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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Mit einem einzigen Satze ist er heraus aus dem Stroh, stürzt ins Hotel,
läßt sich von Franz, der ihm sagt, daß Sonntag ist, seinen besten Anzug aus
seiner Wohnung herumholen, wäscht sich, putzt sich sauber heraus und ist pünktlich
halb zehn Uhr in -- der Kirche. -- Ein reuiger Büßer.

Nun ist aber das Maß übergelaufen. Die Trebeldorfer haben einen großen
Rat gehalten und eine gemeinsame Schrift aufgesetzt. Gleich darauf ist ein
Schulrat gekommen, und die Entthronung des Rektors ist beschlossene Sache
gewesen.

Auf welche Art schließlich alles noch einmal wieder eingerenkt ist, das weiß
ich nicht. -- Dem Rektor sind jedenfalls die Augen aufgegangen. Er hat sich
vor einem entsetzlichen Abgrund stehen sehen, ist in sich gegangen, hat Abbitte
getan und Besserung gelobt.

So ist er im Amt geblieben.

Die Geschichte ist geschehen vor fünf Jahren. Heute ist der Rektor ein
frischer Vierziger. Er hat nach jenen wüsten Vorkommnissen eine bewunderns-
werte Kraft entwickelt. Er ist losgelöst von seinem Dämon, der seit den Tagen
von damals nie mehr Gewalt über ihn gewonnen hat.

Nun lebt er in stiller Abgeschlossenheit neben der guten bescheidenen Frau
und sucht ihr das harte Leiden der trüben Zeit zu vergelten mit aller Liebe,
deren sie wert ist. -- Er ist ein gewissenhafter, pünktlicher und tüchtiger Mann
im Dienst.

Siehst Du, lieber Cunz, das ist wieder so ein echtes Trebeldorser Stücklein.
Nach den Berichten über den Bürgermeister würde ich Dich damit verschont
haben, wenn ich nicht ein so versöhnendes Ende hätte dranhängen dürfen.

Wenn man die tatsächliche abnorme Odigkeit dieses Nestes innerhalb und
außerhalb der Stadtmauern überschaut, wenn man den ganzen armseligen Klatsch
hinzu addiere und den allgemeinen geistigen Tiefstand mit in Rechnung stellt,
so mag man wohl begreifen, warum so viele dem Laster des Trunkes ver¬
sallen, und nicht einmal gerade die Schlechtesten. Manche versumpfen rettungslos,
und nur ganz vereinzelten gelingt es mit letzter Willenskraft, gerade noch einen
Schritt vor dem Versinken den Fuß aus dem Schlamme zu ziehen.

Ich bewundere den Mann. Ich tue das um so mehr, da er gar nichts '
verschweigt aus der Zeit seiner wilden Gärung, sondern in traulicher Stunde
das Buch seines Lebens schon mehr als einmal ohne Heimlichtuerei und Be¬
schönigung offen vor mir aufgeblättert hat. --

Noch neun Wochen! Dann hab ich Dich hier, Du mein Allerbester! --
Wen alten Kantor und den Rektor werde ich Dir vorführen Sie sind es wert"
von Dir gekannt zu sein!

.
Gruß! Dein Edward.

(Fortsetzung folgt)




Briefe aus Trebeldorf

Mit einem einzigen Satze ist er heraus aus dem Stroh, stürzt ins Hotel,
läßt sich von Franz, der ihm sagt, daß Sonntag ist, seinen besten Anzug aus
seiner Wohnung herumholen, wäscht sich, putzt sich sauber heraus und ist pünktlich
halb zehn Uhr in — der Kirche. — Ein reuiger Büßer.

Nun ist aber das Maß übergelaufen. Die Trebeldorfer haben einen großen
Rat gehalten und eine gemeinsame Schrift aufgesetzt. Gleich darauf ist ein
Schulrat gekommen, und die Entthronung des Rektors ist beschlossene Sache
gewesen.

Auf welche Art schließlich alles noch einmal wieder eingerenkt ist, das weiß
ich nicht. — Dem Rektor sind jedenfalls die Augen aufgegangen. Er hat sich
vor einem entsetzlichen Abgrund stehen sehen, ist in sich gegangen, hat Abbitte
getan und Besserung gelobt.

So ist er im Amt geblieben.

Die Geschichte ist geschehen vor fünf Jahren. Heute ist der Rektor ein
frischer Vierziger. Er hat nach jenen wüsten Vorkommnissen eine bewunderns-
werte Kraft entwickelt. Er ist losgelöst von seinem Dämon, der seit den Tagen
von damals nie mehr Gewalt über ihn gewonnen hat.

Nun lebt er in stiller Abgeschlossenheit neben der guten bescheidenen Frau
und sucht ihr das harte Leiden der trüben Zeit zu vergelten mit aller Liebe,
deren sie wert ist. — Er ist ein gewissenhafter, pünktlicher und tüchtiger Mann
im Dienst.

Siehst Du, lieber Cunz, das ist wieder so ein echtes Trebeldorser Stücklein.
Nach den Berichten über den Bürgermeister würde ich Dich damit verschont
haben, wenn ich nicht ein so versöhnendes Ende hätte dranhängen dürfen.

Wenn man die tatsächliche abnorme Odigkeit dieses Nestes innerhalb und
außerhalb der Stadtmauern überschaut, wenn man den ganzen armseligen Klatsch
hinzu addiere und den allgemeinen geistigen Tiefstand mit in Rechnung stellt,
so mag man wohl begreifen, warum so viele dem Laster des Trunkes ver¬
sallen, und nicht einmal gerade die Schlechtesten. Manche versumpfen rettungslos,
und nur ganz vereinzelten gelingt es mit letzter Willenskraft, gerade noch einen
Schritt vor dem Versinken den Fuß aus dem Schlamme zu ziehen.

Ich bewundere den Mann. Ich tue das um so mehr, da er gar nichts '
verschweigt aus der Zeit seiner wilden Gärung, sondern in traulicher Stunde
das Buch seines Lebens schon mehr als einmal ohne Heimlichtuerei und Be¬
schönigung offen vor mir aufgeblättert hat. —

Noch neun Wochen! Dann hab ich Dich hier, Du mein Allerbester! —
Wen alten Kantor und den Rektor werde ich Dir vorführen Sie sind es wert»
von Dir gekannt zu sein!

.
Gruß! Dein Edward.

(Fortsetzung folgt)




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[0248] Briefe aus Trebeldorf Mit einem einzigen Satze ist er heraus aus dem Stroh, stürzt ins Hotel, läßt sich von Franz, der ihm sagt, daß Sonntag ist, seinen besten Anzug aus seiner Wohnung herumholen, wäscht sich, putzt sich sauber heraus und ist pünktlich halb zehn Uhr in — der Kirche. — Ein reuiger Büßer. Nun ist aber das Maß übergelaufen. Die Trebeldorfer haben einen großen Rat gehalten und eine gemeinsame Schrift aufgesetzt. Gleich darauf ist ein Schulrat gekommen, und die Entthronung des Rektors ist beschlossene Sache gewesen. Auf welche Art schließlich alles noch einmal wieder eingerenkt ist, das weiß ich nicht. — Dem Rektor sind jedenfalls die Augen aufgegangen. Er hat sich vor einem entsetzlichen Abgrund stehen sehen, ist in sich gegangen, hat Abbitte getan und Besserung gelobt. So ist er im Amt geblieben. Die Geschichte ist geschehen vor fünf Jahren. Heute ist der Rektor ein frischer Vierziger. Er hat nach jenen wüsten Vorkommnissen eine bewunderns- werte Kraft entwickelt. Er ist losgelöst von seinem Dämon, der seit den Tagen von damals nie mehr Gewalt über ihn gewonnen hat. Nun lebt er in stiller Abgeschlossenheit neben der guten bescheidenen Frau und sucht ihr das harte Leiden der trüben Zeit zu vergelten mit aller Liebe, deren sie wert ist. — Er ist ein gewissenhafter, pünktlicher und tüchtiger Mann im Dienst. Siehst Du, lieber Cunz, das ist wieder so ein echtes Trebeldorser Stücklein. Nach den Berichten über den Bürgermeister würde ich Dich damit verschont haben, wenn ich nicht ein so versöhnendes Ende hätte dranhängen dürfen. Wenn man die tatsächliche abnorme Odigkeit dieses Nestes innerhalb und außerhalb der Stadtmauern überschaut, wenn man den ganzen armseligen Klatsch hinzu addiere und den allgemeinen geistigen Tiefstand mit in Rechnung stellt, so mag man wohl begreifen, warum so viele dem Laster des Trunkes ver¬ sallen, und nicht einmal gerade die Schlechtesten. Manche versumpfen rettungslos, und nur ganz vereinzelten gelingt es mit letzter Willenskraft, gerade noch einen Schritt vor dem Versinken den Fuß aus dem Schlamme zu ziehen. Ich bewundere den Mann. Ich tue das um so mehr, da er gar nichts ' verschweigt aus der Zeit seiner wilden Gärung, sondern in traulicher Stunde das Buch seines Lebens schon mehr als einmal ohne Heimlichtuerei und Be¬ schönigung offen vor mir aufgeblättert hat. — Noch neun Wochen! Dann hab ich Dich hier, Du mein Allerbester! — Wen alten Kantor und den Rektor werde ich Dir vorführen Sie sind es wert» von Dir gekannt zu sein! . Gruß! Dein Edward. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/248>, abgerufen am 22.07.2024.