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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trcbeldorf

Besinne dich, daß ich dieses Steckenpferd schon immer geritten habe. Hier
vollends habe ich mich mit glühendem Eifer in diese Dinge hineingestürzt. Mit
gutem Willen kann man alles lernen. Die Beschäftigung mit den tausend und
abertausend Rätseln der Natur im großen und kleinen ist meine Andacht, seit
ich der Theologie innerlich den Abschied gegeben habe.

Vieles ist mir ganz neu. Um so frischer und unmittelbarer strömt es von
mir über auf die Jungen.

Genau umgekehrt liegt es in meinem Religionsunterricht. Ich fühle, daß
ich mich mühsam hindurchschleppe wie durch sandige Wüsten. Hier fehle ich mir
selbst, und damit fehlt mir alles. Ich bin nur neugierig, wie ich auf die Dauer
damit bestehen werde, daß ich fast gar nicht in die Kirche gehe.

Dem Rektor habe ich mich gleich entdeckt. Er ist ein lieber Mensch. Von
außen besehen zwar etwas bärbeißig und selbstherrlich, aber er hat ein freund¬
liches Verständnis für meine Lage und ist auf meine Wünsche in der Unter¬
richtsverteilung nach Möglichkeit eingegangen.

Auch an diesem Manne hat übrigens ehemals der Genius von Trebeldorf
sein furchtbares Verbrechen verübt. Er ist aber schließlich der Stärkere gewesen
und hat ihn bezwungen.

Es werden Geschichten von ihm erzählt, die schier unglaublich sind.

Jahrelang ist sein Weg kein anderer gewesen als von der Schule in die
Kneipe, von der Kneipe in die Schule. Und dabei hat dieser Mann e.me kleine
herzensgute, sorgsame Frau, die ihn immer in Ängsten umschwebt und mit
zartester Liebe umgibt.

Am wildesten hat er es getrieben in der Zeit, als der eine seiner Brüder
hier Arzt war, und der andere, ein Jurist, ihn auf mehrere Monate besucht hat.

Es soll ein erhabener Anblick gewesen sein, wenn diese drei voll aus¬
gewachsenen Hünengestalten von überreichlichem Gardemaß mit breiten Schultern
und wohlgerundetem Leibe die Hauptstraße entlang geschritten sind, der eine
auf dem rechten Bürgersteig, der andere auf dem linken, der dritte mitten auf
dem Fahrdamm. Sie haben anders nicht Platz gehabt nebeneinander, und
Fuhrwerke haben an ihnen nicht vorbei gekonnt.

Dann haben sie in ihren tiefen Bässen auf der Straße bramarbasiert, daß
rings die Fenster geklirrt haben. Die Kinder sind vor der Posaunenstimme
ihres strengen Rektors hinter den Ofen gekrochen, und die Häuser haben gezittert
in ihren Grundfesten unter dem schwer dröhnenden Stampfen ihrer Schritte.

Im Hotel haben sie stets das große Wort, den noch größeren Hunger
und den allergrößten Durst gehabt. Da haben sie gezecht bis tief in die Nacht
hinein, und wenn dann etwa zu später Stunde noch ein im Omnibus durch¬
frorener Reisender zur Tür eingetreten ist und ein Beefsteak verlangt hat, dann
hat der Jurist über den Tisch hinweggerufen: "Mir auch eins!" Der Arzt hat
befohlen: "Mir auch, aber ein großes!" und der Rektor hat gebrüllt: "Mir
auch, aber mit Eiern drauf!"


Briefe aus Trcbeldorf

Besinne dich, daß ich dieses Steckenpferd schon immer geritten habe. Hier
vollends habe ich mich mit glühendem Eifer in diese Dinge hineingestürzt. Mit
gutem Willen kann man alles lernen. Die Beschäftigung mit den tausend und
abertausend Rätseln der Natur im großen und kleinen ist meine Andacht, seit
ich der Theologie innerlich den Abschied gegeben habe.

Vieles ist mir ganz neu. Um so frischer und unmittelbarer strömt es von
mir über auf die Jungen.

Genau umgekehrt liegt es in meinem Religionsunterricht. Ich fühle, daß
ich mich mühsam hindurchschleppe wie durch sandige Wüsten. Hier fehle ich mir
selbst, und damit fehlt mir alles. Ich bin nur neugierig, wie ich auf die Dauer
damit bestehen werde, daß ich fast gar nicht in die Kirche gehe.

Dem Rektor habe ich mich gleich entdeckt. Er ist ein lieber Mensch. Von
außen besehen zwar etwas bärbeißig und selbstherrlich, aber er hat ein freund¬
liches Verständnis für meine Lage und ist auf meine Wünsche in der Unter¬
richtsverteilung nach Möglichkeit eingegangen.

Auch an diesem Manne hat übrigens ehemals der Genius von Trebeldorf
sein furchtbares Verbrechen verübt. Er ist aber schließlich der Stärkere gewesen
und hat ihn bezwungen.

Es werden Geschichten von ihm erzählt, die schier unglaublich sind.

Jahrelang ist sein Weg kein anderer gewesen als von der Schule in die
Kneipe, von der Kneipe in die Schule. Und dabei hat dieser Mann e.me kleine
herzensgute, sorgsame Frau, die ihn immer in Ängsten umschwebt und mit
zartester Liebe umgibt.

Am wildesten hat er es getrieben in der Zeit, als der eine seiner Brüder
hier Arzt war, und der andere, ein Jurist, ihn auf mehrere Monate besucht hat.

Es soll ein erhabener Anblick gewesen sein, wenn diese drei voll aus¬
gewachsenen Hünengestalten von überreichlichem Gardemaß mit breiten Schultern
und wohlgerundetem Leibe die Hauptstraße entlang geschritten sind, der eine
auf dem rechten Bürgersteig, der andere auf dem linken, der dritte mitten auf
dem Fahrdamm. Sie haben anders nicht Platz gehabt nebeneinander, und
Fuhrwerke haben an ihnen nicht vorbei gekonnt.

Dann haben sie in ihren tiefen Bässen auf der Straße bramarbasiert, daß
rings die Fenster geklirrt haben. Die Kinder sind vor der Posaunenstimme
ihres strengen Rektors hinter den Ofen gekrochen, und die Häuser haben gezittert
in ihren Grundfesten unter dem schwer dröhnenden Stampfen ihrer Schritte.

Im Hotel haben sie stets das große Wort, den noch größeren Hunger
und den allergrößten Durst gehabt. Da haben sie gezecht bis tief in die Nacht
hinein, und wenn dann etwa zu später Stunde noch ein im Omnibus durch¬
frorener Reisender zur Tür eingetreten ist und ein Beefsteak verlangt hat, dann
hat der Jurist über den Tisch hinweggerufen: „Mir auch eins!" Der Arzt hat
befohlen: „Mir auch, aber ein großes!" und der Rektor hat gebrüllt: „Mir
auch, aber mit Eiern drauf!"


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[0246] Briefe aus Trcbeldorf Besinne dich, daß ich dieses Steckenpferd schon immer geritten habe. Hier vollends habe ich mich mit glühendem Eifer in diese Dinge hineingestürzt. Mit gutem Willen kann man alles lernen. Die Beschäftigung mit den tausend und abertausend Rätseln der Natur im großen und kleinen ist meine Andacht, seit ich der Theologie innerlich den Abschied gegeben habe. Vieles ist mir ganz neu. Um so frischer und unmittelbarer strömt es von mir über auf die Jungen. Genau umgekehrt liegt es in meinem Religionsunterricht. Ich fühle, daß ich mich mühsam hindurchschleppe wie durch sandige Wüsten. Hier fehle ich mir selbst, und damit fehlt mir alles. Ich bin nur neugierig, wie ich auf die Dauer damit bestehen werde, daß ich fast gar nicht in die Kirche gehe. Dem Rektor habe ich mich gleich entdeckt. Er ist ein lieber Mensch. Von außen besehen zwar etwas bärbeißig und selbstherrlich, aber er hat ein freund¬ liches Verständnis für meine Lage und ist auf meine Wünsche in der Unter¬ richtsverteilung nach Möglichkeit eingegangen. Auch an diesem Manne hat übrigens ehemals der Genius von Trebeldorf sein furchtbares Verbrechen verübt. Er ist aber schließlich der Stärkere gewesen und hat ihn bezwungen. Es werden Geschichten von ihm erzählt, die schier unglaublich sind. Jahrelang ist sein Weg kein anderer gewesen als von der Schule in die Kneipe, von der Kneipe in die Schule. Und dabei hat dieser Mann e.me kleine herzensgute, sorgsame Frau, die ihn immer in Ängsten umschwebt und mit zartester Liebe umgibt. Am wildesten hat er es getrieben in der Zeit, als der eine seiner Brüder hier Arzt war, und der andere, ein Jurist, ihn auf mehrere Monate besucht hat. Es soll ein erhabener Anblick gewesen sein, wenn diese drei voll aus¬ gewachsenen Hünengestalten von überreichlichem Gardemaß mit breiten Schultern und wohlgerundetem Leibe die Hauptstraße entlang geschritten sind, der eine auf dem rechten Bürgersteig, der andere auf dem linken, der dritte mitten auf dem Fahrdamm. Sie haben anders nicht Platz gehabt nebeneinander, und Fuhrwerke haben an ihnen nicht vorbei gekonnt. Dann haben sie in ihren tiefen Bässen auf der Straße bramarbasiert, daß rings die Fenster geklirrt haben. Die Kinder sind vor der Posaunenstimme ihres strengen Rektors hinter den Ofen gekrochen, und die Häuser haben gezittert in ihren Grundfesten unter dem schwer dröhnenden Stampfen ihrer Schritte. Im Hotel haben sie stets das große Wort, den noch größeren Hunger und den allergrößten Durst gehabt. Da haben sie gezecht bis tief in die Nacht hinein, und wenn dann etwa zu später Stunde noch ein im Omnibus durch¬ frorener Reisender zur Tür eingetreten ist und ein Beefsteak verlangt hat, dann hat der Jurist über den Tisch hinweggerufen: „Mir auch eins!" Der Arzt hat befohlen: „Mir auch, aber ein großes!" und der Rektor hat gebrüllt: „Mir auch, aber mit Eiern drauf!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/246>, abgerufen am 22.12.2024.