser verweist im Vorwort auf eine Verdeutschung Beaudelaires, er ist also kein Neuling als Übersetzer, dann muß er eine sehr schwache Stunde gehabt haben, als er die Übertragung des „Sganarelle" zum Druck beförderte. Der bisher erschienene fünfte Band der Müllerschen Ausgabe umfaßt den „Geizhals", „Pourceaugnac", die „Vornehmen Liebhaber" und den „Bürger¬ lichen Edelmann", also wenn man von den Einlagen absieht, nur in Prosa geschriebene Stücke. Die Schwierigkeiten des Verses fallen weg, und man ist berechtigt, erhöhte Ansprüche an die Wiedergabe zu stellen. Leider werden sie nur sehr bedingt befriedigt. Neresheimers oberstes Prinzip ist offenbar, eine möglichst moderne und flüssige Sprache zu schreiben. Den Zweck verfolgen die höchst überflüssigen Partikel wie: denn, noch,^ na, was, vielleicht, die er überall einstreut, sie sollen natürlich wirken, geben aber dem Ausdruck etwas Saloppes, das sonderlich gegen die vielfach auftretenden Gallizismen absticht. Der Über¬ setzer verkennt den Unterschied zwischen der Übertragung eines modernen Romans, bei dem es nur auf den Inhalt ankommt, und der eines klassischen Meister¬ werkes, bei dem jedes Wort gewogen sein will. Es ist unzulässig, wenn Moliere von einer Heirat spricht (IV, 1). den Zusatz „fatal" zu machen. Im Original steht Je8 LtiaArins et les äepIaisll-8, in der Übersetzung nur Kummer, ja einzelne Stellen, die dem Übersetzer aus einem nicht ersichtlichen Grunde nicht zusagen, werden glatt ausgelassen, bei bildlichen Ausdrücken wird auch nicht der Versuch einer Wiedergabe unternommen Wenn Elise IV, 1 sagt: l^rouve quelqus invention pour rompre, so heißt rompre sicher nicht wieder gut machen, so wenig wie äömoräre (IV, 4 je n'su äemorärai point) sich fügen, wenn die Übersetzung auch dem Sinn ungefähr entspricht. Die oberflächliche Art der Wieder¬ gabe muß zu schwereren Mißgriffen führen. In „Pourceaugnac" III, 7 erklärt öraste, daß er sich von seiner Liebe heilen muß, bei Neresheimer ist er schon „durchaus geheilt". In demselben Stück III, 2 heißt es: Leite eoitte e8t trop lZeliee. Das letztere ist ein ungebräuchliches Wort, das von Mesnard als trop mines. trop kine erklärt wird, es ist an eine aus dünnem Stoff gearbeitete, das Geficht verdeckende Kopfhülle zu denken. Neresheimer überspringt die Schwierigkeit und schreibt aus eigener Machtvollkommenheit: „Der Hut sitzt nar nicht gut." Ich verzichte auf weitere Beispiele; die angeführten beweisen zur Genüge, daß die Übertragung am Stofflichen hängen bleibt und sich nicht zu einem Eindringen in Molieres Stil und Sprache erhebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/346>, abgerufen am 04.07.2024.