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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

rechtigkeit auch ihnen leuchten, für die anderen
beiden bleibt ihr Blick verschlossen. Darum
ist volles und höchstes Menschentum das Pri¬
vilegium der Weißen Rasse, und kann den
Mongolen niemals die Führung in der Welt¬
geschichte zufallen; ihre Kultur läßt sich nicht
in den Gang der Gesamtkulturentwicklung
eingliedern, sondern ist, gleich der Neger- und
Jndianerkultur, eine niedere Form des Men¬
schenlebens, die, dem Drange der Natur nach
Mannigfaltigkeit (der Christ spricht: dem Ideen¬
reichtum des Schöpfers) zu genügen, abseits
der Kulturentwicklung der vollberechtigter Re¬
präsentanten des Menschentums vegetiert.

Lark Jentsch
Neue Lyrik

Volle Töne erklingen in Wahrheit aus
dem Buche der Alberto von Puttkammer
"Mit vollem Saitenspiel" (Schuster und
Löffler, Berlin und Leipzig, broschiert 3 M.,
gebunden 4 M). Das Pathos bestimmt
das Wesen dieser Verse, in denen eine sanfte
Freude an hallenden Worten laut wird. Man
hört zumeist nur stolze Phrasen, aber nichts
Erlebtes, seelisches, Mitschwingendes. Das
beweisen besonders die sogenannten Volks¬
lieder, in welchen alles nur Gebärde ist.
Peinlich berührt die häufig wiederkehrende
Anmerkung "Preisgekrönt"; die Gedichte
sollten für sich selbst wirken. Etwas Er¬
hitztes sichert durch das ganze Buch; und so
viel gute Verse eS auch bergen mag, -- der
letzte Eindruck ist doch ein abwehrender, ge¬
trübter.'

Weit bedeutender erscheinen mir"die
Lieder der Mona Lisa" von Gisela Etzel
(Georg Müller, München). Hier Pulsiert eine
wahre, verhaltene Leidenschaft. Gewiß finden
sich auch hier einige ,leere Zeilen und allge¬
meine Verse, man empfindet aber eine feine
lyrische Kultur und eine reine, schöne Hin¬
gabe. Mich dünkt zwar, daß die Dichterin
erst beginnt, doch dieser Anfang ist voll Ver¬
heißung. Wenn sie auch noch keine unmittel¬
bare Wirkung hervorzurufen vermag, man
wird doch gezwungen, aufzuhorchen und ist
voll Erwartung und Sehnsucht nach Wechsel
und Wachstum.

Von den drei Frauenbüchern, die mir
vorliegen, ist das der Erika von Watzdorf-

[Spaltenumbruch]

Bachoff das reichste und schönste. Es be¬
titelt sich "Das Jahr" (Gust. Kiepenheuer in
Weimar, geb. 3 M.) und durchmißt den
Wechsel von Winter zu Winter. Das schmale,
luxuriös gedruckte Heft fesselt, wo immer
man es ausschlägt. Auch in den schwächeren
Gedichten glänzt irgend ein gut geschautes
Bild auf; vor allem aber ist das Liedhafte
dieser Verse erquickend und rein gelungen.
Es gibt Stücke wie "Blasser Tag", "Im kalten
April", "Die alten Häuser", "Doch was wir
selber uns gewesen", "Septemberabend",
"Sammlung", "Vogelbeeren", "Die Sonne
kam noch einmal", "Rückblick", die durchaus
eine Berufene dartun. Das letzte der Ge¬
dichte, "Von Wandlung zu Wandlung", möge
als Beweis hier abgedruckt werden:

Hat alles nicht ein Leichtes und ein
Schweres?
Ein Wort der Freiheit und ein Wort der
Pflicht?
Die Wasser steigen auf vom Grund des
Meeres
Und heben sich als Wolken nach dein
Licht.
Wir gehen durch Erdulden und durch
Handeln
In stetigem Verändertsein umher.
Höhen und Tiefen wollen ein Verwandeln.
Die Wolken weinen sich zurück ins Meer.

Von dieser vornehmen Künstlerin wird
noch viel Reiches zu erhoffen sein, wenn sie
die Grenzen ihrer feinen Begabung beständig
erweitert und hinausschreitet in die Tiefen
des großen, ewig neuen Lebens und aus
ihm Erkenntnis und Erschütterung erfährt.

Die "Sonette" von Albert H. Rausch
(Egon Fleischel 5 Co., Berlin, 3M.) bedeuten
für den Leser eine gewisse Anstrengung. Der
Zwang der beständig wiederkehrenden Form
bedingt eine Ermüdung und Kühle, der man
gelegentlich zu unterliegen in Gefahr ist.
Langsam will das schön ausgestattete Heft
genossen sein. Dann aber erkennt man, daß
hier ein Dichter geformt hat, daß ein Echter
am Werke war. Kraft und Anschaulichkeit
des Ausdrucks Paaren sich mit dem Ringen
und Sehnen eines abseitigen Empfindens,
das sich frei weiß von niederem Begehren,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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rechtigkeit auch ihnen leuchten, für die anderen
beiden bleibt ihr Blick verschlossen. Darum
ist volles und höchstes Menschentum das Pri¬
vilegium der Weißen Rasse, und kann den
Mongolen niemals die Führung in der Welt¬
geschichte zufallen; ihre Kultur läßt sich nicht
in den Gang der Gesamtkulturentwicklung
eingliedern, sondern ist, gleich der Neger- und
Jndianerkultur, eine niedere Form des Men¬
schenlebens, die, dem Drange der Natur nach
Mannigfaltigkeit (der Christ spricht: dem Ideen¬
reichtum des Schöpfers) zu genügen, abseits
der Kulturentwicklung der vollberechtigter Re¬
präsentanten des Menschentums vegetiert.

Lark Jentsch
Neue Lyrik

Volle Töne erklingen in Wahrheit aus
dem Buche der Alberto von Puttkammer
„Mit vollem Saitenspiel" (Schuster und
Löffler, Berlin und Leipzig, broschiert 3 M.,
gebunden 4 M). Das Pathos bestimmt
das Wesen dieser Verse, in denen eine sanfte
Freude an hallenden Worten laut wird. Man
hört zumeist nur stolze Phrasen, aber nichts
Erlebtes, seelisches, Mitschwingendes. Das
beweisen besonders die sogenannten Volks¬
lieder, in welchen alles nur Gebärde ist.
Peinlich berührt die häufig wiederkehrende
Anmerkung „Preisgekrönt"; die Gedichte
sollten für sich selbst wirken. Etwas Er¬
hitztes sichert durch das ganze Buch; und so
viel gute Verse eS auch bergen mag, — der
letzte Eindruck ist doch ein abwehrender, ge¬
trübter.'

Weit bedeutender erscheinen mir„die
Lieder der Mona Lisa" von Gisela Etzel
(Georg Müller, München). Hier Pulsiert eine
wahre, verhaltene Leidenschaft. Gewiß finden
sich auch hier einige ,leere Zeilen und allge¬
meine Verse, man empfindet aber eine feine
lyrische Kultur und eine reine, schöne Hin¬
gabe. Mich dünkt zwar, daß die Dichterin
erst beginnt, doch dieser Anfang ist voll Ver¬
heißung. Wenn sie auch noch keine unmittel¬
bare Wirkung hervorzurufen vermag, man
wird doch gezwungen, aufzuhorchen und ist
voll Erwartung und Sehnsucht nach Wechsel
und Wachstum.

Von den drei Frauenbüchern, die mir
vorliegen, ist das der Erika von Watzdorf-

[Spaltenumbruch]

Bachoff das reichste und schönste. Es be¬
titelt sich „Das Jahr" (Gust. Kiepenheuer in
Weimar, geb. 3 M.) und durchmißt den
Wechsel von Winter zu Winter. Das schmale,
luxuriös gedruckte Heft fesselt, wo immer
man es ausschlägt. Auch in den schwächeren
Gedichten glänzt irgend ein gut geschautes
Bild auf; vor allem aber ist das Liedhafte
dieser Verse erquickend und rein gelungen.
Es gibt Stücke wie „Blasser Tag", „Im kalten
April", „Die alten Häuser", „Doch was wir
selber uns gewesen", „Septemberabend",
„Sammlung", „Vogelbeeren", „Die Sonne
kam noch einmal", „Rückblick", die durchaus
eine Berufene dartun. Das letzte der Ge¬
dichte, „Von Wandlung zu Wandlung", möge
als Beweis hier abgedruckt werden:

Hat alles nicht ein Leichtes und ein
Schweres?
Ein Wort der Freiheit und ein Wort der
Pflicht?
Die Wasser steigen auf vom Grund des
Meeres
Und heben sich als Wolken nach dein
Licht.
Wir gehen durch Erdulden und durch
Handeln
In stetigem Verändertsein umher.
Höhen und Tiefen wollen ein Verwandeln.
Die Wolken weinen sich zurück ins Meer.

Von dieser vornehmen Künstlerin wird
noch viel Reiches zu erhoffen sein, wenn sie
die Grenzen ihrer feinen Begabung beständig
erweitert und hinausschreitet in die Tiefen
des großen, ewig neuen Lebens und aus
ihm Erkenntnis und Erschütterung erfährt.

Die „Sonette" von Albert H. Rausch
(Egon Fleischel 5 Co., Berlin, 3M.) bedeuten
für den Leser eine gewisse Anstrengung. Der
Zwang der beständig wiederkehrenden Form
bedingt eine Ermüdung und Kühle, der man
gelegentlich zu unterliegen in Gefahr ist.
Langsam will das schön ausgestattete Heft
genossen sein. Dann aber erkennt man, daß
hier ein Dichter geformt hat, daß ein Echter
am Werke war. Kraft und Anschaulichkeit
des Ausdrucks Paaren sich mit dem Ringen
und Sehnen eines abseitigen Empfindens,
das sich frei weiß von niederem Begehren,

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[0305] Maßgebliches und Unmaßgebliches rechtigkeit auch ihnen leuchten, für die anderen beiden bleibt ihr Blick verschlossen. Darum ist volles und höchstes Menschentum das Pri¬ vilegium der Weißen Rasse, und kann den Mongolen niemals die Führung in der Welt¬ geschichte zufallen; ihre Kultur läßt sich nicht in den Gang der Gesamtkulturentwicklung eingliedern, sondern ist, gleich der Neger- und Jndianerkultur, eine niedere Form des Men¬ schenlebens, die, dem Drange der Natur nach Mannigfaltigkeit (der Christ spricht: dem Ideen¬ reichtum des Schöpfers) zu genügen, abseits der Kulturentwicklung der vollberechtigter Re¬ präsentanten des Menschentums vegetiert. Lark Jentsch Neue Lyrik Volle Töne erklingen in Wahrheit aus dem Buche der Alberto von Puttkammer „Mit vollem Saitenspiel" (Schuster und Löffler, Berlin und Leipzig, broschiert 3 M., gebunden 4 M). Das Pathos bestimmt das Wesen dieser Verse, in denen eine sanfte Freude an hallenden Worten laut wird. Man hört zumeist nur stolze Phrasen, aber nichts Erlebtes, seelisches, Mitschwingendes. Das beweisen besonders die sogenannten Volks¬ lieder, in welchen alles nur Gebärde ist. Peinlich berührt die häufig wiederkehrende Anmerkung „Preisgekrönt"; die Gedichte sollten für sich selbst wirken. Etwas Er¬ hitztes sichert durch das ganze Buch; und so viel gute Verse eS auch bergen mag, — der letzte Eindruck ist doch ein abwehrender, ge¬ trübter.' Weit bedeutender erscheinen mir„die Lieder der Mona Lisa" von Gisela Etzel (Georg Müller, München). Hier Pulsiert eine wahre, verhaltene Leidenschaft. Gewiß finden sich auch hier einige ,leere Zeilen und allge¬ meine Verse, man empfindet aber eine feine lyrische Kultur und eine reine, schöne Hin¬ gabe. Mich dünkt zwar, daß die Dichterin erst beginnt, doch dieser Anfang ist voll Ver¬ heißung. Wenn sie auch noch keine unmittel¬ bare Wirkung hervorzurufen vermag, man wird doch gezwungen, aufzuhorchen und ist voll Erwartung und Sehnsucht nach Wechsel und Wachstum. Von den drei Frauenbüchern, die mir vorliegen, ist das der Erika von Watzdorf- Bachoff das reichste und schönste. Es be¬ titelt sich „Das Jahr" (Gust. Kiepenheuer in Weimar, geb. 3 M.) und durchmißt den Wechsel von Winter zu Winter. Das schmale, luxuriös gedruckte Heft fesselt, wo immer man es ausschlägt. Auch in den schwächeren Gedichten glänzt irgend ein gut geschautes Bild auf; vor allem aber ist das Liedhafte dieser Verse erquickend und rein gelungen. Es gibt Stücke wie „Blasser Tag", „Im kalten April", „Die alten Häuser", „Doch was wir selber uns gewesen", „Septemberabend", „Sammlung", „Vogelbeeren", „Die Sonne kam noch einmal", „Rückblick", die durchaus eine Berufene dartun. Das letzte der Ge¬ dichte, „Von Wandlung zu Wandlung", möge als Beweis hier abgedruckt werden: Hat alles nicht ein Leichtes und ein Schweres? Ein Wort der Freiheit und ein Wort der Pflicht? Die Wasser steigen auf vom Grund des Meeres Und heben sich als Wolken nach dein Licht. Wir gehen durch Erdulden und durch Handeln In stetigem Verändertsein umher. Höhen und Tiefen wollen ein Verwandeln. Die Wolken weinen sich zurück ins Meer. Von dieser vornehmen Künstlerin wird noch viel Reiches zu erhoffen sein, wenn sie die Grenzen ihrer feinen Begabung beständig erweitert und hinausschreitet in die Tiefen des großen, ewig neuen Lebens und aus ihm Erkenntnis und Erschütterung erfährt. Die „Sonette" von Albert H. Rausch (Egon Fleischel 5 Co., Berlin, 3M.) bedeuten für den Leser eine gewisse Anstrengung. Der Zwang der beständig wiederkehrenden Form bedingt eine Ermüdung und Kühle, der man gelegentlich zu unterliegen in Gefahr ist. Langsam will das schön ausgestattete Heft genossen sein. Dann aber erkennt man, daß hier ein Dichter geformt hat, daß ein Echter am Werke war. Kraft und Anschaulichkeit des Ausdrucks Paaren sich mit dem Ringen und Sehnen eines abseitigen Empfindens, das sich frei weiß von niederem Begehren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/305>, abgerufen am 04.07.2024.