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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der Präsident der französischen Republik

Republikanismus Unbehagen verursachten, und die eLLle8la militare den streit¬
baren Klerikalismus, der jetzt in der Erregung des Dreyfusprozesses die Stunde
gekommen glaubte, um gegen Juden und Freimaurer zu eifern. Im Zeichen
dieses neuen Gegensatzes stand die Entwicklungsperiode, die mit dem Tode
Faures einsetzte. Die führenden Kreise der Republik -- so wie sie sich nun
einmal gestaltet hatten -- führten jetzt eine Art von Existenzkampf, der ihnen
zwei Hauptaufgaben stellte: die Bekämpfung des Klerikalismus und die Rück¬
gewinnung der Armee. Ersteres geschah durch die vollständige Trennung von
Kirche und Staat, durch die rücksichtslose Durchführung eines von allen religiösen
Ideen und Verpflichtungen völlig losgelösten Rechtes der Staatsgewalt; das
andere durch die politische Überwachung der Armee und ihre möglichste Säuberung
von allen klerikalen und monarchistischen Elementen. Diese Aufgabe konnte nur
durch eine Exekutive gelöst werden, die mit der Zuverlässigkeit einer radikal¬
demokratischen Gesinnung große Energie und starke Initiative verband, die aber
auch einen entsprechenden Rückhalt am Präsidenten der Republik fand. Es war
also nötig, den Präsidenten aus dem radikalen Lager zu wählen, aber den
Schwerpunkt der Gewalt womöglich noch mehr nach dem Ministerpräsidenten
hin zu verschieben. Es ist die Periode, die durch die Präsidentschaft von Loubet
und Fallieres bezeichnet ist.

Man wird unschwer erkennen, daß das im ganzen doch eine auf die Dauer
nicht haltbare, einseitige Orientierung der Regierungsweise war. Sie ergab sich
aus den Nachwehen der Dreyfusperiode, kann aber nicht aufrechterhalten werden,
sobald neue, vielseitige Aufgaben und Bedürfnisse an den Staat herantreten und
gebieterisch Beachtung heischen. Die Parteien treten wieder mit ihren viel¬
gestaltigen Forderungen in den Vordergrund; wo ist die ordnende Hand, die
dieses Durcheinander politischer, wirtschaftlicher, sozialer Aufgaben zu entwirren
vermag? Die Minister in einer Republik können nur von dem Vertrauen einer
Mehrheit der Volksvertretung getragen werden; sie sind also ihrem staatsrecht¬
lichen Begriffe nach selbst Partei. Man beginnt außerdem zu fühlen, daß diese
Entwicklung, die immer nur nach einer Richtung hin die Forderungen der
radikalen Demokratie zu verwirklichen strebt, zuletzt mit völliger Auflösung enden
muß. Das ist der Gedankengang, der zuletzt dahin ausmünden muß, daß man
eine grundsätzlich stärkere Gewalt über den Parteien errichtet. Das bedeutet
die Verstärkung der Machtvollkommenheit des Präsidenten der Republik. Aber
noch scheut man sich, das offen zu bekennen, und will es der Fähigkeit des
Mannes überlassen, den man auf diesen Posten stellt. Und weil in dem
Augenblick, wo ein neuer Mann in das Elnsöe einziehen soll, ein Minister¬
präsident von mehr als gewöhnlicher Energie und Klugheit vorhanden ist. so
glaubt man, daß man am besten tut, ihn zu wählen, weil er bei dem Über¬
gang vom Ministerpräsidenten zum Präsidenten der Republik am ersten das
Interesse und die Möglichkeit hat, die notwendige Verschiebung des Schwer¬
punktes vom ersten Amt in das zweite vorzunehmen.


Der Präsident der französischen Republik

Republikanismus Unbehagen verursachten, und die eLLle8la militare den streit¬
baren Klerikalismus, der jetzt in der Erregung des Dreyfusprozesses die Stunde
gekommen glaubte, um gegen Juden und Freimaurer zu eifern. Im Zeichen
dieses neuen Gegensatzes stand die Entwicklungsperiode, die mit dem Tode
Faures einsetzte. Die führenden Kreise der Republik — so wie sie sich nun
einmal gestaltet hatten — führten jetzt eine Art von Existenzkampf, der ihnen
zwei Hauptaufgaben stellte: die Bekämpfung des Klerikalismus und die Rück¬
gewinnung der Armee. Ersteres geschah durch die vollständige Trennung von
Kirche und Staat, durch die rücksichtslose Durchführung eines von allen religiösen
Ideen und Verpflichtungen völlig losgelösten Rechtes der Staatsgewalt; das
andere durch die politische Überwachung der Armee und ihre möglichste Säuberung
von allen klerikalen und monarchistischen Elementen. Diese Aufgabe konnte nur
durch eine Exekutive gelöst werden, die mit der Zuverlässigkeit einer radikal¬
demokratischen Gesinnung große Energie und starke Initiative verband, die aber
auch einen entsprechenden Rückhalt am Präsidenten der Republik fand. Es war
also nötig, den Präsidenten aus dem radikalen Lager zu wählen, aber den
Schwerpunkt der Gewalt womöglich noch mehr nach dem Ministerpräsidenten
hin zu verschieben. Es ist die Periode, die durch die Präsidentschaft von Loubet
und Fallieres bezeichnet ist.

Man wird unschwer erkennen, daß das im ganzen doch eine auf die Dauer
nicht haltbare, einseitige Orientierung der Regierungsweise war. Sie ergab sich
aus den Nachwehen der Dreyfusperiode, kann aber nicht aufrechterhalten werden,
sobald neue, vielseitige Aufgaben und Bedürfnisse an den Staat herantreten und
gebieterisch Beachtung heischen. Die Parteien treten wieder mit ihren viel¬
gestaltigen Forderungen in den Vordergrund; wo ist die ordnende Hand, die
dieses Durcheinander politischer, wirtschaftlicher, sozialer Aufgaben zu entwirren
vermag? Die Minister in einer Republik können nur von dem Vertrauen einer
Mehrheit der Volksvertretung getragen werden; sie sind also ihrem staatsrecht¬
lichen Begriffe nach selbst Partei. Man beginnt außerdem zu fühlen, daß diese
Entwicklung, die immer nur nach einer Richtung hin die Forderungen der
radikalen Demokratie zu verwirklichen strebt, zuletzt mit völliger Auflösung enden
muß. Das ist der Gedankengang, der zuletzt dahin ausmünden muß, daß man
eine grundsätzlich stärkere Gewalt über den Parteien errichtet. Das bedeutet
die Verstärkung der Machtvollkommenheit des Präsidenten der Republik. Aber
noch scheut man sich, das offen zu bekennen, und will es der Fähigkeit des
Mannes überlassen, den man auf diesen Posten stellt. Und weil in dem
Augenblick, wo ein neuer Mann in das Elnsöe einziehen soll, ein Minister¬
präsident von mehr als gewöhnlicher Energie und Klugheit vorhanden ist. so
glaubt man, daß man am besten tut, ihn zu wählen, weil er bei dem Über¬
gang vom Ministerpräsidenten zum Präsidenten der Republik am ersten das
Interesse und die Möglichkeit hat, die notwendige Verschiebung des Schwer¬
punktes vom ersten Amt in das zweite vorzunehmen.


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[0315] Der Präsident der französischen Republik Republikanismus Unbehagen verursachten, und die eLLle8la militare den streit¬ baren Klerikalismus, der jetzt in der Erregung des Dreyfusprozesses die Stunde gekommen glaubte, um gegen Juden und Freimaurer zu eifern. Im Zeichen dieses neuen Gegensatzes stand die Entwicklungsperiode, die mit dem Tode Faures einsetzte. Die führenden Kreise der Republik — so wie sie sich nun einmal gestaltet hatten — führten jetzt eine Art von Existenzkampf, der ihnen zwei Hauptaufgaben stellte: die Bekämpfung des Klerikalismus und die Rück¬ gewinnung der Armee. Ersteres geschah durch die vollständige Trennung von Kirche und Staat, durch die rücksichtslose Durchführung eines von allen religiösen Ideen und Verpflichtungen völlig losgelösten Rechtes der Staatsgewalt; das andere durch die politische Überwachung der Armee und ihre möglichste Säuberung von allen klerikalen und monarchistischen Elementen. Diese Aufgabe konnte nur durch eine Exekutive gelöst werden, die mit der Zuverlässigkeit einer radikal¬ demokratischen Gesinnung große Energie und starke Initiative verband, die aber auch einen entsprechenden Rückhalt am Präsidenten der Republik fand. Es war also nötig, den Präsidenten aus dem radikalen Lager zu wählen, aber den Schwerpunkt der Gewalt womöglich noch mehr nach dem Ministerpräsidenten hin zu verschieben. Es ist die Periode, die durch die Präsidentschaft von Loubet und Fallieres bezeichnet ist. Man wird unschwer erkennen, daß das im ganzen doch eine auf die Dauer nicht haltbare, einseitige Orientierung der Regierungsweise war. Sie ergab sich aus den Nachwehen der Dreyfusperiode, kann aber nicht aufrechterhalten werden, sobald neue, vielseitige Aufgaben und Bedürfnisse an den Staat herantreten und gebieterisch Beachtung heischen. Die Parteien treten wieder mit ihren viel¬ gestaltigen Forderungen in den Vordergrund; wo ist die ordnende Hand, die dieses Durcheinander politischer, wirtschaftlicher, sozialer Aufgaben zu entwirren vermag? Die Minister in einer Republik können nur von dem Vertrauen einer Mehrheit der Volksvertretung getragen werden; sie sind also ihrem staatsrecht¬ lichen Begriffe nach selbst Partei. Man beginnt außerdem zu fühlen, daß diese Entwicklung, die immer nur nach einer Richtung hin die Forderungen der radikalen Demokratie zu verwirklichen strebt, zuletzt mit völliger Auflösung enden muß. Das ist der Gedankengang, der zuletzt dahin ausmünden muß, daß man eine grundsätzlich stärkere Gewalt über den Parteien errichtet. Das bedeutet die Verstärkung der Machtvollkommenheit des Präsidenten der Republik. Aber noch scheut man sich, das offen zu bekennen, und will es der Fähigkeit des Mannes überlassen, den man auf diesen Posten stellt. Und weil in dem Augenblick, wo ein neuer Mann in das Elnsöe einziehen soll, ein Minister¬ präsident von mehr als gewöhnlicher Energie und Klugheit vorhanden ist. so glaubt man, daß man am besten tut, ihn zu wählen, weil er bei dem Über¬ gang vom Ministerpräsidenten zum Präsidenten der Republik am ersten das Interesse und die Möglichkeit hat, die notwendige Verschiebung des Schwer¬ punktes vom ersten Amt in das zweite vorzunehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/315>, abgerufen am 22.07.2024.