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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Bernfsvormundschaft als Organisationsform des Kinderschuhe-

und soziale Vereine für Kinder, die bei ihren Eltern sind, Lehrstellenvermittlungen
und Beratungseinrichtungen für die Berufswahl, wieviel nötiger sind sie für
solche Kinder, die die Eltern entbehren, deren Pflegeeltern auch nur über un¬
genügende Kenntnis der Aussichten der einzelnen Berufe, der augenblicklichen
Lage des Arbeitsmarktes, der körperlichen und geistigen Vorbedingungen für die
einzelnen Berufe verfügen. Mit der Schwierigkeit, eine genügende Berufsaus¬
bildung z. B. unserem gewerblichen Nachwuchs zu sichern, hat der Berufsvormund
immer zu kämpfen. Gilt es doch für ihn oft nicht bloß geeignete Lehrstellen
unter den vorhandenen auszusuchen, sondern neue Ausbildungsgelegenheiten zu
schaffen, da die vorhandenen vernünftigen Ansprüchen nicht mehr genügen. Noch
schwieriger ist die Frage, was mit den geistig minderwertigen Kindern nach der
Schule werden soll, die ebenso dringend wie die normalen einer besonderen
Berufsausbildung bedürfen, sollen sie nicht rasch in das große Heer der Vaga¬
bunden und Prostituierten hinabsinken, das sich unter den heutigen Verhältnissen
vorwiegend aus ihnen rekrutiert. Und die Ausbildung in dem gewählten
Berufe muß sorgsam beaufsichtigt werden, sowohl nach der Seite der Leistungen
des Meisters wie des Verhaltens des Jugendlichen, der in diesem Alter der
werdenden Selbständigkeit besonders gearteter Hilfe bedarf. Das sind alles
schwierige Fragen, die der Einzelvormund wohl hier und da, aber in Anbetracht
der großen Zahl der Mündel nicht immer lösen kann; es sind eben so große
und schwierige Aufgaben für die Leitung der Erziehung, also die Vormundschaft
entstanden, daß nur Organisationen ihnen gewachsen sind, die über eine gute
Arbeitsteilung verfügen. Der Umfang dieser Berufsvormundschaft ist nicht aus
äußerlichen Umständen, sondern aus inneren sachlichen Gründen erwachsen. Die
Aufgabe der Vormundschaft in unseren Tagen erfordert unter den großen Ver¬
hältnissen größerer Landgebiete oder größerer Städte auch große Organisationen,
die eben heute die reguläre Form der Vormundschaft werden dürften.

Die erwähnten größten Berufsvormundschaften des Deutschen Reiches ent¬
standen zunächst aus Berufsvormundschaften von Behörden über die armen
Kinder, die von ihnen im Wege der Armenpflege untergebracht wurden; an
diese Gruppe schloß sich der Schutz der unehelichen Kinder an und mit beiden
wurde schließlich die Bevormundung der verwahrlosten Kinder, der Zwangs¬
zöglinge verbunden. Diese Zusammenfassung der drei Schutzgebiete ist der
Gang, den die Entwicklung selbst da nimmt, wo die Landesgesetze bisher eine
solche Ausdehnung der Berufsvormundschaft nicht gestatten, wo also statt dessen
die Ansammlung der Vormundschaften auf einen Beamten, indem dieser jeweils
für jedes Mündel besonders bestellt wird, als Ersatz dient, so daß hier Berufs-
Vormundschaft in der besonderen Art der Sammelvormundschaft entsteht, die
als der Vorläufer einer späteren landesgesetzlichen Regelung erscheint. Bei der
großen Bedeutung, die manche Kreise heute der Zwangserziehung wie den
Jugendgerichten beimessen, könnte jene Reihenfolge, wie sie eben erwähnt wurde,
manchem unrichtig erscheinen; viele werden geneigt sein, der Zwangserziehung


Grenzboten I 191S 18
Die Bernfsvormundschaft als Organisationsform des Kinderschuhe-

und soziale Vereine für Kinder, die bei ihren Eltern sind, Lehrstellenvermittlungen
und Beratungseinrichtungen für die Berufswahl, wieviel nötiger sind sie für
solche Kinder, die die Eltern entbehren, deren Pflegeeltern auch nur über un¬
genügende Kenntnis der Aussichten der einzelnen Berufe, der augenblicklichen
Lage des Arbeitsmarktes, der körperlichen und geistigen Vorbedingungen für die
einzelnen Berufe verfügen. Mit der Schwierigkeit, eine genügende Berufsaus¬
bildung z. B. unserem gewerblichen Nachwuchs zu sichern, hat der Berufsvormund
immer zu kämpfen. Gilt es doch für ihn oft nicht bloß geeignete Lehrstellen
unter den vorhandenen auszusuchen, sondern neue Ausbildungsgelegenheiten zu
schaffen, da die vorhandenen vernünftigen Ansprüchen nicht mehr genügen. Noch
schwieriger ist die Frage, was mit den geistig minderwertigen Kindern nach der
Schule werden soll, die ebenso dringend wie die normalen einer besonderen
Berufsausbildung bedürfen, sollen sie nicht rasch in das große Heer der Vaga¬
bunden und Prostituierten hinabsinken, das sich unter den heutigen Verhältnissen
vorwiegend aus ihnen rekrutiert. Und die Ausbildung in dem gewählten
Berufe muß sorgsam beaufsichtigt werden, sowohl nach der Seite der Leistungen
des Meisters wie des Verhaltens des Jugendlichen, der in diesem Alter der
werdenden Selbständigkeit besonders gearteter Hilfe bedarf. Das sind alles
schwierige Fragen, die der Einzelvormund wohl hier und da, aber in Anbetracht
der großen Zahl der Mündel nicht immer lösen kann; es sind eben so große
und schwierige Aufgaben für die Leitung der Erziehung, also die Vormundschaft
entstanden, daß nur Organisationen ihnen gewachsen sind, die über eine gute
Arbeitsteilung verfügen. Der Umfang dieser Berufsvormundschaft ist nicht aus
äußerlichen Umständen, sondern aus inneren sachlichen Gründen erwachsen. Die
Aufgabe der Vormundschaft in unseren Tagen erfordert unter den großen Ver¬
hältnissen größerer Landgebiete oder größerer Städte auch große Organisationen,
die eben heute die reguläre Form der Vormundschaft werden dürften.

Die erwähnten größten Berufsvormundschaften des Deutschen Reiches ent¬
standen zunächst aus Berufsvormundschaften von Behörden über die armen
Kinder, die von ihnen im Wege der Armenpflege untergebracht wurden; an
diese Gruppe schloß sich der Schutz der unehelichen Kinder an und mit beiden
wurde schließlich die Bevormundung der verwahrlosten Kinder, der Zwangs¬
zöglinge verbunden. Diese Zusammenfassung der drei Schutzgebiete ist der
Gang, den die Entwicklung selbst da nimmt, wo die Landesgesetze bisher eine
solche Ausdehnung der Berufsvormundschaft nicht gestatten, wo also statt dessen
die Ansammlung der Vormundschaften auf einen Beamten, indem dieser jeweils
für jedes Mündel besonders bestellt wird, als Ersatz dient, so daß hier Berufs-
Vormundschaft in der besonderen Art der Sammelvormundschaft entsteht, die
als der Vorläufer einer späteren landesgesetzlichen Regelung erscheint. Bei der
großen Bedeutung, die manche Kreise heute der Zwangserziehung wie den
Jugendgerichten beimessen, könnte jene Reihenfolge, wie sie eben erwähnt wurde,
manchem unrichtig erscheinen; viele werden geneigt sein, der Zwangserziehung


Grenzboten I 191S 18
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[0277] Die Bernfsvormundschaft als Organisationsform des Kinderschuhe- und soziale Vereine für Kinder, die bei ihren Eltern sind, Lehrstellenvermittlungen und Beratungseinrichtungen für die Berufswahl, wieviel nötiger sind sie für solche Kinder, die die Eltern entbehren, deren Pflegeeltern auch nur über un¬ genügende Kenntnis der Aussichten der einzelnen Berufe, der augenblicklichen Lage des Arbeitsmarktes, der körperlichen und geistigen Vorbedingungen für die einzelnen Berufe verfügen. Mit der Schwierigkeit, eine genügende Berufsaus¬ bildung z. B. unserem gewerblichen Nachwuchs zu sichern, hat der Berufsvormund immer zu kämpfen. Gilt es doch für ihn oft nicht bloß geeignete Lehrstellen unter den vorhandenen auszusuchen, sondern neue Ausbildungsgelegenheiten zu schaffen, da die vorhandenen vernünftigen Ansprüchen nicht mehr genügen. Noch schwieriger ist die Frage, was mit den geistig minderwertigen Kindern nach der Schule werden soll, die ebenso dringend wie die normalen einer besonderen Berufsausbildung bedürfen, sollen sie nicht rasch in das große Heer der Vaga¬ bunden und Prostituierten hinabsinken, das sich unter den heutigen Verhältnissen vorwiegend aus ihnen rekrutiert. Und die Ausbildung in dem gewählten Berufe muß sorgsam beaufsichtigt werden, sowohl nach der Seite der Leistungen des Meisters wie des Verhaltens des Jugendlichen, der in diesem Alter der werdenden Selbständigkeit besonders gearteter Hilfe bedarf. Das sind alles schwierige Fragen, die der Einzelvormund wohl hier und da, aber in Anbetracht der großen Zahl der Mündel nicht immer lösen kann; es sind eben so große und schwierige Aufgaben für die Leitung der Erziehung, also die Vormundschaft entstanden, daß nur Organisationen ihnen gewachsen sind, die über eine gute Arbeitsteilung verfügen. Der Umfang dieser Berufsvormundschaft ist nicht aus äußerlichen Umständen, sondern aus inneren sachlichen Gründen erwachsen. Die Aufgabe der Vormundschaft in unseren Tagen erfordert unter den großen Ver¬ hältnissen größerer Landgebiete oder größerer Städte auch große Organisationen, die eben heute die reguläre Form der Vormundschaft werden dürften. Die erwähnten größten Berufsvormundschaften des Deutschen Reiches ent¬ standen zunächst aus Berufsvormundschaften von Behörden über die armen Kinder, die von ihnen im Wege der Armenpflege untergebracht wurden; an diese Gruppe schloß sich der Schutz der unehelichen Kinder an und mit beiden wurde schließlich die Bevormundung der verwahrlosten Kinder, der Zwangs¬ zöglinge verbunden. Diese Zusammenfassung der drei Schutzgebiete ist der Gang, den die Entwicklung selbst da nimmt, wo die Landesgesetze bisher eine solche Ausdehnung der Berufsvormundschaft nicht gestatten, wo also statt dessen die Ansammlung der Vormundschaften auf einen Beamten, indem dieser jeweils für jedes Mündel besonders bestellt wird, als Ersatz dient, so daß hier Berufs- Vormundschaft in der besonderen Art der Sammelvormundschaft entsteht, die als der Vorläufer einer späteren landesgesetzlichen Regelung erscheint. Bei der großen Bedeutung, die manche Kreise heute der Zwangserziehung wie den Jugendgerichten beimessen, könnte jene Reihenfolge, wie sie eben erwähnt wurde, manchem unrichtig erscheinen; viele werden geneigt sein, der Zwangserziehung Grenzboten I 191S 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/277>, abgerufen am 24.07.2024.