Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Politik und Wirtschaft Entschuldung zu fördern; sodann betrachteten sie die Prämienreserven als einen Politik und Wirtschaft Entschuldung zu fördern; sodann betrachteten sie die Prämienreserven als einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325070"/> <fw type="header" place="top"> Politik und Wirtschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_720" prev="#ID_719" next="#ID_721"> Entschuldung zu fördern; sodann betrachteten sie die Prämienreserven als einen<lb/> willkommenen Fonds für die Unterbringung ihrer Pfandbriefe und für die Ge¬<lb/> währung von Hypothekendarlehen. Die privaten Lebensversicherungen sahen diese<lb/> Konkurrenz mit mißgünstigen Augen an. Lebhafte Klagen über den Wettbewerb<lb/> der Landschaften ertönten. Man sann auf Mittel, dem letzteren im Beleihungs-<lb/> geschäft zu begegnen und trug sich mit dem Plan, eine besondere Länderbank<lb/> zu errichten. Da entstand beiden Teilen plötzlich ein neuer gefährlicher Gegner<lb/> in den wirtschaftlichen Organisationen der Sozialdemokratie, den Gewerkschaften<lb/> und den Konsumvereinen. Im Zentralverband der Konsumvereine griff man<lb/> den Gedanken auf, eine eigene Volksversicherung als sogenannte „Volksfürsorge"<lb/> ins Leben zu rufen. Man muß sich vergegenwärtigen, was ein solcher Plan zu<lb/> bedeuten hat. Der sozialdemokratischen Organisation stehen Zehntausende von<lb/> Arbeitskräften als Agenten und Kassenboten unentgeltlich zur Verfügung. Die<lb/> Parteiparole verbürgt, daß mit der Errichtung dieser Volksversicherung alles,<lb/> was zur Sozialdemokratie Fühlung hat, sich dieser Versicherung anschließt. Der<lb/> Volksfürsorge wurden dadurch die enormen Geldbeträge zuströmen, welche jetzt<lb/> als Prämiengelder ihren Weg in die Kassen der privaten Gesellschaften nehmen.<lb/> Es handelt sich dabei um außerordentliche, nach Hunderten von Millionen<lb/> zählende Summen. Natürlich müssen diese nach den gesetzlichen Bestimmungen<lb/> angelegt werden, es sind nicht etwa Parteigelder, über welche beliebig verfügt<lb/> werden kann. Aber ein solcher Kapitalstock bedeutet eine wirtschaftliche Macht<lb/> und muß der Organisation einen mächtigen Rückhalt geben, während auf der<lb/> anderen Seite die privaten Gesellschaften eine erhebliche Einbuße erleiden müssen.<lb/> Alsdann entstand denn auch in den Kreisen der letzteren der Plan, den sozial-<lb/> demokratischen Vorstoß durch Gründung einer besonderen Gesellschaft mit gemein¬<lb/> nützigen Charakter, der „Deutschen Volksversicherung A.-G." zu parieren. Von<lb/> dieser Gründung aber schlössen sich gerade die Versicherungsgesellschaften,<lb/> welche bisher die Volksversicherung mit großem Erfolg betrieben haben, vor<lb/> allem „Victoria" und „Friedrich Wilhelm" aus. Sie empfanden in dieser<lb/> Gründung einen Einbruch in ihre Rechte und zogen es vor, lieber der doppelten<lb/> Konkurrenz auf Grund ihrer ausgedehnten und bewährten Organisation die<lb/> Spitze zu bieten. Auch die öffentlichen Lebensversicherungsanstalten verfolgten<lb/> selbständig den Plan weiter, die Volksversicherung gegen die sozialdemokratische<lb/> Neugründung zu organisieren. Im Verfolg dieser Bestrebungen ist nunmehr<lb/> auffallenderweise ein Kartell zwischen den frondierenden Lebensversicherungs¬<lb/> anstalten und den öffentlich-rechtlichen Organisationen, jedoch mit Ausschluß des<lb/> mächtigsten Instituts, der „Victoria", zustande gekommen. Es stehen nun¬<lb/> mehr der sozialdemokratischen Volksfürsorge gegenüber: die „Victoria" allein,<lb/> das Kartell, und die deutsche Volksversicherung Aktiengesellschaft. Letzteres<lb/> Unternehmen gerät damit in eine schwierige Position. Denn es besitzt<lb/> noch keine Organisation, während die Gegner alle über eine solche, und<lb/> zwar zum Teil über eine sehr starke, verfügen. Die Organisation gerade</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
Politik und Wirtschaft
Entschuldung zu fördern; sodann betrachteten sie die Prämienreserven als einen
willkommenen Fonds für die Unterbringung ihrer Pfandbriefe und für die Ge¬
währung von Hypothekendarlehen. Die privaten Lebensversicherungen sahen diese
Konkurrenz mit mißgünstigen Augen an. Lebhafte Klagen über den Wettbewerb
der Landschaften ertönten. Man sann auf Mittel, dem letzteren im Beleihungs-
geschäft zu begegnen und trug sich mit dem Plan, eine besondere Länderbank
zu errichten. Da entstand beiden Teilen plötzlich ein neuer gefährlicher Gegner
in den wirtschaftlichen Organisationen der Sozialdemokratie, den Gewerkschaften
und den Konsumvereinen. Im Zentralverband der Konsumvereine griff man
den Gedanken auf, eine eigene Volksversicherung als sogenannte „Volksfürsorge"
ins Leben zu rufen. Man muß sich vergegenwärtigen, was ein solcher Plan zu
bedeuten hat. Der sozialdemokratischen Organisation stehen Zehntausende von
Arbeitskräften als Agenten und Kassenboten unentgeltlich zur Verfügung. Die
Parteiparole verbürgt, daß mit der Errichtung dieser Volksversicherung alles,
was zur Sozialdemokratie Fühlung hat, sich dieser Versicherung anschließt. Der
Volksfürsorge wurden dadurch die enormen Geldbeträge zuströmen, welche jetzt
als Prämiengelder ihren Weg in die Kassen der privaten Gesellschaften nehmen.
Es handelt sich dabei um außerordentliche, nach Hunderten von Millionen
zählende Summen. Natürlich müssen diese nach den gesetzlichen Bestimmungen
angelegt werden, es sind nicht etwa Parteigelder, über welche beliebig verfügt
werden kann. Aber ein solcher Kapitalstock bedeutet eine wirtschaftliche Macht
und muß der Organisation einen mächtigen Rückhalt geben, während auf der
anderen Seite die privaten Gesellschaften eine erhebliche Einbuße erleiden müssen.
Alsdann entstand denn auch in den Kreisen der letzteren der Plan, den sozial-
demokratischen Vorstoß durch Gründung einer besonderen Gesellschaft mit gemein¬
nützigen Charakter, der „Deutschen Volksversicherung A.-G." zu parieren. Von
dieser Gründung aber schlössen sich gerade die Versicherungsgesellschaften,
welche bisher die Volksversicherung mit großem Erfolg betrieben haben, vor
allem „Victoria" und „Friedrich Wilhelm" aus. Sie empfanden in dieser
Gründung einen Einbruch in ihre Rechte und zogen es vor, lieber der doppelten
Konkurrenz auf Grund ihrer ausgedehnten und bewährten Organisation die
Spitze zu bieten. Auch die öffentlichen Lebensversicherungsanstalten verfolgten
selbständig den Plan weiter, die Volksversicherung gegen die sozialdemokratische
Neugründung zu organisieren. Im Verfolg dieser Bestrebungen ist nunmehr
auffallenderweise ein Kartell zwischen den frondierenden Lebensversicherungs¬
anstalten und den öffentlich-rechtlichen Organisationen, jedoch mit Ausschluß des
mächtigsten Instituts, der „Victoria", zustande gekommen. Es stehen nun¬
mehr der sozialdemokratischen Volksfürsorge gegenüber: die „Victoria" allein,
das Kartell, und die deutsche Volksversicherung Aktiengesellschaft. Letzteres
Unternehmen gerät damit in eine schwierige Position. Denn es besitzt
noch keine Organisation, während die Gegner alle über eine solche, und
zwar zum Teil über eine sehr starke, verfügen. Die Organisation gerade
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