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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Er zog das Blatt aus der Tasche, stemmte sich an der Tischplatte hoch
und warf einen Herrscherblick über die Runde. Der Königliche Präparanden-
anstaltsvorsteher war wieder tief zu Tal gesunken; alle verstummten wie die
Mäuslein, und Seine Korpulenz las:

"Heil, Landrat, Herr von Hildebrand,
Der Du Dich heut uns machst bekanntl
O mögest Du es nie betrauern,
Daß Du geweilt in unsern Mauern!
Dir gebe, Herr von Hildebrand,
Der liebe Gott recht viel Verstand,
Den ganzen Kreis Wohl zu regieren
Und Deiner Ahnen Stamm zu zieren!
Heil! Heil Dir, Herr von Hildebrand I
Dein Name sei mit Lob genannt
Als einer unter denen allen,
Die guten Menschen Wohl gefallen!"

Er hatte mit flammenden Augen gelesen. Zum Schluß war seine Stimme
ein wenig flackerig geworden, und eine Träne der Rührung hatte sich auf seiner
linken Backe langsam bergab gestohlen.

Der Beifall war ungeheuer. Ich nahm sofort von dem einzig schönen
Gedicht ein Stenogramm.

Wenn das nicht den Landrat bis zum Schluchzen ergreift, dann hat er
kein Herz im Leib. Ich fürchte, er wird unter der Schwere des Eindrucks, mit
dem dieser Gefühlserguß sein Innerstes packen wird, keine würdige Gegenrede
finden und mit der Zunge kleben bleiben.

Mit dem Schlage zehn Uhr verkrümelte sich der größere Teil der Pipen-
brüder, um sich daheim ins Etui zu packen. Unter den ganz wenigen aber,
die zurückblieben, begann es erst jetzt wahrhaft geistreich zu werden. Gedanken
und Worte flatterten kühn über den Zaun von Trebeldorf hinaus und ergingen
sich in Fernen, die jenseits des Horizontes liegen, den man von unserer Kirch¬
turmspitze noch wahrnimmt.

Ich besinne mich nicht mehr auf vieles. Nur ein philosophisches Gespräch
ist mir haarklein haften geblieben. Den Anstoß dazu gab der Lockenscherer und
Bartschaber schätzte, ein gar lebhafter kleiner Mann, dem ob seiner höheren
Bildung und seines wahrhaft ehrbaren Wandels sich die Pforten dieses Hono-
ratiorenstübchens bereitwillig geöffnet haben, wiewohl er sonst zu den eigentlich
Oberen nicht gezählt wird.

Es ist ein eigenes Ergötzen, diesem flinken, zappeligen Kerlchen des Tags
über mit den Blicken zu folgen. Immer im Husch tänzelt er mit seinen Trippel-
beinchen über die Straße. Eben ist er in einer Tür verschwunden, schon hört
man ihn nach wenigen Augenblicken wieder aus seinem Blechnäpfchen den Rasier¬
schaum auf das Pflaster schwuppen und sieht seine Rockzipfel flattern. Und so


Briefe aus Trebeldorf

Er zog das Blatt aus der Tasche, stemmte sich an der Tischplatte hoch
und warf einen Herrscherblick über die Runde. Der Königliche Präparanden-
anstaltsvorsteher war wieder tief zu Tal gesunken; alle verstummten wie die
Mäuslein, und Seine Korpulenz las:

„Heil, Landrat, Herr von Hildebrand,
Der Du Dich heut uns machst bekanntl
O mögest Du es nie betrauern,
Daß Du geweilt in unsern Mauern!
Dir gebe, Herr von Hildebrand,
Der liebe Gott recht viel Verstand,
Den ganzen Kreis Wohl zu regieren
Und Deiner Ahnen Stamm zu zieren!
Heil! Heil Dir, Herr von Hildebrand I
Dein Name sei mit Lob genannt
Als einer unter denen allen,
Die guten Menschen Wohl gefallen!"

Er hatte mit flammenden Augen gelesen. Zum Schluß war seine Stimme
ein wenig flackerig geworden, und eine Träne der Rührung hatte sich auf seiner
linken Backe langsam bergab gestohlen.

Der Beifall war ungeheuer. Ich nahm sofort von dem einzig schönen
Gedicht ein Stenogramm.

Wenn das nicht den Landrat bis zum Schluchzen ergreift, dann hat er
kein Herz im Leib. Ich fürchte, er wird unter der Schwere des Eindrucks, mit
dem dieser Gefühlserguß sein Innerstes packen wird, keine würdige Gegenrede
finden und mit der Zunge kleben bleiben.

Mit dem Schlage zehn Uhr verkrümelte sich der größere Teil der Pipen-
brüder, um sich daheim ins Etui zu packen. Unter den ganz wenigen aber,
die zurückblieben, begann es erst jetzt wahrhaft geistreich zu werden. Gedanken
und Worte flatterten kühn über den Zaun von Trebeldorf hinaus und ergingen
sich in Fernen, die jenseits des Horizontes liegen, den man von unserer Kirch¬
turmspitze noch wahrnimmt.

Ich besinne mich nicht mehr auf vieles. Nur ein philosophisches Gespräch
ist mir haarklein haften geblieben. Den Anstoß dazu gab der Lockenscherer und
Bartschaber schätzte, ein gar lebhafter kleiner Mann, dem ob seiner höheren
Bildung und seines wahrhaft ehrbaren Wandels sich die Pforten dieses Hono-
ratiorenstübchens bereitwillig geöffnet haben, wiewohl er sonst zu den eigentlich
Oberen nicht gezählt wird.

Es ist ein eigenes Ergötzen, diesem flinken, zappeligen Kerlchen des Tags
über mit den Blicken zu folgen. Immer im Husch tänzelt er mit seinen Trippel-
beinchen über die Straße. Eben ist er in einer Tür verschwunden, schon hört
man ihn nach wenigen Augenblicken wieder aus seinem Blechnäpfchen den Rasier¬
schaum auf das Pflaster schwuppen und sieht seine Rockzipfel flattern. Und so


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[0340] Briefe aus Trebeldorf Er zog das Blatt aus der Tasche, stemmte sich an der Tischplatte hoch und warf einen Herrscherblick über die Runde. Der Königliche Präparanden- anstaltsvorsteher war wieder tief zu Tal gesunken; alle verstummten wie die Mäuslein, und Seine Korpulenz las: „Heil, Landrat, Herr von Hildebrand, Der Du Dich heut uns machst bekanntl O mögest Du es nie betrauern, Daß Du geweilt in unsern Mauern! Dir gebe, Herr von Hildebrand, Der liebe Gott recht viel Verstand, Den ganzen Kreis Wohl zu regieren Und Deiner Ahnen Stamm zu zieren! Heil! Heil Dir, Herr von Hildebrand I Dein Name sei mit Lob genannt Als einer unter denen allen, Die guten Menschen Wohl gefallen!" Er hatte mit flammenden Augen gelesen. Zum Schluß war seine Stimme ein wenig flackerig geworden, und eine Träne der Rührung hatte sich auf seiner linken Backe langsam bergab gestohlen. Der Beifall war ungeheuer. Ich nahm sofort von dem einzig schönen Gedicht ein Stenogramm. Wenn das nicht den Landrat bis zum Schluchzen ergreift, dann hat er kein Herz im Leib. Ich fürchte, er wird unter der Schwere des Eindrucks, mit dem dieser Gefühlserguß sein Innerstes packen wird, keine würdige Gegenrede finden und mit der Zunge kleben bleiben. Mit dem Schlage zehn Uhr verkrümelte sich der größere Teil der Pipen- brüder, um sich daheim ins Etui zu packen. Unter den ganz wenigen aber, die zurückblieben, begann es erst jetzt wahrhaft geistreich zu werden. Gedanken und Worte flatterten kühn über den Zaun von Trebeldorf hinaus und ergingen sich in Fernen, die jenseits des Horizontes liegen, den man von unserer Kirch¬ turmspitze noch wahrnimmt. Ich besinne mich nicht mehr auf vieles. Nur ein philosophisches Gespräch ist mir haarklein haften geblieben. Den Anstoß dazu gab der Lockenscherer und Bartschaber schätzte, ein gar lebhafter kleiner Mann, dem ob seiner höheren Bildung und seines wahrhaft ehrbaren Wandels sich die Pforten dieses Hono- ratiorenstübchens bereitwillig geöffnet haben, wiewohl er sonst zu den eigentlich Oberen nicht gezählt wird. Es ist ein eigenes Ergötzen, diesem flinken, zappeligen Kerlchen des Tags über mit den Blicken zu folgen. Immer im Husch tänzelt er mit seinen Trippel- beinchen über die Straße. Eben ist er in einer Tür verschwunden, schon hört man ihn nach wenigen Augenblicken wieder aus seinem Blechnäpfchen den Rasier¬ schaum auf das Pflaster schwuppen und sieht seine Rockzipfel flattern. Und so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/340>, abgerufen am 22.12.2024.