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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Der Bürgermeister, innig überzeugt von seiner glänzend gelungenen Soiree,
wedelte ein paarmal kräftig mit seinem Taschentuch vor meiner Nase auf und
ab und schrie mit knarrender Stimme: "Wach!"

Ich tat, als erwache ich wirklich und ließ das Glas zu Boden fallen, daß
es zersprang.

"Nanu, Korrektor," lachte voller Befriedigung mein Willensbändiger,
"warum lassen Sie den Ehrenpokal fallen? -- Was haben Sie getrunken?"

"Etwas ganz Abscheuliches, Selleriesalatsauce mit schwarzem Kaffee und
Schwefelsäure. -- Pfui Teufel!"

Ich spuckte immer noch.

"Na, kommen Sie!" Wohlmeinend legte mir der Bürgermeister die Hand
auf die Schulter. "Sie sind ein prachtvolles Medium. Jetzt noch einen wirk¬
lichen Ehrentrunk! -- Franz, eine Flasche Medoc!"

Wir gingen ins Gastzimmer. Der Bürgermeister warf sich in ehrlichem
Kinderglauben an seine magnetische Kraft behaglich in seine Sofaecke, nahm mit
Herablassung schmunzelnd die Beifallskundgebungen seines Publikums im Empfang
und lud alles an unseren Tisch heran, was irgend trinken mochte.

Der Medoc kam. Aus der einen Flasche wurden viele, und die Vor¬
mittagsszene, deren Wiederkehr ich hatte verhindern wollen, entwickelte sich jetzt
mit selbstverständlicher Geschwindigkeit.

Mich beschlich es wie Schuldbewußtsein und Schamgefühl, wiewohl das in
diesem Kreise recht überflüssig war. Am liebsten wäre ich ausgekniffen. Aber
ich mußte nun wenigstens des Bürgermeisters Hüter sein und abwarten, zu
welchem Ende diese Tragikomödie hinaufliefe.

Sie endete bald.

Der Bürgermeister trank in durstigen Zügen, und nach gar nicht langer
Zeit drohte ihm das schlummerschwere Haupt haltlos auf die Brust zu sinken.

Da gelang mir durch heimliches, eindringliches Zureden wirklich das Un¬
erwartete: er entschloß sich zu gehen. Er zog sein Portemonnaie, warf es auf
den Tisch und rief: "Franz, zahlen! -- Alles abziehen! -- Da!"

Er zeigte auf das Portemonnaie. Franz goß den ganzen Inhalt auf die
Platte aus und zog ab, was er zu bekommen hatte, selbstverständlich unter
Anrechnung eines sehr anständigen Trinkgeldes. Ich sah, wie er etliche Gold¬
münzen, weit über hundert Mark, bei sich verschwinden ließ und das übrige
wieder in den Geldbeutel tat. Dann sprach er: "Kommen Sie, Herr Bürger¬
meister!"

Er brachte ihn aus der Ecke hoch, schob ihm sein Portemonnaie in die
Hintere Hosentasche, half ihm in den Überzieher, stülpte ihm seinen Hut auf,
gab ihm seinen Stock und reichte ihm den Arm.

stummes Verneigen des Bürgermeisters, und sicher geleitet von Franz, für
den sich dieser Erntetag alle Vierteljahre wiederholt, torkelte er davon.


Briefe aus Trebeldorf

Der Bürgermeister, innig überzeugt von seiner glänzend gelungenen Soiree,
wedelte ein paarmal kräftig mit seinem Taschentuch vor meiner Nase auf und
ab und schrie mit knarrender Stimme: „Wach!"

Ich tat, als erwache ich wirklich und ließ das Glas zu Boden fallen, daß
es zersprang.

„Nanu, Korrektor," lachte voller Befriedigung mein Willensbändiger,
„warum lassen Sie den Ehrenpokal fallen? — Was haben Sie getrunken?"

„Etwas ganz Abscheuliches, Selleriesalatsauce mit schwarzem Kaffee und
Schwefelsäure. — Pfui Teufel!"

Ich spuckte immer noch.

„Na, kommen Sie!" Wohlmeinend legte mir der Bürgermeister die Hand
auf die Schulter. „Sie sind ein prachtvolles Medium. Jetzt noch einen wirk¬
lichen Ehrentrunk! — Franz, eine Flasche Medoc!"

Wir gingen ins Gastzimmer. Der Bürgermeister warf sich in ehrlichem
Kinderglauben an seine magnetische Kraft behaglich in seine Sofaecke, nahm mit
Herablassung schmunzelnd die Beifallskundgebungen seines Publikums im Empfang
und lud alles an unseren Tisch heran, was irgend trinken mochte.

Der Medoc kam. Aus der einen Flasche wurden viele, und die Vor¬
mittagsszene, deren Wiederkehr ich hatte verhindern wollen, entwickelte sich jetzt
mit selbstverständlicher Geschwindigkeit.

Mich beschlich es wie Schuldbewußtsein und Schamgefühl, wiewohl das in
diesem Kreise recht überflüssig war. Am liebsten wäre ich ausgekniffen. Aber
ich mußte nun wenigstens des Bürgermeisters Hüter sein und abwarten, zu
welchem Ende diese Tragikomödie hinaufliefe.

Sie endete bald.

Der Bürgermeister trank in durstigen Zügen, und nach gar nicht langer
Zeit drohte ihm das schlummerschwere Haupt haltlos auf die Brust zu sinken.

Da gelang mir durch heimliches, eindringliches Zureden wirklich das Un¬
erwartete: er entschloß sich zu gehen. Er zog sein Portemonnaie, warf es auf
den Tisch und rief: „Franz, zahlen! — Alles abziehen! — Da!"

Er zeigte auf das Portemonnaie. Franz goß den ganzen Inhalt auf die
Platte aus und zog ab, was er zu bekommen hatte, selbstverständlich unter
Anrechnung eines sehr anständigen Trinkgeldes. Ich sah, wie er etliche Gold¬
münzen, weit über hundert Mark, bei sich verschwinden ließ und das übrige
wieder in den Geldbeutel tat. Dann sprach er: „Kommen Sie, Herr Bürger¬
meister!"

Er brachte ihn aus der Ecke hoch, schob ihm sein Portemonnaie in die
Hintere Hosentasche, half ihm in den Überzieher, stülpte ihm seinen Hut auf,
gab ihm seinen Stock und reichte ihm den Arm.

stummes Verneigen des Bürgermeisters, und sicher geleitet von Franz, für
den sich dieser Erntetag alle Vierteljahre wiederholt, torkelte er davon.


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[0243] Briefe aus Trebeldorf Der Bürgermeister, innig überzeugt von seiner glänzend gelungenen Soiree, wedelte ein paarmal kräftig mit seinem Taschentuch vor meiner Nase auf und ab und schrie mit knarrender Stimme: „Wach!" Ich tat, als erwache ich wirklich und ließ das Glas zu Boden fallen, daß es zersprang. „Nanu, Korrektor," lachte voller Befriedigung mein Willensbändiger, „warum lassen Sie den Ehrenpokal fallen? — Was haben Sie getrunken?" „Etwas ganz Abscheuliches, Selleriesalatsauce mit schwarzem Kaffee und Schwefelsäure. — Pfui Teufel!" Ich spuckte immer noch. „Na, kommen Sie!" Wohlmeinend legte mir der Bürgermeister die Hand auf die Schulter. „Sie sind ein prachtvolles Medium. Jetzt noch einen wirk¬ lichen Ehrentrunk! — Franz, eine Flasche Medoc!" Wir gingen ins Gastzimmer. Der Bürgermeister warf sich in ehrlichem Kinderglauben an seine magnetische Kraft behaglich in seine Sofaecke, nahm mit Herablassung schmunzelnd die Beifallskundgebungen seines Publikums im Empfang und lud alles an unseren Tisch heran, was irgend trinken mochte. Der Medoc kam. Aus der einen Flasche wurden viele, und die Vor¬ mittagsszene, deren Wiederkehr ich hatte verhindern wollen, entwickelte sich jetzt mit selbstverständlicher Geschwindigkeit. Mich beschlich es wie Schuldbewußtsein und Schamgefühl, wiewohl das in diesem Kreise recht überflüssig war. Am liebsten wäre ich ausgekniffen. Aber ich mußte nun wenigstens des Bürgermeisters Hüter sein und abwarten, zu welchem Ende diese Tragikomödie hinaufliefe. Sie endete bald. Der Bürgermeister trank in durstigen Zügen, und nach gar nicht langer Zeit drohte ihm das schlummerschwere Haupt haltlos auf die Brust zu sinken. Da gelang mir durch heimliches, eindringliches Zureden wirklich das Un¬ erwartete: er entschloß sich zu gehen. Er zog sein Portemonnaie, warf es auf den Tisch und rief: „Franz, zahlen! — Alles abziehen! — Da!" Er zeigte auf das Portemonnaie. Franz goß den ganzen Inhalt auf die Platte aus und zog ab, was er zu bekommen hatte, selbstverständlich unter Anrechnung eines sehr anständigen Trinkgeldes. Ich sah, wie er etliche Gold¬ münzen, weit über hundert Mark, bei sich verschwinden ließ und das übrige wieder in den Geldbeutel tat. Dann sprach er: „Kommen Sie, Herr Bürger¬ meister!" Er brachte ihn aus der Ecke hoch, schob ihm sein Portemonnaie in die Hintere Hosentasche, half ihm in den Überzieher, stülpte ihm seinen Hut auf, gab ihm seinen Stock und reichte ihm den Arm. stummes Verneigen des Bürgermeisters, und sicher geleitet von Franz, für den sich dieser Erntetag alle Vierteljahre wiederholt, torkelte er davon.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/243>, abgerufen am 24.07.2024.