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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel als Politiker

Noch im Juli erblickte der Dichter in den Radikalen eine größere Gefahr als
in den Reaktionären, obwohl diese eifrig am Werke waren, denn er glaubte, daß
die einmal errungenen Früchte doch nicht mehr verloren gehen könnten, selbst
wenn die Reaktion vorübergehend noch einmal siegreich wäre. Inzwischen gingen
die Ereignisse rascher ihren Weg, als man dachte. Schon im Juli war die
Macht der Kamarilla so überwiegend, daß Hebbel in seinem Bericht selbst gegen
den Kaiser die schwersten Vorwürfe erheben mußte, der fern von der Hauptstadt
in Innsbruck weilte. Selbst wenn alle Befürchtungen des Kaisers wegen der
Unruhen in der Hauptstadt begründet wären, so hätte er doch kein Recht,
fernab zu weilen; denn "der Steuermann darf deswegen, weil die See erregt
ist, so wenig das Schiff verlassen als einen Stellvertreter ernennen, er ist eben
des Wetters halber da".

Wie wenig seine Hoffnungen auf Lösung der deutschen Frage in seinem
Sinne zurzeit auf Erfüllung rechnen konnten, betonte er schmerzlich im September,
indem er schrieb: "Ich habe die Schleswig-holsteinische Angelegenheit immer
als den Barometer unserer deutschen Einheitsbestrebungen betrachtet. Soviel
steht auch wohl fest, wer sich gegen diese Angelegenheit gleichgültig zeigt, dem
liegt nichts daran, daß ein einiges Deutschland zustande kommt. Hier in Wien
ist man gleichgültig gegen sie, gleichgültig bis auf einen kaum glaublichen Grad.
Das ist ein Faktum, von dem ich das Gegenteil berichten zu können wünschte,
das ich aber bei den wichtigen Konsequenzen, die sich an dasselbe knüpfen, in
seiner ganzen Nacktheit hinstellen muß."

Die ungarischen Ereignisse führten im Oktober zu einer blutigen Revo¬
lution und Gegenrevolution, die auch Hebbel wieder in das entgegengesetzte
Lager bringen mußten. Sein früherer Glaube, daß die Radikalen ein schlimmeres
Übel wären als die Reaktionären, mußte nach diesen Tagen weichen. Damals
hatte man nur ein dunkles Gefühl davon, in welcher Weise die Kamarilla mit
den Interessen des ganzen Staates spielte. Das mehr als ränkevolle, geradezu
hochverräterische Spiel des Hofes, wie es jetzt aktenmäßig festgestellt ist, hätte
den Dichter wohl noch in größere Empörung versetzt, als es bei der damaligen
Kenntnis der Geschehnisse möglich war. Man muß das bei Friedjung nach¬
lesen, um die Empörung zu verstehen, die bei der Wiener Bevölkerung herrschte.
Alles war planmäßig darauf angelegt, eine Revolution herbeizuführen, um
durch eine Gegenrevolution wieder dem Absolutismus zum Rechte zu verhelfen.
Da muß Hebbel, der zuerst die Radikalen für die allein Schuldigen an den blutigen
Opfern des Oktobers gehalten hatte, im Dezember schreiben: "Wenn das
Bewußtsein, nach Überzeugung und Gewissen gehandelt zu haben, nicht unter
allen Umständen genügte, man könnte es jetzt bereuen, gegen die Radikalen
in die Schranken getreten zu sein, denn diese verirrten sich doch größten¬
teils nur aus Verblendung und Fanatismus über die Grenzen des
Menschenmöglichen hinaus. Was soll man aber von Subjekten sagen, die,
nun da die Demokraten besiegt sind, die am Leben Gebliebenen mit


Friedrich Hebbel als Politiker

Noch im Juli erblickte der Dichter in den Radikalen eine größere Gefahr als
in den Reaktionären, obwohl diese eifrig am Werke waren, denn er glaubte, daß
die einmal errungenen Früchte doch nicht mehr verloren gehen könnten, selbst
wenn die Reaktion vorübergehend noch einmal siegreich wäre. Inzwischen gingen
die Ereignisse rascher ihren Weg, als man dachte. Schon im Juli war die
Macht der Kamarilla so überwiegend, daß Hebbel in seinem Bericht selbst gegen
den Kaiser die schwersten Vorwürfe erheben mußte, der fern von der Hauptstadt
in Innsbruck weilte. Selbst wenn alle Befürchtungen des Kaisers wegen der
Unruhen in der Hauptstadt begründet wären, so hätte er doch kein Recht,
fernab zu weilen; denn „der Steuermann darf deswegen, weil die See erregt
ist, so wenig das Schiff verlassen als einen Stellvertreter ernennen, er ist eben
des Wetters halber da".

Wie wenig seine Hoffnungen auf Lösung der deutschen Frage in seinem
Sinne zurzeit auf Erfüllung rechnen konnten, betonte er schmerzlich im September,
indem er schrieb: „Ich habe die Schleswig-holsteinische Angelegenheit immer
als den Barometer unserer deutschen Einheitsbestrebungen betrachtet. Soviel
steht auch wohl fest, wer sich gegen diese Angelegenheit gleichgültig zeigt, dem
liegt nichts daran, daß ein einiges Deutschland zustande kommt. Hier in Wien
ist man gleichgültig gegen sie, gleichgültig bis auf einen kaum glaublichen Grad.
Das ist ein Faktum, von dem ich das Gegenteil berichten zu können wünschte,
das ich aber bei den wichtigen Konsequenzen, die sich an dasselbe knüpfen, in
seiner ganzen Nacktheit hinstellen muß."

Die ungarischen Ereignisse führten im Oktober zu einer blutigen Revo¬
lution und Gegenrevolution, die auch Hebbel wieder in das entgegengesetzte
Lager bringen mußten. Sein früherer Glaube, daß die Radikalen ein schlimmeres
Übel wären als die Reaktionären, mußte nach diesen Tagen weichen. Damals
hatte man nur ein dunkles Gefühl davon, in welcher Weise die Kamarilla mit
den Interessen des ganzen Staates spielte. Das mehr als ränkevolle, geradezu
hochverräterische Spiel des Hofes, wie es jetzt aktenmäßig festgestellt ist, hätte
den Dichter wohl noch in größere Empörung versetzt, als es bei der damaligen
Kenntnis der Geschehnisse möglich war. Man muß das bei Friedjung nach¬
lesen, um die Empörung zu verstehen, die bei der Wiener Bevölkerung herrschte.
Alles war planmäßig darauf angelegt, eine Revolution herbeizuführen, um
durch eine Gegenrevolution wieder dem Absolutismus zum Rechte zu verhelfen.
Da muß Hebbel, der zuerst die Radikalen für die allein Schuldigen an den blutigen
Opfern des Oktobers gehalten hatte, im Dezember schreiben: „Wenn das
Bewußtsein, nach Überzeugung und Gewissen gehandelt zu haben, nicht unter
allen Umständen genügte, man könnte es jetzt bereuen, gegen die Radikalen
in die Schranken getreten zu sein, denn diese verirrten sich doch größten¬
teils nur aus Verblendung und Fanatismus über die Grenzen des
Menschenmöglichen hinaus. Was soll man aber von Subjekten sagen, die,
nun da die Demokraten besiegt sind, die am Leben Gebliebenen mit


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[0034] Friedrich Hebbel als Politiker Noch im Juli erblickte der Dichter in den Radikalen eine größere Gefahr als in den Reaktionären, obwohl diese eifrig am Werke waren, denn er glaubte, daß die einmal errungenen Früchte doch nicht mehr verloren gehen könnten, selbst wenn die Reaktion vorübergehend noch einmal siegreich wäre. Inzwischen gingen die Ereignisse rascher ihren Weg, als man dachte. Schon im Juli war die Macht der Kamarilla so überwiegend, daß Hebbel in seinem Bericht selbst gegen den Kaiser die schwersten Vorwürfe erheben mußte, der fern von der Hauptstadt in Innsbruck weilte. Selbst wenn alle Befürchtungen des Kaisers wegen der Unruhen in der Hauptstadt begründet wären, so hätte er doch kein Recht, fernab zu weilen; denn „der Steuermann darf deswegen, weil die See erregt ist, so wenig das Schiff verlassen als einen Stellvertreter ernennen, er ist eben des Wetters halber da". Wie wenig seine Hoffnungen auf Lösung der deutschen Frage in seinem Sinne zurzeit auf Erfüllung rechnen konnten, betonte er schmerzlich im September, indem er schrieb: „Ich habe die Schleswig-holsteinische Angelegenheit immer als den Barometer unserer deutschen Einheitsbestrebungen betrachtet. Soviel steht auch wohl fest, wer sich gegen diese Angelegenheit gleichgültig zeigt, dem liegt nichts daran, daß ein einiges Deutschland zustande kommt. Hier in Wien ist man gleichgültig gegen sie, gleichgültig bis auf einen kaum glaublichen Grad. Das ist ein Faktum, von dem ich das Gegenteil berichten zu können wünschte, das ich aber bei den wichtigen Konsequenzen, die sich an dasselbe knüpfen, in seiner ganzen Nacktheit hinstellen muß." Die ungarischen Ereignisse führten im Oktober zu einer blutigen Revo¬ lution und Gegenrevolution, die auch Hebbel wieder in das entgegengesetzte Lager bringen mußten. Sein früherer Glaube, daß die Radikalen ein schlimmeres Übel wären als die Reaktionären, mußte nach diesen Tagen weichen. Damals hatte man nur ein dunkles Gefühl davon, in welcher Weise die Kamarilla mit den Interessen des ganzen Staates spielte. Das mehr als ränkevolle, geradezu hochverräterische Spiel des Hofes, wie es jetzt aktenmäßig festgestellt ist, hätte den Dichter wohl noch in größere Empörung versetzt, als es bei der damaligen Kenntnis der Geschehnisse möglich war. Man muß das bei Friedjung nach¬ lesen, um die Empörung zu verstehen, die bei der Wiener Bevölkerung herrschte. Alles war planmäßig darauf angelegt, eine Revolution herbeizuführen, um durch eine Gegenrevolution wieder dem Absolutismus zum Rechte zu verhelfen. Da muß Hebbel, der zuerst die Radikalen für die allein Schuldigen an den blutigen Opfern des Oktobers gehalten hatte, im Dezember schreiben: „Wenn das Bewußtsein, nach Überzeugung und Gewissen gehandelt zu haben, nicht unter allen Umständen genügte, man könnte es jetzt bereuen, gegen die Radikalen in die Schranken getreten zu sein, denn diese verirrten sich doch größten¬ teils nur aus Verblendung und Fanatismus über die Grenzen des Menschenmöglichen hinaus. Was soll man aber von Subjekten sagen, die, nun da die Demokraten besiegt sind, die am Leben Gebliebenen mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/34>, abgerufen am 04.07.2024.