Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutschland und die Erschließung Chinas

Deutschland und die Erschließung (Lhinas
Dr. rer. pol. Max Linde vonin
IV.

Die Frage einer erfolgreichen wirtschaftlichen Erschließung Chinas ist zum
erheblichen Teile eine Verkehrsfrage. China besitzt heute alles in allem etwa
rund 11000 Kilometer fertige Eisenbahnen, während etwa 4400 Kilometer im
Bau begriffen sind. In Anbetracht der ungeheuren Ausdehnung des Reiches
und der hervorragenden politischen wie wirtschaftlichen Bedeutung von Eisenbahnen
gerade für China müssen diese Zahlen als recht gering und steigerungsbedürftig
bezeichnet werden. Diese Erkenntnis hat in China neuerdings mehr und mehr
an Boden gewonnen und das Eisenbahnproblem zu einer der meist erörterten
Angelegenheiten gemacht. Nicht nur die Regierung, sondern weite Kreise des
intellektuellen China, an ihrer Spitze Dr. Sunjatsen, bemühen sich, Mittel und
Wege ausfindig zu machen und Projekte auszuarbeiten, um China diejenigen
Eisenbahnverbindungen zu schaffen, die es im Interesse der Sicherung seines
territorialen Bestandes benötigt und die die Voraussetzung seines wirtschaftlichen
Aufstiegs sind. Solange China eines zulänglicher Verkehrsnetzes ermangelt,
wird von einer irgendwie großzügigen Entwicklung seines Wirtschaftslebens nicht
gesprochen werden können. Ohne Eisenbahnen ist an eine Umgestaltung der
chinesischen Landwirtschaft, die heute noch ganz allgemein auf der Stufe der
geschlossenen Hauswirtschaft steht, nicht zu denken. Beides aber, Eisenbahnen
und Loslösung der gewerblichen Arbeit von der landwirtschaftlichen Arbeit,
sind Bedingungen einerseits der industriellen und bergbaulichen Ent¬
wicklung Chinas, anderseits der Absatzsteigerung ausländischer Erzeug¬
nisse. Insbesondere letzterer Umstand sollte uns hinreichenden An¬
trieb geben, die chinesische Regierung bei der Verwirklichung ihrer
Eisenbahnpläne zu unterstützen. Deutschland ist ja an dem bisherigen Ausbau
chinesischen Verkehrswesens nicht unbeteiligt gewesen (es hat ungefähr 1200
Kilometer Bahnen in China gebaut), sondern hat sich im Gegenteil durch seine
Eisenbahnarbeiter namentlich in der Provinz Schankung hervorragende Verdienste
erworben. Wie es scheint, haben jedoch unsere Bestrebungen, bei den chinesischen
Vahnbauten in der vordersten Reihe zu stehen, seit mehreren Jahren nach"
gelassen. Das ist unerwünscht, da auch auf diesem Gebiete das, was wir
nicht tun, andere in die Hand nehmen. Ein bezeichnendes Beispiel dafür bietet
die neue Bahn von Haitschou, einem nördlichen Hafen der Schankung benach¬
barten Provinz Kiangsu, nach dem Innern des Landes. Diese Bahn wird mit
belgischen Gelde und folglich auch aus belgischen Material gebaut werden.
Wichtiger noch als dieses aber ist, daß sie die deutsche Tätigkeit im Hinterkante
Tsingtaus, wenn nicht gar unsere Arbeit in Tsingtau selbst, in erheblichem


16*
Deutschland und die Erschließung Chinas

Deutschland und die Erschließung (Lhinas
Dr. rer. pol. Max Linde vonin
IV.

Die Frage einer erfolgreichen wirtschaftlichen Erschließung Chinas ist zum
erheblichen Teile eine Verkehrsfrage. China besitzt heute alles in allem etwa
rund 11000 Kilometer fertige Eisenbahnen, während etwa 4400 Kilometer im
Bau begriffen sind. In Anbetracht der ungeheuren Ausdehnung des Reiches
und der hervorragenden politischen wie wirtschaftlichen Bedeutung von Eisenbahnen
gerade für China müssen diese Zahlen als recht gering und steigerungsbedürftig
bezeichnet werden. Diese Erkenntnis hat in China neuerdings mehr und mehr
an Boden gewonnen und das Eisenbahnproblem zu einer der meist erörterten
Angelegenheiten gemacht. Nicht nur die Regierung, sondern weite Kreise des
intellektuellen China, an ihrer Spitze Dr. Sunjatsen, bemühen sich, Mittel und
Wege ausfindig zu machen und Projekte auszuarbeiten, um China diejenigen
Eisenbahnverbindungen zu schaffen, die es im Interesse der Sicherung seines
territorialen Bestandes benötigt und die die Voraussetzung seines wirtschaftlichen
Aufstiegs sind. Solange China eines zulänglicher Verkehrsnetzes ermangelt,
wird von einer irgendwie großzügigen Entwicklung seines Wirtschaftslebens nicht
gesprochen werden können. Ohne Eisenbahnen ist an eine Umgestaltung der
chinesischen Landwirtschaft, die heute noch ganz allgemein auf der Stufe der
geschlossenen Hauswirtschaft steht, nicht zu denken. Beides aber, Eisenbahnen
und Loslösung der gewerblichen Arbeit von der landwirtschaftlichen Arbeit,
sind Bedingungen einerseits der industriellen und bergbaulichen Ent¬
wicklung Chinas, anderseits der Absatzsteigerung ausländischer Erzeug¬
nisse. Insbesondere letzterer Umstand sollte uns hinreichenden An¬
trieb geben, die chinesische Regierung bei der Verwirklichung ihrer
Eisenbahnpläne zu unterstützen. Deutschland ist ja an dem bisherigen Ausbau
chinesischen Verkehrswesens nicht unbeteiligt gewesen (es hat ungefähr 1200
Kilometer Bahnen in China gebaut), sondern hat sich im Gegenteil durch seine
Eisenbahnarbeiter namentlich in der Provinz Schankung hervorragende Verdienste
erworben. Wie es scheint, haben jedoch unsere Bestrebungen, bei den chinesischen
Vahnbauten in der vordersten Reihe zu stehen, seit mehreren Jahren nach«
gelassen. Das ist unerwünscht, da auch auf diesem Gebiete das, was wir
nicht tun, andere in die Hand nehmen. Ein bezeichnendes Beispiel dafür bietet
die neue Bahn von Haitschou, einem nördlichen Hafen der Schankung benach¬
barten Provinz Kiangsu, nach dem Innern des Landes. Diese Bahn wird mit
belgischen Gelde und folglich auch aus belgischen Material gebaut werden.
Wichtiger noch als dieses aber ist, daß sie die deutsche Tätigkeit im Hinterkante
Tsingtaus, wenn nicht gar unsere Arbeit in Tsingtau selbst, in erheblichem


16*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325101"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutschland und die Erschließung Chinas</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutschland und die Erschließung (Lhinas<lb/><note type="byline"> Dr. rer. pol. Max Linde </note> vonin</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> IV.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_848" next="#ID_849"> Die Frage einer erfolgreichen wirtschaftlichen Erschließung Chinas ist zum<lb/>
erheblichen Teile eine Verkehrsfrage. China besitzt heute alles in allem etwa<lb/>
rund 11000 Kilometer fertige Eisenbahnen, während etwa 4400 Kilometer im<lb/>
Bau begriffen sind. In Anbetracht der ungeheuren Ausdehnung des Reiches<lb/>
und der hervorragenden politischen wie wirtschaftlichen Bedeutung von Eisenbahnen<lb/>
gerade für China müssen diese Zahlen als recht gering und steigerungsbedürftig<lb/>
bezeichnet werden. Diese Erkenntnis hat in China neuerdings mehr und mehr<lb/>
an Boden gewonnen und das Eisenbahnproblem zu einer der meist erörterten<lb/>
Angelegenheiten gemacht. Nicht nur die Regierung, sondern weite Kreise des<lb/>
intellektuellen China, an ihrer Spitze Dr. Sunjatsen, bemühen sich, Mittel und<lb/>
Wege ausfindig zu machen und Projekte auszuarbeiten, um China diejenigen<lb/>
Eisenbahnverbindungen zu schaffen, die es im Interesse der Sicherung seines<lb/>
territorialen Bestandes benötigt und die die Voraussetzung seines wirtschaftlichen<lb/>
Aufstiegs sind. Solange China eines zulänglicher Verkehrsnetzes ermangelt,<lb/>
wird von einer irgendwie großzügigen Entwicklung seines Wirtschaftslebens nicht<lb/>
gesprochen werden können. Ohne Eisenbahnen ist an eine Umgestaltung der<lb/>
chinesischen Landwirtschaft, die heute noch ganz allgemein auf der Stufe der<lb/>
geschlossenen Hauswirtschaft steht, nicht zu denken. Beides aber, Eisenbahnen<lb/>
und Loslösung der gewerblichen Arbeit von der landwirtschaftlichen Arbeit,<lb/>
sind Bedingungen einerseits der industriellen und bergbaulichen Ent¬<lb/>
wicklung Chinas, anderseits der Absatzsteigerung ausländischer Erzeug¬<lb/>
nisse. Insbesondere letzterer Umstand sollte uns hinreichenden An¬<lb/>
trieb geben, die chinesische Regierung bei der Verwirklichung ihrer<lb/>
Eisenbahnpläne zu unterstützen. Deutschland ist ja an dem bisherigen Ausbau<lb/>
chinesischen Verkehrswesens nicht unbeteiligt gewesen (es hat ungefähr 1200<lb/>
Kilometer Bahnen in China gebaut), sondern hat sich im Gegenteil durch seine<lb/>
Eisenbahnarbeiter namentlich in der Provinz Schankung hervorragende Verdienste<lb/>
erworben. Wie es scheint, haben jedoch unsere Bestrebungen, bei den chinesischen<lb/>
Vahnbauten in der vordersten Reihe zu stehen, seit mehreren Jahren nach«<lb/>
gelassen. Das ist unerwünscht, da auch auf diesem Gebiete das, was wir<lb/>
nicht tun, andere in die Hand nehmen. Ein bezeichnendes Beispiel dafür bietet<lb/>
die neue Bahn von Haitschou, einem nördlichen Hafen der Schankung benach¬<lb/>
barten Provinz Kiangsu, nach dem Innern des Landes. Diese Bahn wird mit<lb/>
belgischen Gelde und folglich auch aus belgischen Material gebaut werden.<lb/>
Wichtiger noch als dieses aber ist, daß sie die deutsche Tätigkeit im Hinterkante<lb/>
Tsingtaus, wenn nicht gar unsere Arbeit in Tsingtau selbst, in erheblichem</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 16*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0231] Deutschland und die Erschließung Chinas Deutschland und die Erschließung (Lhinas Dr. rer. pol. Max Linde vonin IV. Die Frage einer erfolgreichen wirtschaftlichen Erschließung Chinas ist zum erheblichen Teile eine Verkehrsfrage. China besitzt heute alles in allem etwa rund 11000 Kilometer fertige Eisenbahnen, während etwa 4400 Kilometer im Bau begriffen sind. In Anbetracht der ungeheuren Ausdehnung des Reiches und der hervorragenden politischen wie wirtschaftlichen Bedeutung von Eisenbahnen gerade für China müssen diese Zahlen als recht gering und steigerungsbedürftig bezeichnet werden. Diese Erkenntnis hat in China neuerdings mehr und mehr an Boden gewonnen und das Eisenbahnproblem zu einer der meist erörterten Angelegenheiten gemacht. Nicht nur die Regierung, sondern weite Kreise des intellektuellen China, an ihrer Spitze Dr. Sunjatsen, bemühen sich, Mittel und Wege ausfindig zu machen und Projekte auszuarbeiten, um China diejenigen Eisenbahnverbindungen zu schaffen, die es im Interesse der Sicherung seines territorialen Bestandes benötigt und die die Voraussetzung seines wirtschaftlichen Aufstiegs sind. Solange China eines zulänglicher Verkehrsnetzes ermangelt, wird von einer irgendwie großzügigen Entwicklung seines Wirtschaftslebens nicht gesprochen werden können. Ohne Eisenbahnen ist an eine Umgestaltung der chinesischen Landwirtschaft, die heute noch ganz allgemein auf der Stufe der geschlossenen Hauswirtschaft steht, nicht zu denken. Beides aber, Eisenbahnen und Loslösung der gewerblichen Arbeit von der landwirtschaftlichen Arbeit, sind Bedingungen einerseits der industriellen und bergbaulichen Ent¬ wicklung Chinas, anderseits der Absatzsteigerung ausländischer Erzeug¬ nisse. Insbesondere letzterer Umstand sollte uns hinreichenden An¬ trieb geben, die chinesische Regierung bei der Verwirklichung ihrer Eisenbahnpläne zu unterstützen. Deutschland ist ja an dem bisherigen Ausbau chinesischen Verkehrswesens nicht unbeteiligt gewesen (es hat ungefähr 1200 Kilometer Bahnen in China gebaut), sondern hat sich im Gegenteil durch seine Eisenbahnarbeiter namentlich in der Provinz Schankung hervorragende Verdienste erworben. Wie es scheint, haben jedoch unsere Bestrebungen, bei den chinesischen Vahnbauten in der vordersten Reihe zu stehen, seit mehreren Jahren nach« gelassen. Das ist unerwünscht, da auch auf diesem Gebiete das, was wir nicht tun, andere in die Hand nehmen. Ein bezeichnendes Beispiel dafür bietet die neue Bahn von Haitschou, einem nördlichen Hafen der Schankung benach¬ barten Provinz Kiangsu, nach dem Innern des Landes. Diese Bahn wird mit belgischen Gelde und folglich auch aus belgischen Material gebaut werden. Wichtiger noch als dieses aber ist, daß sie die deutsche Tätigkeit im Hinterkante Tsingtaus, wenn nicht gar unsere Arbeit in Tsingtau selbst, in erheblichem 16*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/231
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/231>, abgerufen am 22.12.2024.