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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Vincent van Gogh

ist im Grunde ein gesellschaftlicher Gedanke, der tief den Grund sieht und denkt,
auf dem Kunst erst genossen werden kann und Kunstwerke nicht mehr einsam
und fremd bleiben müssen. Und ebenso empfand van Gogh als Künstler
sozialistisch-entwicklungsgeschichtlich, wenn er alles, was auch die Kunst erschaffen,
als ein Glied in der Kette des Schaffens überhaupt betrachtet, sich selbst und
alle Künstler als Teile eines unbewußten psychischen Zeitwirkens steht, seine
Arbeit als Anteil und Erfüllung von längst Gewesenen und Übergang zu erst
kommenden Dingen auffaßt. Dies ist ihm keine Theorie, sondern Gesetz seines
Wesens und er geht darin so weit, logisch bescheiden aus Sozialität, daß
er seine Bilder nicht signiert und seine Freunde zu Arbeitsgenossenschaft der
Ideen und zu materieller gegenseitiger Unterstützung aufruft. Unter seinem
Leben voll Armut und proletarischer Würde, voll der Glut und Pracht inneren
Reichtums und beispielloser Energie wurde er ein großer Künstler, die pracht¬
vollste Erscheinung der modernen französischen Malerei, wurde er der Verkünder
der heiligsten Freude an der Materie, diesem A und O der Menschensehnsucht
aller Zeiten und Klassen.

Sehen wir kurz auf sein Herkommen und auf seine Werke. Vincent
van Gogh wurde 1853 in einem Dorfe der niederländischen Provinz Nord-
Brabant als Sohn eines Pfarrers geboren. Er war nacheinander: Kunst¬
händler, Schullehrer, Evangelist bei den Minenarbeitern in Belgien. Hier sing
er spät, ich glaube in seinem fast dreißigsten Jahre an zu zeichnen. Er geht
dann nach dem Haag und kommt dort zuerst mit Malern in Beziehung. Seine
ersten Sachen schafft er 1883 bis 1885. Sie sind stark, aber mehr in grauen,
unter sich gestuften Tönen gehalten. Er besucht dann einige Monate die
Akademie in Antwerpen und kommt durch seinen Bruder, den Kunsthändler
Theodor van Gogh, mit den französischen Impressionisten in Berührung. Er
siedelt nach dem Süden über, den er immer mehr liebt und ersehnt, lebt in
Arles und San Remy und hier entsteht der größte Teil der Bilder, die heute
bekannt und bewundert sind. Ständig unterstützt von seinem Bruder, lebt hier
van Gogh ganz seiner Arbeit. Unterernährung und fast rasendes Arbeiten
scheinen ihm oft krankhafte Depressionen zu bringen, ihm den Pinsel gewaltsam
aus der Hand nehmen zu wollen. Trotzdem ringt er der Kunst in einer
kurzen Spanne Zeit ab, was andere ihr in einem Lebensalter kaum abringen.
-- Bald bringt ihn seine physisch-psychische Reizbarkeit zu einem Wahnsinns¬
anfall. Er lebt zuletzt in der Nervenheilanstalt in Auver°sur-Oise, wo er noch
prachtvolle Bilder schafft und dann 1890, in voller Klarheit über seinen Zustand,
schießt er sich eine Kugel durch den Leib und stirbt im Bett, seine Pfeife
rauchend. Einem unwürdigen, sicheren Tode wollte er zuvorkommen. Es
fehlen noch viele Details aus van Goghs Leben. Ich glaube, sie werden
immer fehlen, sie fehlen überhaupt. Denn was zwischen diesen wenigen Tat¬
sachen zu denken ist, ist ein Leben in steter heftiger, hartnäckiger Arbeit. Arbeit,
die manchmal wie Zorn aussieht, wenn sie nicht ebenso Liebe heißen müßte.


Vincent van Gogh

ist im Grunde ein gesellschaftlicher Gedanke, der tief den Grund sieht und denkt,
auf dem Kunst erst genossen werden kann und Kunstwerke nicht mehr einsam
und fremd bleiben müssen. Und ebenso empfand van Gogh als Künstler
sozialistisch-entwicklungsgeschichtlich, wenn er alles, was auch die Kunst erschaffen,
als ein Glied in der Kette des Schaffens überhaupt betrachtet, sich selbst und
alle Künstler als Teile eines unbewußten psychischen Zeitwirkens steht, seine
Arbeit als Anteil und Erfüllung von längst Gewesenen und Übergang zu erst
kommenden Dingen auffaßt. Dies ist ihm keine Theorie, sondern Gesetz seines
Wesens und er geht darin so weit, logisch bescheiden aus Sozialität, daß
er seine Bilder nicht signiert und seine Freunde zu Arbeitsgenossenschaft der
Ideen und zu materieller gegenseitiger Unterstützung aufruft. Unter seinem
Leben voll Armut und proletarischer Würde, voll der Glut und Pracht inneren
Reichtums und beispielloser Energie wurde er ein großer Künstler, die pracht¬
vollste Erscheinung der modernen französischen Malerei, wurde er der Verkünder
der heiligsten Freude an der Materie, diesem A und O der Menschensehnsucht
aller Zeiten und Klassen.

Sehen wir kurz auf sein Herkommen und auf seine Werke. Vincent
van Gogh wurde 1853 in einem Dorfe der niederländischen Provinz Nord-
Brabant als Sohn eines Pfarrers geboren. Er war nacheinander: Kunst¬
händler, Schullehrer, Evangelist bei den Minenarbeitern in Belgien. Hier sing
er spät, ich glaube in seinem fast dreißigsten Jahre an zu zeichnen. Er geht
dann nach dem Haag und kommt dort zuerst mit Malern in Beziehung. Seine
ersten Sachen schafft er 1883 bis 1885. Sie sind stark, aber mehr in grauen,
unter sich gestuften Tönen gehalten. Er besucht dann einige Monate die
Akademie in Antwerpen und kommt durch seinen Bruder, den Kunsthändler
Theodor van Gogh, mit den französischen Impressionisten in Berührung. Er
siedelt nach dem Süden über, den er immer mehr liebt und ersehnt, lebt in
Arles und San Remy und hier entsteht der größte Teil der Bilder, die heute
bekannt und bewundert sind. Ständig unterstützt von seinem Bruder, lebt hier
van Gogh ganz seiner Arbeit. Unterernährung und fast rasendes Arbeiten
scheinen ihm oft krankhafte Depressionen zu bringen, ihm den Pinsel gewaltsam
aus der Hand nehmen zu wollen. Trotzdem ringt er der Kunst in einer
kurzen Spanne Zeit ab, was andere ihr in einem Lebensalter kaum abringen.
— Bald bringt ihn seine physisch-psychische Reizbarkeit zu einem Wahnsinns¬
anfall. Er lebt zuletzt in der Nervenheilanstalt in Auver°sur-Oise, wo er noch
prachtvolle Bilder schafft und dann 1890, in voller Klarheit über seinen Zustand,
schießt er sich eine Kugel durch den Leib und stirbt im Bett, seine Pfeife
rauchend. Einem unwürdigen, sicheren Tode wollte er zuvorkommen. Es
fehlen noch viele Details aus van Goghs Leben. Ich glaube, sie werden
immer fehlen, sie fehlen überhaupt. Denn was zwischen diesen wenigen Tat¬
sachen zu denken ist, ist ein Leben in steter heftiger, hartnäckiger Arbeit. Arbeit,
die manchmal wie Zorn aussieht, wenn sie nicht ebenso Liebe heißen müßte.


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[0250] Vincent van Gogh ist im Grunde ein gesellschaftlicher Gedanke, der tief den Grund sieht und denkt, auf dem Kunst erst genossen werden kann und Kunstwerke nicht mehr einsam und fremd bleiben müssen. Und ebenso empfand van Gogh als Künstler sozialistisch-entwicklungsgeschichtlich, wenn er alles, was auch die Kunst erschaffen, als ein Glied in der Kette des Schaffens überhaupt betrachtet, sich selbst und alle Künstler als Teile eines unbewußten psychischen Zeitwirkens steht, seine Arbeit als Anteil und Erfüllung von längst Gewesenen und Übergang zu erst kommenden Dingen auffaßt. Dies ist ihm keine Theorie, sondern Gesetz seines Wesens und er geht darin so weit, logisch bescheiden aus Sozialität, daß er seine Bilder nicht signiert und seine Freunde zu Arbeitsgenossenschaft der Ideen und zu materieller gegenseitiger Unterstützung aufruft. Unter seinem Leben voll Armut und proletarischer Würde, voll der Glut und Pracht inneren Reichtums und beispielloser Energie wurde er ein großer Künstler, die pracht¬ vollste Erscheinung der modernen französischen Malerei, wurde er der Verkünder der heiligsten Freude an der Materie, diesem A und O der Menschensehnsucht aller Zeiten und Klassen. Sehen wir kurz auf sein Herkommen und auf seine Werke. Vincent van Gogh wurde 1853 in einem Dorfe der niederländischen Provinz Nord- Brabant als Sohn eines Pfarrers geboren. Er war nacheinander: Kunst¬ händler, Schullehrer, Evangelist bei den Minenarbeitern in Belgien. Hier sing er spät, ich glaube in seinem fast dreißigsten Jahre an zu zeichnen. Er geht dann nach dem Haag und kommt dort zuerst mit Malern in Beziehung. Seine ersten Sachen schafft er 1883 bis 1885. Sie sind stark, aber mehr in grauen, unter sich gestuften Tönen gehalten. Er besucht dann einige Monate die Akademie in Antwerpen und kommt durch seinen Bruder, den Kunsthändler Theodor van Gogh, mit den französischen Impressionisten in Berührung. Er siedelt nach dem Süden über, den er immer mehr liebt und ersehnt, lebt in Arles und San Remy und hier entsteht der größte Teil der Bilder, die heute bekannt und bewundert sind. Ständig unterstützt von seinem Bruder, lebt hier van Gogh ganz seiner Arbeit. Unterernährung und fast rasendes Arbeiten scheinen ihm oft krankhafte Depressionen zu bringen, ihm den Pinsel gewaltsam aus der Hand nehmen zu wollen. Trotzdem ringt er der Kunst in einer kurzen Spanne Zeit ab, was andere ihr in einem Lebensalter kaum abringen. — Bald bringt ihn seine physisch-psychische Reizbarkeit zu einem Wahnsinns¬ anfall. Er lebt zuletzt in der Nervenheilanstalt in Auver°sur-Oise, wo er noch prachtvolle Bilder schafft und dann 1890, in voller Klarheit über seinen Zustand, schießt er sich eine Kugel durch den Leib und stirbt im Bett, seine Pfeife rauchend. Einem unwürdigen, sicheren Tode wollte er zuvorkommen. Es fehlen noch viele Details aus van Goghs Leben. Ich glaube, sie werden immer fehlen, sie fehlen überhaupt. Denn was zwischen diesen wenigen Tat¬ sachen zu denken ist, ist ein Leben in steter heftiger, hartnäckiger Arbeit. Arbeit, die manchmal wie Zorn aussieht, wenn sie nicht ebenso Liebe heißen müßte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/250>, abgerufen am 22.07.2024.