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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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von einer neuen und anderen Sozialpolitik

Es geht ein tiefes Sehnen durch alle Schichten des deutschen Volkes, welche
abhängig sind, der Arbeiter, der festbesoldeten Beamten und des sogenannten
neuen Mittelstandes, durch die Reihen derjenigen, welche in der fast unpersönlich
gewordenen Arbeitsweise der Großbetriebe nur zu Rädchen in der Maschine
geworden sind, durch die gewaltigen Volksmassen, welche in Großstädten sich
wie wurzellos umhergetrieben vorkommen, ein Sehnen, sage ich, nach einem
Bruchteil individualwirtschaftlicher Freiheit, Eigenständigkeit, Bodenständigkeit,
Berührung mit der Natur. Dernburgs Erörterung der Wohnungsfrage in den
großen Berliner Versammlungen, so verkehrt vieles war, was dabei gesagt
wurde, ist doch in ihrer Wirkung ein Beweis, welches Mißbehagen in den
großstädtisch wohnenden Massen angehäuft ist. Es ist geradezu ein Kultur¬
gebot, daß dies Sehnen nach Befreiung und Erhebung des Einzellebens aus
dem unpersönlichen Bausteinleben, welches es in unserer Zivilisation lebt,
befriedigt werde.

Nicht jeder deutsche Mann, aber vielleicht jeder zehnte deutsche Mann,
wünscht sich ein kleines Eigenhaus und ist bereit dafür Opfer zu bringen, um
darin mit einem Bruchteil seiner Existenz ein freier Mann zu sein; denn er
fühlt: durch die wirtschaftliche Freiheit geht der Weg zur wahren persönlichen
und politischen Freiheit. Mit Hilfe der in der öffentlich-rechtlichen Lebens¬
versicherung angesammelten Sparkapitalien des kleinen Mannes erscheint es
möglich, das kleine Eigenhaus in Stadt und Land zu finanzieren,
als eine Werkstätte wirtschaftlicher Freiheit und als eine Burg
politischer Freiheit für den einfachsten deutschen Mann. Dies wäre
nun genau das Gegenteil dessen, was die Sozialdemokratie mit ihrer Volksfür¬
sorge machen wird. "Denn es widerspricht dem innersten, zersetzenden Wesen
der Sozialdemokratie, den kleinen Mann wirtschaftlich zu stärken", sie will im
Gegenteil ihn in wirtschaftlicher Abhängigkeit halten, um ihn bester terrorisieren
zu können, sie will also das Gegenteil der Freiheit. Geben wir ihm die wahre
Freiheit, so wird er die falsche fahren lassen.

Noch eins: die innere Kolonisation, die bisher nur mit Staatskredit
betrieben wird und eben deshalb nicht vorwärtskommt und hiermit niemals zur
Vollendung kommen kann, würde gespeist durch die Sparkraft des kleinen Mannes
und getrieben durch die Untcrnehmungskraft und den zähen Opfermut des kleinen
Mannes eine ganz andere Breite und Wucht bekommen. Denn ein so großes
Werk muß geschehen zwar unter Führung des Staates, aber durch die Kraft
des Volkes, das heißt durch die mit 100 000 multiplizierte Kraft des Kleinsten.

Zum Schluß erinnerte noch Kapp an die große Zeit vor hundert Jahren
und er darf es mit Recht; denn, was er bringt, erscheint wie ein Erbteil des
Geistes jener Zeit. Hier ist eine Sozialpolitik deutschen Geistes, die gegründet
ist auf den altgermanischen Geist der Freiheit des einzelnen; diese wird gegen¬
übergestellt jener Scheinfreiheit und jenem Massenterrorismus, welchen die sozial-
demokratischen Führer Volksfürsorge nennen, und auch jener Volksbeglückung,


von einer neuen und anderen Sozialpolitik

Es geht ein tiefes Sehnen durch alle Schichten des deutschen Volkes, welche
abhängig sind, der Arbeiter, der festbesoldeten Beamten und des sogenannten
neuen Mittelstandes, durch die Reihen derjenigen, welche in der fast unpersönlich
gewordenen Arbeitsweise der Großbetriebe nur zu Rädchen in der Maschine
geworden sind, durch die gewaltigen Volksmassen, welche in Großstädten sich
wie wurzellos umhergetrieben vorkommen, ein Sehnen, sage ich, nach einem
Bruchteil individualwirtschaftlicher Freiheit, Eigenständigkeit, Bodenständigkeit,
Berührung mit der Natur. Dernburgs Erörterung der Wohnungsfrage in den
großen Berliner Versammlungen, so verkehrt vieles war, was dabei gesagt
wurde, ist doch in ihrer Wirkung ein Beweis, welches Mißbehagen in den
großstädtisch wohnenden Massen angehäuft ist. Es ist geradezu ein Kultur¬
gebot, daß dies Sehnen nach Befreiung und Erhebung des Einzellebens aus
dem unpersönlichen Bausteinleben, welches es in unserer Zivilisation lebt,
befriedigt werde.

Nicht jeder deutsche Mann, aber vielleicht jeder zehnte deutsche Mann,
wünscht sich ein kleines Eigenhaus und ist bereit dafür Opfer zu bringen, um
darin mit einem Bruchteil seiner Existenz ein freier Mann zu sein; denn er
fühlt: durch die wirtschaftliche Freiheit geht der Weg zur wahren persönlichen
und politischen Freiheit. Mit Hilfe der in der öffentlich-rechtlichen Lebens¬
versicherung angesammelten Sparkapitalien des kleinen Mannes erscheint es
möglich, das kleine Eigenhaus in Stadt und Land zu finanzieren,
als eine Werkstätte wirtschaftlicher Freiheit und als eine Burg
politischer Freiheit für den einfachsten deutschen Mann. Dies wäre
nun genau das Gegenteil dessen, was die Sozialdemokratie mit ihrer Volksfür¬
sorge machen wird. „Denn es widerspricht dem innersten, zersetzenden Wesen
der Sozialdemokratie, den kleinen Mann wirtschaftlich zu stärken", sie will im
Gegenteil ihn in wirtschaftlicher Abhängigkeit halten, um ihn bester terrorisieren
zu können, sie will also das Gegenteil der Freiheit. Geben wir ihm die wahre
Freiheit, so wird er die falsche fahren lassen.

Noch eins: die innere Kolonisation, die bisher nur mit Staatskredit
betrieben wird und eben deshalb nicht vorwärtskommt und hiermit niemals zur
Vollendung kommen kann, würde gespeist durch die Sparkraft des kleinen Mannes
und getrieben durch die Untcrnehmungskraft und den zähen Opfermut des kleinen
Mannes eine ganz andere Breite und Wucht bekommen. Denn ein so großes
Werk muß geschehen zwar unter Führung des Staates, aber durch die Kraft
des Volkes, das heißt durch die mit 100 000 multiplizierte Kraft des Kleinsten.

Zum Schluß erinnerte noch Kapp an die große Zeit vor hundert Jahren
und er darf es mit Recht; denn, was er bringt, erscheint wie ein Erbteil des
Geistes jener Zeit. Hier ist eine Sozialpolitik deutschen Geistes, die gegründet
ist auf den altgermanischen Geist der Freiheit des einzelnen; diese wird gegen¬
übergestellt jener Scheinfreiheit und jenem Massenterrorismus, welchen die sozial-
demokratischen Führer Volksfürsorge nennen, und auch jener Volksbeglückung,


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[0323] von einer neuen und anderen Sozialpolitik Es geht ein tiefes Sehnen durch alle Schichten des deutschen Volkes, welche abhängig sind, der Arbeiter, der festbesoldeten Beamten und des sogenannten neuen Mittelstandes, durch die Reihen derjenigen, welche in der fast unpersönlich gewordenen Arbeitsweise der Großbetriebe nur zu Rädchen in der Maschine geworden sind, durch die gewaltigen Volksmassen, welche in Großstädten sich wie wurzellos umhergetrieben vorkommen, ein Sehnen, sage ich, nach einem Bruchteil individualwirtschaftlicher Freiheit, Eigenständigkeit, Bodenständigkeit, Berührung mit der Natur. Dernburgs Erörterung der Wohnungsfrage in den großen Berliner Versammlungen, so verkehrt vieles war, was dabei gesagt wurde, ist doch in ihrer Wirkung ein Beweis, welches Mißbehagen in den großstädtisch wohnenden Massen angehäuft ist. Es ist geradezu ein Kultur¬ gebot, daß dies Sehnen nach Befreiung und Erhebung des Einzellebens aus dem unpersönlichen Bausteinleben, welches es in unserer Zivilisation lebt, befriedigt werde. Nicht jeder deutsche Mann, aber vielleicht jeder zehnte deutsche Mann, wünscht sich ein kleines Eigenhaus und ist bereit dafür Opfer zu bringen, um darin mit einem Bruchteil seiner Existenz ein freier Mann zu sein; denn er fühlt: durch die wirtschaftliche Freiheit geht der Weg zur wahren persönlichen und politischen Freiheit. Mit Hilfe der in der öffentlich-rechtlichen Lebens¬ versicherung angesammelten Sparkapitalien des kleinen Mannes erscheint es möglich, das kleine Eigenhaus in Stadt und Land zu finanzieren, als eine Werkstätte wirtschaftlicher Freiheit und als eine Burg politischer Freiheit für den einfachsten deutschen Mann. Dies wäre nun genau das Gegenteil dessen, was die Sozialdemokratie mit ihrer Volksfür¬ sorge machen wird. „Denn es widerspricht dem innersten, zersetzenden Wesen der Sozialdemokratie, den kleinen Mann wirtschaftlich zu stärken", sie will im Gegenteil ihn in wirtschaftlicher Abhängigkeit halten, um ihn bester terrorisieren zu können, sie will also das Gegenteil der Freiheit. Geben wir ihm die wahre Freiheit, so wird er die falsche fahren lassen. Noch eins: die innere Kolonisation, die bisher nur mit Staatskredit betrieben wird und eben deshalb nicht vorwärtskommt und hiermit niemals zur Vollendung kommen kann, würde gespeist durch die Sparkraft des kleinen Mannes und getrieben durch die Untcrnehmungskraft und den zähen Opfermut des kleinen Mannes eine ganz andere Breite und Wucht bekommen. Denn ein so großes Werk muß geschehen zwar unter Führung des Staates, aber durch die Kraft des Volkes, das heißt durch die mit 100 000 multiplizierte Kraft des Kleinsten. Zum Schluß erinnerte noch Kapp an die große Zeit vor hundert Jahren und er darf es mit Recht; denn, was er bringt, erscheint wie ein Erbteil des Geistes jener Zeit. Hier ist eine Sozialpolitik deutschen Geistes, die gegründet ist auf den altgermanischen Geist der Freiheit des einzelnen; diese wird gegen¬ übergestellt jener Scheinfreiheit und jenem Massenterrorismus, welchen die sozial- demokratischen Führer Volksfürsorge nennen, und auch jener Volksbeglückung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/323>, abgerufen am 23.07.2024.